Meilenschwindel, Diamanten und Sperrgebiete

Deutsche Spuren in Namibia

Direkt nach dem Skeleton Coast National Park fuhr ich nach Swakopmund. Ich verbrachte dort zwei Tage und fand das Städtchen nett. Das Wort „nett“ wird leider öfters als Schimpfwort benutzt, wenn man irgendwas stinklangweilig findet und dies noch mit Sarkasmus zum Ausdruck bringen möchte. Aber ich fand Swakopmund im wahrsten Sinne des Wortes NETT, also nicht überwältigend schön oder extrem attraktiv, dafür aber angenehm – einfach nett. Es gab ein nettes Camping, wo ich einen netten Platz für mein Zelt und das Bike hatte, viele nette Häuser mit netten Gärten, Cafés und Restaurants mit leckeren Speisen, einen netten Strand, wo man entlang spazieren konnte. Am Ende war ich echt zufrieden, dort zwei nette Tage verbracht zu haben. 

Und es gab einen netten Mann in Swakopmund, der mich auf der Straße ansprach und um Hilfe bat: 

»Ich habe eine große Familie und sie hat Hunger. Können Sie mir helfen?«, lächelte er breit. 

»Eeee, ich denke schon«, antwortete ich etwas überrascht von seiner Frage. 

»Ok, kommen Sie mit«, sagte er schnell und lief los, als ob er mir die Chance sofort wegnehmen wollte, meine Entscheidung doch noch zu überdenken. 

Wir gingen in einen Supermarkt. Unterwegs erzählte er mir, dass er Zucker und Mehl für die Familie bräuchte. »Ok, kein Problem«, sagte ich. „Die zwei Sachen kann ich ihm definitiv kaufen“ – dachte ich, „Immerhin hat er nicht nach Geld, sondern nach Lebensmitteln gefragt.“ Ich folgte ihm und es sah so aus, als ob er sofort Bescheid wusste, wo was im Markt zu finden wäre. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht der erste glückliche Tourist war, der seine Einkäufe sponsern durfte. Wir hielten an der Zuckerabteilung und der Mann schnappte sich gleich einen 10kg-Sack! Meine Augen weiteten sich: 

»Mein lieber Freund! Übertreibe jetzt bitte nicht!«, sagte ich mit einem kritischen Blick. Er legte den XXL-Sack wieder zurück ins Regal und lächelte dabei schelmisch. Dann nahm er sich die nächste verfügbare Größe: 5kg! 

»Nein!«, sagte ich mit Nachdruck und nahm selbst ein 2kg-Sack vom Regal und übergab ihm diesen. »Ok«, sagte er und lächelte mich zufrieden an. »So, jetzt kriegst du dein Mehl und gut ist, ja?« – fragte ich. »Ok«, antwortete er. Diesmal wählte ich ihm selbst die Größe. Der Sack war etwa so groß wie der mit Zucker. »Kann ich noch eine Cola haben?«, fragte er. »Ja, ist in Ordnung«, willigte ich ein, ahnend, dass es gleich noch einen weiteren Wunsch geben würde. »Kaufst Du mir noch ein Hühnchen?« kam im Anschluss raus. »Nein!«, ich musste ihm jetzt zeigen, dass irgendwann Schluss ist. »Ok, kein Problem«, grinste er. Er hat‘s halt versucht. Ich war sicher, dass noch ganz viel auf seiner Einkaufsliste stand. 

Wir gingen nun zur Kasse und ich zahlte die Einkäufe. Mein Freund sagte noch kurz »danke!« und verschwand. Was für eine außergewöhnliche Begegnung! „Diese Karma-Punkte werde ich vielleicht bei meinem nächsten Offroad-Ausflug brauchen“ – ging mir noch durch den Kopf. Später bereute ich noch, ihm doch nicht die XXL-Säcke gekauft zu haben. Dafür hätte ich verlangen können, ihn nach Hause zu begleiten und zu schauen, wie er lebt, ob er nicht von seiner Frau misshandelt wird und ob seine Kinder (und wie viele) süß aussehen und neugierige Fragen stellen. Vielleicht hätten wir zusammen noch Tee getrunken und die von seiner Frau selbst gebackenen Kekse gegessen. Dann wäre ich allerdings Gefahr gelaufen, dass er noch ein Dach hätte, dass repariert hätte werden müssen oder sonst irgendwelche Gartenarbeiten. Verdammt! Ich habe soeben eine Chance verpasst, etwas außergewöhnliches zu erleben! 

Dieses kleine Supermarkt-Abenteuer war dann doch das Einzige, welches annäherend das Prädikat „exciting“ verdiente. Irgendwie war ich nicht sehr motiviert, mich mit der Stadt selbst zu beschäftigen: Museen aufzusuchen, über die Stadtgeschichte zu lernen, auf Erkundungstouren zu gehen. Ich freute mich viel mehr auf die andere Küstenstadt, die ich unbedingt kennenlernen wollte: Lüderitz! Der Name klang schon so, als gäbe es dort an jeder Ecke deutsche Spuren zu entdecken. Vielleicht nicht gleich einen Biergarten oder Curry-Wurst-Imbiss an jeder Ecke. Aber es war definitiv der deutscheste Stadtname in ganz Afrika! 1200km, zwei Tage und einen Sandsturm später war ich dort angekommen.

Lüderitz enttäuschte mich nicht. Ich verbrachte dort einige Tage und erfuhr viele interessante Stories aus der Stadtgeschichte. Den Anfang habe ich im stadtgeschichtlichen Museum gemacht, welches sich wohl vor zu großem Besucherandrang mit ziemlich strengen Öffnungszeiten schützt: Mntags bis Freitags, von 15:30-17:00 Uhr, für ganze 90 Minuten geöffnet! Das heißt, wenn man spät Lunch hat und der Kellner sich Zeit nimmt, den Nachtisch zu liefern oder die Rechnung zu übergeben, dann hast Du zwei Optionen: fliehen, ohne die Rechnung zu zahlen oder das Besuchszeitfenster im Museum zu verpassen. 

An jenem Tag verzichtete ich auf das Dessert und war pünktlich zur Öffnung vor Ort. Das kleine „Heimatmuseum“ bietet mehr an, als es auf den ersten Blick vermuten oder von den Öffnungszeiten erahnen läßt. Gegründet wurde es Mitte der 60er von den in Lüderitz lebenden Namibier deutscher Abstammung. Die Sammelstücke befinden sich alle in einem ca. 40-50qm großen Raum. Dazu gehören alte Waffen namibischer Stämme, Infotafeln zu diesen Völkern, geologische Funde aus der Region, Informationen zur Fauna und Flora. Es gibt natürlich auch Geschichten über die Anfänge der Stadt und ihrem Namensgeber Adolf Lüderitz. Es gab auch einen separaten Bereichüber die Geschichte der Diamantenförderung in der Region. Es ist die Geschichte der Siedlung Kolmannskuppe, die ca. 12 km östlich von Lüderitz liegt. 

Beide Geschichten, die von der Gründung von Lüderitz als auch die von Kolmannskuppe handeln von den ersten deutschen Versuchen, Gebiete in Afrika zu kolonialisieren, und von den ersten deutschen Abenteurern, die dort im südlichen Afrika nach Glück, Abenteuer und Reichtum suchten. 

Die Stadt Lüderitz (früher Lüderitzbucht) verdankt ihren Namen dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz. Mit reichlich Geld (seines Vaters) und Abenteuerlust gesegnet, unternahm der Adolf diverse Versuche in Übersee nach Erfolg und Ruhm zu greifen. Leider mit nicht sehr viel Glück. In Mexiko durchkreuzte eine Revolution seine Pläne und im westafrikanischen Lagos reichte sein unternehmerisches Geschick nicht aus, um es mit der britischen Konkurrenz aufzunehmen. Aufgeben wollte er dennoch nicht, denn an Geld mangelte es ihm nicht. 1866 heiratete er die reiche Bremerin Emmy von Lingen. 1878 verstarb sein Vater und Lüderitz übernahm sein profitables Tabakgeschäft. Nun konnte er sich wieder seinen Afrika-Träumen zuwenden und fand einen Partner, der dieselbe Passion teilte: den jungen Bremer Heinrich Vogelsang. Im Auftrag von Lüderitz fuhr Vogelsang zunächst nach Kapstadt, recherchierte ausführlich über Südwestafrika und fand heraus, dass die Bucht Angra Pequena ein günstiger Ort wäre, um dort eine Siedlung zu gründen und eine Basis für weitere Unternehmungen zu etablieren.

Da bisher keine der Kolonialmächte auf diesem Gebiet unterwegs waren, bot sich sogar die Chance, dort eine deutsche Kolonie zu gründen. Im Wege standen lediglich noch die einheimischen Stämme, denen das Gebiet gehörte. Die Deutschen machten einen Tauschhandel mit dem Nama-Stammesführer Josef Frederiks II. Für 100 Pfund in Gold und 200 Gewehre erhielt Lüderitz die Bucht Angra Pequena sowie das Land im Umkreis von 5 Meilen. Wenige Monate später wurde der Vertrag erweitert und für weitere 500 Pfund sowie 60 Gewehre vergrößerte sich der Besitz von Lüderitz um weitere 20 Meilen. Was Josef Frederiks nicht ahnte: Lüderitz meinte im Vertrag die preußischen Meilen (7,5km) und nicht die englischen (1,6km). So wurde der Chief über den Tisch gezogen und verlor auf einmal fast sein gesamtes Stammgebiet. Kein Wunder, dass dieser Handel in die Geschichte als „Meilenschwindel“ einging und dem Adolf Lüderitz den Spottnamen „Lügenfritz“ einbrachte. 

Nun begann Adolf Lüderitz mit der Suche nach Bodenschätzen, denn sein Geldbeutel fing langsam an, leer zu werden. Er holte Bergbauexperten und sandte Expeditionen aus. 1886 organisierte er mit Hilfe der deutschen Kolonialgesellschaft eine große Expedition zur Erkundung der Ansiedlungsmöglichkeiten an der Mündung des Oranje-Flusses. Diese hunderte von Kilometern lange Wanderung durch die Wüste erschöpfte ihn aber so sehr, dass er beschloss, den Rückweg auf einem Boot zurückzulegen, statt wie alle anderen den beschwerlichen Landweg zu nehmen. Seither hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Hätte Lüderitz zu seiner Zeit von der Benguela Atlantik-Strömung und ihre Gefahren gehört, wäre er wahrscheinlich brav mit den anderen nach Hause zurückspaziert. Aber man könnte auch sagen, Karma war im Spiel: der Meilenschwindel blieb nicht ungestraft… 

Zur Ehrung seiner Verdienste für die Gründung der ersten deutschen Kolonie verlieh die Kolonialgesellschaft der Bucht von Angra Pequena den neuen Namen Lüderitzbucht und die sich daraus später entwickelnde Stadt erhielt den Namen Lüderitz. 

Nun war mein persönliches fotografisches Highlight als nächstes dran: die Geisterstadt Kolmannskuppe. Die Recherche ergab, dass man die Siedlung am Vormittag besuchen konnte und es wurden zwei Führungen angeboten: eine um 9:00 und eine um 11:00 Uhr. So stand ich am 19. Dezember streberhaft um 8:30 Uhr im Museumscafé auf der Matte und wartete auf meine deutschsprachige Führerin. Gisela war eine zierliche, sicherlich über 70-jährige Frau, dafür aber mit viel Charisma und Energie. Sie erzählte, dass sie eine gebürtige Lüderitzerin sei. Mehr noch: bereits ihre Mutter wurde in Lüderitz geboren. 

Gisela selbst war eine wahre Enzyklopädie, was das Wissen über Lüderitz und Kolmannskuppe betrifft. Sie führte uns, eine kleine Gruppe Deutscher, durch die Häuser, erzählte uns ihre Geschichte und die von der Entstehung der Siedlung. Am Ende zeigte sie uns ein kleines Kriminalmuseum, zu dem ich noch später zurückkommen werden.

Für die Entstehung von Lüderitz war die Abenteuerlust, Mut, starker Wille und die List des Geschäftsmanns Adolf Lüderitz verantwortlich. Für die Geburt der Siedlung Kolmanskuppe trug Asthma bei. August Stauch, Mitarbeiter der Reichsbahn im thüringischen Ettenhausen, litt nämlich an einem überempfindlichen Bronchialsystem. Auf Empfehlung seines Arztes ließ er sich nach Deutsch-Südwestafrika versetzten, wo er die ziemlich öde Aufgabe bekam, die Bahnstrecke zwischen den beiden Städtchen Aus und Lüderitz vom Sand frei zu halten. Es ist nicht überliefert, wie gut sich das trockene und heiße Klima der Namib-Wüste auf seine Gesundheit auswirkte. Es ist aber ziemlich genau bekannt, dass es seinem Geldbeutel zugute kam. Am 10. April 1908 kam Zacharias Lewala, einer der Mitarbeiter, zu Stauch und hielt ihm ein glitzerndes Steinchen vor die Nase. Als Hobby-Mineraloge erkannte Stauch, dass dieser Fund von Bedeutung sein könnte. Er steckte den Stein erst einmal in die Tasche und tat so, als ob er nicht von großer Bedeutung wäre. Ein paar Tage später ließ er den Stein von einem Profi-Geologen untersuchen und erlangte die Gewissheit: es handelte sich um einen reinen Diamanten. Kurzer Hand schmiß er den Beamtenjob bei der Bahn hin und sicherte sich schnell mehrere Claims, also Gebietsrechte, um nach Bodenschätzen zu graben, dort wo der erste Stein gefunden wurde. Die Nachricht über den Fund konnte Stauch nicht sehr lange für sich behalten. Es brach ein wahres Diamanten-Fieber aus. Fast über Nacht kamen andere Diamantensucher; es entstand schnell ein Camp und schon bald das Städtchen Kolmannskuppe. Den Namen verdankt die Siedlung allerdings Johnny Coleman, einem Einheimischen aus dem Stamm Nama, der an dieser Stelle mit seinem Ochsenkarren während eines Sandsturms stecken blieb. Coleman konnte sich retten, musste allerdings seinen Karren samt Zugtier hinter sich lassen. Dass er selbst überlebte, musste die Lokalbevölkerung so schwer beeindruckt haben, dass sie die Siedlung nach ihm benannten, vielleicht in der Hoffnung, dass die Stadt, wie einst Coleman, der Namib-Wüste trotzen würde. 

Und die Namib hat es in sich. Sie ist mit 80 Mio. Jahren die älteste Wüste der Welt und zugleich einer der unwirtschaftlichsten Orte der Erde: tagsüber können die Temperaturen über 50° erreichen, nachts unter 0° fallen, es gibt häufige Sandstürme (bis zu 200 im Jahr) und jahrzehntelang andauernde Trockenperioden. Es gibt hier kaum Vegetation. Eine berühmte Ausnahme ist die Welwitschia mirabilis, auch liebevoll Welwitschie genannt, eine sehr interessante Pflanze! Die Welwitschie (genannt so nach dem Entdecker, dem österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch) ist ein interessantes und zugleich extrem sonderbares Gewächs. Außer ihrer Fähigkeit extrem lange Durstperioden zu überleben, ist die Welwitschie sehr langlebig: sie schafft es, mehrere hundert Jahre zu leben. Es gibt sogar über 1500 Jahre alte Exemplare. Mehr noch: diese Pflanze ist der einzige Vertreter der eigenen Gattung, und obwohl sie nicht vom Aussterben bedroht ist, steht sie wegen ihrer Bekanntheit unter Schutz. Man darf nicht einfach so in die Wüste mit einer Schaufel fahren und sich die Pflanze für den eigenen Garten ausgraben. Dafür ist aber der Handel mit den Samen gestattet. Also, wenn es Leute gibt, die es schaffen, Kakteen verdursten zu lassen, dann könnten sie vielleicht mit der Welwitschie mehr Glück haben. Man muss sie nur alle paar Jahrzehnte gießen.

Wie sieht nun dieses Sonderling aus? Ich würde sagen: fast wie ein toter Alien, der aus dem All kam, Pech hatte und in der Wüste austrocknete, weil ihn niemand wieder abholte. Dieses Monstrum wächst nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Platz ist ja genug da. Die grün-braunen Blätter, die an den Enden ausgetrocknet zu grau-silbernen langen Strähnen werden, können bis zu mehreren Metern lang sein. In der Mitte befindet sich die Blüte: eine Ansammlung von lila-roten „Parasitenpilzen“, die die Pflanze befallen haben und sie ins Verderben brachten. Ich habe noch nie so ein sonderbares Gewächs gesehen. 

Nun aber zurück zu unserer Diamanten-Siedlung, die ebenso ein wahres Wunder war. Die Stadt wurde wörtlich auf Sand gebaut. In der Umgebung gab es kein Trinkwasser, keinen Boden, um etwas Essbares anzubauen. Nur Sand und immer wieder Sandstürme. Aber die Diamanten machten es möglich: innerhalb kürzester Zeit entstand eine Stadt, die an Reichtum und Dekadenz zu damaliger Zeit unübertroffen war. Sie wurde zur reichsten Stadt Afrikas, gemessen am pro Kopf-Einkommen. Den 400 Bewohnern von Kolmannskuppe hat es an nichts gefehlt: es gab eine Turnhalle und einen Ballsaal, eine Eis- und Limonadenfabrik, Tante-Emma-Laden, Bäckerei und Metzgerei, Kegelbahn mit einer Bar, Casino, Schule und ein Elektrizitätswerk. Man musste das Trinkwasser aus dem 1000km entfernten Kapstadt per Schiff transportieren, was die Bewohner aber nicht daran hinderte, ein Schwimmbad zu bauen. Dekadenter ging es nicht. Die Oberschicht wohnte in herrschaftlichen Villen mit Gärten. Das Baumaterial und die Möbel wurden aus Deutschland geholt. Die einfachen (weißen) Mitarbeiter lebten in Holzhäusern. Die ca. 800 schwarzen Hilfsarbeiter (vom Ovambo-Stamm) lebten in Baracken außerhalb der Stadt. Da war die Großzügigkeit und Spendierlaune der weißen Herren auch nicht mehr so ausgeprägt. Es kümmerte niemanden, dass es für zwei schwarze Arbeiter nur ein Bett gab: da es 12-stündige Schichten gab, wechselte man sich halt beim Schlafen ab. Der Arbeitstag war auch kein Zuckerschlecken. Die Arbeiter krochen bei über 40°C im Sand auf dem Bauch und sammelten kostbare glitzernden Steinchen. Ausbeutung in besten kolonialen Manieren. 

In Kolmanskuppe gab es auch ein Krankenhaus, dass außerdem das erste Röntgen-Gerät auf afrikanischen Boden besaß. Es war natürlich nicht dafür da, um gebrochene Extremitäten zu untersuchen, sondern um das Innere der Diamantendiebe zu durchleuchten um sicherzugehen, dass sie die Ware nicht verschluckt oder sie in sonstigen Körperöffnungen verstecken wollten. 

Doch nach der ersten wilden Phase des Steinesammelns kam die deutsche Kolonialverwaltung und setzte dem Diamanten-Fieber einen Dämpfer: im September 1908 (nur 4 Monate nach der Entdeckung) wurde ein Sperrgebiet errichtet. Es war ca. 100km breit und 300km lang. Von nun an wollte der Staat von dem Schatz Profit schlagen und duldete keinen wilden Abbau mehr. Natürlich behielt August Stauch und all die anderen, die sich die Claims bereits gesichert hatten, ihre Rechte. Stauch selbst verdiente Millionen mit den Diamanten und zog sich dann nach knapp 20 Jahren zurück aus dem Geschäft. Leider hatte ihn später das Glück verlassen: er verlor sein Gesamtvermögen in der Weltwirtschaftskrise 1930. Er starb 1947 im Krankenhaus in seiner thüringischer Heimat an Magenkrebs. Man fand bei ihm gerade 2,50 Mark. 

Die Blütezeit Kolmannskuppe dauerte nicht lange. Die Diamantenvorkommen waren bald erschöpft. Und als man 1931 neue Diamantenfelder an der Oranje-Mündung entdeckte, ließen die Bewohner alles liegen und zogen gen Süden. 1956 machte das Krankenhaus zu und kurz darauf verließ der „letze Mohikaner“ die Siedlung. Die Namib-Wüste holte sich dann das Gebiet nach und nach zurück. Kolmannskuppe wurde zur „Geisterstadt“. Sie verfiel mehr und mehr. Mit der Zeit wurde sie auch zur „Fundgrube“ für die Bewohner von Lüderitz, die Baumaterial benötigten. Und dort wo man die Türen und Fenster nicht schloß, füllten sich die Räume mit Sand, sogar bis unter die Decke.

In den 1980-er Jahren sagte man dem Vandalismus „stop“ und begann mit der Restaurierung von einigen Gebäuden. Heute ist Kolmannskuppe ein Freilichtmuseum der besonderen Art. Die Turnhalle wurde saniert, ein Shop und ein Café eingerichtet. Man kann auch die mit Sand gefüllten Häuser besuchen – wenn sie nicht akut einsturzgefährdet sind. Manche – wie das Krankenhaus – wirken etwas gruselig. 

Sehr sehenswert ist das kleine Kriminalmuseum, das die spektakulärsten Diamanten-Diebstahlversuche dokumentiert hat. Einige davon lassen staunen, wie einfallsreich so mancher Versuch war: zu große Schuhe, Tauben als Lieferanten, Armbrust, um die Diamanten in die Wüste zu schießen. Vom eigenen Körper als Versteck war schon die Rede. Diese Vorfälle beziehen sich nicht nur auf Kolmannskuppe, sondern auf die gesamte Diamanten-Region. Denn nachdem die Vorkommen erschöpft waren – immerhin wurden dort 6,5 Mio. Karat abgebaut (1,3 Tonne Diamanten!) – fand man andere Diamantenfelder. Der Abbau von Diamanten dauert bis heute an.  Namibia ist heute immerhin Nummer 3 weltweit. 

Das damalige Sperrgebiet ist heute noch immer vorhanden. Man braucht eine spezielle Erlaubnis, um dort ein Fuß hinein zu setzen – natürlich nur unter Aufsicht. Die namibische Regierung erklärte das Gebiet immerhin zum Nationalpark. In einigen Jahren sollte auch die Sperrung aufgehoben werden und man wird das Gebiet wieder frei bereisen können. Vielleicht liegt da noch so mancher Diamant und wartet darauf, gefunden zu werden. 

Zu den Fotogalerien

„Africa for dummies“

Die Fahrt durch Angola dauerte fast drei Tage. Dylan und Yasmin waren etwas in Eile, denn sie mussten vor dem 15. Dezember in Kapstadt sein: Dylan‘s Schwester wollte heiraten. Ich stand vor der Wahl: entweder bleibe ich länger in Angola und schaue mir das Land genauer an oder ich fahre mit meinen neuen Freunden direkt nach Namibia weiter. Ich genoss die Fahrt mit den beiden so sehr, dass Angola den Kürzeren ziehen musste. Irgendwie fühlte ich mich auch etwas verantwortlich für die beiden und wollte sie nicht alleine weiterziehen lassen.

Die Rollenverteilung in unserem Team funktionierte auch ganz gut: Dylan war unser Mechaniker, Yasmin verhandelte die Preise überall und organisierte Essen aus dem Nichts. Ich führte unsere kleine Gruppe unterwegs als Navigator an. Eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe, die ein hohes Maß an Sachkenntnis erfordert: Ich gab die GPS-Koordinaten ins Navi ein und folgte den Anweisungen. Direkt hinter mir folgte Yasmin und am Ende fuhr Dylan, auf den dann niemand mehr aufpasste. So fuhren wir eines Tages bis in die Nacht hinein. Eine kleine Tankstellenpause ergab, dass sich das Zelt an Dylan‘s Bike gelöst hatte und ins Hinterrad reingeraten war. Er musste so kilometerweit gefahren sein, denn von seinem Zelt blieben am Ende nur noch Fetzen übrig. Dylan merkte nichts davon. Er meinte nur eine eigenartige Geruchskulisse wahrgenommen zu haben. Er habe sich dabei nichts gedacht. Für die gemeinsame Weiterreise erledigte sich somit die Camping-Option. Dylan strahle und grinste breit, als hätte er gerade einen Preis in der Kategorie: „Die lustigste Art und Weise, das eigene Zelt während einer Afrika-Reise zu zerstören“ gewonnen.

Zwei Tage später grinste Dylan erneut: 80km vor Windhoek riss ihm die Kette bei voller Fahrt. Ich merkte das nicht sofort. Da ich nicht konstant in den Rückspiegel schaute, merkte ich erst ein Weilchen später, dass mir niemand mehr folgte. Yasmin hörte den Krach hinter ihr und stoppte gleich, während ich nichts davon mitbekam. So drehte ich um und fand die beiden vor, als sie die Kettenteile von der Straße sammelten. Beide bestens gelaunt, da musste ich selbst mitlachen.

Die Kette riss, nicht weil sie schlecht montiert war, sondern weil sie nicht so richtig für das Motorradmodel passte und weil ihre Qualität viel zu wünschen übrig ließ. Zum Glück behielt Dylan die alte Kette, die er dann zurückmontierte. Später erfuhr ich, dass auch Yasmin‘s neue Kette kurz vor Kapstadt riss. Ich war nicht dabei, ich stellte mir aber bildlich vor, wie sie erneut die Kettenteile von der Straße sammelten und dabei Witze rissen. So viel Humor, Lebensfreude und Gelassenheit muss man echt haben!

Irgendwann erreichten wir auch die namibische Hauptstadt, Windhoek. Auf uns sollte Ray warten, ein Namibier deutscher Abstammung, der eigentlich Raymond hieß. Dylan kontaktierte ihn, weil seine Schwester eine Freundin von ihm kannte. So ein Arrangement klingt kompliziert, funktioniert aber bestens: Dylan und Yasmin sollten sein Gästezimmer, ich seine Couch im Wohnzimmer bekommen. Als wir eintrafen, war Ray gerade mit Freunden unterwegs und bat uns ein paar Stunden zu warten. Es war kein Problem. Wir suchten uns auf Google ein lokales Restaurant, wo wir was essen konnten und fuhren hin. Wir bestellten unsere Hamburger und Getränke und unterhielten uns über das bereits Erlebte als wir merkten, dass uns Leute von einem Nachbartisch anstarrten. Ich dachte, ok wieder mal jemand, der neugierig auf uns ist und wissen will, wo wir herkommen. In unseren schmutzigen Biker-Klammotten sahen wir aus, als würde es sich lohnen, uns ein paar Fragen zu stellen. Plötzlich stand ein Kerl auf und fragte uns: »Ist einer von Euch vielleicht Dylan?« Wir schauten erstaunt zurück. »Das bin ich«, sagte Dylan. »Cool, das dachte ich schon die ganze Zeit. Ich bin nämlich Ray«. Wir lachten auf und schoben dann für den Rest des Abends unsere Tische zusammen.

Wir verbrachten ein paar schöne Tage bei Ray. Windhoek erwies sich als moderne und saubere Stadt. Dylan bekam auch ein neues, passendes Ketten-Set für seine BMW und Yasmin kaufte sich einen neuen Helm. Ich wollte den lokalen BMW-Dealer ebenfalls besuchen, um mein Motorrad endlich mal fachmännisch checken zu lassen. Dieses Mal funktionierte alles einwandfrei. Ich wurde sehr nett empfangen und in eine exzellent ausgestattete Werkstatt eingeladen. Meine Maschine wurde an den Rechner angeschlossen und alles war top! Der Mechaniker sprach Deutsch und es sah danach aus, als hätte er sein Fach richtig im Griff. Am Ende musste ich nichts bezahlen und der Manager wünschte mir eine gute Weiterfahrt! So stelle ich mir einen guten Service vor! Lediglich eine Sache störte das perfekte Gesamtbild und irritierte mich sehr: der Mechaniker hatte ein großes Hakenkreuz auf der Rückseite seines Handys! Und es war eindeutig als solches zu erkennen. Ein hinduistisches Symbol des Glücks war das definitiv nicht. Wochen später, als ich mich mit einem Biker in Südafrika darüber unterhielt, meinte er auch, davon gehört zu haben. Dieser Mechaniker scheint in der Biker-Szene bekannt zu sein, angeblich ist er noch mit Nazi-Symbolen tätowiert. Das erstaunte mich sehr! Ein lizensierter BMW-Dealer lässt bei den Mitarbeitern Nazi-Symbole zu? Weiß er das überhaupt?

Ray und sein Mitbewohner LeRoux erzählten uns viel über Namibia. Ich bekam große Lust, etwas länger im Land zu bleiben. Dylan und Yasmin wollten die Hochzeit in Kapstadt nicht verpassen und mussten bald weiterfahren. Ich hatte noch Zeit und entschied mich, mehr von Namibia sehen zu wollen. Ray meinte, Namibia ist „Africa for dummies“: man bekommt hier alles, was man braucht, es ist leicht zu reisen, die Infrastruktur ist gut und das Benzin billig. Die Lebensmittel sind nicht teuer und überall gibt es Geschäfte, wo man alles kaufen kann. Außerdem gibt es schöne Nationalparks und tolle Landschaften. Im Allgemeinen, ist es wie in Europa. Mir war klar, dass ich mich selbst davon überzeugen musste!

Der Abschied von meinen Biker-Freunden fiel mir schwer. Wir haben aber entschieden, uns erneut in Kapstadt zu treffen. Selbst die Technik am Abreisetag streikte. Zuerst wollte das Moped von Dylan nicht starten. Nach der Reparatur am Vortag hatte er vergessen, den Schlüssel aus der Zündung zu ziehen – sie war die ganze Zeit an. Wir überbrückten sein Bike und starteten es erneut. Es funktionierte! Abfahrtbereit stellten wir jedoch fest: jetzt streikte das Bike von Yasmin. Also, gleiche Geschichte von vorne: das ganze Gepäck wieder abnehmen und die Batteriebekleidung erneut abbauen. Irgendwann konnte ich nicht mehr warten: ich hatte einen Termin beim BMW-Service. Ich dachte nur, dass wenn sie heute nicht abfahren, komme ich auch zurück. Es ging aber doch. Ich bekam die Nachricht: »Beide Bikes laufen, wir sind unterwegs«.

Mein Plan für Namibia war nicht kompliziert: ich wollte den Skeleton Coast National Park besuchen, und später noch zwei Städte besichtigen: Swakopmund und Lüderitz. Ich hatte nicht endlos viel Zeit. Blöderweise gab ich bei Enreise an, dass ich zwei Wochen in Namibia bleiben werde. Und die habe ich auch bekommen: keinen Tag länger. So hatte ich nur noch rund eine Woche Zeit, nachdem ich bereits mehrere Tage in Windhoek verbrachte.

Ich freute mich auf den Nationalpark. Da ich den Etosha-Park nicht bereisen konnte – zum einen, weil ich mich beeilen musste und zum anderen, weil der Park für Motorräder angeblich gesperrt war -, fuhr ich in den Nordwesten des Landes. Die von mir etwas gefürchteten Schotterwege erwiesen sich als befahrbar. Unterwegs zum Eingangsgate fuhr ich an einem Himba-Dorf vorbei. Ich hielt kurz und wurde gleich eingeladen, mir das Dorf anzuschauen. Ich durfte fotografieren und Tumbee erzählte mir die Geschichte vom Himba-Volk, führte mich an den Hütten vorbei und ermöglichte mir die Teilnahme an einer interessanten Zeremonie. Tambee fragte mich, ob ich sehen möchte, wie sich die Himba-Frauen duschen. Ich blieb stehen: »Wie bitte?«, fragte ich verunsichert. Ich dachte noch nach, was wäre, wenn man so eine Frage in Europa stellen würde: »Du Martin, möchtest Du sehen, wie sich die Frauen in unserem Dorf duschen?«. Selbst in der fortschrittlichsten Berliner Subkultur-Gegend hätte eine solche Frage Erstaunen hervorgerufen, außer man hätte sich bereits von einem Swingerclub-Besuch gekannt. Da ich jedoch von Natur aus auf fremde Kulturen neugierig bin, willigte ich ein. »Die nackten Brüste habe ich bereits gesehen, die Frauen laufen ja so rum«, dachte ich noch.

Am Ende erwartete mich keine Erotik-Show sondern eine traditionelle Himba-Zeremonie. Wir gingen in die „Duschkabine“ – dort wartete bereits die Dorfprinzessin Ngajona Tjiurua aus uns. Sie zündete ein paar Räucherstäbchen an und führte sich das rauchende „Parfüm“ unter den Achseln durch. Nach einer Minute war die Prinzessin „geduscht“. Da Wasser ein sehr kostbares Gut für die Himba ist, verschwenden sie es nicht zum Waschen«, erklärte Tumbee. Er erzählte mir noch, dass es gerade eine sehr schwere Zeit für die Himba sei, weil alle Tiere durch die Dürre versterben und die einzige Einnahmequelle die Touristen seien. Sie verkaufen ihnen den selbsthergestellten Schmuck und tanzen ab und zu traditionelle Tänze vor. Tumbee sprach gutes Englisch, da er als Einziger in Windhoek studierte. Er erzählte mir noch eine Trivialität: die Himba schlagen sich die unteren vier Zähne aus, damit sie ihre Sprache besser sprechen können! Dies geschieht während einer speziellen Zeremonie, sobald die Kinder das entsprechende Alter erreicht haben. »Es ist sehr schmerzhaft«, berichtete Tumbee und zeigte mir seine Zahnlücken mit Stolz.

Nach einigen Stunden im Dorf fuhr ich dann weiter. Tumbee bot mir noch eine Übernachtung an. Heute bedauere ich sehr, nicht geblieben zu sein. Eine Himba-Dusche hätte mir sicherlich nicht geschadet und ich hätte bestimmt noch vieles mehr über das Leben im Dorf erfahren.

Der Besuch im Skeleton Park war spektakulär. Unendliche Weiten, gerade Strecken bis zum Horizont und großartige Landschaften, die man wahrscheinlich nur dort sehen kann. Es gibt zwei Versionen, woher der Park seinen Namen hat: entweder von den vielen Schiffswracks an der gleichnamigen Skeleton-Küste, oder von den Walknochen, die dort oft strandeten und die letzte Ruhestätte fanden. Etwa 40km breit und 500km lang wird er als „The world‘s largest ship cemetery“ bezeichnet. Dort herrscht ein raues Wetter: Dauernebel, stürmische Winde, unruhige Küstengewässer, hohe Wellen und die Wüste. Wer es ans Land schaffte, hatte nur eine kleine Überlebenschance: die meisten verdursteten im Anschluss.

Vor dem Eingangstor las ich das Gefahrenschild, Gefahren die meist von Wildtieren ausgehen. Das eigene Fahrzeug sollte nicht verlassen werden und Motorräder sind dort illegal. Niemand wollte mich jedoch stoppen. Es gab keine Fragen. Ich füllte das Formular aus, dass ich dann am Ausgang wieder abgeben sollte. Die Durchfahrt ist kostenlos, wenn man den Park am selben Tag verlässt. Nach ca. drei-vier Stunden Fahrt war ich wieder raus. Kein Löwe wollte mich fressen. Ich habe nicht mal eine tote Maus gesehen! Nichts! Die Fahrt war aber in einer ziemlich lebensunfreundlichen Umgebung. Schon ein Wunder, dass dort tatsächlich Elefanten, Löwen, Hyänen, Schakale, Kudus, Zebras und viele weitere Tierarten vorhanden sein sollten. Ich fuhr im starken Wind und teils im Nebel auf der Schotterpiste seelenruhig durch. Von Zeit zu Zeit kam mir ein Geländeauto entgegen.

Zu Gast bei den Bikern

Nach nur zwei Tagen in der Demokratischen Republik Kongo war ich schon an der Grenze zu Angola. Eigentlich schade. Ich hätte gern ein paar Tage mehr im „zweiten Kongo“ verbracht, mir Kinshasa angeschaut, vielleicht ein paar neue Leute kennengelernt. Es ergab sich aber nicht. Mein Couch-Surfing-Kontakt meldete sich zurück als ich schon in Angola war. Die Erklärung war auch sehr nachvollziehbar: »Sie habe ihr Handy verloren, so sei sie für mehrere Tage nicht erreichbar gewesen. Das Handy sei jetzt wieder aufgetaucht, schade nur, dass ich jetzt abgereist sei.«

Nach wieder mal extrem undurchsichtigen Verhältnissen an der Grenze in der DR Kongo, war ich nun zurück in der Zivilisation! In DR Kongo musste ich durch endlose Menschenmengen, Schlamm und tiefe Wasserlachen fahren, es ging zu wie auf einem riesigen chaotischen Markt, wo jeder mit Gewalt die eigene Ware loswerden und die anderen sie dann nach dem Kauf abtransportieren wollten – mit allem was Räder hat: Eselskutschen, Dreirad-Mopeds, hoch beladene Fahrräder, Karren aller Art. Es herrschte Hochbetrieb. Die Leute wollten ja ebenfalls die Grenze zu Angola überqueren. So fuhr ich durch dieses Chaos und suchte nach dem Gebäude, wo „Immigration“ drauf stehen sollte und ich meinen Reisepass abstempeln lassen konnte.

Dann kurz vor dem gelobten Gebäude geschah es: ich blieb in einem tiefen Wassergraben stecken. Mein erster Reflex, um doch noch mit Schwung rauszukommen, war wohl ein großer Fehler: ich gab Gas. Hinter mir spritzte das Schlammwasser meterhoch! Die Leute fingen an zu schreien und heftig zu gestikulieren. Warum sie mich im Anschluss nicht gelyncht, verprügelt oder mindestens mit Steinen beworfen haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Was machten sie stattdessen? Sie halfen mir aus dem Schlamm rauszukommen. Ich liebe Afrika!

Nachdem ich den Ausreisestempel bekommen hatte, stellte ich fest, dass ich das Zollamt um drei Kilometer verpasst hatte. So musste ich schon wieder durch die Menschenmassen und den Dreck zurückfahren, das Carnet abstempeln lassen und dann wieder zum dritten Mal durch. Das war ein Abenteuer, worauf man normalerweise gerne verzichtet.

Als ich dann endlich in Angola ankam, war ich sehr erleichtert. Ich war nun „zu Gast“ in einem klimatisierten, exzellent ausgestattetem Büro, mit uniformierten Zollbeamten, die allesamt gutes Englisch sprachen. Was für ein Unterschied! Es machte mir gar nichts aus, dass mein Carnet in Angola nicht zählte: ich zahlte gerne die 6 Euro für das angolanische TIP (temporary import permit). Ein junger Beamter entschuldigte sich für den Umstand, händigte mir das TIP aus und sagte: »Welcome to Angola, Sir! Enjoy your stay.« Das ist mir während der ganzen bisherigen Reise an keiner Grenze zuvor passiert. Ich mochte das Land auf Anhieb.

Nach einem zweitägigen Ritt kam ich endlich in Luanda an. Ich habe schon viel früher von den angolanischen Biker-Clubs gehört und wollte sie auch mal persönlich kennenlernen. Von vielen Reisenden hörte ich zunächst viel von den „Amigos da Picada“. Die Amigos scheinen der bekannteste und größte Biker-Club in Angola zu sein. So „warnten“ mich die anderen Biker: »Fahr nach Angola und die Amigos werden dich finden«. Was nach einer „Drohung“ klang, war nett gemeint: die Amigos seien sehr freundlich, hilfsbereit und lassen Dich nie im Stich.

Dies machte mich sehr neugierig. Ich schrieb sie an und kontaktierte über Facebook deren Präsidenten. Ich erhielt lange keine Antwort. Irgendwann bekam ich dann die Whatsappnummer des Präsidenten. Ich schrieb ihn erneut an und erhielt als Antwort ein kurzes Image-Video über Angola, worauf ein paar Landschaften zu sehen waren. Ich fand das schon ziemlich enttäuschend.

In der Zwischenzeit fand ich eine Information auf iOverlander, dass es in Luanda einen Biker-Club-Präsidenten gibt, der eine „Open-Invitation“ für alle Overland-Reisenden, insbesondere für Biker ausgesprochen hatte. In der App standen die GPS-Koordinaten, sowie eine Beschreibung, wo man sein Haus findet. Das fand ich großartig! Ich freute mich riesig darauf, die angolanischen Biker doch noch kennenlernen zu können! Ohne Vorankündigung oder gar Anfrage fuhr ich einfach hin.

Wenn man die US-Serie „Sons of Anarchy“ kennt, hat man eine etwas spezielle Vorstellung davon, was die Biker alles so treiben, womit sie ihre Brötchen verdienen und dass man ihnen besser nicht in die Quere kommen sollte. Ich dachte daran und lachte innerlich darüber als ich an dem Haus von Carlos, dem Präsidenten der „Anjos Bantu“, eintraf.

Mir wurde das Tor geöffnet, ich fuhr rein und staunte: ich war an einem schönen Haus mit großen Glaswänden, mit einem Pool und Barbecue-Bereich, mich begrüßten gleich drei ausgewachsene und sehr freundliche Doggen. Aus dem Haus kam dann gleich eine schöne junge Frau und fragte mich mit einer Selbstverständlichkeit: »Herzlich Willkommen! Hast Du Hunger? Wir essen gerade zu Lunch.« Es war Andrea, die Tochter von Carlos. Am Esstischstuhl hing ihre Biker-Kutte mit der Aufschrift „Vice-President“. Ich lernte noch André, den Verlobten von Andrea kennen. Ich setzte mich zu ihnen, wir aßen zusammen und ich fühlte mich gleich wie bei guten Freunden. Danach wurde mir ein eigenes Zimmer zugewiesen, ich hatte sogar ein eigenes Bad mit Dusche bekommen. Was für ein Luxus! So lässt sich gut reisen!

Ich freundete mich auch mit André an. Ein sehr freundlicher und sympathischer Kerl, wir haben uns auf Anhieb bestens verstanden. Ich wollte ihn ein bisschen über den Club ausfragen und erfuhr, dass er selbst kein Motorradfahrer ist, da er selbst einmal in der Vergangenheit ein kleines Moped fuhr und dies schief ging. Er arbeitet als Sales Director in der Firma von Carlos. Die Firma stellt diverse Werbe- und Infotaffeln her, allerlei Aufkleber und sonstiges Marketingmaterial. Der Club betreibt noch eine „Pirates Bar“ an einem Aqua-Park, wo sie Säfte und Erfrischungsgetränke an die Kinder verkaufen. Da das Geschäft aber nicht so toll läuft, waren sie gerade dabei, es aufzulösen. Andrea erzählte mir dann später, womit sich der Club beschäftigt: neben den Sonntagsausflügen für die Mitglieder organisierten sie noch Spenden für Bedürftige, halfen armen Kindern und Obdachlosen. »Wow«, dachte ich grinsend. »Was für eine „gefährliche“ Biker-Gang. Man muss sie einfach lieben!« Wäre ich in Angola für längere Zeit, würde ich mich sofort als neues Mitglied anmelden. Carlos konnte ich leider nicht persönlich kennenlernen. Er war außerhalb des Landes, als ich in seinem Haus war.

Nun war ich da, etwas mitgenommen nach der langen Reise und sehr glücklich darüber, dass ich jetzt ein eigenes Zimmer mit Bad hatte. Ich lag im Bett, frisch geduscht und checkte meine Nachrichten. Plötzlich hörte ich ein Klopfen an der Tür. Da standen zwei Leute vor mir und sagten, dass sie auf Motorrädern unterwegs und gerade angekommen seien. Sie sahen aus, als ob sie mehr als nur eine erfrischende Dusche brauchen würden. Sie machten eher den Eindruck, als ob sie auf der Flucht vor einer Horde wilder Hunde und zwar seit mindestens einer Woche gewesen wären: Hosen in Fetzen, die anderen Kleidungsstücke waren ebenfalls in desolatem Zustand. Aber sie strahlten und grinsten breit! Ich hatte gemischte Gefühle. Im ersten Moment dachte ich erschrocken: „Shit! Muss ich jetzt mein Zimmer mit diesen Leuten teilen?“ Der Gedanke war aber sofort weg. Sie sahen so krass mitgenommen, dennoch super glücklich aus. Ich fand die beiden auf Anhieb sehr sympathisch. Sie stellten sich vor: Yasmin aus London und Dylan aus Kapstadt. Sie fuhren in London los, waren bereits neun Monate in Afrika unterwegs. Sie hatten ein Auto, haben es aber unterwegs gegen zwei Motorräder umgetauscht! Eine exzellente Entscheidung!

Dann sagte Dylan: »Wir möchten gerne in die Stadt gehen, und ein Restaurant finden. Morgen hat Yasmin Geburtstag und wir würden gerne vorfeiern. Kommst Du mit?«

Ich traute meinen Ohren nicht: »Was? Du hast morgen Geburtstag? Ich nämlich auch!«

Wir feierten zwei Tage lang zu dritt! Ganz unerwartet wurde es zu einem richtigen Geburtstag! Vorher dachte ich, dass ich den Tag einfach in Ruhe in meinem Zimmer verbringen, den Tag durchschlafen und vielleicht maximal in der Nase bohren würde. Es sollte aber nicht so sein. André und Andrea haben uns sogar eine Torte gebracht! Die eine Kerze durften Yasmin und ich gemeinsam auspusten.

Für Luanda hatte ich keine großen Pläne. Ich wollte nur mein Motorrad beim BMW-Service checken lassen, mir die Stadt anschauen und dann weiterziehen. Da meine neuen Freunde länger auf ihre Ersatzteile warten mussten, entschied ich mich auch so lange zu bleiben. Der Ort war einfach auch sehr verlockend: ein Supermarkt mit Bier in der Nähe und ein Grill, gleich am Pool. Wir entschieden uns, den Weg nach Namibia zusammen zu machen. Zum ersten Mal in Afrika hatte ich Begleitung unterwegs. Eine völlig neue Erfahrung. Ich bin ein freiheitsliebender und unabhängiger Motorradreisender, d.h. ich entscheide gerne selbst, wann ich aufstehe, wie schnell ich fahre, wo ich eine Pipi-Pause und wo ich keine Zigarettenpause mache, wann ich zum Fotografieren stoppe und wo ich übernachte. Aber ich freute mich auf die gemeinsame Fahrt, insbesondere mit zwei so sympathischen und positiv verrückten Leute.

Während Dylan und Yasmin auf ihre Ersatzketten warteten, fuhr ich ins Stadtzentrum, um den BMW-Dealer und die Werkstatt zu besuchen. Es waren keine großartigen Reparaturen notwendig. Lediglich plagte mich seit wenigen Tagen eine Sorge: der Motor arbeitete eigenartig, immer wieder ging er an Kreuzungen aus. Meine Vermutung war, dass der Luftfilter stark verschmutzt war, denn seit der letzten Inspektion in Nigeria fuhr ich sehr viel durch Dreck und Staub. Im Grunde hätte ich den Filter auch selbst auswaschen, bzw. reinigen können, wollte aber auch, dass die Werkstatt mein Motorrad an den Computer anschließt, um die Fehler auszulesen. So der Plan, in Lagos lief alles perfekt ab. Ich habe einen genauso guten Service in Luanda erwartet. Was ich jedoch dann erlebte, hat meine BMW-Welt bis auf die Grundmauern erschüttert.

Ich fuhr fröhlich hin und dachte, dass ich einen sachkundigen Mechaniker treffe, der mit Anerkennung nickt und mit dem ich mich über die Motorrad-Reisen in Angola unterhalten konnte. Ein Mechaniker, der sich das Moped anschaut, ein paar Fragen über meine bisherige Route stellt, mich in die Werkstatt einlädt, das Motorrad an den Rechner anschließt und dabei feststellt, dass es keine Fehler gibt. Im besten Fall würde er mir noch erzählen, dass er gerne auch so eine lange Motorradreise machen würde und ich würde ihn dann ermutigen, dies zu tun. So zumindest war meine Vorstellung eines angenehmen Aufenthalts in einer autorisierten BMW-Werkstatt.

Es lief jedoch entscheidend anders ab. Die erste Hürde war die Kommunikation. Von zwei Empfangsdamen konnte nur eine Englisch, leider nicht ausreichend. Ich hatte Mühe gehabt zu erklären, was ich will. Nach einer Stunde (inkl. langer Wartezeit) ergab sich, dass sie alles falsch verstanden hatten. Nein, ich wollte nicht Öl wechseln lassen. Ich habe es nicht mal erwähnt! Dann wurde ich vertröstet: der Mechaniker habe einen Auswärtstermin und kommt erst in anderthalb Stunden zurück. Ok, kein Problem – dachte ich. Ich könnte doch so lange spazieren gehen, und mir die Stadt anschauen. Nach über zwei Stunden kam ich zurück, um zu erfahren, dass der Mechaniker noch nicht da sei. Auch kein Problem. Ich ging in ein Restaurant, direkt nebenan. Ich bestellte mein Essen und nahm mir Zeit. Da ich noch ein Buch dabei hatte, fing ich an zu lesen. Während ich aß, fiel mir ein Typ am Nachbartisch auf: ca. 50 Jahre alt, gut gebaut aber mit einer etwas strengen, soldatenhaften Frisur. Er aß seinen Lunch seelenruhig. Unsere Blicke kreuzten sich vielleicht ein Mal. Noch dachte ich mir nichts dabei.

Nach etwa einer guten Stunde, vielleicht auch länger, zahlte ich meine Rechnung und ging zurück zum Dealer. Der Mechaniker sei noch nicht da, werde aber bald eintreffen – bekam ich zu hören. So setzte ich mich geduldig in den Wartebereich. Eine halbe Stunde später kam endlich der Mechaniker. Wir beide staunten verdutzt. Es war der Typ vom Restaurant, der mit der strengen Frisur, der sich so viel Zeit beim Lunch nahm. Ist ja nicht schlimm, ich fand es eher lustig, dass er so entspannt war. Und endlich war er da! Es war schon Nachmittag und ich hoffte, dass alles ab sofort schnell ablaufen würde. Nach dem Handshake wollte ich dem Mechaniker mein Anliegen direkt erklären. Fehlanzeige: er war Portugiese und sprach nur Portugiesisch. Na gut, immerhin wurde ich mit der einen Empfangsdame einig und sie notierte sich, dass ich den Luftfilter geprüft und den Computerausdruck möchte, um zu sehen, ob vielleicht doch ein weiterer Handlungsbedarf besteht. Zwei Stunden und viele Seiten in meinem Buch später, kam der Mechaniker und meinte, mein Luftfilter sei fällig und ich brauche einen neuen. Ich sagte ok, er müsste ja schließlich Bescheid wissen. Eine weitere Stunde später war alles fertig, mein Motorrad stand frisch gewaschen vor der Tür.

Als ich die Rechnung im Anschluss sah, fiel ich fast in Ohnmacht: darauf stand ein Betrag von umgerechnet etwa 500 Euro. Ich schaute der Empfangsdame (die gleichzeitig die Rechnungüberbringerin war) tief in die Augen: »Wollen Sie mich hier verarschen?«, ich glaube, meine Stimme hast sich auch leicht erhoben: »Sie können diese Rechnung vergessen, ich werde sie sicherlich nicht begleichen!« Ich war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Für den Filter und die Arbeitsstunden sollte ich ca. 150 Euro bezahlen. Der Computerausdruck, den man normalerweise überall kostenlos in einer BMW-Werkstatt bekommt, sollte jetzt aber 350 Euro kosten? Die Managerin wurde gerufen. Sie kam und fing an, Geschichten zu erzählen, die sie schon wahrscheinlich früher mehrfach erzählt hat. Dass Luanda eine der teuersten Städte der Welt sei, dass es sehr schwierig sei, einen Mechaniker zu finden und dass sie allesamt sehr teuer seien. Ich antwortete ihr, dass mich das alles nicht interessiert und dass ich noch nie davon gehört habe, dass man für einen Computerausdruck überhaupt Geld zahlen muss. Wenn sie möchte, könnte ich das ganze gleich eskalieren lassen – drohte ich ihr. Obwohl ich mir noch nicht sicher war, wie ich es „eskalieren lassen“ würde. Sie sagte dann, sie müsse sich mit dem Mechaniker beraten. Nach einigen Minuten kam sie und fing an, nett zu lächeln: »Der Mechaniker ist ausnahmsweise damit einverstanden, den Preis nicht zu berechnen«, log sie, als ob der Mechaniker der Chef im Laden wäre. »Wir wollen Sie als zufriedenen Kunden behalten, daher berechnen wir nur die Arbeitszeit und die Ersatzteile«, ergänzte sie zu meiner Erleichterung. »Das ist gut«, antwortete ich ohne Enthusiasmus. „Mit der Kundenzufriedenheit habt ihr es aber richtig vermasselt“, dachte ich gleichzeitig: „Ein Glas Wasser für den Kunden, während er auf den Mechaniker stundenlang wartet, hätte vielleicht ein paar Sympathiepunkte gebracht.“ So zahlte ich die Rechnung mit ernsthaftem Gesicht. Die Managerin besass noch die Frechheit mir zum Abschied zu sagen, dass sie auch in Portugal tätig sei, und sollte ich mich dort aufhalten, wäre sie über meinen Besuch sehr erfreut. »Das mache ich bestimmt«, antwortete ich und dachte gleichzeitig: „Leck mich am Arsch“.

Als ich aus der Werkstatt zurückkam, erzählte ich meinen Gastgebern die Geschichte. »Willkommen in Luanda«, antwortete Andrea. »Wir haben es mit dieser Abzocke überall zu tun«, ergänzte sie traurig. »Und man kann nichts dagegen tun, wenn man hier lebt.«

In der Zwischenzeit konnte Dylan auch seine neue Ersatzketten für die zwei BMW 650-er bekommen. Er wechselte sie selbst. Ich hütete mich davor, ihm den Besuch in einer BMW-Werkstatt in Luanda zu empfehlen.

Nun waren wir startklar, um gemeinsam in Richtung Namibia aufzubrechen.

5 Millionen neue Grauhaare

Die Bekanntschaft mit Wilfrid trug bei einer weiteren wichtigen Angelegenheit ihre Früchte. Die beiden Hauptstädte Brazzaville und Kinshasa liegen gleich gegenüber. Um die zwischenstaatlichen Kontakte und den grenzüberschreitenden Verkehr zu fördern, würde sich eine Brücke anbieten oder zumindest eine Fährverbindung für Fahrzeuge. Es gibt weder das eine noch das andere. Zwischen beiden Städte fahren lediglich touristische Kleinboote.

Um die Lage zu checken, ging ich zum Hafen, um zu sehen, ob es da nicht eine Chance geben könnte, mein Motorrad auf das andere Kongo-Ufer zu bringen. Ein Gespräch mit einem Zollbeamten, der gerade seine Sonntagabendschicht absolvierte, ergab, dass man das tatsächlich organisiert bekommen könnte, es sei aber ziemlich kompliziert und natürlich kostenintensiv. Eine schnelle Überprüfung auf der iOverlander-App ergab, dass es schon früher Leute gab, die dieses Abenteuer wagten. Der Preis variierte um die 200 USD. Ziemlich heftig für eine Flussüberquerung. Aber ich war in Afrika und wollte (musste) nach Kinshasa-Kongo einreisen.

Es gab nicht allzu viele Alternativen. Eine davon wäre die Überquerung der Grenze im Landesinneren (Lwozi-Lufu Grenze). Sie wäre aber mit extremen Straßenkonditionen verbunden gewesen, insbesondere während der Regenzeit. Da ich aufgrund meiner Erfahrungen aus Kamerun nun schlauer war, strich ich diese Option schnell aus meiner Liste. Eine andere Möglichkeit wäre eine Fahrt nach Pointe Noire an der Küste und die Überquerung nach Cabinda (angolische Exklave zwischen der Rep. Kongo und DR Kongo). Von Cabinda kann man dann das Motorrad nach Soyo in Angola verschiffen lassen und selbst in einem kleinen Flugzeug rüberfliegen. Diese Lösung kam mir aber etwas umständlich vor, und so entschied ich mich für die Flußüberquerung.

An jenem Tag kam auch mein Freund Wilfrid dazu, um mich im Hafenchaos zu unterstützen und einen guten Preis für mich auszuhandeln. Gleich wurden wir von diversen „Dienstleistern“ angesprochen, oder zutreffender gesagt „umzingelt“. Einer davon bot einen guten Preis an: 75.000 CFA (umgerechnet 115 EUR). Mehrfaches Nachfragen, ob es sich dabei um den endgültigen Preis für die ganze Prozedur handelt, wurde jedes Mal mit Nachdruck bejaht. Später ergab sich das als eine unverschämte Lüge. Dazu aber später.

Nach Klärung und Auszahlung des Preises begannen wir mit der Bürokratie: Ausreisestempel, Ausfüllen diverser Formulare, Abstempeln des Zolldokuments (Carnet de Passage). Ich gab meinen Reisepass ungern aus der Hand, aber Wilfrid meinte, dass dies in Ordnung sei. Ich hatte keinen Grund, Wilfrid nicht zu vertrauen. Und in der Tat: während ich mich um das Carnet kümmerte, erledigten die „Helfer“ die Ausreiseangelegenheiten. Nach ca. 1,5 oder vielleicht gar 2 Stunden waren wir soweit und konnten mit dem Beladen beginnen.

Ich fuhr mit dem Moped an das Boot heran und staunte. Das Boot konnte mein Bike unmöglich beherbergen! Wo denn auch? Es war ein einfaches Passagierboot mit Sitzplätzen für etwa 10 bis 12 Leute, die ihr Gepäck auf dem Schoss halten mussten. Vorne auf dem Bug gab es noch etwas freie Fläche. Sie schien aber viel zu klein, um ein 300kg-Bike unterzubringen. Außerdem fehlte eine Rampe um das Motorrad auf das Boot zu verladen. Es gab auch keinen Kran, der die Maschine hochheben und sicher auf das Boot hätte legen können. Und da war noch die hohe Reling, die eindeutig im Weg stand.

Auf einmal stand eine Gruppe von Männern in Fußballmannschaftsstärke um mich herum, allersamt in türkisfarbenen Kitteln. Als ich erkannte, was sie vorhatten, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken: die wollten tatsächlich das schwere Bike über die Reling auf das Boot hieven. Für mich gab es keinen Rückzieher mehr. Ich musste mich dem Schicksal ergeben. So baute ich die Koffer ab und überließ mein Bike, meinen besten Freund, Gefährten und Lebensretter, in die „brutalen“ Hände der Hafenmitarbeiter. Sie packten es von allen Seiten an, so dass es keinen freien Raum mehr um das Motorrad herum gab. Die Ladeprozedur begann. Ich schaute von der Seite zu und begann das ganze mit meinem Handy zu filmen. Ich dachte in diesem Moment nur daran: „Wenn sie es in den Kongofluss schmeißen, dann habe ich zumindest alles auf dem Video. Könnte der Videoverkauf an Fernsehsender ausreichen, um sich ein neues Moped zu leisten? Scheiße! Da war noch meine Kamera mit den Zeiss-Objektiven im Tankrucksack. Und der Tankrucksack war immer noch auf dem Tank befestigt! In dem Wirrwarr habe ich nicht dran gedacht, den Rucksack abzunehmen!“ Meine Hände begannen zu zittern. „Jetzt bloß nicht das iPhone fallen lassen! Das wäre der ultimative Super-GAU: das Bike gefilmt, wie es in den Kongofluss reinfällt, und dann flutscht mir das Handy auch noch ins Wasser! Vielleicht hätte ich Wilfrid bitten müssen, auch mich zu filmen wie ich filme?“, dachte ich noch und drückte das Handy noch stärker in die Hand. Das ganze dauerte höchstens drei, vier Minuten – fühlte sich aber wie Stunden an. Ich schaute hilflos zu und stöhnte immer wieder. Ich gab Geräusche von mir, die ich so nicht kannte. Es war eine Mischung aus Hilflosigkeit und einer kleinen Portion Hoffnung, dass das ganze vielleicht doch noch klappt. Dann blieb das Moped mit dem Kupplungshebel an der Reling hängen. Mein Herz raste auf 180. „Völlig unnötig“, versuchte ich mich selbst zu trösten: „Ich habe doch die Ersatzteile dabei“. Irgendwann war das Motorrad drauf. Ich atmete erleichtert aus. Dieser Moment hielt allerdingsn nur kurz ab. Die Männer wollten gleich ihre Bezahlung. »Wie jetzt? Ich habe doch schon bezahlt«, ich schaute den Typen an, der das Geld von mir bereits für die Überfahrt kassiert hatte. »Du musst sie jetzt bezahlen«, sagte er mit ernstem Gesicht. Ich hatte keine Wahl. Um mich herum standen so viele Männer, dass sie sicherlich in der Lagen gewesen wären, ein Nachbardorf zu überfallen oder einen kleinen Krieg zu gewinnen. Diese Männer schauten mich erwartungsvoll an. Sie hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch genug Kraft und Energie übrig, um das Motorrad wieder vom Boot zu heben und es gleich dann in den Fluss zu werfen. »Was wollt Ihr haben?«, fragte ich. »20.000 CFA« antwortete der Gruppenvorsteher. Nun haben wir eine Weile verhandelt. Wilfrid half dabei, so dass ich am Ende 10.000 CFA zahlen musste, umgerechnet 15 Euro. Ich verabschiedete mich von Wilfrid, der mir noch zuwarf, dass ich dem Typen nicht trauen sollte, der das ganze hier organisiert und der von mir die ganze Gebühr bereits kassiert hatte. Das wusste ich jetzt nur zu gut.

Die Überfahrt nach Kinshasa dauerte magere 15 Minuten. Angekommen, begann das ganze Chaos wieder von Vorne. Im Gegensatz zu Brazzaville gab es in Kinshasa noch chaotischere Verhältnisse: die Träger stritten sogar, wer von Ihnen dabei helfen durfte! Die Hafenpolizei musste einschreiten, ein Polizist schnappte sich immer wieder einen Mann und zog ihn vom Bike weg. Die Leute beschimpften und schubsten sich gegenseitig. Am Ende stand das Bike wieder auf dem Festland, ich war komplett durchgeschwitzt aber glücklich, dass ich es überstanden hatte.

Das ganze Geschehen beobachtete ein wichtig aussehender Polizist, der immer wieder anderen Polizisten Befehle zuwarf. „Den muss ich auf meiner Seite haben“, dachte ich noch. In dem Chaos brauche ich jemanden, der genug Autorität besitzt, um die anderen von mir fern zu halten. Wie ich hörte, wird man im Hafen von Kishasa von Händlern und Möchte-gern-Helfern massiv belästigt. Das zahlte sich sehr aus! Der „Hauptmann“ war auch willig, mir zu helfen. Er brachte mich durch diverse dunkle Ecken und Winkel zu den richtigen Immigrations-Büros, die ich selbst wahrscheinlich nur mit Mühe gefunden hätte. Dann half er mir die restlichen CFA in die kongolesischen Franks umzutauschen und besorgte mir sogar eine Sim-Karte für mein Telefon. Als ich die lokale Währung umtauschte, staunte ich verdutzt: für den Wert von ca. 100 Euro erhielt ich einen dicken Bündel von Franks. Die größte Banknote ist in Höhe von 1000 Franks, also umgerechnet gerade mal ca. 0,55 Euro – da braucht der Geldbeutel ja Räder, wenn man Lebensmittel für eine Woche einkaufen geht!

Ich war sehr froh, den Hauptmann als Helfer und Beschützer an meiner Seite zu haben! Denn der Organisator der Überquerung lief mir die ganze Zeit nach. Die Träger bei der Ankunft musste ich natürlich wieder selbst bezahlen und der Typ hatte die Unverschämtheit nach mehr Geld zu fragen! Sein Plan war es, mir bei der ganzen „Bürokratie“ in Kinshasa zu „helfen“. Blöd für ihn, dass ich dann den Hauptmann dabei hatte. Und als ich meinem neuen Polizistenfreund sagte, dass ich den Kerl bereits bezahlt habe, schrie er ihn an und verjagte ihn auf der Stelle. „Gut so“, dachte ich mir schadenfroh.

Nun war ich bereit zur Weiterfahrt. Ich begutachtete mein Motorrad und stellte fest, dass alles in Ordnung war, bis auf die verstellten Seitenspiegel. Ein Wunder ist geschehen! Ich gab meinem Hauptmann 5 Euro Aufwandsentschädigung und fuhr davon. Ein paar Händler wollten mir noch ihre schreienden Hühner, Bananen und sonstiges Gemüse verkaufen. Ich lächelte freundlich, winkte zu und war weg.

Ich hatte nicht vor, lange in Kinshasa zu bleiben. Meine Couch-Surfing-Anfrage wurde nicht beantwortet und ich sah dies nicht als Schicksalsschlag. Ich hielt noch kurz in der Stadt, ging zum chinesischen Restaurant, bestellte ein Stück Grillente sowie ein Tonic Water. Die Rechnung in Höhe von 30 US-Dollar bestärkte mich in der Annahme, dass ich doch schnellstmöglich nach Angola fahren sollte. Was für ein Kontrast! Auf der Straße betteln Kinder für ein Stück Brot und man zahlt beim Chinesen 30 Dollar für Lunch.

Es lebe die afrikanische Bürokratie!

Angekommen in Brazzaville hatte ich zwei wichtige Aufgaben zu erledigen: das Visum für Angola zu organisieren und zu überlegen, wie ich nach Kinshasa bzw. in die Demokratische Republik Kongo einreisen würde. Ersteres sollte leicht zu machen sein – dachte ich zumindest.

Eigentlich lässt sich das Visum für Angola im Internet beantragen. Man muss lediglich den Ankunftsflughafen oder Grenzübergang auswählen, ein elektronisches Formular ausfüllen, ein paar Dokumente hochladen und schwups – nach etwa 48 Stunden bekommt man das Visum per E-Mail zugeschickt. Oder so ähnlich. Ich scheiterte jedoch schon an der ersten Frage: „wo möchten Sie einreisen?“. Da bei mir die Wahl des Flughafens eher nicht zur Debatte stand, suchte ich verzweifelt nach möglichen Optionen über den Landweg. Leider ließ keiner der Grenzübergänge im Norden das eVisum zu, so blieb mir keine andere Wahl als den üblichen Weg einzuschlagen: das Visum in einer angolanischen Botschaft persönlich zu beantragen.

Nun wie sieht eine „normale“ Visum-Prozedur in Afrika aus? Man geht in die Botschaft, füllt das Antragsformular aus, gibt ein Passfoto ab, zahlt eine bestimmte Gebühr und holt das Visum am nächsten Tag ab (DR Kongo) oder bekommt es gleich vor Ort ausgestellt (Côte d‘Ivoire, Republik Kongo). Ich hatte schon eine leichte Vermutung, dass dies mit dem angolanischen Visum etwas komplizierter werden könnte. Das mich das fast den ganzen Tag kosten sollte, hätte ich nicht gedacht.

Am 25. November stand ich früh auf. Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, bevor ich das Visum in der Botschaft beantragen würde. Was ich hierfür alles an Unterlagen benötigte, las ich in der (mal wieder sehr nützlichen) App iOverlander. Hierzu gehört ein Antragsformular, welches man vor Ort bekommt, aber außerdem noch eine Hotelreservierung, ein Flugticket, eine farbige Kopie des Reisepasses, eine Kopie des Impfbuches mit Gelbfieberimpfung, zwei Passfotos und ein sogenanntes „Document of Request“, in dem man erklärt, warum man nach Angola einreisen will. Im Prinzip alles machbar. Ich schrieb eine halbe Seite Lobeshymne auf die Schönheit des Landes Angola, die ich auf dem Landweg erkunden möchte. Man weiß ja nie, wie die Laune des Beamten ist, der mir später das Visum ausstellen wird. Außerdem schrieb ein User auf iOverlander, dass man ein Fake-Flugticket auf dem Flughafen bekommen kann. Ein Fake-Flugticket? Ich war nicht bereit, im „Document of Request“ über meine geplante Motorradreise durch Angola zu schreiben und dann ein Fake-Flugticket zu präsentieren! Dem dümmsten Beamten wäre dies sicherlich auch aufgefallen, dass ich kein Flugticket benötige, um das Land auf dem Motorrad zu bereisen. Ich schrieb also explizit rein, dass ich das geforderte Flugticket leider nicht präsentieren kann, weil ich es nicht brauche. Das ist das schöne am Reisen mit dem Motorrad: du kannst alles auf dem Landweg erkunden.

Die erste Aufgabe des Tages, nämlich das Kopieren der Dokumente und das Drucken meines Erklärungsbriefes, verursachte bereits gewisse Schwierigkeiten. Im ersten Copy-Shop war die technische Ausstattung des Ladens leider nicht ausreichend, um eine Farbkopie des Reisepasses zu machen. Der Laden bestand aus einer Holzhütte mit einem Blechdach. Für die Stromversorgung sorgte eine einzige Steckdose, in der ein großer Verteiler mit unzähligen Kabeln steckte. Dort war auch ein Drucker angeschlossen, der am Ende nichts nutzte: wir haben es leider nicht geschafft, die Datei vom Ipad auf den PC zu übertragen. So bedankte ich mich bei der jungen Dame, die nichts unversucht ließ, und ging auf die Suche nach einem anderen Copy-Shop. Das, was man in Europa in jedem Zuhause selbst leicht erledigen kann, ergab sich hier als wahre Herausforderung. Beim zweiten Copy-Shop hatte ich schließlich mehr Glück und konnte die fehlenden Unterlagen ausdrucken bzw. kopieren.

Nun war ich – wie ich dachte – bestens vorbereitet und konnte in die Botschaft fahren, um meinen Visumantrag zu stellen. Dort angekommen, bekam ich gleich das Antragsformular ausgehändigt, natürlich auf Portugiesisch und Französisch. Keine Chance eine englische Übersetzung zu bekommen. Aber ok – ich mache es ja schließlich nicht zum ersten Mal, es wird schon klappen – stellte ich mir in meiner Naivität vor. Leider klappte es nicht: meine gebundenen Portugiesisch-Französischen Kenntnisse waren nicht ausreichend. Es stellte sich heraus, dass ich meine deutsche Adresse mit der in Kongo (wo ich zu Gast war) verwechselt hatte. Der Beamte akzeptiert keine Korrekturen im Antrag. Also durfte ich erneut dasselbe Formular ausfüllen und wurde dabei mehrfach ermannt, dass der Konsul es nicht leiden kann, wenn man unleserlich kritzelt. So bemühte ich mich, die schönsten Buchstaben meines Lebens zur Papier zu bringen. Ich wollte ja den Konsul nicht enttäuschen.

Der Beamte beäugte das Formular kritisch und nickte. »Jawohl, ich habe es geschafft« – freute ich mich. Dann kam die schlechte Nachricht: »Sie müssen nun die Gebühr bezahlen und das geht leider bei einer bestimmten Bank im Stadtzentrum« – sagte der Beamte und steckte mir einen Spickzettel mit der Kontoverbindung zu. Als ich den Zettel mit großen Augen betrachtete, erhob sich im Wartezimmer ein Herr im Anzug und sprach mich auf Englisch an: »Ich bin Ihr Mann. Ich muss auch eine Gebühr für die Botschaft zahlen. Ich zeige Ihnen, wo das möglich ist.«

»Sehr gerne« – freute ich mich über das unerwartete Geschenk der Götter. Ich dachte schon, ich würde viel Zeit mit der Suche nach der „Credit du Congo“ Bank verlieren. Die Hilfe meines neuen Freundes ergab sich als sehr wertvoll. Damals wusste ich noch nicht, dass das Auffinden der Bank die Probleme nicht lösen würde. Dass man die Gebühr nur in US-Dollar bezahlen konnte, teilte mir der Angestellte der Botschaft noch freundicherweise mit.

Wilfrid wusste wirklich Bescheid, wo wir alles finden konnten. Wir fuhren zuerst zur Wechselstube, um uns die Dollars zu besorgen. Dies war bei Western Union möglich . Nachdem ich ein Formular mit all meinen persönlichen Angaben ausgefüllt hatte, konnte ich die CFA in US-Dollar umtauschen. Auch meinen Reisepasse musste ich zum Kopieren abgeben und mitteilen, wozu ich die Dollars verwenden möchte. Nach 30 Minuten war es erledigt. Danach fuhren wir zur Bank Credit du Congo, um die Visumsgebühr einzuzahlen. Dies war eine wahre Herausforderung, trotz der Anwesenheit eines Einheimischen, der eigentlich Bescheid wissen sollte, wie die Einzahlungsprozedur verlief. Als Erstes zogen wir je eine Wartemarke. Wir schauten auf die Nummern und waren verdutzt: zwischen uns und der Nummer, die auf der Tafel angezeigt wurde, sah es so aus, als ob wir hier Stunden verbringen würden, bis wir dran wären.

so standen wir eine Weile herum, bis wir entschieden, an den Infoschalter zu gehen. Wir erhielten erneut Formulare, die wir ausfüllen sollten. Es scheint, als wäre es im Kongo nicht so einfach möglich, einen Betrag auf fremde Konten einzuzahlen. Man muss ganz schön viele Informationen preisgeben. Als wir die Formulare fertig ausgefüllt hatten, ergab sich, dass wir am falschen Ort sind. Um US-Dollar einzuzahlen, hätten wir einen anderen Eingang im Gebäude nehmen müssen. Wir entschuldigten uns höflich und gingen zum besagten Eingang. Am neuen Ort trafen wir auf eine Empfangsdame, die uns informierte, dass wir erstmal Platz nehmen und warten sollten. Vor uns waren nur etwa 5-6 Personen. Das müsste jetzt aber schneller vorangehen – dachten wir. Eine halbe Stunde später waren wir dann auch endlich an der Reihe. Wir betraten ein Zimmer hinter einer abgedunkelten Glaswand. Dort fanden wir unseren Mann – ca. Ende 60 Jahre alt, im Anzug, mit strengem Gesichtsausdruck. Wir erklärten kurz, was wir wollten. »Haben Sie das Formular ausgefüllt und die Scheine kopiert, die sie einzahlen wollen?« fragte er. »Scheine kopieren?« schauten wir ihn ungläubig an. Natürlich hatten wir das nicht getan. Also begaben wir uns wieder zur Empfangsdame: »Wären Sie so nett uns die Formulare zum Ausfüllen zu geben und unsere Scheine zu kopieren« baten wir höflich. Selbstverständlich fragten wir nicht, warum sie uns das nicht früher sagte, während wir nutzlos über eine halbe Stunde im Warteraum verbrachten. Wir schauten uns nur an und schüttelten den Kopf.

Während wir die Formulare ausfüllten, kopierte sie unsere Dokumente und natürlich die Scheine. Da Wilfrid fünf Zwanziger Scheine hatte, kopierte sie jeden einzeln. Bei mir war es schon sinnvoller: ich hatte einen Hunderter und einen Fünfer, die dann mit viel Sachkenntnis kopiert wurden. Wir fragten uns noch, ob das überhaupt legal war, die Scheine zu kopieren.

Dieses Mal durften wir ohne Wartezeit zu unserem Mann und die Einzahlungsprozedur begann: zuerst alle Angaben vom Formular in den PC eintippen, selbstverständlich mit zwei Finger-System. Dann legte er jedem von uns eine Aktenmappe an, wo er die Formulare und die kopierten Scheine reinlegte. Mit ein klein wenig Sarkasmus dachte ich mir »Jetzt haben wir es geschafft. Es kann sich gerade nur um Stunden handeln, bis alles erledigt ist.«

Ich händigte ihm den Spickzettel mit der Kontonummer von der Botschaft aus. Der Herr tippte die Nummer im System ab: »Die Nummer ist nicht korrekt. Es fehlt eine Ziffer!« Wilfrid und ich schauten uns an. »Das kann nicht sein. Das ist ein offizieller Ausdruck, den wir direkt in der Botschaft erhalten haben«, versuchte ich den Beamten noch umzustimmen. Nach weiteren 15 Minuten und mehreren Telefonaten, die der Beamte freundlicherweise tätigte, konnte die Kontonummer der Botschaft geklärt werden. So zahlten wir die Gebühren endlich ein, nahmen unsere Quittungen mit und verließen erleichtert die Bank. Es fühlte sich wie eine wichtige Universitätsaufnahmeprüfung an, die wir gerade bestanden haben.

Zurück in der Botschaft wurde ich einem wichtigeren Angestellten vorgestellt, der mich interviewen sollte. Nach einem kurzen Gespräch kam er zum Entschluss, dass ich geeignet sei, Angola zu bereisen. Am nächsten Tag erhielt ich mein Visum.