Meilenschwindel, Diamanten und Sperrgebiete

Deutsche Spuren in Namibia

Direkt nach dem Skeleton Coast National Park fuhr ich nach Swakopmund. Ich verbrachte dort zwei Tage und fand das Städtchen nett. Das Wort „nett“ wird leider öfters als Schimpfwort benutzt, wenn man irgendwas stinklangweilig findet und dies noch mit Sarkasmus zum Ausdruck bringen möchte. Aber ich fand Swakopmund im wahrsten Sinne des Wortes NETT, also nicht überwältigend schön oder extrem attraktiv, dafür aber angenehm – einfach nett. Es gab ein nettes Camping, wo ich einen netten Platz für mein Zelt und das Bike hatte, viele nette Häuser mit netten Gärten, Cafés und Restaurants mit leckeren Speisen, einen netten Strand, wo man entlang spazieren konnte. Am Ende war ich echt zufrieden, dort zwei nette Tage verbracht zu haben. 

Und es gab einen netten Mann in Swakopmund, der mich auf der Straße ansprach und um Hilfe bat: 

»Ich habe eine große Familie und sie hat Hunger. Können Sie mir helfen?«, lächelte er breit. 

»Eeee, ich denke schon«, antwortete ich etwas überrascht von seiner Frage. 

»Ok, kommen Sie mit«, sagte er schnell und lief los, als ob er mir die Chance sofort wegnehmen wollte, meine Entscheidung doch noch zu überdenken. 

Wir gingen in einen Supermarkt. Unterwegs erzählte er mir, dass er Zucker und Mehl für die Familie bräuchte. »Ok, kein Problem«, sagte ich. „Die zwei Sachen kann ich ihm definitiv kaufen“ – dachte ich, „Immerhin hat er nicht nach Geld, sondern nach Lebensmitteln gefragt.“ Ich folgte ihm und es sah so aus, als ob er sofort Bescheid wusste, wo was im Markt zu finden wäre. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht der erste glückliche Tourist war, der seine Einkäufe sponsern durfte. Wir hielten an der Zuckerabteilung und der Mann schnappte sich gleich einen 10kg-Sack! Meine Augen weiteten sich: 

»Mein lieber Freund! Übertreibe jetzt bitte nicht!«, sagte ich mit einem kritischen Blick. Er legte den XXL-Sack wieder zurück ins Regal und lächelte dabei schelmisch. Dann nahm er sich die nächste verfügbare Größe: 5kg! 

»Nein!«, sagte ich mit Nachdruck und nahm selbst ein 2kg-Sack vom Regal und übergab ihm diesen. »Ok«, sagte er und lächelte mich zufrieden an. »So, jetzt kriegst du dein Mehl und gut ist, ja?« – fragte ich. »Ok«, antwortete er. Diesmal wählte ich ihm selbst die Größe. Der Sack war etwa so groß wie der mit Zucker. »Kann ich noch eine Cola haben?«, fragte er. »Ja, ist in Ordnung«, willigte ich ein, ahnend, dass es gleich noch einen weiteren Wunsch geben würde. »Kaufst Du mir noch ein Hühnchen?« kam im Anschluss raus. »Nein!«, ich musste ihm jetzt zeigen, dass irgendwann Schluss ist. »Ok, kein Problem«, grinste er. Er hat‘s halt versucht. Ich war sicher, dass noch ganz viel auf seiner Einkaufsliste stand. 

Wir gingen nun zur Kasse und ich zahlte die Einkäufe. Mein Freund sagte noch kurz »danke!« und verschwand. Was für eine außergewöhnliche Begegnung! „Diese Karma-Punkte werde ich vielleicht bei meinem nächsten Offroad-Ausflug brauchen“ – ging mir noch durch den Kopf. Später bereute ich noch, ihm doch nicht die XXL-Säcke gekauft zu haben. Dafür hätte ich verlangen können, ihn nach Hause zu begleiten und zu schauen, wie er lebt, ob er nicht von seiner Frau misshandelt wird und ob seine Kinder (und wie viele) süß aussehen und neugierige Fragen stellen. Vielleicht hätten wir zusammen noch Tee getrunken und die von seiner Frau selbst gebackenen Kekse gegessen. Dann wäre ich allerdings Gefahr gelaufen, dass er noch ein Dach hätte, dass repariert hätte werden müssen oder sonst irgendwelche Gartenarbeiten. Verdammt! Ich habe soeben eine Chance verpasst, etwas außergewöhnliches zu erleben! 

Dieses kleine Supermarkt-Abenteuer war dann doch das Einzige, welches annäherend das Prädikat „exciting“ verdiente. Irgendwie war ich nicht sehr motiviert, mich mit der Stadt selbst zu beschäftigen: Museen aufzusuchen, über die Stadtgeschichte zu lernen, auf Erkundungstouren zu gehen. Ich freute mich viel mehr auf die andere Küstenstadt, die ich unbedingt kennenlernen wollte: Lüderitz! Der Name klang schon so, als gäbe es dort an jeder Ecke deutsche Spuren zu entdecken. Vielleicht nicht gleich einen Biergarten oder Curry-Wurst-Imbiss an jeder Ecke. Aber es war definitiv der deutscheste Stadtname in ganz Afrika! 1200km, zwei Tage und einen Sandsturm später war ich dort angekommen.

Lüderitz enttäuschte mich nicht. Ich verbrachte dort einige Tage und erfuhr viele interessante Stories aus der Stadtgeschichte. Den Anfang habe ich im stadtgeschichtlichen Museum gemacht, welches sich wohl vor zu großem Besucherandrang mit ziemlich strengen Öffnungszeiten schützt: Mntags bis Freitags, von 15:30-17:00 Uhr, für ganze 90 Minuten geöffnet! Das heißt, wenn man spät Lunch hat und der Kellner sich Zeit nimmt, den Nachtisch zu liefern oder die Rechnung zu übergeben, dann hast Du zwei Optionen: fliehen, ohne die Rechnung zu zahlen oder das Besuchszeitfenster im Museum zu verpassen. 

An jenem Tag verzichtete ich auf das Dessert und war pünktlich zur Öffnung vor Ort. Das kleine „Heimatmuseum“ bietet mehr an, als es auf den ersten Blick vermuten oder von den Öffnungszeiten erahnen läßt. Gegründet wurde es Mitte der 60er von den in Lüderitz lebenden Namibier deutscher Abstammung. Die Sammelstücke befinden sich alle in einem ca. 40-50qm großen Raum. Dazu gehören alte Waffen namibischer Stämme, Infotafeln zu diesen Völkern, geologische Funde aus der Region, Informationen zur Fauna und Flora. Es gibt natürlich auch Geschichten über die Anfänge der Stadt und ihrem Namensgeber Adolf Lüderitz. Es gab auch einen separaten Bereichüber die Geschichte der Diamantenförderung in der Region. Es ist die Geschichte der Siedlung Kolmannskuppe, die ca. 12 km östlich von Lüderitz liegt. 

Beide Geschichten, die von der Gründung von Lüderitz als auch die von Kolmannskuppe handeln von den ersten deutschen Versuchen, Gebiete in Afrika zu kolonialisieren, und von den ersten deutschen Abenteurern, die dort im südlichen Afrika nach Glück, Abenteuer und Reichtum suchten. 

Die Stadt Lüderitz (früher Lüderitzbucht) verdankt ihren Namen dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz. Mit reichlich Geld (seines Vaters) und Abenteuerlust gesegnet, unternahm der Adolf diverse Versuche in Übersee nach Erfolg und Ruhm zu greifen. Leider mit nicht sehr viel Glück. In Mexiko durchkreuzte eine Revolution seine Pläne und im westafrikanischen Lagos reichte sein unternehmerisches Geschick nicht aus, um es mit der britischen Konkurrenz aufzunehmen. Aufgeben wollte er dennoch nicht, denn an Geld mangelte es ihm nicht. 1866 heiratete er die reiche Bremerin Emmy von Lingen. 1878 verstarb sein Vater und Lüderitz übernahm sein profitables Tabakgeschäft. Nun konnte er sich wieder seinen Afrika-Träumen zuwenden und fand einen Partner, der dieselbe Passion teilte: den jungen Bremer Heinrich Vogelsang. Im Auftrag von Lüderitz fuhr Vogelsang zunächst nach Kapstadt, recherchierte ausführlich über Südwestafrika und fand heraus, dass die Bucht Angra Pequena ein günstiger Ort wäre, um dort eine Siedlung zu gründen und eine Basis für weitere Unternehmungen zu etablieren.

Da bisher keine der Kolonialmächte auf diesem Gebiet unterwegs waren, bot sich sogar die Chance, dort eine deutsche Kolonie zu gründen. Im Wege standen lediglich noch die einheimischen Stämme, denen das Gebiet gehörte. Die Deutschen machten einen Tauschhandel mit dem Nama-Stammesführer Josef Frederiks II. Für 100 Pfund in Gold und 200 Gewehre erhielt Lüderitz die Bucht Angra Pequena sowie das Land im Umkreis von 5 Meilen. Wenige Monate später wurde der Vertrag erweitert und für weitere 500 Pfund sowie 60 Gewehre vergrößerte sich der Besitz von Lüderitz um weitere 20 Meilen. Was Josef Frederiks nicht ahnte: Lüderitz meinte im Vertrag die preußischen Meilen (7,5km) und nicht die englischen (1,6km). So wurde der Chief über den Tisch gezogen und verlor auf einmal fast sein gesamtes Stammgebiet. Kein Wunder, dass dieser Handel in die Geschichte als „Meilenschwindel“ einging und dem Adolf Lüderitz den Spottnamen „Lügenfritz“ einbrachte. 

Nun begann Adolf Lüderitz mit der Suche nach Bodenschätzen, denn sein Geldbeutel fing langsam an, leer zu werden. Er holte Bergbauexperten und sandte Expeditionen aus. 1886 organisierte er mit Hilfe der deutschen Kolonialgesellschaft eine große Expedition zur Erkundung der Ansiedlungsmöglichkeiten an der Mündung des Oranje-Flusses. Diese hunderte von Kilometern lange Wanderung durch die Wüste erschöpfte ihn aber so sehr, dass er beschloss, den Rückweg auf einem Boot zurückzulegen, statt wie alle anderen den beschwerlichen Landweg zu nehmen. Seither hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Hätte Lüderitz zu seiner Zeit von der Benguela Atlantik-Strömung und ihre Gefahren gehört, wäre er wahrscheinlich brav mit den anderen nach Hause zurückspaziert. Aber man könnte auch sagen, Karma war im Spiel: der Meilenschwindel blieb nicht ungestraft… 

Zur Ehrung seiner Verdienste für die Gründung der ersten deutschen Kolonie verlieh die Kolonialgesellschaft der Bucht von Angra Pequena den neuen Namen Lüderitzbucht und die sich daraus später entwickelnde Stadt erhielt den Namen Lüderitz. 

Nun war mein persönliches fotografisches Highlight als nächstes dran: die Geisterstadt Kolmannskuppe. Die Recherche ergab, dass man die Siedlung am Vormittag besuchen konnte und es wurden zwei Führungen angeboten: eine um 9:00 und eine um 11:00 Uhr. So stand ich am 19. Dezember streberhaft um 8:30 Uhr im Museumscafé auf der Matte und wartete auf meine deutschsprachige Führerin. Gisela war eine zierliche, sicherlich über 70-jährige Frau, dafür aber mit viel Charisma und Energie. Sie erzählte, dass sie eine gebürtige Lüderitzerin sei. Mehr noch: bereits ihre Mutter wurde in Lüderitz geboren. 

Gisela selbst war eine wahre Enzyklopädie, was das Wissen über Lüderitz und Kolmannskuppe betrifft. Sie führte uns, eine kleine Gruppe Deutscher, durch die Häuser, erzählte uns ihre Geschichte und die von der Entstehung der Siedlung. Am Ende zeigte sie uns ein kleines Kriminalmuseum, zu dem ich noch später zurückkommen werden.

Für die Entstehung von Lüderitz war die Abenteuerlust, Mut, starker Wille und die List des Geschäftsmanns Adolf Lüderitz verantwortlich. Für die Geburt der Siedlung Kolmanskuppe trug Asthma bei. August Stauch, Mitarbeiter der Reichsbahn im thüringischen Ettenhausen, litt nämlich an einem überempfindlichen Bronchialsystem. Auf Empfehlung seines Arztes ließ er sich nach Deutsch-Südwestafrika versetzten, wo er die ziemlich öde Aufgabe bekam, die Bahnstrecke zwischen den beiden Städtchen Aus und Lüderitz vom Sand frei zu halten. Es ist nicht überliefert, wie gut sich das trockene und heiße Klima der Namib-Wüste auf seine Gesundheit auswirkte. Es ist aber ziemlich genau bekannt, dass es seinem Geldbeutel zugute kam. Am 10. April 1908 kam Zacharias Lewala, einer der Mitarbeiter, zu Stauch und hielt ihm ein glitzerndes Steinchen vor die Nase. Als Hobby-Mineraloge erkannte Stauch, dass dieser Fund von Bedeutung sein könnte. Er steckte den Stein erst einmal in die Tasche und tat so, als ob er nicht von großer Bedeutung wäre. Ein paar Tage später ließ er den Stein von einem Profi-Geologen untersuchen und erlangte die Gewissheit: es handelte sich um einen reinen Diamanten. Kurzer Hand schmiß er den Beamtenjob bei der Bahn hin und sicherte sich schnell mehrere Claims, also Gebietsrechte, um nach Bodenschätzen zu graben, dort wo der erste Stein gefunden wurde. Die Nachricht über den Fund konnte Stauch nicht sehr lange für sich behalten. Es brach ein wahres Diamanten-Fieber aus. Fast über Nacht kamen andere Diamantensucher; es entstand schnell ein Camp und schon bald das Städtchen Kolmannskuppe. Den Namen verdankt die Siedlung allerdings Johnny Coleman, einem Einheimischen aus dem Stamm Nama, der an dieser Stelle mit seinem Ochsenkarren während eines Sandsturms stecken blieb. Coleman konnte sich retten, musste allerdings seinen Karren samt Zugtier hinter sich lassen. Dass er selbst überlebte, musste die Lokalbevölkerung so schwer beeindruckt haben, dass sie die Siedlung nach ihm benannten, vielleicht in der Hoffnung, dass die Stadt, wie einst Coleman, der Namib-Wüste trotzen würde. 

Und die Namib hat es in sich. Sie ist mit 80 Mio. Jahren die älteste Wüste der Welt und zugleich einer der unwirtschaftlichsten Orte der Erde: tagsüber können die Temperaturen über 50° erreichen, nachts unter 0° fallen, es gibt häufige Sandstürme (bis zu 200 im Jahr) und jahrzehntelang andauernde Trockenperioden. Es gibt hier kaum Vegetation. Eine berühmte Ausnahme ist die Welwitschia mirabilis, auch liebevoll Welwitschie genannt, eine sehr interessante Pflanze! Die Welwitschie (genannt so nach dem Entdecker, dem österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch) ist ein interessantes und zugleich extrem sonderbares Gewächs. Außer ihrer Fähigkeit extrem lange Durstperioden zu überleben, ist die Welwitschie sehr langlebig: sie schafft es, mehrere hundert Jahre zu leben. Es gibt sogar über 1500 Jahre alte Exemplare. Mehr noch: diese Pflanze ist der einzige Vertreter der eigenen Gattung, und obwohl sie nicht vom Aussterben bedroht ist, steht sie wegen ihrer Bekanntheit unter Schutz. Man darf nicht einfach so in die Wüste mit einer Schaufel fahren und sich die Pflanze für den eigenen Garten ausgraben. Dafür ist aber der Handel mit den Samen gestattet. Also, wenn es Leute gibt, die es schaffen, Kakteen verdursten zu lassen, dann könnten sie vielleicht mit der Welwitschie mehr Glück haben. Man muss sie nur alle paar Jahrzehnte gießen.

Wie sieht nun dieses Sonderling aus? Ich würde sagen: fast wie ein toter Alien, der aus dem All kam, Pech hatte und in der Wüste austrocknete, weil ihn niemand wieder abholte. Dieses Monstrum wächst nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Platz ist ja genug da. Die grün-braunen Blätter, die an den Enden ausgetrocknet zu grau-silbernen langen Strähnen werden, können bis zu mehreren Metern lang sein. In der Mitte befindet sich die Blüte: eine Ansammlung von lila-roten „Parasitenpilzen“, die die Pflanze befallen haben und sie ins Verderben brachten. Ich habe noch nie so ein sonderbares Gewächs gesehen. 

Nun aber zurück zu unserer Diamanten-Siedlung, die ebenso ein wahres Wunder war. Die Stadt wurde wörtlich auf Sand gebaut. In der Umgebung gab es kein Trinkwasser, keinen Boden, um etwas Essbares anzubauen. Nur Sand und immer wieder Sandstürme. Aber die Diamanten machten es möglich: innerhalb kürzester Zeit entstand eine Stadt, die an Reichtum und Dekadenz zu damaliger Zeit unübertroffen war. Sie wurde zur reichsten Stadt Afrikas, gemessen am pro Kopf-Einkommen. Den 400 Bewohnern von Kolmannskuppe hat es an nichts gefehlt: es gab eine Turnhalle und einen Ballsaal, eine Eis- und Limonadenfabrik, Tante-Emma-Laden, Bäckerei und Metzgerei, Kegelbahn mit einer Bar, Casino, Schule und ein Elektrizitätswerk. Man musste das Trinkwasser aus dem 1000km entfernten Kapstadt per Schiff transportieren, was die Bewohner aber nicht daran hinderte, ein Schwimmbad zu bauen. Dekadenter ging es nicht. Die Oberschicht wohnte in herrschaftlichen Villen mit Gärten. Das Baumaterial und die Möbel wurden aus Deutschland geholt. Die einfachen (weißen) Mitarbeiter lebten in Holzhäusern. Die ca. 800 schwarzen Hilfsarbeiter (vom Ovambo-Stamm) lebten in Baracken außerhalb der Stadt. Da war die Großzügigkeit und Spendierlaune der weißen Herren auch nicht mehr so ausgeprägt. Es kümmerte niemanden, dass es für zwei schwarze Arbeiter nur ein Bett gab: da es 12-stündige Schichten gab, wechselte man sich halt beim Schlafen ab. Der Arbeitstag war auch kein Zuckerschlecken. Die Arbeiter krochen bei über 40°C im Sand auf dem Bauch und sammelten kostbare glitzernden Steinchen. Ausbeutung in besten kolonialen Manieren. 

In Kolmanskuppe gab es auch ein Krankenhaus, dass außerdem das erste Röntgen-Gerät auf afrikanischen Boden besaß. Es war natürlich nicht dafür da, um gebrochene Extremitäten zu untersuchen, sondern um das Innere der Diamantendiebe zu durchleuchten um sicherzugehen, dass sie die Ware nicht verschluckt oder sie in sonstigen Körperöffnungen verstecken wollten. 

Doch nach der ersten wilden Phase des Steinesammelns kam die deutsche Kolonialverwaltung und setzte dem Diamanten-Fieber einen Dämpfer: im September 1908 (nur 4 Monate nach der Entdeckung) wurde ein Sperrgebiet errichtet. Es war ca. 100km breit und 300km lang. Von nun an wollte der Staat von dem Schatz Profit schlagen und duldete keinen wilden Abbau mehr. Natürlich behielt August Stauch und all die anderen, die sich die Claims bereits gesichert hatten, ihre Rechte. Stauch selbst verdiente Millionen mit den Diamanten und zog sich dann nach knapp 20 Jahren zurück aus dem Geschäft. Leider hatte ihn später das Glück verlassen: er verlor sein Gesamtvermögen in der Weltwirtschaftskrise 1930. Er starb 1947 im Krankenhaus in seiner thüringischer Heimat an Magenkrebs. Man fand bei ihm gerade 2,50 Mark. 

Die Blütezeit Kolmannskuppe dauerte nicht lange. Die Diamantenvorkommen waren bald erschöpft. Und als man 1931 neue Diamantenfelder an der Oranje-Mündung entdeckte, ließen die Bewohner alles liegen und zogen gen Süden. 1956 machte das Krankenhaus zu und kurz darauf verließ der „letze Mohikaner“ die Siedlung. Die Namib-Wüste holte sich dann das Gebiet nach und nach zurück. Kolmannskuppe wurde zur „Geisterstadt“. Sie verfiel mehr und mehr. Mit der Zeit wurde sie auch zur „Fundgrube“ für die Bewohner von Lüderitz, die Baumaterial benötigten. Und dort wo man die Türen und Fenster nicht schloß, füllten sich die Räume mit Sand, sogar bis unter die Decke.

In den 1980-er Jahren sagte man dem Vandalismus „stop“ und begann mit der Restaurierung von einigen Gebäuden. Heute ist Kolmannskuppe ein Freilichtmuseum der besonderen Art. Die Turnhalle wurde saniert, ein Shop und ein Café eingerichtet. Man kann auch die mit Sand gefüllten Häuser besuchen – wenn sie nicht akut einsturzgefährdet sind. Manche – wie das Krankenhaus – wirken etwas gruselig. 

Sehr sehenswert ist das kleine Kriminalmuseum, das die spektakulärsten Diamanten-Diebstahlversuche dokumentiert hat. Einige davon lassen staunen, wie einfallsreich so mancher Versuch war: zu große Schuhe, Tauben als Lieferanten, Armbrust, um die Diamanten in die Wüste zu schießen. Vom eigenen Körper als Versteck war schon die Rede. Diese Vorfälle beziehen sich nicht nur auf Kolmannskuppe, sondern auf die gesamte Diamanten-Region. Denn nachdem die Vorkommen erschöpft waren – immerhin wurden dort 6,5 Mio. Karat abgebaut (1,3 Tonne Diamanten!) – fand man andere Diamantenfelder. Der Abbau von Diamanten dauert bis heute an.  Namibia ist heute immerhin Nummer 3 weltweit. 

Das damalige Sperrgebiet ist heute noch immer vorhanden. Man braucht eine spezielle Erlaubnis, um dort ein Fuß hinein zu setzen – natürlich nur unter Aufsicht. Die namibische Regierung erklärte das Gebiet immerhin zum Nationalpark. In einigen Jahren sollte auch die Sperrung aufgehoben werden und man wird das Gebiet wieder frei bereisen können. Vielleicht liegt da noch so mancher Diamant und wartet darauf, gefunden zu werden. 

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„Africa for dummies“

Die Fahrt durch Angola dauerte fast drei Tage. Dylan und Yasmin waren etwas in Eile, denn sie mussten vor dem 15. Dezember in Kapstadt sein: Dylan‘s Schwester wollte heiraten. Ich stand vor der Wahl: entweder bleibe ich länger in Angola und schaue mir das Land genauer an oder ich fahre mit meinen neuen Freunden direkt nach Namibia weiter. Ich genoss die Fahrt mit den beiden so sehr, dass Angola den Kürzeren ziehen musste. Irgendwie fühlte ich mich auch etwas verantwortlich für die beiden und wollte sie nicht alleine weiterziehen lassen.

Die Rollenverteilung in unserem Team funktionierte auch ganz gut: Dylan war unser Mechaniker, Yasmin verhandelte die Preise überall und organisierte Essen aus dem Nichts. Ich führte unsere kleine Gruppe unterwegs als Navigator an. Eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe, die ein hohes Maß an Sachkenntnis erfordert: Ich gab die GPS-Koordinaten ins Navi ein und folgte den Anweisungen. Direkt hinter mir folgte Yasmin und am Ende fuhr Dylan, auf den dann niemand mehr aufpasste. So fuhren wir eines Tages bis in die Nacht hinein. Eine kleine Tankstellenpause ergab, dass sich das Zelt an Dylan‘s Bike gelöst hatte und ins Hinterrad reingeraten war. Er musste so kilometerweit gefahren sein, denn von seinem Zelt blieben am Ende nur noch Fetzen übrig. Dylan merkte nichts davon. Er meinte nur eine eigenartige Geruchskulisse wahrgenommen zu haben. Er habe sich dabei nichts gedacht. Für die gemeinsame Weiterreise erledigte sich somit die Camping-Option. Dylan strahle und grinste breit, als hätte er gerade einen Preis in der Kategorie: „Die lustigste Art und Weise, das eigene Zelt während einer Afrika-Reise zu zerstören“ gewonnen.

Zwei Tage später grinste Dylan erneut: 80km vor Windhoek riss ihm die Kette bei voller Fahrt. Ich merkte das nicht sofort. Da ich nicht konstant in den Rückspiegel schaute, merkte ich erst ein Weilchen später, dass mir niemand mehr folgte. Yasmin hörte den Krach hinter ihr und stoppte gleich, während ich nichts davon mitbekam. So drehte ich um und fand die beiden vor, als sie die Kettenteile von der Straße sammelten. Beide bestens gelaunt, da musste ich selbst mitlachen.

Die Kette riss, nicht weil sie schlecht montiert war, sondern weil sie nicht so richtig für das Motorradmodel passte und weil ihre Qualität viel zu wünschen übrig ließ. Zum Glück behielt Dylan die alte Kette, die er dann zurückmontierte. Später erfuhr ich, dass auch Yasmin‘s neue Kette kurz vor Kapstadt riss. Ich war nicht dabei, ich stellte mir aber bildlich vor, wie sie erneut die Kettenteile von der Straße sammelten und dabei Witze rissen. So viel Humor, Lebensfreude und Gelassenheit muss man echt haben!

Irgendwann erreichten wir auch die namibische Hauptstadt, Windhoek. Auf uns sollte Ray warten, ein Namibier deutscher Abstammung, der eigentlich Raymond hieß. Dylan kontaktierte ihn, weil seine Schwester eine Freundin von ihm kannte. So ein Arrangement klingt kompliziert, funktioniert aber bestens: Dylan und Yasmin sollten sein Gästezimmer, ich seine Couch im Wohnzimmer bekommen. Als wir eintrafen, war Ray gerade mit Freunden unterwegs und bat uns ein paar Stunden zu warten. Es war kein Problem. Wir suchten uns auf Google ein lokales Restaurant, wo wir was essen konnten und fuhren hin. Wir bestellten unsere Hamburger und Getränke und unterhielten uns über das bereits Erlebte als wir merkten, dass uns Leute von einem Nachbartisch anstarrten. Ich dachte, ok wieder mal jemand, der neugierig auf uns ist und wissen will, wo wir herkommen. In unseren schmutzigen Biker-Klammotten sahen wir aus, als würde es sich lohnen, uns ein paar Fragen zu stellen. Plötzlich stand ein Kerl auf und fragte uns: »Ist einer von Euch vielleicht Dylan?« Wir schauten erstaunt zurück. »Das bin ich«, sagte Dylan. »Cool, das dachte ich schon die ganze Zeit. Ich bin nämlich Ray«. Wir lachten auf und schoben dann für den Rest des Abends unsere Tische zusammen.

Wir verbrachten ein paar schöne Tage bei Ray. Windhoek erwies sich als moderne und saubere Stadt. Dylan bekam auch ein neues, passendes Ketten-Set für seine BMW und Yasmin kaufte sich einen neuen Helm. Ich wollte den lokalen BMW-Dealer ebenfalls besuchen, um mein Motorrad endlich mal fachmännisch checken zu lassen. Dieses Mal funktionierte alles einwandfrei. Ich wurde sehr nett empfangen und in eine exzellent ausgestattete Werkstatt eingeladen. Meine Maschine wurde an den Rechner angeschlossen und alles war top! Der Mechaniker sprach Deutsch und es sah danach aus, als hätte er sein Fach richtig im Griff. Am Ende musste ich nichts bezahlen und der Manager wünschte mir eine gute Weiterfahrt! So stelle ich mir einen guten Service vor! Lediglich eine Sache störte das perfekte Gesamtbild und irritierte mich sehr: der Mechaniker hatte ein großes Hakenkreuz auf der Rückseite seines Handys! Und es war eindeutig als solches zu erkennen. Ein hinduistisches Symbol des Glücks war das definitiv nicht. Wochen später, als ich mich mit einem Biker in Südafrika darüber unterhielt, meinte er auch, davon gehört zu haben. Dieser Mechaniker scheint in der Biker-Szene bekannt zu sein, angeblich ist er noch mit Nazi-Symbolen tätowiert. Das erstaunte mich sehr! Ein lizensierter BMW-Dealer lässt bei den Mitarbeitern Nazi-Symbole zu? Weiß er das überhaupt?

Ray und sein Mitbewohner LeRoux erzählten uns viel über Namibia. Ich bekam große Lust, etwas länger im Land zu bleiben. Dylan und Yasmin wollten die Hochzeit in Kapstadt nicht verpassen und mussten bald weiterfahren. Ich hatte noch Zeit und entschied mich, mehr von Namibia sehen zu wollen. Ray meinte, Namibia ist „Africa for dummies“: man bekommt hier alles, was man braucht, es ist leicht zu reisen, die Infrastruktur ist gut und das Benzin billig. Die Lebensmittel sind nicht teuer und überall gibt es Geschäfte, wo man alles kaufen kann. Außerdem gibt es schöne Nationalparks und tolle Landschaften. Im Allgemeinen, ist es wie in Europa. Mir war klar, dass ich mich selbst davon überzeugen musste!

Der Abschied von meinen Biker-Freunden fiel mir schwer. Wir haben aber entschieden, uns erneut in Kapstadt zu treffen. Selbst die Technik am Abreisetag streikte. Zuerst wollte das Moped von Dylan nicht starten. Nach der Reparatur am Vortag hatte er vergessen, den Schlüssel aus der Zündung zu ziehen – sie war die ganze Zeit an. Wir überbrückten sein Bike und starteten es erneut. Es funktionierte! Abfahrtbereit stellten wir jedoch fest: jetzt streikte das Bike von Yasmin. Also, gleiche Geschichte von vorne: das ganze Gepäck wieder abnehmen und die Batteriebekleidung erneut abbauen. Irgendwann konnte ich nicht mehr warten: ich hatte einen Termin beim BMW-Service. Ich dachte nur, dass wenn sie heute nicht abfahren, komme ich auch zurück. Es ging aber doch. Ich bekam die Nachricht: »Beide Bikes laufen, wir sind unterwegs«.

Mein Plan für Namibia war nicht kompliziert: ich wollte den Skeleton Coast National Park besuchen, und später noch zwei Städte besichtigen: Swakopmund und Lüderitz. Ich hatte nicht endlos viel Zeit. Blöderweise gab ich bei Enreise an, dass ich zwei Wochen in Namibia bleiben werde. Und die habe ich auch bekommen: keinen Tag länger. So hatte ich nur noch rund eine Woche Zeit, nachdem ich bereits mehrere Tage in Windhoek verbrachte.

Ich freute mich auf den Nationalpark. Da ich den Etosha-Park nicht bereisen konnte – zum einen, weil ich mich beeilen musste und zum anderen, weil der Park für Motorräder angeblich gesperrt war -, fuhr ich in den Nordwesten des Landes. Die von mir etwas gefürchteten Schotterwege erwiesen sich als befahrbar. Unterwegs zum Eingangsgate fuhr ich an einem Himba-Dorf vorbei. Ich hielt kurz und wurde gleich eingeladen, mir das Dorf anzuschauen. Ich durfte fotografieren und Tumbee erzählte mir die Geschichte vom Himba-Volk, führte mich an den Hütten vorbei und ermöglichte mir die Teilnahme an einer interessanten Zeremonie. Tambee fragte mich, ob ich sehen möchte, wie sich die Himba-Frauen duschen. Ich blieb stehen: »Wie bitte?«, fragte ich verunsichert. Ich dachte noch nach, was wäre, wenn man so eine Frage in Europa stellen würde: »Du Martin, möchtest Du sehen, wie sich die Frauen in unserem Dorf duschen?«. Selbst in der fortschrittlichsten Berliner Subkultur-Gegend hätte eine solche Frage Erstaunen hervorgerufen, außer man hätte sich bereits von einem Swingerclub-Besuch gekannt. Da ich jedoch von Natur aus auf fremde Kulturen neugierig bin, willigte ich ein. »Die nackten Brüste habe ich bereits gesehen, die Frauen laufen ja so rum«, dachte ich noch.

Am Ende erwartete mich keine Erotik-Show sondern eine traditionelle Himba-Zeremonie. Wir gingen in die „Duschkabine“ – dort wartete bereits die Dorfprinzessin Ngajona Tjiurua aus uns. Sie zündete ein paar Räucherstäbchen an und führte sich das rauchende „Parfüm“ unter den Achseln durch. Nach einer Minute war die Prinzessin „geduscht“. Da Wasser ein sehr kostbares Gut für die Himba ist, verschwenden sie es nicht zum Waschen«, erklärte Tumbee. Er erzählte mir noch, dass es gerade eine sehr schwere Zeit für die Himba sei, weil alle Tiere durch die Dürre versterben und die einzige Einnahmequelle die Touristen seien. Sie verkaufen ihnen den selbsthergestellten Schmuck und tanzen ab und zu traditionelle Tänze vor. Tumbee sprach gutes Englisch, da er als Einziger in Windhoek studierte. Er erzählte mir noch eine Trivialität: die Himba schlagen sich die unteren vier Zähne aus, damit sie ihre Sprache besser sprechen können! Dies geschieht während einer speziellen Zeremonie, sobald die Kinder das entsprechende Alter erreicht haben. »Es ist sehr schmerzhaft«, berichtete Tumbee und zeigte mir seine Zahnlücken mit Stolz.

Nach einigen Stunden im Dorf fuhr ich dann weiter. Tumbee bot mir noch eine Übernachtung an. Heute bedauere ich sehr, nicht geblieben zu sein. Eine Himba-Dusche hätte mir sicherlich nicht geschadet und ich hätte bestimmt noch vieles mehr über das Leben im Dorf erfahren.

Der Besuch im Skeleton Park war spektakulär. Unendliche Weiten, gerade Strecken bis zum Horizont und großartige Landschaften, die man wahrscheinlich nur dort sehen kann. Es gibt zwei Versionen, woher der Park seinen Namen hat: entweder von den vielen Schiffswracks an der gleichnamigen Skeleton-Küste, oder von den Walknochen, die dort oft strandeten und die letzte Ruhestätte fanden. Etwa 40km breit und 500km lang wird er als „The world‘s largest ship cemetery“ bezeichnet. Dort herrscht ein raues Wetter: Dauernebel, stürmische Winde, unruhige Küstengewässer, hohe Wellen und die Wüste. Wer es ans Land schaffte, hatte nur eine kleine Überlebenschance: die meisten verdursteten im Anschluss.

Vor dem Eingangstor las ich das Gefahrenschild, Gefahren die meist von Wildtieren ausgehen. Das eigene Fahrzeug sollte nicht verlassen werden und Motorräder sind dort illegal. Niemand wollte mich jedoch stoppen. Es gab keine Fragen. Ich füllte das Formular aus, dass ich dann am Ausgang wieder abgeben sollte. Die Durchfahrt ist kostenlos, wenn man den Park am selben Tag verlässt. Nach ca. drei-vier Stunden Fahrt war ich wieder raus. Kein Löwe wollte mich fressen. Ich habe nicht mal eine tote Maus gesehen! Nichts! Die Fahrt war aber in einer ziemlich lebensunfreundlichen Umgebung. Schon ein Wunder, dass dort tatsächlich Elefanten, Löwen, Hyänen, Schakale, Kudus, Zebras und viele weitere Tierarten vorhanden sein sollten. Ich fuhr im starken Wind und teils im Nebel auf der Schotterpiste seelenruhig durch. Von Zeit zu Zeit kam mir ein Geländeauto entgegen.