Angekommen in Brazzaville hatte ich zwei wichtige Aufgaben zu erledigen: das Visum für Angola zu organisieren und zu überlegen, wie ich nach Kinshasa bzw. in die Demokratische Republik Kongo einreisen würde. Ersteres sollte leicht zu machen sein – dachte ich zumindest.
Eigentlich lässt sich das Visum für Angola im Internet beantragen. Man muss lediglich den Ankunftsflughafen oder Grenzübergang auswählen, ein elektronisches Formular ausfüllen, ein paar Dokumente hochladen und schwups – nach etwa 48 Stunden bekommt man das Visum per E-Mail zugeschickt. Oder so ähnlich. Ich scheiterte jedoch schon an der ersten Frage: „wo möchten Sie einreisen?“. Da bei mir die Wahl des Flughafens eher nicht zur Debatte stand, suchte ich verzweifelt nach möglichen Optionen über den Landweg. Leider ließ keiner der Grenzübergänge im Norden das eVisum zu, so blieb mir keine andere Wahl als den üblichen Weg einzuschlagen: das Visum in einer angolanischen Botschaft persönlich zu beantragen.
Nun wie sieht eine „normale“ Visum-Prozedur in Afrika aus? Man geht in die Botschaft, füllt das Antragsformular aus, gibt ein Passfoto ab, zahlt eine bestimmte Gebühr und holt das Visum am nächsten Tag ab (DR Kongo) oder bekommt es gleich vor Ort ausgestellt (Côte d‘Ivoire, Republik Kongo). Ich hatte schon eine leichte Vermutung, dass dies mit dem angolanischen Visum etwas komplizierter werden könnte. Das mich das fast den ganzen Tag kosten sollte, hätte ich nicht gedacht.
Am 25. November stand ich früh auf. Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, bevor ich das Visum in der Botschaft beantragen würde. Was ich hierfür alles an Unterlagen benötigte, las ich in der (mal wieder sehr nützlichen) App iOverlander. Hierzu gehört ein Antragsformular, welches man vor Ort bekommt, aber außerdem noch eine Hotelreservierung, ein Flugticket, eine farbige Kopie des Reisepasses, eine Kopie des Impfbuches mit Gelbfieberimpfung, zwei Passfotos und ein sogenanntes „Document of Request“, in dem man erklärt, warum man nach Angola einreisen will. Im Prinzip alles machbar. Ich schrieb eine halbe Seite Lobeshymne auf die Schönheit des Landes Angola, die ich auf dem Landweg erkunden möchte. Man weiß ja nie, wie die Laune des Beamten ist, der mir später das Visum ausstellen wird. Außerdem schrieb ein User auf iOverlander, dass man ein Fake-Flugticket auf dem Flughafen bekommen kann. Ein Fake-Flugticket? Ich war nicht bereit, im „Document of Request“ über meine geplante Motorradreise durch Angola zu schreiben und dann ein Fake-Flugticket zu präsentieren! Dem dümmsten Beamten wäre dies sicherlich auch aufgefallen, dass ich kein Flugticket benötige, um das Land auf dem Motorrad zu bereisen. Ich schrieb also explizit rein, dass ich das geforderte Flugticket leider nicht präsentieren kann, weil ich es nicht brauche. Das ist das schöne am Reisen mit dem Motorrad: du kannst alles auf dem Landweg erkunden.
Die erste Aufgabe des Tages, nämlich das Kopieren der Dokumente und das Drucken meines Erklärungsbriefes, verursachte bereits gewisse Schwierigkeiten. Im ersten Copy-Shop war die technische Ausstattung des Ladens leider nicht ausreichend, um eine Farbkopie des Reisepasses zu machen. Der Laden bestand aus einer Holzhütte mit einem Blechdach. Für die Stromversorgung sorgte eine einzige Steckdose, in der ein großer Verteiler mit unzähligen Kabeln steckte. Dort war auch ein Drucker angeschlossen, der am Ende nichts nutzte: wir haben es leider nicht geschafft, die Datei vom Ipad auf den PC zu übertragen. So bedankte ich mich bei der jungen Dame, die nichts unversucht ließ, und ging auf die Suche nach einem anderen Copy-Shop. Das, was man in Europa in jedem Zuhause selbst leicht erledigen kann, ergab sich hier als wahre Herausforderung. Beim zweiten Copy-Shop hatte ich schließlich mehr Glück und konnte die fehlenden Unterlagen ausdrucken bzw. kopieren.
Nun war ich – wie ich dachte – bestens vorbereitet und konnte in die Botschaft fahren, um meinen Visumantrag zu stellen. Dort angekommen, bekam ich gleich das Antragsformular ausgehändigt, natürlich auf Portugiesisch und Französisch. Keine Chance eine englische Übersetzung zu bekommen. Aber ok – ich mache es ja schließlich nicht zum ersten Mal, es wird schon klappen – stellte ich mir in meiner Naivität vor. Leider klappte es nicht: meine gebundenen Portugiesisch-Französischen Kenntnisse waren nicht ausreichend. Es stellte sich heraus, dass ich meine deutsche Adresse mit der in Kongo (wo ich zu Gast war) verwechselt hatte. Der Beamte akzeptiert keine Korrekturen im Antrag. Also durfte ich erneut dasselbe Formular ausfüllen und wurde dabei mehrfach ermannt, dass der Konsul es nicht leiden kann, wenn man unleserlich kritzelt. So bemühte ich mich, die schönsten Buchstaben meines Lebens zur Papier zu bringen. Ich wollte ja den Konsul nicht enttäuschen.
Der Beamte beäugte das Formular kritisch und nickte. »Jawohl, ich habe es geschafft« – freute ich mich. Dann kam die schlechte Nachricht: »Sie müssen nun die Gebühr bezahlen und das geht leider bei einer bestimmten Bank im Stadtzentrum« – sagte der Beamte und steckte mir einen Spickzettel mit der Kontoverbindung zu. Als ich den Zettel mit großen Augen betrachtete, erhob sich im Wartezimmer ein Herr im Anzug und sprach mich auf Englisch an: »Ich bin Ihr Mann. Ich muss auch eine Gebühr für die Botschaft zahlen. Ich zeige Ihnen, wo das möglich ist.«
»Sehr gerne« – freute ich mich über das unerwartete Geschenk der Götter. Ich dachte schon, ich würde viel Zeit mit der Suche nach der „Credit du Congo“ Bank verlieren. Die Hilfe meines neuen Freundes ergab sich als sehr wertvoll. Damals wusste ich noch nicht, dass das Auffinden der Bank die Probleme nicht lösen würde. Dass man die Gebühr nur in US-Dollar bezahlen konnte, teilte mir der Angestellte der Botschaft noch freundicherweise mit.
Wilfrid wusste wirklich Bescheid, wo wir alles finden konnten. Wir fuhren zuerst zur Wechselstube, um uns die Dollars zu besorgen. Dies war bei Western Union möglich . Nachdem ich ein Formular mit all meinen persönlichen Angaben ausgefüllt hatte, konnte ich die CFA in US-Dollar umtauschen. Auch meinen Reisepasse musste ich zum Kopieren abgeben und mitteilen, wozu ich die Dollars verwenden möchte. Nach 30 Minuten war es erledigt. Danach fuhren wir zur Bank Credit du Congo, um die Visumsgebühr einzuzahlen. Dies war eine wahre Herausforderung, trotz der Anwesenheit eines Einheimischen, der eigentlich Bescheid wissen sollte, wie die Einzahlungsprozedur verlief. Als Erstes zogen wir je eine Wartemarke. Wir schauten auf die Nummern und waren verdutzt: zwischen uns und der Nummer, die auf der Tafel angezeigt wurde, sah es so aus, als ob wir hier Stunden verbringen würden, bis wir dran wären.
so standen wir eine Weile herum, bis wir entschieden, an den Infoschalter zu gehen. Wir erhielten erneut Formulare, die wir ausfüllen sollten. Es scheint, als wäre es im Kongo nicht so einfach möglich, einen Betrag auf fremde Konten einzuzahlen. Man muss ganz schön viele Informationen preisgeben. Als wir die Formulare fertig ausgefüllt hatten, ergab sich, dass wir am falschen Ort sind. Um US-Dollar einzuzahlen, hätten wir einen anderen Eingang im Gebäude nehmen müssen. Wir entschuldigten uns höflich und gingen zum besagten Eingang. Am neuen Ort trafen wir auf eine Empfangsdame, die uns informierte, dass wir erstmal Platz nehmen und warten sollten. Vor uns waren nur etwa 5-6 Personen. Das müsste jetzt aber schneller vorangehen – dachten wir. Eine halbe Stunde später waren wir dann auch endlich an der Reihe. Wir betraten ein Zimmer hinter einer abgedunkelten Glaswand. Dort fanden wir unseren Mann – ca. Ende 60 Jahre alt, im Anzug, mit strengem Gesichtsausdruck. Wir erklärten kurz, was wir wollten. »Haben Sie das Formular ausgefüllt und die Scheine kopiert, die sie einzahlen wollen?« fragte er. »Scheine kopieren?« schauten wir ihn ungläubig an. Natürlich hatten wir das nicht getan. Also begaben wir uns wieder zur Empfangsdame: »Wären Sie so nett uns die Formulare zum Ausfüllen zu geben und unsere Scheine zu kopieren« baten wir höflich. Selbstverständlich fragten wir nicht, warum sie uns das nicht früher sagte, während wir nutzlos über eine halbe Stunde im Warteraum verbrachten. Wir schauten uns nur an und schüttelten den Kopf.
Während wir die Formulare ausfüllten, kopierte sie unsere Dokumente und natürlich die Scheine. Da Wilfrid fünf Zwanziger Scheine hatte, kopierte sie jeden einzeln. Bei mir war es schon sinnvoller: ich hatte einen Hunderter und einen Fünfer, die dann mit viel Sachkenntnis kopiert wurden. Wir fragten uns noch, ob das überhaupt legal war, die Scheine zu kopieren.
Dieses Mal durften wir ohne Wartezeit zu unserem Mann und die Einzahlungsprozedur begann: zuerst alle Angaben vom Formular in den PC eintippen, selbstverständlich mit zwei Finger-System. Dann legte er jedem von uns eine Aktenmappe an, wo er die Formulare und die kopierten Scheine reinlegte. Mit ein klein wenig Sarkasmus dachte ich mir »Jetzt haben wir es geschafft. Es kann sich gerade nur um Stunden handeln, bis alles erledigt ist.«
Ich händigte ihm den Spickzettel mit der Kontonummer von der Botschaft aus. Der Herr tippte die Nummer im System ab: »Die Nummer ist nicht korrekt. Es fehlt eine Ziffer!« Wilfrid und ich schauten uns an. »Das kann nicht sein. Das ist ein offizieller Ausdruck, den wir direkt in der Botschaft erhalten haben«, versuchte ich den Beamten noch umzustimmen. Nach weiteren 15 Minuten und mehreren Telefonaten, die der Beamte freundlicherweise tätigte, konnte die Kontonummer der Botschaft geklärt werden. So zahlten wir die Gebühren endlich ein, nahmen unsere Quittungen mit und verließen erleichtert die Bank. Es fühlte sich wie eine wichtige Universitätsaufnahmeprüfung an, die wir gerade bestanden haben.
Zurück in der Botschaft wurde ich einem wichtigeren Angestellten vorgestellt, der mich interviewen sollte. Nach einem kurzen Gespräch kam er zum Entschluss, dass ich geeignet sei, Angola zu bereisen. Am nächsten Tag erhielt ich mein Visum.