Planänderung

Um so wenig wie möglich Grenzübergänge und somit weniger Bürokratie auf mich nehmen zu müssen, sowie den Zeitplan etwas aufzuholen, plante ich ursprünglich einen kürzeren Weg: von Mauretanien nach Mali durch Burkina Faso und schließlich nach Benin, wo ich ein paar Tage länger bleiben wollte. 

Nun ergab sie die Reise nach Burkina als „bad idea“. Es erreichten mich immer wieder Neuigkeiten, die mich nachdenklich machten. Burkina Faso scheint „not the place to be right now“ zu sein – schrieb mir Chloe von der FB-Gruppe „West Africa Travellers“. Die Mitglieder der Whatsapp-Gruppe „Africa by moto“ konnten mir auch nur einen Rat geben: Ich solle die UN-Mission in Bamako aufsuchen und dort nach einem sicheren Weg fragen. Auch das deutsche Außenministerium empfiehlt mit Vorsicht, nicht nach Burkina Faso zu reisen: 

In allen Grenzregionen ist eine hohe Zunahme von terroristischen und kriminellen Aktivitäten zu verzeichnen. Entsprechend wird generell auch davon abgeraten, auf dem Landweg nach Burkina Faso einzureisen. Des Weiteren raten wir dringend von Reisen nördlich der Linie Koupela-Ouagadougou-Toma sowie westlich der Linie Toma-Dédougou-Bobo Dioulasso-Banfora ab.

Mehrfach wurden auch westliche Ausländer Opfer von offensichtlich gezielten Entführungen, wie im Dezember 2018, im Januar 2019 und zuletzt im Mai 2019 im Pendjari-Nationalpark auf beninischer Seite im Grenzgebiet mit anschließender Verschleppung nach Burkina Faso.

Da mir die oben erwähnten Orte aus meiner Routenplanung bekannt vorkamen, entschied ich mich auf Burkina zu verzichten. Die Familie und meine Freundin, sie alle atmeten tief auf. Nun war die einzige Alternative zu dieser Route, von Mali nach Cote d‘Ivoire, Ghana, Togo und Benin zu fahren. Blöderweise hatte ich die Visa für Mali und Burkina bereits. Für die neue Strecke natürlich nicht. 

Eine kurze Recherche ergab, dass ein Honorarkonsul von Côte d‘Ivoire in Nouakchott residiert. Aber ein Honorarkonsul? Kann er was? Es ist eher ein Amt für repräsentative Zwecke – dachte ich. Es schadet aber nicht, mal anzuklopfen und zu fragen. So fuhren wir los, Hachim und ich, um dem Konsul einen Besuch abzustatten. Ich war froh, dass Hachim dabei war, zur Not könnte er dann übersetzen, wenn ich mit Englisch nicht weiter kommen sollte. Wir klopften an und eine massive Tür wurde uns geöffnet. Wir wurden ins Sekretariat gebeten, wo eine junge Sekretärin in einem schicken gelben Kleidchen saß und mit ihrem Handy spielte. Hachim erklärte kurz, was wir wollten. 

Die Sekretärin erhob kurz ihren Blick zu uns: 

»Ja, das ginge schon, nur der Konsul ist nicht da.« 

Danach widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Smartphone und teilte uns mit: »Wir sollen ihn dann anrufen, um zu erfahren, wann er kommt.« – Ich hob die Augenbrauen hoch. 

Hachim war aber schon am Handy und im Begriff den Konsul tatsächlich direkt anzurufen. Die Nummer nahm er einfach von der Website des Konsulats. Als sich der Konsul meldete, übergab Hachim der Sekretärin das Smartphone und sagte zu ihr: 

»Er ist dran, klären Sie das.« Und Wunder geschehen: der Konsul werde bald eintreffen und sich um die Angelegenheit kümmern. 

Nach einer Stunde war es so weit. Es wurde uns mitgeteilt, dass der Konsul uns erwartet. Wir gingen rein und sahen einen älteren Herren hinter einem Berg an Unterlagen, Mappen, Dokumenten und Fotos am Schreibtisch sitzen. Neben dem Schreibtisch stand ein Gewehr – vermutlich nicht als Deko gedacht. »Ob das gut gehen wird?« – fragte ich mich noch.

Der Herr lächelte uns aber sehr freundlich an und lud uns ein, Platz zu nehmen. Hachim begann dann auf Französisch zu erklären, was wir wollen, wo ich herkomme und ob der Konsul mit mir in Englisch sprechen könne, weil ich leider kein Französisch spreche. 

»Wieso Englisch? Kann er kein Deutsch?« – warf der Konsul auf Englisch. Hachim und ich schauten uns kurz erstaunt an. 

Dann sagte ich auf Deutsch: »Doch, doch – das kann ich natürlich. Sprechen Sie Deutsch?

»Ja, ein bisschen schon« – antwortete der Konsul auf Deutsch, aber das klang schon verdächtig gut! 

»Woher kommen Sie?« – fragte mich der Konsul weiter. 

»Baden-Baden« – antwortete ich vorsichtig.

»Ich bin aus Hannover« – sagte der Konsul und ich machte große Augen! 

Dann fiel mir auf, dass bei ihm im Büro ein Hannover96-Emblem an der Wand hängte! Wow, wie klein die Welt doch ist! 

In seinem Büro hingen überall alte Fotos! Mal er mit dem ersten mauretanischen Präsidenten, mal mit dem ivorischen Präsidenten und noch mit anderen hohen Politikern, die allesamt ihre Karrieren sicherlich schon in den 60-70ern beendet hatten. 

Er erzählte viel über die alten Zeiten der Gründung afrikanischer Staaten, der Euphorie über die Erlangung der Unabhängigkeit durch die westafrikanischen Länder usw. 

Er suchte dann eine Weile lang in seinen Unterlagen. Diese kam uns schon sehr lange vor, aber wir warteten geduldig und weiterhin schweigend. Ich dachte: 

»Ok, er sucht bestimmt irgendwelche Antragsformulare für meinen Visumantrag. Ist ja auch kein Problem. Er ist svhon ein älterer Herr und braucht Zeit. Wahrscheinlich kommt nicht jeden Tag ein Europäer und stellt bei ihm einen solchen Antrag.« 

Dann – nach ca. 30-40 Minuten, vorsichtig geschätzt – fand er, was er suchte! Es waren nicht die Antragsformulare, nicht die Instruktion, wie man ein Visum ausstellt und auch nicht die Preisliste mit den Visumgebühren. Es waren seine alten Fotos aus Hannover! Ich glaube, just in diesem Moment hatte ich meinen Mund breit geöffnet. Ich weiß nicht mehr, was mich mehr erstaunte: dass er jetzt doch keine Unterlagen suchte oder die Tatsache, dass ich aus den Fotos erfuhr, dass der ivorische Honorarkonsul, Monsieur Tidiane Diagana, in der Bundesliga bei Hannover 96 spielte, und zwar in 1965! Ich sah ihn als jungen Mann in Gesellschaft von seinem damaligen Trainer und anderen Spielern. Mir verschlug es die Sprache! Er erzählte von seiner Ankunft in Deutschland und über seine spätere politische Karriere in Afrika. Er zeigte uns noch mehr Fotos von ihm zusammen mit den afrikanischen Politikern von damals. 

Wir verbrachten gute drei Stunden im Konsulat. Davon entfielen wahrscheinlich zwanzig Minuten für meinen Visumantrag. Das Visum stempelte mir Monsieur Diagana dann direkt und höchstpersönlich in meinen Reisepass rein. Die Visumgebühr musste ich trotzdem bezahlen. Ich hoffte insgeheim, dass mir die Gebühren erspart blieben – schließlich war ich ja ein guter Zuhörer und sicherlich auch ein interessanter Ansprechpartner! Am Ende war ich aber natürlich nicht enttäuscht, sie doch zahlen zu müssen. Die Begegnung war so überraschend und spannend, dass ich wahrscheinlich am Ende jede Gebühr entrichtet hätte, selbst für diese unerwartete Begegnung. 

Nachtrag am 13. Oktober 2019: In Burkina Faso krachte es mal wieder. Gestern sind bei einem Anschlag in der Hauptstadt 15 Menschen ums Leben gekommen. Dieses Land kommt nicht zur Ruhe…