5 Millionen neue Grauhaare

Die Bekanntschaft mit Wilfrid trug bei einer weiteren wichtigen Angelegenheit ihre Früchte. Die beiden Hauptstädte Brazzaville und Kinshasa liegen gleich gegenüber. Um die zwischenstaatlichen Kontakte und den grenzüberschreitenden Verkehr zu fördern, würde sich eine Brücke anbieten oder zumindest eine Fährverbindung für Fahrzeuge. Es gibt weder das eine noch das andere. Zwischen beiden Städte fahren lediglich touristische Kleinboote.

Um die Lage zu checken, ging ich zum Hafen, um zu sehen, ob es da nicht eine Chance geben könnte, mein Motorrad auf das andere Kongo-Ufer zu bringen. Ein Gespräch mit einem Zollbeamten, der gerade seine Sonntagabendschicht absolvierte, ergab, dass man das tatsächlich organisiert bekommen könnte, es sei aber ziemlich kompliziert und natürlich kostenintensiv. Eine schnelle Überprüfung auf der iOverlander-App ergab, dass es schon früher Leute gab, die dieses Abenteuer wagten. Der Preis variierte um die 200 USD. Ziemlich heftig für eine Flussüberquerung. Aber ich war in Afrika und wollte (musste) nach Kinshasa-Kongo einreisen.

Es gab nicht allzu viele Alternativen. Eine davon wäre die Überquerung der Grenze im Landesinneren (Lwozi-Lufu Grenze). Sie wäre aber mit extremen Straßenkonditionen verbunden gewesen, insbesondere während der Regenzeit. Da ich aufgrund meiner Erfahrungen aus Kamerun nun schlauer war, strich ich diese Option schnell aus meiner Liste. Eine andere Möglichkeit wäre eine Fahrt nach Pointe Noire an der Küste und die Überquerung nach Cabinda (angolische Exklave zwischen der Rep. Kongo und DR Kongo). Von Cabinda kann man dann das Motorrad nach Soyo in Angola verschiffen lassen und selbst in einem kleinen Flugzeug rüberfliegen. Diese Lösung kam mir aber etwas umständlich vor, und so entschied ich mich für die Flußüberquerung.

An jenem Tag kam auch mein Freund Wilfrid dazu, um mich im Hafenchaos zu unterstützen und einen guten Preis für mich auszuhandeln. Gleich wurden wir von diversen „Dienstleistern“ angesprochen, oder zutreffender gesagt „umzingelt“. Einer davon bot einen guten Preis an: 75.000 CFA (umgerechnet 115 EUR). Mehrfaches Nachfragen, ob es sich dabei um den endgültigen Preis für die ganze Prozedur handelt, wurde jedes Mal mit Nachdruck bejaht. Später ergab sich das als eine unverschämte Lüge. Dazu aber später.

Nach Klärung und Auszahlung des Preises begannen wir mit der Bürokratie: Ausreisestempel, Ausfüllen diverser Formulare, Abstempeln des Zolldokuments (Carnet de Passage). Ich gab meinen Reisepass ungern aus der Hand, aber Wilfrid meinte, dass dies in Ordnung sei. Ich hatte keinen Grund, Wilfrid nicht zu vertrauen. Und in der Tat: während ich mich um das Carnet kümmerte, erledigten die „Helfer“ die Ausreiseangelegenheiten. Nach ca. 1,5 oder vielleicht gar 2 Stunden waren wir soweit und konnten mit dem Beladen beginnen.

Ich fuhr mit dem Moped an das Boot heran und staunte. Das Boot konnte mein Bike unmöglich beherbergen! Wo denn auch? Es war ein einfaches Passagierboot mit Sitzplätzen für etwa 10 bis 12 Leute, die ihr Gepäck auf dem Schoss halten mussten. Vorne auf dem Bug gab es noch etwas freie Fläche. Sie schien aber viel zu klein, um ein 300kg-Bike unterzubringen. Außerdem fehlte eine Rampe um das Motorrad auf das Boot zu verladen. Es gab auch keinen Kran, der die Maschine hochheben und sicher auf das Boot hätte legen können. Und da war noch die hohe Reling, die eindeutig im Weg stand.

Auf einmal stand eine Gruppe von Männern in Fußballmannschaftsstärke um mich herum, allersamt in türkisfarbenen Kitteln. Als ich erkannte, was sie vorhatten, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken: die wollten tatsächlich das schwere Bike über die Reling auf das Boot hieven. Für mich gab es keinen Rückzieher mehr. Ich musste mich dem Schicksal ergeben. So baute ich die Koffer ab und überließ mein Bike, meinen besten Freund, Gefährten und Lebensretter, in die „brutalen“ Hände der Hafenmitarbeiter. Sie packten es von allen Seiten an, so dass es keinen freien Raum mehr um das Motorrad herum gab. Die Ladeprozedur begann. Ich schaute von der Seite zu und begann das ganze mit meinem Handy zu filmen. Ich dachte in diesem Moment nur daran: „Wenn sie es in den Kongofluss schmeißen, dann habe ich zumindest alles auf dem Video. Könnte der Videoverkauf an Fernsehsender ausreichen, um sich ein neues Moped zu leisten? Scheiße! Da war noch meine Kamera mit den Zeiss-Objektiven im Tankrucksack. Und der Tankrucksack war immer noch auf dem Tank befestigt! In dem Wirrwarr habe ich nicht dran gedacht, den Rucksack abzunehmen!“ Meine Hände begannen zu zittern. „Jetzt bloß nicht das iPhone fallen lassen! Das wäre der ultimative Super-GAU: das Bike gefilmt, wie es in den Kongofluss reinfällt, und dann flutscht mir das Handy auch noch ins Wasser! Vielleicht hätte ich Wilfrid bitten müssen, auch mich zu filmen wie ich filme?“, dachte ich noch und drückte das Handy noch stärker in die Hand. Das ganze dauerte höchstens drei, vier Minuten – fühlte sich aber wie Stunden an. Ich schaute hilflos zu und stöhnte immer wieder. Ich gab Geräusche von mir, die ich so nicht kannte. Es war eine Mischung aus Hilflosigkeit und einer kleinen Portion Hoffnung, dass das ganze vielleicht doch noch klappt. Dann blieb das Moped mit dem Kupplungshebel an der Reling hängen. Mein Herz raste auf 180. „Völlig unnötig“, versuchte ich mich selbst zu trösten: „Ich habe doch die Ersatzteile dabei“. Irgendwann war das Motorrad drauf. Ich atmete erleichtert aus. Dieser Moment hielt allerdingsn nur kurz ab. Die Männer wollten gleich ihre Bezahlung. »Wie jetzt? Ich habe doch schon bezahlt«, ich schaute den Typen an, der das Geld von mir bereits für die Überfahrt kassiert hatte. »Du musst sie jetzt bezahlen«, sagte er mit ernstem Gesicht. Ich hatte keine Wahl. Um mich herum standen so viele Männer, dass sie sicherlich in der Lagen gewesen wären, ein Nachbardorf zu überfallen oder einen kleinen Krieg zu gewinnen. Diese Männer schauten mich erwartungsvoll an. Sie hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch genug Kraft und Energie übrig, um das Motorrad wieder vom Boot zu heben und es gleich dann in den Fluss zu werfen. »Was wollt Ihr haben?«, fragte ich. »20.000 CFA« antwortete der Gruppenvorsteher. Nun haben wir eine Weile verhandelt. Wilfrid half dabei, so dass ich am Ende 10.000 CFA zahlen musste, umgerechnet 15 Euro. Ich verabschiedete mich von Wilfrid, der mir noch zuwarf, dass ich dem Typen nicht trauen sollte, der das ganze hier organisiert und der von mir die ganze Gebühr bereits kassiert hatte. Das wusste ich jetzt nur zu gut.

Die Überfahrt nach Kinshasa dauerte magere 15 Minuten. Angekommen, begann das ganze Chaos wieder von Vorne. Im Gegensatz zu Brazzaville gab es in Kinshasa noch chaotischere Verhältnisse: die Träger stritten sogar, wer von Ihnen dabei helfen durfte! Die Hafenpolizei musste einschreiten, ein Polizist schnappte sich immer wieder einen Mann und zog ihn vom Bike weg. Die Leute beschimpften und schubsten sich gegenseitig. Am Ende stand das Bike wieder auf dem Festland, ich war komplett durchgeschwitzt aber glücklich, dass ich es überstanden hatte.

Das ganze Geschehen beobachtete ein wichtig aussehender Polizist, der immer wieder anderen Polizisten Befehle zuwarf. „Den muss ich auf meiner Seite haben“, dachte ich noch. In dem Chaos brauche ich jemanden, der genug Autorität besitzt, um die anderen von mir fern zu halten. Wie ich hörte, wird man im Hafen von Kishasa von Händlern und Möchte-gern-Helfern massiv belästigt. Das zahlte sich sehr aus! Der „Hauptmann“ war auch willig, mir zu helfen. Er brachte mich durch diverse dunkle Ecken und Winkel zu den richtigen Immigrations-Büros, die ich selbst wahrscheinlich nur mit Mühe gefunden hätte. Dann half er mir die restlichen CFA in die kongolesischen Franks umzutauschen und besorgte mir sogar eine Sim-Karte für mein Telefon. Als ich die lokale Währung umtauschte, staunte ich verdutzt: für den Wert von ca. 100 Euro erhielt ich einen dicken Bündel von Franks. Die größte Banknote ist in Höhe von 1000 Franks, also umgerechnet gerade mal ca. 0,55 Euro – da braucht der Geldbeutel ja Räder, wenn man Lebensmittel für eine Woche einkaufen geht!

Ich war sehr froh, den Hauptmann als Helfer und Beschützer an meiner Seite zu haben! Denn der Organisator der Überquerung lief mir die ganze Zeit nach. Die Träger bei der Ankunft musste ich natürlich wieder selbst bezahlen und der Typ hatte die Unverschämtheit nach mehr Geld zu fragen! Sein Plan war es, mir bei der ganzen „Bürokratie“ in Kinshasa zu „helfen“. Blöd für ihn, dass ich dann den Hauptmann dabei hatte. Und als ich meinem neuen Polizistenfreund sagte, dass ich den Kerl bereits bezahlt habe, schrie er ihn an und verjagte ihn auf der Stelle. „Gut so“, dachte ich mir schadenfroh.

Nun war ich bereit zur Weiterfahrt. Ich begutachtete mein Motorrad und stellte fest, dass alles in Ordnung war, bis auf die verstellten Seitenspiegel. Ein Wunder ist geschehen! Ich gab meinem Hauptmann 5 Euro Aufwandsentschädigung und fuhr davon. Ein paar Händler wollten mir noch ihre schreienden Hühner, Bananen und sonstiges Gemüse verkaufen. Ich lächelte freundlich, winkte zu und war weg.

Ich hatte nicht vor, lange in Kinshasa zu bleiben. Meine Couch-Surfing-Anfrage wurde nicht beantwortet und ich sah dies nicht als Schicksalsschlag. Ich hielt noch kurz in der Stadt, ging zum chinesischen Restaurant, bestellte ein Stück Grillente sowie ein Tonic Water. Die Rechnung in Höhe von 30 US-Dollar bestärkte mich in der Annahme, dass ich doch schnellstmöglich nach Angola fahren sollte. Was für ein Kontrast! Auf der Straße betteln Kinder für ein Stück Brot und man zahlt beim Chinesen 30 Dollar für Lunch.

Es lebe die afrikanische Bürokratie!

Angekommen in Brazzaville hatte ich zwei wichtige Aufgaben zu erledigen: das Visum für Angola zu organisieren und zu überlegen, wie ich nach Kinshasa bzw. in die Demokratische Republik Kongo einreisen würde. Ersteres sollte leicht zu machen sein – dachte ich zumindest.

Eigentlich lässt sich das Visum für Angola im Internet beantragen. Man muss lediglich den Ankunftsflughafen oder Grenzübergang auswählen, ein elektronisches Formular ausfüllen, ein paar Dokumente hochladen und schwups – nach etwa 48 Stunden bekommt man das Visum per E-Mail zugeschickt. Oder so ähnlich. Ich scheiterte jedoch schon an der ersten Frage: „wo möchten Sie einreisen?“. Da bei mir die Wahl des Flughafens eher nicht zur Debatte stand, suchte ich verzweifelt nach möglichen Optionen über den Landweg. Leider ließ keiner der Grenzübergänge im Norden das eVisum zu, so blieb mir keine andere Wahl als den üblichen Weg einzuschlagen: das Visum in einer angolanischen Botschaft persönlich zu beantragen.

Nun wie sieht eine „normale“ Visum-Prozedur in Afrika aus? Man geht in die Botschaft, füllt das Antragsformular aus, gibt ein Passfoto ab, zahlt eine bestimmte Gebühr und holt das Visum am nächsten Tag ab (DR Kongo) oder bekommt es gleich vor Ort ausgestellt (Côte d‘Ivoire, Republik Kongo). Ich hatte schon eine leichte Vermutung, dass dies mit dem angolanischen Visum etwas komplizierter werden könnte. Das mich das fast den ganzen Tag kosten sollte, hätte ich nicht gedacht.

Am 25. November stand ich früh auf. Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, bevor ich das Visum in der Botschaft beantragen würde. Was ich hierfür alles an Unterlagen benötigte, las ich in der (mal wieder sehr nützlichen) App iOverlander. Hierzu gehört ein Antragsformular, welches man vor Ort bekommt, aber außerdem noch eine Hotelreservierung, ein Flugticket, eine farbige Kopie des Reisepasses, eine Kopie des Impfbuches mit Gelbfieberimpfung, zwei Passfotos und ein sogenanntes „Document of Request“, in dem man erklärt, warum man nach Angola einreisen will. Im Prinzip alles machbar. Ich schrieb eine halbe Seite Lobeshymne auf die Schönheit des Landes Angola, die ich auf dem Landweg erkunden möchte. Man weiß ja nie, wie die Laune des Beamten ist, der mir später das Visum ausstellen wird. Außerdem schrieb ein User auf iOverlander, dass man ein Fake-Flugticket auf dem Flughafen bekommen kann. Ein Fake-Flugticket? Ich war nicht bereit, im „Document of Request“ über meine geplante Motorradreise durch Angola zu schreiben und dann ein Fake-Flugticket zu präsentieren! Dem dümmsten Beamten wäre dies sicherlich auch aufgefallen, dass ich kein Flugticket benötige, um das Land auf dem Motorrad zu bereisen. Ich schrieb also explizit rein, dass ich das geforderte Flugticket leider nicht präsentieren kann, weil ich es nicht brauche. Das ist das schöne am Reisen mit dem Motorrad: du kannst alles auf dem Landweg erkunden.

Die erste Aufgabe des Tages, nämlich das Kopieren der Dokumente und das Drucken meines Erklärungsbriefes, verursachte bereits gewisse Schwierigkeiten. Im ersten Copy-Shop war die technische Ausstattung des Ladens leider nicht ausreichend, um eine Farbkopie des Reisepasses zu machen. Der Laden bestand aus einer Holzhütte mit einem Blechdach. Für die Stromversorgung sorgte eine einzige Steckdose, in der ein großer Verteiler mit unzähligen Kabeln steckte. Dort war auch ein Drucker angeschlossen, der am Ende nichts nutzte: wir haben es leider nicht geschafft, die Datei vom Ipad auf den PC zu übertragen. So bedankte ich mich bei der jungen Dame, die nichts unversucht ließ, und ging auf die Suche nach einem anderen Copy-Shop. Das, was man in Europa in jedem Zuhause selbst leicht erledigen kann, ergab sich hier als wahre Herausforderung. Beim zweiten Copy-Shop hatte ich schließlich mehr Glück und konnte die fehlenden Unterlagen ausdrucken bzw. kopieren.

Nun war ich – wie ich dachte – bestens vorbereitet und konnte in die Botschaft fahren, um meinen Visumantrag zu stellen. Dort angekommen, bekam ich gleich das Antragsformular ausgehändigt, natürlich auf Portugiesisch und Französisch. Keine Chance eine englische Übersetzung zu bekommen. Aber ok – ich mache es ja schließlich nicht zum ersten Mal, es wird schon klappen – stellte ich mir in meiner Naivität vor. Leider klappte es nicht: meine gebundenen Portugiesisch-Französischen Kenntnisse waren nicht ausreichend. Es stellte sich heraus, dass ich meine deutsche Adresse mit der in Kongo (wo ich zu Gast war) verwechselt hatte. Der Beamte akzeptiert keine Korrekturen im Antrag. Also durfte ich erneut dasselbe Formular ausfüllen und wurde dabei mehrfach ermannt, dass der Konsul es nicht leiden kann, wenn man unleserlich kritzelt. So bemühte ich mich, die schönsten Buchstaben meines Lebens zur Papier zu bringen. Ich wollte ja den Konsul nicht enttäuschen.

Der Beamte beäugte das Formular kritisch und nickte. »Jawohl, ich habe es geschafft« – freute ich mich. Dann kam die schlechte Nachricht: »Sie müssen nun die Gebühr bezahlen und das geht leider bei einer bestimmten Bank im Stadtzentrum« – sagte der Beamte und steckte mir einen Spickzettel mit der Kontoverbindung zu. Als ich den Zettel mit großen Augen betrachtete, erhob sich im Wartezimmer ein Herr im Anzug und sprach mich auf Englisch an: »Ich bin Ihr Mann. Ich muss auch eine Gebühr für die Botschaft zahlen. Ich zeige Ihnen, wo das möglich ist.«

»Sehr gerne« – freute ich mich über das unerwartete Geschenk der Götter. Ich dachte schon, ich würde viel Zeit mit der Suche nach der „Credit du Congo“ Bank verlieren. Die Hilfe meines neuen Freundes ergab sich als sehr wertvoll. Damals wusste ich noch nicht, dass das Auffinden der Bank die Probleme nicht lösen würde. Dass man die Gebühr nur in US-Dollar bezahlen konnte, teilte mir der Angestellte der Botschaft noch freundicherweise mit.

Wilfrid wusste wirklich Bescheid, wo wir alles finden konnten. Wir fuhren zuerst zur Wechselstube, um uns die Dollars zu besorgen. Dies war bei Western Union möglich . Nachdem ich ein Formular mit all meinen persönlichen Angaben ausgefüllt hatte, konnte ich die CFA in US-Dollar umtauschen. Auch meinen Reisepasse musste ich zum Kopieren abgeben und mitteilen, wozu ich die Dollars verwenden möchte. Nach 30 Minuten war es erledigt. Danach fuhren wir zur Bank Credit du Congo, um die Visumsgebühr einzuzahlen. Dies war eine wahre Herausforderung, trotz der Anwesenheit eines Einheimischen, der eigentlich Bescheid wissen sollte, wie die Einzahlungsprozedur verlief. Als Erstes zogen wir je eine Wartemarke. Wir schauten auf die Nummern und waren verdutzt: zwischen uns und der Nummer, die auf der Tafel angezeigt wurde, sah es so aus, als ob wir hier Stunden verbringen würden, bis wir dran wären.

so standen wir eine Weile herum, bis wir entschieden, an den Infoschalter zu gehen. Wir erhielten erneut Formulare, die wir ausfüllen sollten. Es scheint, als wäre es im Kongo nicht so einfach möglich, einen Betrag auf fremde Konten einzuzahlen. Man muss ganz schön viele Informationen preisgeben. Als wir die Formulare fertig ausgefüllt hatten, ergab sich, dass wir am falschen Ort sind. Um US-Dollar einzuzahlen, hätten wir einen anderen Eingang im Gebäude nehmen müssen. Wir entschuldigten uns höflich und gingen zum besagten Eingang. Am neuen Ort trafen wir auf eine Empfangsdame, die uns informierte, dass wir erstmal Platz nehmen und warten sollten. Vor uns waren nur etwa 5-6 Personen. Das müsste jetzt aber schneller vorangehen – dachten wir. Eine halbe Stunde später waren wir dann auch endlich an der Reihe. Wir betraten ein Zimmer hinter einer abgedunkelten Glaswand. Dort fanden wir unseren Mann – ca. Ende 60 Jahre alt, im Anzug, mit strengem Gesichtsausdruck. Wir erklärten kurz, was wir wollten. »Haben Sie das Formular ausgefüllt und die Scheine kopiert, die sie einzahlen wollen?« fragte er. »Scheine kopieren?« schauten wir ihn ungläubig an. Natürlich hatten wir das nicht getan. Also begaben wir uns wieder zur Empfangsdame: »Wären Sie so nett uns die Formulare zum Ausfüllen zu geben und unsere Scheine zu kopieren« baten wir höflich. Selbstverständlich fragten wir nicht, warum sie uns das nicht früher sagte, während wir nutzlos über eine halbe Stunde im Warteraum verbrachten. Wir schauten uns nur an und schüttelten den Kopf.

Während wir die Formulare ausfüllten, kopierte sie unsere Dokumente und natürlich die Scheine. Da Wilfrid fünf Zwanziger Scheine hatte, kopierte sie jeden einzeln. Bei mir war es schon sinnvoller: ich hatte einen Hunderter und einen Fünfer, die dann mit viel Sachkenntnis kopiert wurden. Wir fragten uns noch, ob das überhaupt legal war, die Scheine zu kopieren.

Dieses Mal durften wir ohne Wartezeit zu unserem Mann und die Einzahlungsprozedur begann: zuerst alle Angaben vom Formular in den PC eintippen, selbstverständlich mit zwei Finger-System. Dann legte er jedem von uns eine Aktenmappe an, wo er die Formulare und die kopierten Scheine reinlegte. Mit ein klein wenig Sarkasmus dachte ich mir »Jetzt haben wir es geschafft. Es kann sich gerade nur um Stunden handeln, bis alles erledigt ist.«

Ich händigte ihm den Spickzettel mit der Kontonummer von der Botschaft aus. Der Herr tippte die Nummer im System ab: »Die Nummer ist nicht korrekt. Es fehlt eine Ziffer!« Wilfrid und ich schauten uns an. »Das kann nicht sein. Das ist ein offizieller Ausdruck, den wir direkt in der Botschaft erhalten haben«, versuchte ich den Beamten noch umzustimmen. Nach weiteren 15 Minuten und mehreren Telefonaten, die der Beamte freundlicherweise tätigte, konnte die Kontonummer der Botschaft geklärt werden. So zahlten wir die Gebühren endlich ein, nahmen unsere Quittungen mit und verließen erleichtert die Bank. Es fühlte sich wie eine wichtige Universitätsaufnahmeprüfung an, die wir gerade bestanden haben.

Zurück in der Botschaft wurde ich einem wichtigeren Angestellten vorgestellt, der mich interviewen sollte. Nach einem kurzen Gespräch kam er zum Entschluss, dass ich geeignet sei, Angola zu bereisen. Am nächsten Tag erhielt ich mein Visum.

Auf dem Trockenen in Kongo

Mein kamerunisches Visum war schon seit drei Tagen abgelaufen. Ich war dennoch optimistisch, dass mich das mit etwas Glück in keine all zu großen Schwierigkeiten bringen würde… Am Ende behielt ich Recht, musste aber zwischenzeitlich ordentlich schwitzen. 

Die kamerunischen Straßen haben es in sich: wenn es regnet, verwandeln sich die Offroad-Abschnitte in einen Sumpf. Mit meinem Offroad-Glück durfte ich natürlich kosten, wie es sich so im Matsch fährt. Es gibt wahrlich schönere Erfahrungen. Wenn man nicht so oft auf der Seite im Dreck liegen möchte, fährt man mit der unglaublichen Geschwindigkeit (oder besser gesagt Langsamkeit) von ca. 5m pro Minute. Man schiebt halt abwechselnd die Füsse neben dem Moped durch den Schlamm und versucht vorsichtig nach Vorne zu kommen. Meistens gibt es LKW-Rillen, in denen die Schlammschicht nicht so tief ist. Der Nachteil dabei: es gibt wenig Platz, um die Füsse neben dem Bike in den Rillen abzustellen. So muss man die Beine hochheben, sie auf den seitlichen Schlammhügeln abzustützen und versuchen, sich irgendwie gerade zu halten. Diese Prozedur würde wahrscheinlich sogar Spaß machen, wenn man sich nicht gerade mitten im Regenwald befinden würde und bis zur nächsten Siedlung 50-100km zu fahren hätte. 

Die meisten Abschnitte der kamerunischen Straßen waren doch relativ gut befahrbar. Es kamen aber immer wieder welche, die mich ordentlich schwitzen liessen. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann endlich die Ortschaft, in der ich mir vorab schon ein ein Hotel herausgesucht hatte. Es fehlten noch gerade mal 1,5km, als mich die Polizei an einem Kontrollposten stoppte. Ich – gut gelaunt und nichts ahnend – übergab dem Polizisten meinen Reisepass. Er schaute sorgfältig hinein. Viel zu sorgfältig! Ich fing an mir Sorgen zu machen. Dann kam der Schock:

»Ihr Visum ist seit vier Tagen abgelaufen. Sie müssen zurück nach Yaoundé fahren« – sagte der Polizist gefühllos. 

Mich erwischte der Schlag! »Sie müssen sich irren, Sir« – versuchte ich ihn umzustimmen: »Mein Visum gilt für 30 Tage und ich bin erst seit dem 14. November da«. Ich glaube zwar nicht, dass mir diese billige Ausrede helfen würde, aber es schadete ja bekanntlich nicht, es zu versuchen. 

Der Polizist kaufte mir diese Erklärung nicht ab und ging zu seinem Vorgesetzten. Ich musste das Moped am Straßenrand parken, um andere Fahrzeuge nicht zu behindern. Nach einigen Minuten rief mich der Chefpolizist zu sich:

»Ihr Visum ist abgelaufen. Sie müssen nach Yaoundé« – wiederholte er trocken, was ich schon von seinem Kollegen hörte. 

»Lieber verrecke ich hier auf der Stelle oder lass mich erschießen, als zurück durch den Dschungel zu fahren!« – dachte ich gleich, sagte es aber vorsichtshalber nicht laut. Ich machte stattdessen ein super trauriges Gesicht, als ob ich gleich losheulen würde. Ich setzte mich dann schweigend auf den Boden neben dem Polizeiposten und fing an, noch trauriger auszusehen. Der Polizist fragte noch, was ich denn zu tun beabsichtige. Ich antwortete, dass ich jetzt kurz vor der Grenze nach Kongo sei und nicht bereit bin, zurück nach Yaoundé zu fahren. 

So saß ich auf dem Boden und versuchte Mitleid zu erregen. Ums Verrecken schwor ich mir, keine Bestechungsgelder zu zahlen. Die Lösung war jedoch so einfach eigentlich: die Beamten sollten mich einfach weiter fahren lassen.

Nach ca. 20-30 Minuten meiner sitzenden Protestaktion kam dann endlich der Chefpolizist, reichte mir meinen Reisepass und sagte trocken: »Verschwinde«. Das musste er nicht ein weiteres Mal wiederholen. Ich sprang auf, setzte mich aufs Moped und gab Gas. Am nächsten Morgen war das Problem allerdings nicht aus der Welt geschafft. Ich hatte immer noch 150km zu fahren und ggf. etliche Polizeikontrollen zu überstehen. Nun hatte ich eine Strategie und wollte nicht mehr so leichtsinnig meinen Reisepass mit dem abgelaufenen Visum aus der Hand geben. Ich wollte die Beamten einfach nicht zu Wort kommen lassen, sie mit meiner Afrika-Reise beeindrucken und so abzulenken. Darüber hinaus hatte ich noch einen Joker im Ärmel: ich habe zuvor erfahren, dass der kamerunische Präsident Biya in Baden-Baden zur Kur war! Hammer! Diese Info sollte mir doch helfen können. 

Die Strategie ging voll auf! Es gab insgesamt drei Kontrollen. Die ersten zwei konnte ich mit meinen Stories über „meine großartige Reise und Mission“ so „benebeln“, dass sie nicht mal den Pass verlangten. Die dritte Kontrolle war etwas strenger: ich sollte bitte doch keine Passkopien (ich hatte die erste Reisepass-Seite einlaminiert präsentiert), sondern den Reisepass zeigen. In diesem Moment kam meine Baden-Badener-Präsidenten-Kur-Geschichte zur Geltung: der Beamte wusste das sogar selbst! Wir verabschiedeten uns wie besten Freunde. 

Doch vor mir lag noch die Grenze. Dort werden sich die Beamten bestimmt nicht so leicht verarschen lassen – dachte ich. Mein Plan war: sobald das Thema des Visums kommt, hatte ich vor, ein „Ausreise-Visum“ zu beantragen. Ich lies zuvor im Internet, dass dies möglich wäre, aber mit gewissen Kosten verbunden und die Höhe der Gebühr von der Laune der Grenzbeamten abhängen würde. Doch dann passierte etwas, was mich über das Ausmaß meines Glücks an diesem Tag staunen ließ. Ich kam an der Grenze an. Klopfte an der Tür des Immigration-Office an und ging rein. In dem Raum sah ich, dass der Beamte auf dem Schreibtisch einfach tief im Schlaf versunken schnarchte! Ich weckte ihn sanft und er – noch halb im Schlaf – haute einfach den Ausreisestempel in meinen Pass ohne ein Kommentar herein! Ich lachte innerlich laut auf, als ich diese Aktion sah. Trotzdem behielt ich die Fassung, bedankte mich höflich und fuhr bestens gelaunt nach Kongo. 

In Kongo wartete auf mich eine neue Welt: eine exzellente Straße – sofort ab der Grenze – und gut gelaunte Beamten. Die Formalitäten dauerten wenige Minuten und ich befand mich auf der bis dahin besten Straße in Afrika! Den Chinesen sei Dank! Ich war im Glück. Ich fuhr bis zur nächsten Ortschaft, fand dort ein nettes Hotel mit Hilfe der lokalen Polizei, die mich zuerst kontrollieren wollte, dann aber half, einen guten Zimmer-Preis auszuhandeln. Am nächsten Morgen war ich startklar für die über 1000km lange Strecke nach Brazzaville. 

Meine ursprüngliche Euphorie war groß. Diese Begeisterung hielt für ca. 100 km an. Die erste Polizeikontrolle an diesem Morgen verlief noch angenehm und ich fragte noch um einen Rat, ob ich direkt in den Süden oder doch lieber einen ca. 20 km Seitenabstecher nach Ouesso, der nächst gelegenen Stadt, machen sollte. Ich hatte nämlich nur noch ca. 100 km Reichweite und musste dringend tanken. Der Polizist meinte, ich soll doch lieber nach Ouesso fahren. In die andere Richtung könnte es knapp werden. 

So nahm ich die Seitenstraße und fuhr nach Ouesso. Nach 15 km kam die erste Tankstelle. Der Tankwart saß auf einem Plastikstuhl und aß Nüsse: »Die Tankstelle ist geschlossen, fahren Sie zur Nächsten. Vielleicht gibt es dort Benzin.« So fuhr ich weiter – von einer leeren Tankstelle bis zur nächsten: überall kein Sprit, alles leergetankt. Am Ende fand ich eine große, moderne Total-Tankstelle. Leider genauso trocken wie die anderen. Der hiesige Mitarbeiter schlug mir vor, in der Bar gleich gegenüber nach dem „Gaddafi-Benzin“ zu fragen. Ich machte große Augen, folgte jedoch dem Hinweis. Ich hatte keine Wahl. Es gab weit und breit keine Möglichkeit, „normal“ zu tanken. So fuhr ich zu der Bar, die ihren größten Umsatz wohl nicht gerade mit alkoholischen Getränken machte. Dort angekommen musste ich nicht mal erklären, was ich brauchte. »How many liters?« war das übliche „Guten Tag“. Ich bestellte 15 Liter und der „Kneipen-Tankwart“ verschwand im Hinterhof. Er kam mit drei 5-Liter-Kanistern zurück und fing gleich an, meinen Tank mit Benzin zu befüllen – in Hoffnung, dass es sich tatsächtlich um Benzin handelte. Es ist schon echt ein komisches Gefühl, wenn man sich an einem völlig fremden Ort – umgeben von fremden Menschen – und 1000km Entfernung bis zur nächsten Großstadt in der gegebenenfalls dein Moped repariert werden könnte, den Tank mit einer Flüssigkeit aus einem nicht transparenten Behälter befüllen lässt. Und es hätte alles sein können! Es war eine Bar, in der die Gäste bestimmt auch Bier trinken und auf die Toilette mussten. Wer weiß schon, wo sie dann das Wasser ablassen. 

In Gedanken vertieft machte ich einen entscheidenen Fehler: ich vergass vor der Betankung zu fragen, was ich zu zahlen hatte! Das stellte ich mit Erschrecken erst fest, als der letzte Tropfen im Tank landete. Jetzt war der Tank befüllt, sie könnten alles von mir verlangen, selbst 100 Dollar zu bezahlen oder die hässlichste Frau der Stadt zu heiraten. Ein junger Mann mit tapferer Mine kam auf mich zu und sagte auf Englisch: »Es macht dann 1500 CFA (Franks) pro Liter!« Er sah so aus, als ob er bereit wäre, dafür in den Ring zu steigen, wenn ich diesen Preis nicht zahlen würde. Anscheinend haben sie einen Burschen, der genug auf Englisch sagen kann mit ausreichend gefährlich zusammengezogenen Augenbrauen, die jeden Widerspruch im Keim ersticken sollten. Ich schaute um mich herum. Es bildete sich mittlerweile auch eine mittelgroße Gruppe an Zuschauern um uns herum. Die wollten bestimmt sehen, wie der dumme Tourist in einer meisterhaften Aktion über den Tisch gezogen wird. 15 Liter mal 1500 Franks macht dann 22.500 Franks, umgerechnet ca. 35 Euro. Ein stolzer Preis. Ich schaute verärgert auf die trockene Total-Tanke gegenüber. Auf der Preisanzeigetafel stand: 650 Franks für ein Liter Super. So ein Mist! Resigniert übergab ich dem „Tankwart“ zwei 10-Tausender. Er nickte zustimmend. 

Ich setzte mich aufs Motorrad, ignorierte erbost eine Anfrage von einem Zuschauer, der sich mit aller Kraft noch mit mir fotografieren lassen wollte, dachte »Ich mag dieses Land nicht mehr«, startete den Motor und fuhr mit Vollgas davon. Stinkefinger streckte ich nicht heraus. Ich war sauer auf mich selbst, auf meine Naivität und auf die Leute dort. Sie sahen ihre Chance und nutzten sie gnadenlos aus. Ich war aber um eine wichtige Erfahrung reicher: zuerst nach dem Preis fragen, verhandeln, dann einkaufen. Das Problem mit den trockenen Tankstellen begleitete mich fast bis nach Brazzaville, die Erste funktionierende Tankstelle fand ich erst 100 km vor der kongolesischen Hauptstadt. Ich musste noch zwei Mal auf das „Gaddafi-Gold“ zurückgreifen und Benzin flaschenweise kaufen. Verarschen ließ ich mich aber nicht mehr. Und der Flaschen-Sprit war tatsächlich von guter Qualität. 

So ließ sich die sehr gute kongolesische Straße nach Brazzaville leider auch nicht auskosten. Wenn du ständig auf die Tankanzeige schaust und nur an trockenen Tankstellen vorbeifährst, ist das kein gutes Reisegefühl. Woher kommt aber das „Gaddafi-Gold“? Überall erzählten die Leute, es sei aus Libyen geschmuggelt. Diese Erklärung ergab aber nicht wirklich Sinn. Libyen ist weit weg und Kongo ist ein an Ölvorkommen reiches Land. Das Öl ist sogar die größte Einnahmequelle im Land. Später erfuhr ich, dass Land sei in der Krise. Es gibt nur wenige, die vom Öl im Land profitieren. Die Bevölkerung hat nicht viel davon. So hamstern sie das Benzin und verkaufen dieses, um in Zeiten von Lieferschwierigkeiten Profit zu schlagen.

In Brazzaville hatte ich keine Tankschwierigkeiten mehr. Die Stadt war sehr gut versorgt und präsentierte sich im Allgemeinen als eine moderne, angenehme und nicht so überfüllte Metropole. Der Verkehr war nicht so chaotisch, wie in den bisherigen Großstädten. Die Fahrer hielten sich an die Verkehrsregeln, stoppten sogar an den roten Ampeln und hupten dich nur in seltenen Fällen an, zum Beispiel wenn du ihnen die Vorfahrt nimmst, weil du nichts anderes aus den afrikanischen Ländern kennst, als einfach immer zu fahren, wenn es eine Lücke gibt.