Baviaanskloof
Lüderitz
Skeleton Coast National Park
Auf dem Trockenen in Kongo
Mein kamerunisches Visum war schon seit drei Tagen abgelaufen. Ich war dennoch optimistisch, dass mich das mit etwas Glück in keine all zu großen Schwierigkeiten bringen würde… Am Ende behielt ich Recht, musste aber zwischenzeitlich ordentlich schwitzen.
Die kamerunischen Straßen haben es in sich: wenn es regnet, verwandeln sich die Offroad-Abschnitte in einen Sumpf. Mit meinem Offroad-Glück durfte ich natürlich kosten, wie es sich so im Matsch fährt. Es gibt wahrlich schönere Erfahrungen. Wenn man nicht so oft auf der Seite im Dreck liegen möchte, fährt man mit der unglaublichen Geschwindigkeit (oder besser gesagt Langsamkeit) von ca. 5m pro Minute. Man schiebt halt abwechselnd die Füsse neben dem Moped durch den Schlamm und versucht vorsichtig nach Vorne zu kommen. Meistens gibt es LKW-Rillen, in denen die Schlammschicht nicht so tief ist. Der Nachteil dabei: es gibt wenig Platz, um die Füsse neben dem Bike in den Rillen abzustellen. So muss man die Beine hochheben, sie auf den seitlichen Schlammhügeln abzustützen und versuchen, sich irgendwie gerade zu halten. Diese Prozedur würde wahrscheinlich sogar Spaß machen, wenn man sich nicht gerade mitten im Regenwald befinden würde und bis zur nächsten Siedlung 50-100km zu fahren hätte.
Die meisten Abschnitte der kamerunischen Straßen waren doch relativ gut befahrbar. Es kamen aber immer wieder welche, die mich ordentlich schwitzen liessen. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann endlich die Ortschaft, in der ich mir vorab schon ein ein Hotel herausgesucht hatte. Es fehlten noch gerade mal 1,5km, als mich die Polizei an einem Kontrollposten stoppte. Ich – gut gelaunt und nichts ahnend – übergab dem Polizisten meinen Reisepass. Er schaute sorgfältig hinein. Viel zu sorgfältig! Ich fing an mir Sorgen zu machen. Dann kam der Schock:
»Ihr Visum ist seit vier Tagen abgelaufen. Sie müssen zurück nach Yaoundé fahren« – sagte der Polizist gefühllos.
Mich erwischte der Schlag! »Sie müssen sich irren, Sir« – versuchte ich ihn umzustimmen: »Mein Visum gilt für 30 Tage und ich bin erst seit dem 14. November da«. Ich glaube zwar nicht, dass mir diese billige Ausrede helfen würde, aber es schadete ja bekanntlich nicht, es zu versuchen.
Der Polizist kaufte mir diese Erklärung nicht ab und ging zu seinem Vorgesetzten. Ich musste das Moped am Straßenrand parken, um andere Fahrzeuge nicht zu behindern. Nach einigen Minuten rief mich der Chefpolizist zu sich:
»Ihr Visum ist abgelaufen. Sie müssen nach Yaoundé« – wiederholte er trocken, was ich schon von seinem Kollegen hörte.
»Lieber verrecke ich hier auf der Stelle oder lass mich erschießen, als zurück durch den Dschungel zu fahren!« – dachte ich gleich, sagte es aber vorsichtshalber nicht laut. Ich machte stattdessen ein super trauriges Gesicht, als ob ich gleich losheulen würde. Ich setzte mich dann schweigend auf den Boden neben dem Polizeiposten und fing an, noch trauriger auszusehen. Der Polizist fragte noch, was ich denn zu tun beabsichtige. Ich antwortete, dass ich jetzt kurz vor der Grenze nach Kongo sei und nicht bereit bin, zurück nach Yaoundé zu fahren.
So saß ich auf dem Boden und versuchte Mitleid zu erregen. Ums Verrecken schwor ich mir, keine Bestechungsgelder zu zahlen. Die Lösung war jedoch so einfach eigentlich: die Beamten sollten mich einfach weiter fahren lassen.
Nach ca. 20-30 Minuten meiner sitzenden Protestaktion kam dann endlich der Chefpolizist, reichte mir meinen Reisepass und sagte trocken: »Verschwinde«. Das musste er nicht ein weiteres Mal wiederholen. Ich sprang auf, setzte mich aufs Moped und gab Gas. Am nächsten Morgen war das Problem allerdings nicht aus der Welt geschafft. Ich hatte immer noch 150km zu fahren und ggf. etliche Polizeikontrollen zu überstehen. Nun hatte ich eine Strategie und wollte nicht mehr so leichtsinnig meinen Reisepass mit dem abgelaufenen Visum aus der Hand geben. Ich wollte die Beamten einfach nicht zu Wort kommen lassen, sie mit meiner Afrika-Reise beeindrucken und so abzulenken. Darüber hinaus hatte ich noch einen Joker im Ärmel: ich habe zuvor erfahren, dass der kamerunische Präsident Biya in Baden-Baden zur Kur war! Hammer! Diese Info sollte mir doch helfen können.
Die Strategie ging voll auf! Es gab insgesamt drei Kontrollen. Die ersten zwei konnte ich mit meinen Stories über „meine großartige Reise und Mission“ so „benebeln“, dass sie nicht mal den Pass verlangten. Die dritte Kontrolle war etwas strenger: ich sollte bitte doch keine Passkopien (ich hatte die erste Reisepass-Seite einlaminiert präsentiert), sondern den Reisepass zeigen. In diesem Moment kam meine Baden-Badener-Präsidenten-Kur-Geschichte zur Geltung: der Beamte wusste das sogar selbst! Wir verabschiedeten uns wie besten Freunde.
Doch vor mir lag noch die Grenze. Dort werden sich die Beamten bestimmt nicht so leicht verarschen lassen – dachte ich. Mein Plan war: sobald das Thema des Visums kommt, hatte ich vor, ein „Ausreise-Visum“ zu beantragen. Ich lies zuvor im Internet, dass dies möglich wäre, aber mit gewissen Kosten verbunden und die Höhe der Gebühr von der Laune der Grenzbeamten abhängen würde. Doch dann passierte etwas, was mich über das Ausmaß meines Glücks an diesem Tag staunen ließ. Ich kam an der Grenze an. Klopfte an der Tür des Immigration-Office an und ging rein. In dem Raum sah ich, dass der Beamte auf dem Schreibtisch einfach tief im Schlaf versunken schnarchte! Ich weckte ihn sanft und er – noch halb im Schlaf – haute einfach den Ausreisestempel in meinen Pass ohne ein Kommentar herein! Ich lachte innerlich laut auf, als ich diese Aktion sah. Trotzdem behielt ich die Fassung, bedankte mich höflich und fuhr bestens gelaunt nach Kongo.
In Kongo wartete auf mich eine neue Welt: eine exzellente Straße – sofort ab der Grenze – und gut gelaunte Beamten. Die Formalitäten dauerten wenige Minuten und ich befand mich auf der bis dahin besten Straße in Afrika! Den Chinesen sei Dank! Ich war im Glück. Ich fuhr bis zur nächsten Ortschaft, fand dort ein nettes Hotel mit Hilfe der lokalen Polizei, die mich zuerst kontrollieren wollte, dann aber half, einen guten Zimmer-Preis auszuhandeln. Am nächsten Morgen war ich startklar für die über 1000km lange Strecke nach Brazzaville.
Meine ursprüngliche Euphorie war groß. Diese Begeisterung hielt für ca. 100 km an. Die erste Polizeikontrolle an diesem Morgen verlief noch angenehm und ich fragte noch um einen Rat, ob ich direkt in den Süden oder doch lieber einen ca. 20 km Seitenabstecher nach Ouesso, der nächst gelegenen Stadt, machen sollte. Ich hatte nämlich nur noch ca. 100 km Reichweite und musste dringend tanken. Der Polizist meinte, ich soll doch lieber nach Ouesso fahren. In die andere Richtung könnte es knapp werden.
So nahm ich die Seitenstraße und fuhr nach Ouesso. Nach 15 km kam die erste Tankstelle. Der Tankwart saß auf einem Plastikstuhl und aß Nüsse: »Die Tankstelle ist geschlossen, fahren Sie zur Nächsten. Vielleicht gibt es dort Benzin.« So fuhr ich weiter – von einer leeren Tankstelle bis zur nächsten: überall kein Sprit, alles leergetankt. Am Ende fand ich eine große, moderne Total-Tankstelle. Leider genauso trocken wie die anderen. Der hiesige Mitarbeiter schlug mir vor, in der Bar gleich gegenüber nach dem „Gaddafi-Benzin“ zu fragen. Ich machte große Augen, folgte jedoch dem Hinweis. Ich hatte keine Wahl. Es gab weit und breit keine Möglichkeit, „normal“ zu tanken. So fuhr ich zu der Bar, die ihren größten Umsatz wohl nicht gerade mit alkoholischen Getränken machte. Dort angekommen musste ich nicht mal erklären, was ich brauchte. »How many liters?« war das übliche „Guten Tag“. Ich bestellte 15 Liter und der „Kneipen-Tankwart“ verschwand im Hinterhof. Er kam mit drei 5-Liter-Kanistern zurück und fing gleich an, meinen Tank mit Benzin zu befüllen – in Hoffnung, dass es sich tatsächtlich um Benzin handelte. Es ist schon echt ein komisches Gefühl, wenn man sich an einem völlig fremden Ort – umgeben von fremden Menschen – und 1000km Entfernung bis zur nächsten Großstadt in der gegebenenfalls dein Moped repariert werden könnte, den Tank mit einer Flüssigkeit aus einem nicht transparenten Behälter befüllen lässt. Und es hätte alles sein können! Es war eine Bar, in der die Gäste bestimmt auch Bier trinken und auf die Toilette mussten. Wer weiß schon, wo sie dann das Wasser ablassen.
In Gedanken vertieft machte ich einen entscheidenen Fehler: ich vergass vor der Betankung zu fragen, was ich zu zahlen hatte! Das stellte ich mit Erschrecken erst fest, als der letzte Tropfen im Tank landete. Jetzt war der Tank befüllt, sie könnten alles von mir verlangen, selbst 100 Dollar zu bezahlen oder die hässlichste Frau der Stadt zu heiraten. Ein junger Mann mit tapferer Mine kam auf mich zu und sagte auf Englisch: »Es macht dann 1500 CFA (Franks) pro Liter!« Er sah so aus, als ob er bereit wäre, dafür in den Ring zu steigen, wenn ich diesen Preis nicht zahlen würde. Anscheinend haben sie einen Burschen, der genug auf Englisch sagen kann mit ausreichend gefährlich zusammengezogenen Augenbrauen, die jeden Widerspruch im Keim ersticken sollten. Ich schaute um mich herum. Es bildete sich mittlerweile auch eine mittelgroße Gruppe an Zuschauern um uns herum. Die wollten bestimmt sehen, wie der dumme Tourist in einer meisterhaften Aktion über den Tisch gezogen wird. 15 Liter mal 1500 Franks macht dann 22.500 Franks, umgerechnet ca. 35 Euro. Ein stolzer Preis. Ich schaute verärgert auf die trockene Total-Tanke gegenüber. Auf der Preisanzeigetafel stand: 650 Franks für ein Liter Super. So ein Mist! Resigniert übergab ich dem „Tankwart“ zwei 10-Tausender. Er nickte zustimmend.
Ich setzte mich aufs Motorrad, ignorierte erbost eine Anfrage von einem Zuschauer, der sich mit aller Kraft noch mit mir fotografieren lassen wollte, dachte »Ich mag dieses Land nicht mehr«, startete den Motor und fuhr mit Vollgas davon. Stinkefinger streckte ich nicht heraus. Ich war sauer auf mich selbst, auf meine Naivität und auf die Leute dort. Sie sahen ihre Chance und nutzten sie gnadenlos aus. Ich war aber um eine wichtige Erfahrung reicher: zuerst nach dem Preis fragen, verhandeln, dann einkaufen. Das Problem mit den trockenen Tankstellen begleitete mich fast bis nach Brazzaville, die Erste funktionierende Tankstelle fand ich erst 100 km vor der kongolesischen Hauptstadt. Ich musste noch zwei Mal auf das „Gaddafi-Gold“ zurückgreifen und Benzin flaschenweise kaufen. Verarschen ließ ich mich aber nicht mehr. Und der Flaschen-Sprit war tatsächlich von guter Qualität.
So ließ sich die sehr gute kongolesische Straße nach Brazzaville leider auch nicht auskosten. Wenn du ständig auf die Tankanzeige schaust und nur an trockenen Tankstellen vorbeifährst, ist das kein gutes Reisegefühl. Woher kommt aber das „Gaddafi-Gold“? Überall erzählten die Leute, es sei aus Libyen geschmuggelt. Diese Erklärung ergab aber nicht wirklich Sinn. Libyen ist weit weg und Kongo ist ein an Ölvorkommen reiches Land. Das Öl ist sogar die größte Einnahmequelle im Land. Später erfuhr ich, dass Land sei in der Krise. Es gibt nur wenige, die vom Öl im Land profitieren. Die Bevölkerung hat nicht viel davon. So hamstern sie das Benzin und verkaufen dieses, um in Zeiten von Lieferschwierigkeiten Profit zu schlagen.
In Brazzaville hatte ich keine Tankschwierigkeiten mehr. Die Stadt war sehr gut versorgt und präsentierte sich im Allgemeinen als eine moderne, angenehme und nicht so überfüllte Metropole. Der Verkehr war nicht so chaotisch, wie in den bisherigen Großstädten. Die Fahrer hielten sich an die Verkehrsregeln, stoppten sogar an den roten Ampeln und hupten dich nur in seltenen Fällen an, zum Beispiel wenn du ihnen die Vorfahrt nimmst, weil du nichts anderes aus den afrikanischen Ländern kennst, als einfach immer zu fahren, wenn es eine Lücke gibt.