Die letzte Etappe in Marokko/Westsahara
Nach meinem Offroad-Abenteuer bei Toudra und Dades schwor ich mir, nie wieder Offroad! Ich will doch nicht ganz am Anfang meiner Reise das Moped kaputt machen. Dieses Vorhaben ergab sich aber gleich am nächsten Tag als nicht realisierbar. Ich entschied mich den Weg von Ouarzazate nach Taznakht über die Straße P1507 zu nehmen. Eine Alternative wäre eine 200 km lange Umfahrung. Ermutigt durch meinen russischen Motorrad-Freund Alex, nahm ich dann diese Strecke. Denn unterwegs sollte die berühmte Oase Fint liegen, die schon für diverse Hollywoodproduktionen als Kulisse diente. Die Straße war tatsächlich in Ordnung. So fuhr ich seelenruhig 80 kmh und bestaunte die Gegend. Ich fühlte die Offroad-Wiedergutmachung. Das Glück wurde dann kurz unterbrochen, als ich den Abstecher nach Fint machen wollte. Die Zufahrtsstraße war mehr als renovierungsbedürftig und ich steckte nach ein paar Metern im Sand fest. Dank des Oasen-Wächters (keine Ahnung, was sein Aufgabenspektrum umfasst) konnte ich mich dennoch befreien, machte noch ein Erinnerungsfoto und verschwand zurück auf die gute Straße.
Über die Straßen in Marokko lässt sich viel sagen. Es gibt alles, was man begehrt und hasst: von einer neu asphaltierten Straße in Top-Zustand über alte löchrige Wege bis hin zu „theoretisch befahrbaren“ Wegen in ausgetrockneten Flussbetten, die nicht mal den Namen Weg verdienen. So dachte zumindest, als ich noch in Marokko unterwegs war. Ich schreibe diese Zeilen aus Mauretanien und meine Meinung hat sich gerade kategorisch geändert: Marokko‘s Straßen sind exzellent! Alles Frage der Perspektive… Doch aber vom Anfang an.
Eine große Besonderheit in Marokko, wenn man mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs ist, sind die sehr häufigen Polizeikontrollposten. Im Landesinnere von Marokko wurde ich immer durchgewinkt. Die Lage änderte sich, als ich Richtung Süden fuhr. Kurz vor der (in der Wirklichkeit nicht existierenden) Grenze zwischen Marokko und Westsahara fangen die intensiven Kontrollen an. Die ersten zwei waren eigentlich nicht ganz ernsthaft gemeint. Ich wurde angehalten, weil sich ein Polizist langweilte und zeigen wollte, dass er Spanisch spricht. Sein Polizeikollege war dann auch richtig angetan, dies zu erfahren. Der Zweite hielt mich an, nur weil er das Motorrad sah und selbst ein BMW-Fan sei. Wir unterhielten uns ein paar Minuten über die neuesten BMW-Modelle. Er kannte sich aus! Dennoch keiner von beiden Beamten wollte meine Dokumente sehen.
Am nächsten Tag liefen die Prozeduren schon etwas anders. Ich konnte kaum erwarten, was die Polizisten mich alles fragen möchten. Ich kam auch endlich in Westsahara an und von nun an waren die Kontrollen auch zum Kontrollieren da. In den meisten Fällen musste ich meinen Reisepass zeigen, meinen Beruf erklären, die Nationalität mitteilen und über sonstiges informieren: wo ich in Marokko einreiste, Marke und Typ des Motorrads, wo ich übernachtete und wo meine Reise weiterführen würde. Nach dem zehnten Mal konnte ich das dann auch fließend auf Französisch sagen. Wäre ich noch weitere zwei Wochen in Marokko unterwegs gewesen, wäre ich sicherlich in der Lage, dies auch auf Arabisch wiederzugeben. Trotzdem verlief jede Kontrolle etwas anders. Es gab streng aussehende Beamte und super coole Typen. Manche waren entzückt, jemanden aus Deutschland zu treffen, einige erbost, weil sie sich mit mir nicht in Französisch unterhalten konnten. Ich habe von Polizisten Weintrauben und Kekse bekommen. Es gab sogar einen, der sich entschuldigte, mich gestoppt zu haben. Obwohl ich dadurch Zeit verlor, empfand ich diese Pausen als eine willkommene Abwechslung zur flachen und etwas öden Wüstenlandschaft. Ich muss echt sagen: alle Polizisten waren super korrekt und einige noch sehr nett dazu. Ob sie mich dann auf französisch was böses oder freches fragten, z.B. „Kannst du mir deine Uhr geben?“, das kann ich aufgrund meiner Französisch-Kenntnisse nicht beurteilen.
Neben Polizei waren auch sehr viele Armee-Stützpunkte unterwegs in Westsahara zu sehen. Verständlich, aufgrund des noch nicht beigelegten Konflikts. Nach dem die Kolonialmacht Spanien aus Westsahara 1975 abzog, marschierten die marokkanischen Soldaten auf Befehl des Königs ein und annektierten einen Großteil des Territoriums. 1991 wurde ein Waffenstillstand vereinbart und die Befreiungsfront des sahrauischen Volkes, die sog. Frente Polisario, kontrolliert seitdem einen schmalen Streifen im Osten des Landes. Die Vereinten Nationen verlangen die Durchführung eines Referendums, um das Volk über den endgültigen völkerrechtlichen Status des Gebiets entscheiden zu lassen. Bisher konnte keine Einigkeit erzielt werden. Die Gespräche scheitern an der Wahl der Referendum-Frage nach dem künftigen Status. Neben der Frage nach Integration mit Marokko oder Autonomie wollen die Sahrauis ebenfalls die Ergänzung um die Frage nach einer vollständigen Unabhängigkeit. Damit ist aber Marokko nicht einverstanden. Auf dem besetzten Gebiet werden dafür Tatsachen geschaffen. Marokko investiert massiv in die Infrastruktur, baut Windparks und betreibt eine aktive Siedlungspolitik. Vergebens suchst du irgendwelche Zeichen, dass du in einem Gebiet mit Sonderstatus bist. Unterwegs sah ich immer wieder riesige marokkanische Flaggen und in öffentlichen Einrichtungen, Hotels nicht weniger große Portraits des Königs.
Meine Erzählung über die letzten Tage in Südmarokko, bzw. Westsahara wäre nicht vollständig, wenn ich nicht noch paar Worte über die Städtchen erzählen würde, die mich empfangen haben und ziemlich sonderbare Hotels anboten. Das Erste war Boujdour. Ich las eine kurze Rezension über das Hotel Jawhara auf iOverlander und freute mich über den niedrigen Preis: 100 Dirham, ca. 10 Euro. Ein Biker erwähnte auch, dass man das Moped sicher unterbringen kann.
Und tatsächlich: mein Motorrad erhielt ein Parkplatz im stillgelegten Hotel-Restaurant auf einem Teppich! Was für ein Luxus! Wie großartig müsste dann mein Zimmer aussehen! – dachte ich noch.
Das Zimmer sah auf den ersten Blick zwar nicht außerordentlich schön aus, eher bescheiden: mit zwei Einzelbetten, das Zimmer zwar ohne Fenster aber mit einem Schrank, einer Kommode und sehr wichtig: eigenem Badezimmer mit Dusche! Der Hotelbesitzer zeigte mir alles und reparierte noch schnell in meiner Anwesenheit die Dusche: er schraubte den Duschkopf an den Schlauch wieder dran und lächelte verlegen. Dann wünschte er mir einen schönen Aufenthalt und verschwand.
Normalerweise müsste man sich dann nach einem langen Tag ins Bett legen und mindestens ein Stündchen von der Fahrt erholen. Die Dusche ließ mich aber nicht in Ruhe. Warum lag der Duschkopf neben dem Schlauch? Ein Gast vor mir musste wahrscheinlich die Wahl getroffen haben: lieber ohne Duschkopf als mit einem kaputten. Ich checkte selbst die Vorrichtung. Mir kam ein richtiger Spritzer entgegen! Der Duschkopf sprang aus der Halterung und ich wurde naß. Ok – dachte ich – lieber Hotelbesitzer, das hast Du alles bestimmt mit Absicht gemacht und dachtest, ich werde mich mit damit abfinden, wie der Gast zuvor, und mit dem Schlauch in der Hand duschen. Zugegeben, ich erwog auch diese Option, verwarf sie jedoch. Ich werde Dich mal in Bewegung setzen, Du fauler Sack – dachte ich und ging zur Rezeption. Ich musste es nicht lange erklären, worin mein Problem bestand. Der Typ nahm gleich vier andere Zimmerschlüssel in die Hand und wir gingen auf die Suche nach Ersatzteilen für meine Dusche. In einem Zimmer fanden wir einen neuen Duschkopf, im anderen eine Dichtung. Alles zusammen ergab bei mir im Bad eine tatsächlich einwandfrei funktionierende Dusche.
Berauscht durch den Erfolg und mein Durchsetzungsvermögen entschloss ich mich, mir das Zimmer genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Abwesenheit eines Fernsehers störte mich noch nie – also nicht der Rede wert. Die Kommode, die nur noch ein Viertel der Glastür besaß, war auch in Ordnung. Dass der Wasserhahn super langsam tropfte, war schon problematischer. Um die Zahnbürste nass zu machen, musste man sie ca. 2 Minuten drunter halten. Aber hey – ich habe jetzt eine tolle Dusche, die richtig gut funktionierte!
Zurück im Schlafzimmer wollte ich noch den Kleiderschrank inspizieren. Die Bauweise ist schon besonders. Der Schrank entstand anscheinend zeitgleich mit dem Raum. Später montiert man halt nur die Schranktüren daran – und fertig.
Ohne böses zu ahnen öffnete ich diese Schranktür. Ich blieb wie eingemauert stehen. Ich sah eine Riesenkakerlake auf dem oberen Regal! Die war so groß! Bestimmt so lang wie mein Mittelfinger. Sie bewegte ihre Antennen, die genauso lang waren, wie die selbst. Unsere Blicke trafen sich. Scheiße! – dachte ich. Das zählt schon als mittelgroßes Haustier, das ich gerade in seinem Domizil störte. Das Domizil war ja auch richtig eingerichtet. Überall lagen schwarze Kügelchen, deren Verwendung und Funktion ich nicht sofort erkennen konnte. Höchstwahrscheinlich war das der zu erwartende Nachwuchs, da ich auch in der Ecke eine weitere Monsterkakerlake sah. Ein Pärchen! Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich musste denen Namen vergeben! Kevin und Chantal erschienen mir passend. Chantal rührte sich nicht, Kevin schien neugieriger zu sein. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und kam in meine Richtung. Ich zuckte! Ist er jetzt sauer auf mich? Ich lass sie lieber in Ruhe. Ich nahm noch ein paar Fotos auf, um sie dann in der App hochzuladen und den anderen potentiellen Gästen nicht vorzuenthalten. Dann schloss ich die Tür. Das Knacken in der Spalte zwischen Schrank und Tür deutete daraufhin, dass sich Chantal doch bewegte und ihre neue Position sehr unglücklich auswählte. Kevin wurde zum Witwer. Und ich verbrachte die Nacht in meinem eigenen Schlafsack.
Nach dieser Erfahrung wollte ich dann die nächste Nacht unbedingt in meinem eigenen Zelt auf einem Campingplatz verbringen. Das klappte leider doch nicht. Ich fuhr nach Dakhla ins Stadtzentrum und fand ein neues Hotel. Wieder entschied ich mich bei der Hotelwahl für das Kriterium der sicheren Unterbringung für mein Motorrad. Zumindest hatte ich so eine Sorge weniger. Im Hotelzimmer wird es schon irgendwie funktionieren. Einfach die Pobacken beim Duschen zusammenhalten – es wird schon nichts passieren. Das Hotel war aber teuer – ob sich das im Standard der Unterkunft wiederspiegelt? 200 Dirham, ca. 20 Euro wollte der Hotelbesitzer haben. Die nette Empfangsdame wäre wahrscheinlich geneigt mir entgegen zu kommen, durfte das aber nicht. Der Boss kam. Ich fragte, ob ich für 150 Dirham bleiben kann. Er meinte, dass er mir schon einen Sonderpreis anbot. Normalerweise koste das Zimmer 300 Dirham. Wir haben noch hin und her verhandelt und dank meiner Verhandlungstaktik durfte ich am Ende die ursprünglichen 200 Dirham bezahlen. Das Zimmer war aber im Vergleich zum Hotel in Boujdour das Geld wert. Doppelt so viel bezahlt – dafür zweimal kleinere Kakerlaken bekommen. Außerdem hatte ich ein Fenster und hinter dem Fenster eine Moschee mit Minarett! Cool – dachte ich – ich muss den Wecker nicht mehr einstellen!
Ich lief noch am selben Tag durch die Stadt. Dakhla ist unter den Kitesurfern ganz bekannt! Die wunderschöne Lagune liegt aber meilenweit vor der Stadt und hat eigene Hotel- und Camping-Infrastrukturen. Das Stadtzentrum ist – um es undiplomatisch auszudrucken – super hässlich. Bestimmt auch funktional, mit allen möglichen Geschäften, Restaurants und (jetzt ganz im Ernst) einem echt tollem Gemüse- und Fischmarkt. Ansonsten bietet sie leider weder architektonische Höhepunkte noch kann mit raffinierter Stadtparkgestaltung begeistern. Nett einmal da gewesen zu sein.
Am nächsten Morgen wollte ich noch schnell eine Postkarte und Briefmarke holen. Der Erste spontane Gedanke: das Postamt müsste welche haben. Wie falsch. Ich fuhr hin, stellte mein Moped vorm Gebäude ab. Lächelte einen Soldaten an und fragte ihn in meinen Gedanken, ob er kurz auf meine Maschine aufpassen könnte. Er lächelte zurück! Alles klar – das Moped ist sicher.
Auf der Post wurde mir schon geholfen. Nach einer ca. 10-minutigen Diskussion gelang es mir zu erklären, was ich wollte. Ein Angestellter kam mit mir raus und zeigte mit dem Finger auf ein Papierladen, ca. 100 Meter weiter, wo ich angeblich alles bekommen könnte, was ich brauche. Ich lief hin (dachte noch an den guten Soldaten, der über mein Moped wacht) und ging in das Geschäft rein. Dort konnte ich tatsächlich die Briefmarken bekommen! Leider wusste niemand, wie viel sie wert sein sollen. So nahm ich einfach zwei für insgesamt 8 Dirham. Postkarten kriegte ich keine.
Also zurück zur Post. Es stellte sich heraus, dass ich für Europa eine Briefmarke im Wert von 9 Dirham brauche. Jetzt war die Post gezwungen, ihre Briefmarken-Tresore zu öffnen, um mir die richtige zu verkaufen! Eine Aufgabe geschafft. Aber wo kriege ich die Postkarte? Und bei allem Respekt, was soll die Postkarte in dieser Stadt bitte darstellen? Bis auf die Moschee und den Fischmarkt erschien mir nichts würdig, auf einer Postkarte – die dann noch ins Ausland gehen sollte – abgebildet zu sein. Ein weiterer Postangestellte hatte Mitleid mit mir und zeigte auf Googlemaps, wo sich ein weiteres Postamt befand.
Ich fuhr also hin – so schnell gebe ich doch nicht auf. Dort angekommen, ging die ganze Geschichte wieder von vorne los. Keine Postkarten.
Ich war schier verzweifelt, als eine Gruppe von Soldaten direkt bei mir eintraf. Mit so viel Autorität werden sie mir bestimmt helfen können. Und da ist einer mit einem goldenen Stern auf der Schulter! So ging ich zu dieser Gruppe und sprach gleich direkt den General an. Ich erklärte mein ausgesprochen wichtiges Anliegen. Er nahm mich unter den Arm und wir gingen wieder zum Postamt. Trotz seiner ganzen Ausstrahlung eines Generals konnte er leider doch nicht bewirken, dass da auf einmal aus dem Nichts Postkarten auftauchen. Dann telefonierte er noch ein paar Leute ab. Leider erfolglos… Er entschuldigte sich, gab mir die Hand, trommelte seine Truppe zusammen und fuhr davon. Ich gab schließlich auf. Die Briefmarken habe ich immer noch.
Bevor ich die Grenze zu Mauretanien überquerte, stoppte ich für die letzte Nacht in einem weiteren Hotel, ca. 80km vor der Grenze. Es war ok, es gab eine funktionierende Dusche, halbgroße Kakerlaken und Strom, um die Gerätschaften zu laden.
Ich legte mich schlafen, jedoch wieder mit demselben mulmigen Bauchgefühl wie zwei Wochen zuvor in Spanien: schon wieder eine marokkanische Grenze, an der ich meine Drohne verlieren könnte. Ich packte alles um und versteckte das Fluggerät wieder im eingerollten Zelt. Vielleicht klappt es wie bei der Anreise? Die Hoffnung stirbt zuletzt.