Balkan Tour zu zweit

6173km, 17 Länder in 20 Tagen

Unsere Route
Unsere Route

Unsere Balkan-Tour war nicht nur kilometer-intensiv. Sie war vor allem reich an wunderbaren Erfahrungen, unerwarteten Begegnungen mit Menschen und Natur. Wir haben eindrucksvolle Momente erlebt, haben geschwitzt (nicht nur temperaturbedingt), sind immer wieder naß geworden, haben in naßen Klamotten bei 10° im Gebirge stundenlang gefroren, um später einer erstaunlichen Gastfreundschaft zu begegnen und Orte zu sehen, die allen Vorurteilen mit voller Kraft widersprechen.

Wir, Saskia und ich, zwei Motorrad-Neulinge, sind auf unsere erste große Motorrad-Reise in den frühen Nachmittagsstunden des 1. Juli in Baden-Baden aufgebrochen. Geschuldet dem mehrfachen Be- und wieder Entladen des Gepäcks haben wir unseren Plan, so früh wie möglich aufzubrechen, um einige Stunden verfehlt. Dennoch wollten wir noch am selben Tag Österreich erreichen. Geschafft haben wir bis zum Chiemsee und durften schon gleich am ersten Abend üben: das Zelt im Regen aufbauen. Wie sich später zeigen sollte: nicht zum letzten Mal. Wie so oft im Urlaub: während in der Heimat die Sonne strahlt und die Temperaturen belohnen die Heimattreuen, schifft´s aus allen Rohren in den Urlaubsorten. Es ist besonders frustrierend, wenn du in den Süden fährst, wo per definitionem heiß und trocken sein müsste. Nun sollten wir aber zuerst durch die Alpen-Republik. Da wir von vorne geplant haben, so wenig wie möglich die Autobahnen zu nehmen, war die Wahl klar: wir sind auf einem Motorrad unterwegs und sollen zwingend die Großglockner-Hochalpenstraße erleben. Ob das aber mit einem über 400kg schwerem Moped zu zweit gut geht? – haben wir uns noch gefragt. Später, als wir in Montenegro die Kotor-Serpentine am Lovćen-Berg schweißgebadet bewältigt hatten, lachten wir über die „tödlichen“ Kehren der Glocknerstraße.

An der Großglockner Hochalpenstraße

Später in Italien, nach einem kurzen Stop in Triest, führen wir weiter nach Slowenien. Uns war es vom Anfang an deutlich, dass wir bei dem Tempo und Routenplan keine Möglichkeit haben werden, uns mit den besuchten Länder intensiv zu befassen und alle wichtigen Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Wir wollten die Reise vor allem auf dem Mopedsitz erleben: Kilometer und Eindrücke beim Fahren sammeln, viele lokale und abgelegene Wege befahren, sowie in jedem Land ein bis zwei interessante, nicht unbedingt touristische, Orte besuchen. So sind wir in Slowenien an der Höhlenburg Predjama gelandet und haben die berühmte Pferdezucht der Lipizzaner besucht. In Kroatien waren wir in Zadar und Dubrovnik. Das Land hätte sich aber mehr als gelohnt, wenn man nur entlang der Adriatischen Küstenstraße D8 fahren würde: atemberaubende Landschaften und traumhafte Kurven. Es stört auch nicht (so sehr), wenn man bei über 40° fährt und die heiße Luft über dem Asphalt vor starker Hitze flimmert.

Ein kleiner Abstecher nach Herzegovina brachte uns interessante Eindrücke aus Mostar und den Kravice-Wasserfällen. Beide Orte sind ziemlich touristisch, dennoch absolut sehenswert. In Montenegro sind wir zum bereits erwähnten Berg Lovćen (1749m) hochgefahren. Die Serpentinen-Auffahrt durch die sehr engen Strassen und Kehren verlangt so manche Schweißperle, insbesondere wenn einem plötzlich ein großer Reisebus entgegen kommt. Man wird aber mit einem großartigen Blick auf die türkisblaue Kotor-Bucht und das malerische Orjen-Gebirge belohnt!

In Montenegro, in der Küstenstadt Bar, haben wir auch eine etwas außergewöhnliche Begegnung erlebt: kaum am Straßenrand geparkt, wurden wir gleich von einer älteren Dame auf Deutsch angesprochen, die im Café nebenan saß und ihre Cola schlürfte. Ob wir Hilfe brauchen. In der Tat mussten wir etwas hilflos, oder mindestens seltsam ausgesehen haben: so stand ein verängstigtes, zierliches Mädchen in voller Motorradmontur, mit Helm in der Hand, neben einem voll bepackten Riesenmotorrad mit deutschen Kennzeichen und wartete auf den Kerl. Und der Kerl lief von einem Kiosk zum anderen Touristenladen und suchte nach Postkarten.

Letztendlich ergatterte ich eine bescheidene Ansichtskarte aus Bar. Bei den Briefmarken scheiterte ich auf der ganzen Linie. Nun fragte die montenegrische Dame in einwandfreiem Deutsch, ob sie uns behilflich sein könnte. Als sie unser Anliegen erfuhr, schickte sie sofort einen Kellner mit mir auf die Postamt-Suche. Das Café gehörte nämlich ihr selbst und der junge Kellner, der ebenfalls Deutsch sprach, sprang mir ohne zu grübeln auf den Soziussitz. So fuhren wir durch den Stadtteil, um die Briefmarke zu finden. Dank der Ortskenntnis des Kellners und seiner Übersetzungskünsten, fanden wir bald die Poststelle und ich konnte meine Briefmarke kriegen. Ich nahm gleich zwei, damit sich die Fahrt besser lohnen sollte. Ein paar Minuten später waren wir wieder zurück und ich, glücklich mit den zwei Briefmarken in der Tasche, konnte mich den Damen beim Cola-Schlürfen anschließen. Saskia erzählte mittlerweile Dragona (so hieß die Dame vermutlich) von unserer Reise und den weiteren Plänen, auch davon, dass wir nach Albanien fahren wollen. Davon riet uns Dragona mit Nachdruck ab! Sie stellte uns ein Bild des europäischen „Mordor“ vor: kaputte und gefährliche Straßen, kriminelle Banden, die auf europäische Motorrad-Touristen an jeder Ecke lauern und ausgehungerte Bevölkerung, die von einem alles klaut, was nicht mit Ketten befestigt sei. Trolle und Wehrwölfe hat sie nicht erwähnt… Auf die Frage, ob sie schon selbst das Nachbarland Albanien besuchte, verneinte sie: sie sei doch nicht „lebensmüde“. Für uns war klar: wir müssen hin und uns selbst überzeugen!

Und wir haben es nicht bereut! Wir wollten durch die Nordalbanischen Alpen nach Kosovo und haben uns schon auf etwas unbequeme Durchquerung von steinigen Schotterstraßen eingestellt. Aber nichts davon! Wir fanden eine exzellente, frisch asphaltierte Straße (SH20) und atemberaubende Landschaften vor! Anscheinend wissen selbst die Albaner nichts davon: unterwegs sind uns nur hand-voll andere Fahrzeuge entgegen gekommen. Lediglich die Fahrt durch die nordalbanische Stadt Shkodra schien eine – verkehrstechnisch gesehen – größere Herausforderung zu sein: man kommt nicht voran, wenn man „europäisch“ fährt: ständig wirst du von allen Seiten von den anderen Verkehrsteilnehmern überholt, Passanten laufen quer durch die Straßen, es scheint nur eine Regel zu gelten: wer bremst, der verliert.

Nach Albanien sind wir nach Pristina, Kosovo, gefahren: mit einem kleinen und ungeplanten Abstecher nach Serbien. Einmal im Regen nicht rechtzeitig abgebogen und zack – schon bist du im anderen Land. Zum Glück haben wir bald einen offenen Grenzübergang zwischen Serbien und Kosovo gefunden: zurzeit leider keine Selbstverständlichkeit. Und Pristina war eine der größten Überraschungen der Reise: eine moderne, europäische Stadt, nicht touristisch aber ausgesprochen gastfreundlich und angenehm! Insbesondere für den Geldbeutel: die Lokalwährung heißt Euro und man zahlt ein Viertel davon, was man zu Hause für die gleiche Speise im Restaurant ausgeben müsste.

Über die Preise haben wir uns auch in Nordmazedonien nicht beschweren müssen. Gestrandet sind wir am lokalen Touristen-Lieblingsort Struga am Ohridsee. Wo wird denn sonst in Europa für eine Camping-Übernachtung zu zweit (samt Motorrad und Zelt), Abendessen und Frühstück 18 Euro verlangt?

Später ging es nach Griechenland, Richtung Kavala. Die Region Makedonien im Norden Griechenlands empfing uns mit wüstenartigen und bergigen Landschaften. So soll Südeuropa aussehen! – haben wir gedacht und eine Foto-Pause angelegt. Die Gegend fühlte sich großartig an und ließ uns die Zeit vergessen. Die Konsequenz davon war: wir konnten unseren Campingplatz an der Küste nicht mehr erreichen und mussten uns eine neue Bleibe für die Nacht suchen sowie zum ersten Mal den Notfallplan rausholen: die bookingcom-App. Wir wollten einfach nur etwas preisgünstiges finden, warm duschen und am nächsten Morgen schnell wieder abfahren. Nix da! Es war ein wahres Abenteuer! Doch müssten wir den Ort zuerst finden! Und wie langweilig wäre das Leben eines BMW GS-Fahrers ohne sein BMW-Navigationsgerät! Mittlerweile glauben wir, dass dies alles mit Absicht programmiert wurde. Das Navi schickt Dich immer wieder auf Straßen, die es entweder nicht gibt, noch nicht gibt oder schon lange nicht mehr gibt, bzw. so steinig und löchrig sind, dass sie selbst für Bergsteiger mit dem Prädikat „schwierig“ verzeichnet werden sollten! Ich bin mir sicher, dass sich die Programmierer abends beim Bier treffen, gegenseitig Anekdoten erzählen und sich dabei kaputt lachen, wie sie den armen und nichts ahnenden Moped-Fahrern „offroad-feeling“ verpasst haben. Auch wir sind im Acker gelandet und haben auf einen griechischen Bauer gestoßen, der zuerst mit offenen Mund und großen Augen dann mit freundlich-skeptischem Lächeln uns gefragt hat, ob wir Hilfe brauchen. Stunden später haben wir die restlichen 30 km tatsächlich noch geschafft und das Hotel erreicht. Der junge Hotelbesitzer Stomatis war sehr freundlich und hat uns gefragt, ob wir denn seine E-Mail mit der Wegbeschreibung bekommen hätten. Wir lachten laut.

Archontiko Agonari
Archontiko Agonari

Dafür war das Hotel herrlich! Fast mittendrin im Wald auf einer Höhe von über 800m an einem Hang gelegen, bot auch die Terrasse eine traumhafte Aussicht. Darüber hinaus lernten wir auch, was griechische Gastfreundschaft bedeutet. Stomatis wollte uns die Strapazen der Anfahrt vergessen machen und fragte, ob wir nun die makedonische Spezialität Tsipouro kennen und probieren möchten. Spätestens als Stomatis sich zu uns an den Tisch setzte uns eine Runde aufs Haus anbot, hätten unsere Alarmglocken laut klingen müssen. Später haben wir recherchiert, dass Tsipouro eine hochprozentige (bis 45%) Spirituose ist! Zwei Karaffen davon haben gereicht, um unsere Bewegungssensoren stark zu beeinflussen. Vermutlich hätten wir bei der dritten Flasche angefangen, fließend Griechisch zu sprechen.

Die zweite Nacht in Griechenland haben wir am Thrakischen Meer verbracht. Dank „Connection“ aus Baden-Baden dürften wir eine Nacht im Apartment direkt am Strand verbringen! Dimitra, die Mutter von unserem Freund Saki, besitzt einige Apartmenthäuser am Strand und bot uns eine Wohnung für die Nacht an. Die Ortschaft heißt Nea Kabali und ist ein wahrer Geheimtipp. Direkt am Meer gegenüber der Insel Thasos gelegen, 15 Fahrminuten vom Kavala-Airport entfernt: das Dorf hat richtig Potential zum wahren Urlaubsparadies zu werden. Dies wurde vor wenigen Jahren im Ort erkannt, und es wird seitdem in den Ausbau und in die Infrastruktur fleißig investiert.

Bei Dimitra fühlten wir uns wie zu Hause! Eine tüchtige Geschäftsfrau aber mit einem Riesenherz! Sie empfing uns mit leckeren griechischen Spezialitäten und erzählte uns über die Region, über Griechenland, und dass sie 2015 während der großen Flüchtlingswelle mehrere Flüchtlingsfamilien in ihre Häuser aufgenommen (insgesamt 25 Personen) und über mehrere Monate verpflegt hat! Was für eine Frau! In unseren Augen – eine wahre Heldin! Denn man stelle sich vor, nicht jedem in dem Dorf hat dies gefallen.

Nun aber nach ca. zwei Wochen war die Zeit reif Richtung Heimat zu fahren: durch Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Tschechien. In Bulgarien hat uns der Regen fast durch das ganze Land begleitet, so haben wir nur unser Minimumziel erreicht: die Durchquerung des Balkan-Gebirge im Norden des Landes. In Rumänien hatten wir etwas mehr Wetterglück: wir nahmen uns Zeit, fuhren immer wieder „durch die Dörfer“ auf lokalen Straßen. So haben wir enorme Kontraste zwischen Land und Stadt gesehen: einerseits Touristen-Magneten wie Brasov, Bran oder Sibiu, andererseits von allen Göttern verlassene Dörfer, marode Straßen, Pferdekutschen und verwunderte Blicke der Einheimischen. Es war wie eine Zeitreise. Wir sprangen innerhalb von wenigen Kilometern vom 19. ins 21. Jahrhundert.

Das größte Highlight für die Motorradfahrer in Rumänien bleiben jedoch die Karpaten und die Nationalstraße DN67C, die Transalpina, eine sehr beliebte und touristisch bedeutsame Straße, die die sog. „Transsilvanischen Alpen“ durchquert und eine Höhe von 2132 m erreicht.

Anschließend sind wird in Ungarn angekommen und haben uns zwei Ziele vorgenommen: die (angeblich) älteste Stadt in Ungarn Eger und den Nationalpark Bükki. Die Stadt Eger war hübsch aber nicht wirklich spektakulär. Dafür aber die Strecke nach Miskolc ist einfach ein Traum: über 50 Kilometer kurvenreiche Strecke durch einen mysteriösen Wald… und mit erstaunlich wenig Verkehr! Die Weiterfahrt führte uns schließlich zur letzten Etappe der Reise: in die Slowakei, zur Hohen und Niederen Tatra, sowie durch Tschechien.

Wir kamen nach 20 Tagen erschöpft aber glücklich zurück nach Baden-Baden. Es war ein großartiges Abenteuer, voller überraschender Momente und unerwarteter Begegnungen. Wir haben im herzen Europas außergewöhnliche und unbekannte Orte entdeckt, uns ein eigenes Bild von den uns bis dato fremden Ländern gemacht.

Das Reisen auf dem Motorrad macht solche Erlebnisse noch direkter und intensiver. Es gibt keine schützende Blech-Box wie ein Auto, in die man sich zurückziehen und von der Außenwelt absperren kann. Du nimmst die Gegend, die Temperaturen, das Wetter direkt auf. Du schwitzt in der Hitze oder frierst im Regen, aber umso mehr genießt du die Momente, die das Motorradfahren so schön machen: den Fahrtwind, die Schräglage in den kurvenreichen Straßen, die Beschleunigung, Kraft der Maschine und die wahre Freude am Fahren. Du spürst die Reise auf der eigenen Haut, die diese spektakulär und unvergeßlich macht.

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