5 Millionen neue Grauhaare

Die Bekanntschaft mit Wilfrid trug bei einer weiteren wichtigen Angelegenheit ihre Früchte. Die beiden Hauptstädte Brazzaville und Kinshasa liegen gleich gegenüber. Um die zwischenstaatlichen Kontakte und den grenzüberschreitenden Verkehr zu fördern, würde sich eine Brücke anbieten oder zumindest eine Fährverbindung für Fahrzeuge. Es gibt weder das eine noch das andere. Zwischen beiden Städte fahren lediglich touristische Kleinboote.

Um die Lage zu checken, ging ich zum Hafen, um zu sehen, ob es da nicht eine Chance geben könnte, mein Motorrad auf das andere Kongo-Ufer zu bringen. Ein Gespräch mit einem Zollbeamten, der gerade seine Sonntagabendschicht absolvierte, ergab, dass man das tatsächlich organisiert bekommen könnte, es sei aber ziemlich kompliziert und natürlich kostenintensiv. Eine schnelle Überprüfung auf der iOverlander-App ergab, dass es schon früher Leute gab, die dieses Abenteuer wagten. Der Preis variierte um die 200 USD. Ziemlich heftig für eine Flussüberquerung. Aber ich war in Afrika und wollte (musste) nach Kinshasa-Kongo einreisen.

Es gab nicht allzu viele Alternativen. Eine davon wäre die Überquerung der Grenze im Landesinneren (Lwozi-Lufu Grenze). Sie wäre aber mit extremen Straßenkonditionen verbunden gewesen, insbesondere während der Regenzeit. Da ich aufgrund meiner Erfahrungen aus Kamerun nun schlauer war, strich ich diese Option schnell aus meiner Liste. Eine andere Möglichkeit wäre eine Fahrt nach Pointe Noire an der Küste und die Überquerung nach Cabinda (angolische Exklave zwischen der Rep. Kongo und DR Kongo). Von Cabinda kann man dann das Motorrad nach Soyo in Angola verschiffen lassen und selbst in einem kleinen Flugzeug rüberfliegen. Diese Lösung kam mir aber etwas umständlich vor, und so entschied ich mich für die Flußüberquerung.

An jenem Tag kam auch mein Freund Wilfrid dazu, um mich im Hafenchaos zu unterstützen und einen guten Preis für mich auszuhandeln. Gleich wurden wir von diversen „Dienstleistern“ angesprochen, oder zutreffender gesagt „umzingelt“. Einer davon bot einen guten Preis an: 75.000 CFA (umgerechnet 115 EUR). Mehrfaches Nachfragen, ob es sich dabei um den endgültigen Preis für die ganze Prozedur handelt, wurde jedes Mal mit Nachdruck bejaht. Später ergab sich das als eine unverschämte Lüge. Dazu aber später.

Nach Klärung und Auszahlung des Preises begannen wir mit der Bürokratie: Ausreisestempel, Ausfüllen diverser Formulare, Abstempeln des Zolldokuments (Carnet de Passage). Ich gab meinen Reisepass ungern aus der Hand, aber Wilfrid meinte, dass dies in Ordnung sei. Ich hatte keinen Grund, Wilfrid nicht zu vertrauen. Und in der Tat: während ich mich um das Carnet kümmerte, erledigten die „Helfer“ die Ausreiseangelegenheiten. Nach ca. 1,5 oder vielleicht gar 2 Stunden waren wir soweit und konnten mit dem Beladen beginnen.

Ich fuhr mit dem Moped an das Boot heran und staunte. Das Boot konnte mein Bike unmöglich beherbergen! Wo denn auch? Es war ein einfaches Passagierboot mit Sitzplätzen für etwa 10 bis 12 Leute, die ihr Gepäck auf dem Schoss halten mussten. Vorne auf dem Bug gab es noch etwas freie Fläche. Sie schien aber viel zu klein, um ein 300kg-Bike unterzubringen. Außerdem fehlte eine Rampe um das Motorrad auf das Boot zu verladen. Es gab auch keinen Kran, der die Maschine hochheben und sicher auf das Boot hätte legen können. Und da war noch die hohe Reling, die eindeutig im Weg stand.

Auf einmal stand eine Gruppe von Männern in Fußballmannschaftsstärke um mich herum, allersamt in türkisfarbenen Kitteln. Als ich erkannte, was sie vorhatten, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken: die wollten tatsächlich das schwere Bike über die Reling auf das Boot hieven. Für mich gab es keinen Rückzieher mehr. Ich musste mich dem Schicksal ergeben. So baute ich die Koffer ab und überließ mein Bike, meinen besten Freund, Gefährten und Lebensretter, in die „brutalen“ Hände der Hafenmitarbeiter. Sie packten es von allen Seiten an, so dass es keinen freien Raum mehr um das Motorrad herum gab. Die Ladeprozedur begann. Ich schaute von der Seite zu und begann das ganze mit meinem Handy zu filmen. Ich dachte in diesem Moment nur daran: „Wenn sie es in den Kongofluss schmeißen, dann habe ich zumindest alles auf dem Video. Könnte der Videoverkauf an Fernsehsender ausreichen, um sich ein neues Moped zu leisten? Scheiße! Da war noch meine Kamera mit den Zeiss-Objektiven im Tankrucksack. Und der Tankrucksack war immer noch auf dem Tank befestigt! In dem Wirrwarr habe ich nicht dran gedacht, den Rucksack abzunehmen!“ Meine Hände begannen zu zittern. „Jetzt bloß nicht das iPhone fallen lassen! Das wäre der ultimative Super-GAU: das Bike gefilmt, wie es in den Kongofluss reinfällt, und dann flutscht mir das Handy auch noch ins Wasser! Vielleicht hätte ich Wilfrid bitten müssen, auch mich zu filmen wie ich filme?“, dachte ich noch und drückte das Handy noch stärker in die Hand. Das ganze dauerte höchstens drei, vier Minuten – fühlte sich aber wie Stunden an. Ich schaute hilflos zu und stöhnte immer wieder. Ich gab Geräusche von mir, die ich so nicht kannte. Es war eine Mischung aus Hilflosigkeit und einer kleinen Portion Hoffnung, dass das ganze vielleicht doch noch klappt. Dann blieb das Moped mit dem Kupplungshebel an der Reling hängen. Mein Herz raste auf 180. „Völlig unnötig“, versuchte ich mich selbst zu trösten: „Ich habe doch die Ersatzteile dabei“. Irgendwann war das Motorrad drauf. Ich atmete erleichtert aus. Dieser Moment hielt allerdingsn nur kurz ab. Die Männer wollten gleich ihre Bezahlung. »Wie jetzt? Ich habe doch schon bezahlt«, ich schaute den Typen an, der das Geld von mir bereits für die Überfahrt kassiert hatte. »Du musst sie jetzt bezahlen«, sagte er mit ernstem Gesicht. Ich hatte keine Wahl. Um mich herum standen so viele Männer, dass sie sicherlich in der Lagen gewesen wären, ein Nachbardorf zu überfallen oder einen kleinen Krieg zu gewinnen. Diese Männer schauten mich erwartungsvoll an. Sie hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch genug Kraft und Energie übrig, um das Motorrad wieder vom Boot zu heben und es gleich dann in den Fluss zu werfen. »Was wollt Ihr haben?«, fragte ich. »20.000 CFA« antwortete der Gruppenvorsteher. Nun haben wir eine Weile verhandelt. Wilfrid half dabei, so dass ich am Ende 10.000 CFA zahlen musste, umgerechnet 15 Euro. Ich verabschiedete mich von Wilfrid, der mir noch zuwarf, dass ich dem Typen nicht trauen sollte, der das ganze hier organisiert und der von mir die ganze Gebühr bereits kassiert hatte. Das wusste ich jetzt nur zu gut.

Die Überfahrt nach Kinshasa dauerte magere 15 Minuten. Angekommen, begann das ganze Chaos wieder von Vorne. Im Gegensatz zu Brazzaville gab es in Kinshasa noch chaotischere Verhältnisse: die Träger stritten sogar, wer von Ihnen dabei helfen durfte! Die Hafenpolizei musste einschreiten, ein Polizist schnappte sich immer wieder einen Mann und zog ihn vom Bike weg. Die Leute beschimpften und schubsten sich gegenseitig. Am Ende stand das Bike wieder auf dem Festland, ich war komplett durchgeschwitzt aber glücklich, dass ich es überstanden hatte.

Das ganze Geschehen beobachtete ein wichtig aussehender Polizist, der immer wieder anderen Polizisten Befehle zuwarf. „Den muss ich auf meiner Seite haben“, dachte ich noch. In dem Chaos brauche ich jemanden, der genug Autorität besitzt, um die anderen von mir fern zu halten. Wie ich hörte, wird man im Hafen von Kishasa von Händlern und Möchte-gern-Helfern massiv belästigt. Das zahlte sich sehr aus! Der „Hauptmann“ war auch willig, mir zu helfen. Er brachte mich durch diverse dunkle Ecken und Winkel zu den richtigen Immigrations-Büros, die ich selbst wahrscheinlich nur mit Mühe gefunden hätte. Dann half er mir die restlichen CFA in die kongolesischen Franks umzutauschen und besorgte mir sogar eine Sim-Karte für mein Telefon. Als ich die lokale Währung umtauschte, staunte ich verdutzt: für den Wert von ca. 100 Euro erhielt ich einen dicken Bündel von Franks. Die größte Banknote ist in Höhe von 1000 Franks, also umgerechnet gerade mal ca. 0,55 Euro – da braucht der Geldbeutel ja Räder, wenn man Lebensmittel für eine Woche einkaufen geht!

Ich war sehr froh, den Hauptmann als Helfer und Beschützer an meiner Seite zu haben! Denn der Organisator der Überquerung lief mir die ganze Zeit nach. Die Träger bei der Ankunft musste ich natürlich wieder selbst bezahlen und der Typ hatte die Unverschämtheit nach mehr Geld zu fragen! Sein Plan war es, mir bei der ganzen „Bürokratie“ in Kinshasa zu „helfen“. Blöd für ihn, dass ich dann den Hauptmann dabei hatte. Und als ich meinem neuen Polizistenfreund sagte, dass ich den Kerl bereits bezahlt habe, schrie er ihn an und verjagte ihn auf der Stelle. „Gut so“, dachte ich mir schadenfroh.

Nun war ich bereit zur Weiterfahrt. Ich begutachtete mein Motorrad und stellte fest, dass alles in Ordnung war, bis auf die verstellten Seitenspiegel. Ein Wunder ist geschehen! Ich gab meinem Hauptmann 5 Euro Aufwandsentschädigung und fuhr davon. Ein paar Händler wollten mir noch ihre schreienden Hühner, Bananen und sonstiges Gemüse verkaufen. Ich lächelte freundlich, winkte zu und war weg.

Ich hatte nicht vor, lange in Kinshasa zu bleiben. Meine Couch-Surfing-Anfrage wurde nicht beantwortet und ich sah dies nicht als Schicksalsschlag. Ich hielt noch kurz in der Stadt, ging zum chinesischen Restaurant, bestellte ein Stück Grillente sowie ein Tonic Water. Die Rechnung in Höhe von 30 US-Dollar bestärkte mich in der Annahme, dass ich doch schnellstmöglich nach Angola fahren sollte. Was für ein Kontrast! Auf der Straße betteln Kinder für ein Stück Brot und man zahlt beim Chinesen 30 Dollar für Lunch.

Die letzte Etappe in Marokko/Westsahara

Nach meinem Offroad-Abenteuer bei Toudra und Dades schwor ich mir, nie wieder Offroad! Ich will doch nicht ganz am Anfang meiner Reise das Moped kaputt machen. Dieses Vorhaben ergab sich aber gleich am nächsten Tag als nicht realisierbar. Ich entschied mich den Weg von Ouarzazate nach Taznakht über die Straße P1507 zu nehmen. Eine Alternative wäre eine 200 km lange Umfahrung. Ermutigt durch meinen russischen Motorrad-Freund Alex, nahm ich dann diese Strecke. Denn unterwegs sollte die berühmte Oase Fint liegen, die schon für diverse Hollywoodproduktionen als Kulisse diente. Die Straße war tatsächlich in Ordnung. So fuhr ich seelenruhig 80 kmh und bestaunte die Gegend. Ich fühlte die Offroad-Wiedergutmachung. Das Glück wurde dann kurz unterbrochen, als ich den Abstecher nach Fint machen wollte. Die Zufahrtsstraße war mehr als renovierungsbedürftig und ich steckte nach ein paar Metern im Sand fest. Dank des Oasen-Wächters (keine Ahnung, was sein Aufgabenspektrum umfasst) konnte ich mich dennoch befreien, machte noch ein Erinnerungsfoto und verschwand zurück auf die gute Straße.

Über die Straßen in Marokko lässt sich viel sagen. Es gibt alles, was man begehrt und hasst: von einer neu asphaltierten Straße in Top-Zustand über alte löchrige Wege bis hin zu  „theoretisch befahrbaren“ Wegen in ausgetrockneten Flussbetten, die nicht mal den Namen Weg verdienen. So dachte zumindest, als ich noch in Marokko unterwegs war. Ich schreibe diese Zeilen aus Mauretanien und meine Meinung hat sich gerade kategorisch geändert: Marokko‘s Straßen sind exzellent! Alles Frage der Perspektive… Doch aber vom Anfang an.

Eine große Besonderheit in Marokko, wenn man mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs ist, sind die sehr häufigen Polizeikontrollposten. Im Landesinnere von Marokko wurde ich immer durchgewinkt. Die Lage änderte sich, als ich Richtung Süden fuhr. Kurz vor der (in der Wirklichkeit nicht existierenden) Grenze zwischen Marokko und Westsahara fangen die intensiven Kontrollen an. Die ersten zwei waren eigentlich nicht ganz ernsthaft gemeint. Ich wurde angehalten, weil sich ein Polizist langweilte und zeigen wollte, dass er Spanisch spricht. Sein Polizeikollege war dann auch richtig angetan, dies zu erfahren. Der Zweite hielt mich an, nur weil er das Motorrad sah und selbst ein BMW-Fan sei. Wir unterhielten uns ein paar Minuten über die neuesten BMW-Modelle. Er kannte sich aus! Dennoch keiner von beiden Beamten wollte meine Dokumente sehen. 

Am nächsten Tag liefen die Prozeduren schon etwas anders. Ich konnte kaum erwarten, was die Polizisten mich alles fragen möchten. Ich kam auch endlich in Westsahara an und von nun an waren die Kontrollen auch zum Kontrollieren da. In den meisten Fällen musste ich meinen Reisepass zeigen, meinen Beruf erklären, die Nationalität mitteilen und über sonstiges informieren: wo ich in Marokko einreiste, Marke und Typ des Motorrads, wo ich übernachtete und wo meine Reise weiterführen würde. Nach dem zehnten Mal konnte ich das dann auch fließend auf Französisch sagen. Wäre ich noch weitere zwei Wochen in Marokko unterwegs gewesen, wäre ich sicherlich in der Lage, dies auch auf Arabisch wiederzugeben. Trotzdem verlief jede Kontrolle etwas anders. Es gab streng aussehende Beamte und super coole Typen. Manche waren entzückt, jemanden aus Deutschland zu treffen, einige erbost, weil sie sich mit mir nicht in Französisch unterhalten konnten. Ich habe von Polizisten Weintrauben und Kekse bekommen. Es gab sogar einen, der sich entschuldigte, mich gestoppt zu haben. Obwohl ich dadurch Zeit verlor, empfand ich diese Pausen als eine willkommene Abwechslung zur flachen und etwas öden Wüstenlandschaft. Ich muss echt sagen: alle Polizisten waren super korrekt und einige noch sehr nett dazu. Ob sie mich dann auf französisch was böses oder freches fragten, z.B. „Kannst du mir deine Uhr geben?“, das kann ich aufgrund meiner Französisch-Kenntnisse nicht beurteilen.

Neben Polizei waren auch sehr viele Armee-Stützpunkte unterwegs in Westsahara zu sehen. Verständlich, aufgrund des noch nicht beigelegten Konflikts. Nach dem die Kolonialmacht Spanien aus Westsahara 1975 abzog, marschierten die marokkanischen Soldaten auf Befehl des Königs ein und annektierten einen Großteil des Territoriums. 1991 wurde ein Waffenstillstand vereinbart und die Befreiungsfront des sahrauischen Volkes, die sog. Frente Polisario, kontrolliert seitdem einen schmalen Streifen im Osten des Landes. Die Vereinten Nationen verlangen die Durchführung eines Referendums, um das Volk über den endgültigen völkerrechtlichen Status des Gebiets entscheiden zu lassen. Bisher konnte keine Einigkeit erzielt werden. Die Gespräche scheitern an der Wahl der Referendum-Frage nach dem künftigen Status. Neben der Frage nach Integration mit Marokko oder Autonomie wollen die Sahrauis ebenfalls die Ergänzung um die Frage nach einer vollständigen Unabhängigkeit. Damit ist aber Marokko nicht einverstanden. Auf dem besetzten Gebiet werden dafür Tatsachen geschaffen. Marokko investiert massiv in die Infrastruktur, baut Windparks und betreibt eine aktive Siedlungspolitik. Vergebens suchst du irgendwelche Zeichen, dass du in einem Gebiet mit Sonderstatus bist. Unterwegs sah ich immer wieder riesige marokkanische Flaggen und in öffentlichen Einrichtungen, Hotels nicht weniger große Portraits des Königs. 

Meine Erzählung über die letzten Tage in Südmarokko, bzw. Westsahara wäre nicht vollständig, wenn ich nicht noch paar Worte über die Städtchen erzählen würde, die mich empfangen haben und ziemlich sonderbare Hotels anboten. Das Erste war Boujdour. Ich las eine kurze Rezension über das Hotel Jawhara auf iOverlander und freute mich über den niedrigen Preis: 100 Dirham, ca. 10 Euro. Ein Biker erwähnte auch, dass man das Moped sicher unterbringen kann.

Und tatsächlich: mein Motorrad erhielt ein Parkplatz im stillgelegten Hotel-Restaurant auf einem Teppich! Was für ein Luxus! Wie großartig müsste dann mein Zimmer aussehen! – dachte ich noch. 

Das Zimmer sah auf den ersten Blick zwar nicht außerordentlich schön aus, eher bescheiden: mit zwei Einzelbetten, das Zimmer zwar ohne Fenster aber mit einem Schrank, einer Kommode und sehr wichtig: eigenem Badezimmer mit Dusche! Der Hotelbesitzer zeigte mir alles und reparierte noch schnell in meiner Anwesenheit die Dusche: er schraubte den Duschkopf an den Schlauch wieder dran und lächelte verlegen. Dann wünschte er mir einen schönen Aufenthalt und verschwand. 

Normalerweise müsste man sich dann nach einem langen Tag ins Bett legen und mindestens ein Stündchen von der Fahrt erholen. Die Dusche ließ mich aber nicht in Ruhe. Warum lag der Duschkopf neben dem Schlauch? Ein Gast vor mir musste wahrscheinlich die Wahl getroffen haben: lieber ohne Duschkopf als mit einem kaputten. Ich checkte selbst die Vorrichtung. Mir kam ein richtiger Spritzer entgegen! Der Duschkopf sprang aus der Halterung und ich wurde naß. Ok – dachte ich – lieber Hotelbesitzer, das hast Du alles bestimmt mit Absicht gemacht und dachtest, ich werde mich mit damit abfinden, wie der Gast zuvor, und mit dem Schlauch in der Hand duschen. Zugegeben, ich erwog auch diese Option, verwarf sie jedoch. Ich werde Dich mal in Bewegung setzen, Du fauler Sack – dachte ich und ging zur Rezeption. Ich musste es nicht lange erklären, worin mein Problem bestand. Der Typ nahm gleich vier andere Zimmerschlüssel in die Hand und wir gingen auf die Suche nach Ersatzteilen für meine Dusche. In einem Zimmer fanden wir einen neuen Duschkopf, im anderen eine Dichtung. Alles zusammen ergab bei mir im Bad eine tatsächlich einwandfrei funktionierende Dusche. 

Berauscht durch den Erfolg und mein Durchsetzungsvermögen entschloss ich mich, mir das Zimmer genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Abwesenheit eines Fernsehers störte mich noch nie – also nicht der Rede wert. Die Kommode, die nur noch ein Viertel der Glastür besaß, war auch in Ordnung. Dass der Wasserhahn super langsam tropfte, war schon problematischer. Um die Zahnbürste nass zu machen, musste man sie ca. 2 Minuten drunter halten. Aber hey – ich habe jetzt eine tolle Dusche, die richtig gut funktionierte! 

Zurück im Schlafzimmer wollte ich noch den Kleiderschrank inspizieren. Die Bauweise ist schon besonders. Der Schrank entstand anscheinend zeitgleich mit dem Raum. Später montiert man halt nur die Schranktüren daran – und fertig. 

Ohne böses zu ahnen öffnete ich diese Schranktür. Ich blieb wie eingemauert stehen. Ich sah eine Riesenkakerlake auf dem oberen Regal! Die war so groß! Bestimmt so lang wie mein Mittelfinger. Sie bewegte ihre Antennen, die genauso lang waren, wie die selbst. Unsere Blicke trafen sich. Scheiße! – dachte ich. Das zählt schon als mittelgroßes Haustier, das ich gerade in seinem Domizil störte. Das Domizil war ja auch richtig eingerichtet. Überall lagen schwarze Kügelchen, deren Verwendung und Funktion ich nicht sofort erkennen konnte. Höchstwahrscheinlich war das der zu erwartende Nachwuchs, da ich auch in der Ecke eine weitere Monsterkakerlake sah. Ein Pärchen! Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich musste denen Namen vergeben! Kevin und Chantal erschienen mir passend. Chantal rührte sich nicht, Kevin schien neugieriger zu sein. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und kam in meine Richtung. Ich zuckte! Ist er jetzt sauer auf mich? Ich lass sie lieber in Ruhe. Ich nahm noch ein paar Fotos auf, um sie dann in der App hochzuladen und den anderen potentiellen Gästen nicht vorzuenthalten. Dann schloss ich die Tür. Das Knacken in der Spalte zwischen Schrank und Tür deutete daraufhin, dass sich Chantal doch bewegte und ihre neue Position sehr unglücklich auswählte. Kevin wurde zum Witwer. Und ich verbrachte die Nacht in meinem eigenen Schlafsack. 

Nach dieser Erfahrung wollte ich dann die nächste Nacht unbedingt in meinem eigenen Zelt auf einem Campingplatz verbringen. Das klappte leider doch nicht. Ich fuhr nach Dakhla ins Stadtzentrum und fand ein neues Hotel. Wieder entschied ich mich bei der Hotelwahl für das Kriterium der sicheren Unterbringung für mein Motorrad. Zumindest hatte ich so eine Sorge weniger. Im Hotelzimmer wird es schon irgendwie funktionieren. Einfach die Pobacken beim Duschen zusammenhalten – es wird schon nichts passieren. Das Hotel war aber teuer – ob sich das im Standard der Unterkunft wiederspiegelt? 200 Dirham, ca. 20 Euro wollte der Hotelbesitzer haben. Die nette Empfangsdame wäre wahrscheinlich geneigt mir entgegen zu kommen, durfte das aber nicht. Der Boss kam. Ich fragte, ob ich für 150 Dirham bleiben kann. Er meinte, dass er mir schon einen Sonderpreis anbot. Normalerweise koste das Zimmer 300 Dirham. Wir haben noch hin und her verhandelt und dank meiner Verhandlungstaktik durfte ich am Ende die ursprünglichen 200 Dirham bezahlen. Das Zimmer war aber im Vergleich zum Hotel in Boujdour das Geld wert. Doppelt so viel bezahlt – dafür zweimal kleinere Kakerlaken bekommen. Außerdem hatte ich ein Fenster und hinter dem Fenster eine Moschee mit Minarett! Cool – dachte ich – ich muss den Wecker nicht mehr einstellen!

Ich lief noch am selben Tag durch die Stadt. Dakhla ist unter den Kitesurfern ganz bekannt! Die wunderschöne Lagune liegt aber meilenweit vor der Stadt und hat eigene Hotel- und Camping-Infrastrukturen. Das Stadtzentrum ist – um es undiplomatisch auszudrucken – super hässlich. Bestimmt auch funktional, mit allen möglichen Geschäften, Restaurants und (jetzt ganz im Ernst) einem echt tollem Gemüse- und Fischmarkt. Ansonsten bietet sie leider weder architektonische Höhepunkte noch kann mit raffinierter Stadtparkgestaltung begeistern. Nett einmal da gewesen zu sein. 

Am nächsten Morgen wollte ich noch schnell eine Postkarte und Briefmarke holen. Der Erste spontane Gedanke: das Postamt müsste welche haben. Wie falsch. Ich fuhr hin, stellte mein Moped vorm Gebäude ab. Lächelte einen Soldaten an und fragte ihn in meinen Gedanken, ob er kurz auf meine Maschine aufpassen könnte. Er lächelte zurück! Alles klar – das Moped ist sicher. 

Auf der Post wurde mir schon geholfen. Nach einer ca. 10-minutigen Diskussion gelang es mir zu erklären, was ich wollte. Ein Angestellter kam mit mir raus und zeigte mit dem Finger auf ein Papierladen, ca. 100 Meter weiter, wo ich angeblich alles bekommen könnte, was ich brauche. Ich lief hin (dachte noch an den guten Soldaten, der über mein Moped wacht) und ging in das Geschäft rein. Dort konnte ich tatsächlich die Briefmarken bekommen! Leider wusste niemand, wie viel sie wert sein sollen. So nahm ich einfach zwei für insgesamt 8 Dirham. Postkarten kriegte ich keine. 

Also zurück zur Post. Es stellte sich heraus, dass ich für Europa eine Briefmarke im Wert von 9 Dirham brauche. Jetzt war die Post gezwungen, ihre Briefmarken-Tresore zu öffnen, um mir die richtige zu verkaufen! Eine Aufgabe geschafft. Aber wo kriege ich die Postkarte? Und bei allem Respekt, was soll die Postkarte in dieser Stadt bitte darstellen? Bis auf die Moschee und den Fischmarkt erschien mir nichts würdig, auf einer Postkarte – die dann noch ins Ausland gehen sollte – abgebildet zu sein. Ein weiterer Postangestellte hatte Mitleid mit mir und zeigte auf Googlemaps, wo sich ein weiteres Postamt befand.

Ich fuhr also hin – so schnell gebe ich doch nicht auf. Dort angekommen, ging die ganze Geschichte wieder von vorne los. Keine Postkarten. 

Ich war schier verzweifelt, als eine Gruppe von Soldaten direkt bei mir eintraf. Mit so viel Autorität werden sie mir bestimmt helfen können. Und da ist einer mit einem goldenen Stern auf der Schulter! So ging ich zu dieser Gruppe und sprach gleich direkt den General an. Ich erklärte mein ausgesprochen wichtiges Anliegen. Er nahm mich unter den Arm und wir gingen wieder zum Postamt. Trotz seiner ganzen Ausstrahlung eines Generals konnte er leider doch nicht bewirken, dass da auf einmal aus dem Nichts Postkarten auftauchen. Dann telefonierte er noch ein paar Leute ab. Leider erfolglos… Er entschuldigte sich, gab mir die Hand, trommelte seine Truppe zusammen und fuhr davon. Ich gab schließlich auf. Die Briefmarken habe ich immer noch.

Bevor ich die Grenze zu Mauretanien überquerte, stoppte ich für die letzte Nacht in einem weiteren Hotel, ca. 80km vor der Grenze. Es war ok, es gab eine funktionierende Dusche, halbgroße Kakerlaken und Strom, um die Gerätschaften zu laden. 

Ich legte mich schlafen, jedoch wieder mit demselben mulmigen Bauchgefühl wie zwei Wochen zuvor in Spanien: schon wieder eine marokkanische Grenze, an der ich meine Drohne verlieren könnte. Ich packte alles um und versteckte das Fluggerät wieder im eingerollten Zelt. Vielleicht klappt es wie bei der Anreise? Die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Balkan Tour zu zweit

6173km, 17 Länder in 20 Tagen

Unsere Route
Unsere Route

Unsere Balkan-Tour war nicht nur kilometer-intensiv. Sie war vor allem reich an wunderbaren Erfahrungen, unerwarteten Begegnungen mit Menschen und Natur. Wir haben eindrucksvolle Momente erlebt, haben geschwitzt (nicht nur temperaturbedingt), sind immer wieder naß geworden, haben in naßen Klamotten bei 10° im Gebirge stundenlang gefroren, um später einer erstaunlichen Gastfreundschaft zu begegnen und Orte zu sehen, die allen Vorurteilen mit voller Kraft widersprechen.

Wir, Saskia und ich, zwei Motorrad-Neulinge, sind auf unsere erste große Motorrad-Reise in den frühen Nachmittagsstunden des 1. Juli in Baden-Baden aufgebrochen. Geschuldet dem mehrfachen Be- und wieder Entladen des Gepäcks haben wir unseren Plan, so früh wie möglich aufzubrechen, um einige Stunden verfehlt. Dennoch wollten wir noch am selben Tag Österreich erreichen. Geschafft haben wir bis zum Chiemsee und durften schon gleich am ersten Abend üben: das Zelt im Regen aufbauen. Wie sich später zeigen sollte: nicht zum letzten Mal. Wie so oft im Urlaub: während in der Heimat die Sonne strahlt und die Temperaturen belohnen die Heimattreuen, schifft´s aus allen Rohren in den Urlaubsorten. Es ist besonders frustrierend, wenn du in den Süden fährst, wo per definitionem heiß und trocken sein müsste. Nun sollten wir aber zuerst durch die Alpen-Republik. Da wir von vorne geplant haben, so wenig wie möglich die Autobahnen zu nehmen, war die Wahl klar: wir sind auf einem Motorrad unterwegs und sollen zwingend die Großglockner-Hochalpenstraße erleben. Ob das aber mit einem über 400kg schwerem Moped zu zweit gut geht? – haben wir uns noch gefragt. Später, als wir in Montenegro die Kotor-Serpentine am Lovćen-Berg schweißgebadet bewältigt hatten, lachten wir über die „tödlichen“ Kehren der Glocknerstraße.

An der Großglockner Hochalpenstraße

Später in Italien, nach einem kurzen Stop in Triest, führen wir weiter nach Slowenien. Uns war es vom Anfang an deutlich, dass wir bei dem Tempo und Routenplan keine Möglichkeit haben werden, uns mit den besuchten Länder intensiv zu befassen und alle wichtigen Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Wir wollten die Reise vor allem auf dem Mopedsitz erleben: Kilometer und Eindrücke beim Fahren sammeln, viele lokale und abgelegene Wege befahren, sowie in jedem Land ein bis zwei interessante, nicht unbedingt touristische, Orte besuchen. So sind wir in Slowenien an der Höhlenburg Predjama gelandet und haben die berühmte Pferdezucht der Lipizzaner besucht. In Kroatien waren wir in Zadar und Dubrovnik. Das Land hätte sich aber mehr als gelohnt, wenn man nur entlang der Adriatischen Küstenstraße D8 fahren würde: atemberaubende Landschaften und traumhafte Kurven. Es stört auch nicht (so sehr), wenn man bei über 40° fährt und die heiße Luft über dem Asphalt vor starker Hitze flimmert.

Ein kleiner Abstecher nach Herzegovina brachte uns interessante Eindrücke aus Mostar und den Kravice-Wasserfällen. Beide Orte sind ziemlich touristisch, dennoch absolut sehenswert. In Montenegro sind wir zum bereits erwähnten Berg Lovćen (1749m) hochgefahren. Die Serpentinen-Auffahrt durch die sehr engen Strassen und Kehren verlangt so manche Schweißperle, insbesondere wenn einem plötzlich ein großer Reisebus entgegen kommt. Man wird aber mit einem großartigen Blick auf die türkisblaue Kotor-Bucht und das malerische Orjen-Gebirge belohnt!

In Montenegro, in der Küstenstadt Bar, haben wir auch eine etwas außergewöhnliche Begegnung erlebt: kaum am Straßenrand geparkt, wurden wir gleich von einer älteren Dame auf Deutsch angesprochen, die im Café nebenan saß und ihre Cola schlürfte. Ob wir Hilfe brauchen. In der Tat mussten wir etwas hilflos, oder mindestens seltsam ausgesehen haben: so stand ein verängstigtes, zierliches Mädchen in voller Motorradmontur, mit Helm in der Hand, neben einem voll bepackten Riesenmotorrad mit deutschen Kennzeichen und wartete auf den Kerl. Und der Kerl lief von einem Kiosk zum anderen Touristenladen und suchte nach Postkarten.

Letztendlich ergatterte ich eine bescheidene Ansichtskarte aus Bar. Bei den Briefmarken scheiterte ich auf der ganzen Linie. Nun fragte die montenegrische Dame in einwandfreiem Deutsch, ob sie uns behilflich sein könnte. Als sie unser Anliegen erfuhr, schickte sie sofort einen Kellner mit mir auf die Postamt-Suche. Das Café gehörte nämlich ihr selbst und der junge Kellner, der ebenfalls Deutsch sprach, sprang mir ohne zu grübeln auf den Soziussitz. So fuhren wir durch den Stadtteil, um die Briefmarke zu finden. Dank der Ortskenntnis des Kellners und seiner Übersetzungskünsten, fanden wir bald die Poststelle und ich konnte meine Briefmarke kriegen. Ich nahm gleich zwei, damit sich die Fahrt besser lohnen sollte. Ein paar Minuten später waren wir wieder zurück und ich, glücklich mit den zwei Briefmarken in der Tasche, konnte mich den Damen beim Cola-Schlürfen anschließen. Saskia erzählte mittlerweile Dragona (so hieß die Dame vermutlich) von unserer Reise und den weiteren Plänen, auch davon, dass wir nach Albanien fahren wollen. Davon riet uns Dragona mit Nachdruck ab! Sie stellte uns ein Bild des europäischen „Mordor“ vor: kaputte und gefährliche Straßen, kriminelle Banden, die auf europäische Motorrad-Touristen an jeder Ecke lauern und ausgehungerte Bevölkerung, die von einem alles klaut, was nicht mit Ketten befestigt sei. Trolle und Wehrwölfe hat sie nicht erwähnt… Auf die Frage, ob sie schon selbst das Nachbarland Albanien besuchte, verneinte sie: sie sei doch nicht „lebensmüde“. Für uns war klar: wir müssen hin und uns selbst überzeugen!

Und wir haben es nicht bereut! Wir wollten durch die Nordalbanischen Alpen nach Kosovo und haben uns schon auf etwas unbequeme Durchquerung von steinigen Schotterstraßen eingestellt. Aber nichts davon! Wir fanden eine exzellente, frisch asphaltierte Straße (SH20) und atemberaubende Landschaften vor! Anscheinend wissen selbst die Albaner nichts davon: unterwegs sind uns nur hand-voll andere Fahrzeuge entgegen gekommen. Lediglich die Fahrt durch die nordalbanische Stadt Shkodra schien eine – verkehrstechnisch gesehen – größere Herausforderung zu sein: man kommt nicht voran, wenn man „europäisch“ fährt: ständig wirst du von allen Seiten von den anderen Verkehrsteilnehmern überholt, Passanten laufen quer durch die Straßen, es scheint nur eine Regel zu gelten: wer bremst, der verliert.

Nach Albanien sind wir nach Pristina, Kosovo, gefahren: mit einem kleinen und ungeplanten Abstecher nach Serbien. Einmal im Regen nicht rechtzeitig abgebogen und zack – schon bist du im anderen Land. Zum Glück haben wir bald einen offenen Grenzübergang zwischen Serbien und Kosovo gefunden: zurzeit leider keine Selbstverständlichkeit. Und Pristina war eine der größten Überraschungen der Reise: eine moderne, europäische Stadt, nicht touristisch aber ausgesprochen gastfreundlich und angenehm! Insbesondere für den Geldbeutel: die Lokalwährung heißt Euro und man zahlt ein Viertel davon, was man zu Hause für die gleiche Speise im Restaurant ausgeben müsste.

Über die Preise haben wir uns auch in Nordmazedonien nicht beschweren müssen. Gestrandet sind wir am lokalen Touristen-Lieblingsort Struga am Ohridsee. Wo wird denn sonst in Europa für eine Camping-Übernachtung zu zweit (samt Motorrad und Zelt), Abendessen und Frühstück 18 Euro verlangt?

Später ging es nach Griechenland, Richtung Kavala. Die Region Makedonien im Norden Griechenlands empfing uns mit wüstenartigen und bergigen Landschaften. So soll Südeuropa aussehen! – haben wir gedacht und eine Foto-Pause angelegt. Die Gegend fühlte sich großartig an und ließ uns die Zeit vergessen. Die Konsequenz davon war: wir konnten unseren Campingplatz an der Küste nicht mehr erreichen und mussten uns eine neue Bleibe für die Nacht suchen sowie zum ersten Mal den Notfallplan rausholen: die bookingcom-App. Wir wollten einfach nur etwas preisgünstiges finden, warm duschen und am nächsten Morgen schnell wieder abfahren. Nix da! Es war ein wahres Abenteuer! Doch müssten wir den Ort zuerst finden! Und wie langweilig wäre das Leben eines BMW GS-Fahrers ohne sein BMW-Navigationsgerät! Mittlerweile glauben wir, dass dies alles mit Absicht programmiert wurde. Das Navi schickt Dich immer wieder auf Straßen, die es entweder nicht gibt, noch nicht gibt oder schon lange nicht mehr gibt, bzw. so steinig und löchrig sind, dass sie selbst für Bergsteiger mit dem Prädikat „schwierig“ verzeichnet werden sollten! Ich bin mir sicher, dass sich die Programmierer abends beim Bier treffen, gegenseitig Anekdoten erzählen und sich dabei kaputt lachen, wie sie den armen und nichts ahnenden Moped-Fahrern „offroad-feeling“ verpasst haben. Auch wir sind im Acker gelandet und haben auf einen griechischen Bauer gestoßen, der zuerst mit offenen Mund und großen Augen dann mit freundlich-skeptischem Lächeln uns gefragt hat, ob wir Hilfe brauchen. Stunden später haben wir die restlichen 30 km tatsächlich noch geschafft und das Hotel erreicht. Der junge Hotelbesitzer Stomatis war sehr freundlich und hat uns gefragt, ob wir denn seine E-Mail mit der Wegbeschreibung bekommen hätten. Wir lachten laut.

Archontiko Agonari
Archontiko Agonari

Dafür war das Hotel herrlich! Fast mittendrin im Wald auf einer Höhe von über 800m an einem Hang gelegen, bot auch die Terrasse eine traumhafte Aussicht. Darüber hinaus lernten wir auch, was griechische Gastfreundschaft bedeutet. Stomatis wollte uns die Strapazen der Anfahrt vergessen machen und fragte, ob wir nun die makedonische Spezialität Tsipouro kennen und probieren möchten. Spätestens als Stomatis sich zu uns an den Tisch setzte uns eine Runde aufs Haus anbot, hätten unsere Alarmglocken laut klingen müssen. Später haben wir recherchiert, dass Tsipouro eine hochprozentige (bis 45%) Spirituose ist! Zwei Karaffen davon haben gereicht, um unsere Bewegungssensoren stark zu beeinflussen. Vermutlich hätten wir bei der dritten Flasche angefangen, fließend Griechisch zu sprechen.

Die zweite Nacht in Griechenland haben wir am Thrakischen Meer verbracht. Dank „Connection“ aus Baden-Baden dürften wir eine Nacht im Apartment direkt am Strand verbringen! Dimitra, die Mutter von unserem Freund Saki, besitzt einige Apartmenthäuser am Strand und bot uns eine Wohnung für die Nacht an. Die Ortschaft heißt Nea Kabali und ist ein wahrer Geheimtipp. Direkt am Meer gegenüber der Insel Thasos gelegen, 15 Fahrminuten vom Kavala-Airport entfernt: das Dorf hat richtig Potential zum wahren Urlaubsparadies zu werden. Dies wurde vor wenigen Jahren im Ort erkannt, und es wird seitdem in den Ausbau und in die Infrastruktur fleißig investiert.

Bei Dimitra fühlten wir uns wie zu Hause! Eine tüchtige Geschäftsfrau aber mit einem Riesenherz! Sie empfing uns mit leckeren griechischen Spezialitäten und erzählte uns über die Region, über Griechenland, und dass sie 2015 während der großen Flüchtlingswelle mehrere Flüchtlingsfamilien in ihre Häuser aufgenommen (insgesamt 25 Personen) und über mehrere Monate verpflegt hat! Was für eine Frau! In unseren Augen – eine wahre Heldin! Denn man stelle sich vor, nicht jedem in dem Dorf hat dies gefallen.

Nun aber nach ca. zwei Wochen war die Zeit reif Richtung Heimat zu fahren: durch Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Tschechien. In Bulgarien hat uns der Regen fast durch das ganze Land begleitet, so haben wir nur unser Minimumziel erreicht: die Durchquerung des Balkan-Gebirge im Norden des Landes. In Rumänien hatten wir etwas mehr Wetterglück: wir nahmen uns Zeit, fuhren immer wieder „durch die Dörfer“ auf lokalen Straßen. So haben wir enorme Kontraste zwischen Land und Stadt gesehen: einerseits Touristen-Magneten wie Brasov, Bran oder Sibiu, andererseits von allen Göttern verlassene Dörfer, marode Straßen, Pferdekutschen und verwunderte Blicke der Einheimischen. Es war wie eine Zeitreise. Wir sprangen innerhalb von wenigen Kilometern vom 19. ins 21. Jahrhundert.

Das größte Highlight für die Motorradfahrer in Rumänien bleiben jedoch die Karpaten und die Nationalstraße DN67C, die Transalpina, eine sehr beliebte und touristisch bedeutsame Straße, die die sog. „Transsilvanischen Alpen“ durchquert und eine Höhe von 2132 m erreicht.

Anschließend sind wird in Ungarn angekommen und haben uns zwei Ziele vorgenommen: die (angeblich) älteste Stadt in Ungarn Eger und den Nationalpark Bükki. Die Stadt Eger war hübsch aber nicht wirklich spektakulär. Dafür aber die Strecke nach Miskolc ist einfach ein Traum: über 50 Kilometer kurvenreiche Strecke durch einen mysteriösen Wald… und mit erstaunlich wenig Verkehr! Die Weiterfahrt führte uns schließlich zur letzten Etappe der Reise: in die Slowakei, zur Hohen und Niederen Tatra, sowie durch Tschechien.

Wir kamen nach 20 Tagen erschöpft aber glücklich zurück nach Baden-Baden. Es war ein großartiges Abenteuer, voller überraschender Momente und unerwarteter Begegnungen. Wir haben im herzen Europas außergewöhnliche und unbekannte Orte entdeckt, uns ein eigenes Bild von den uns bis dato fremden Ländern gemacht.

Das Reisen auf dem Motorrad macht solche Erlebnisse noch direkter und intensiver. Es gibt keine schützende Blech-Box wie ein Auto, in die man sich zurückziehen und von der Außenwelt absperren kann. Du nimmst die Gegend, die Temperaturen, das Wetter direkt auf. Du schwitzt in der Hitze oder frierst im Regen, aber umso mehr genießt du die Momente, die das Motorradfahren so schön machen: den Fahrtwind, die Schräglage in den kurvenreichen Straßen, die Beschleunigung, Kraft der Maschine und die wahre Freude am Fahren. Du spürst die Reise auf der eigenen Haut, die diese spektakulär und unvergeßlich macht.

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