Der Schatz von Mauretanien

Nach dem langen Marathon an der Grenze kam ich endlich in Nouadhibou an. Dort sollte ich mich bei Khaled melden, einem Freund von meinem CouchSurfing-Freund Hachim. Hachim empfahl mir nicht direkt nach Nouakchott zu fahren, sondern in die Grenzstadt Nouadhibou. Dieser Rat ergab sich als Gold wert! Ich fuhr nämlich am nächsten Tag in die Hauptstadt und diese lange Fahrt von ca. 500km durch die Wüste und bei Temperaturen von dauerhaften 45° ergab sich als extremst anstrengend und ich hätte nicht eine wunderbare Familie in Nouadhibou kennengelernt.

Nun war ich zunächst in der drittgrößten Stadt Mauretaniens angekommen. Ich muss wahrscheinlich unfair klingen, aber ich kann Nouadhibou beim besten Willen nicht als schön bezeichnen. Der erste Eindruck war sehr ernüchternd… ich dachte »So sieht also Afrika in Wirklichkeit aus.« Kaputte, mit Sand bedeckte Straßen, slumartige Bauweise, tonnenweise Müll und überall Zweiradkutschen gezogen von Esel, die immer wieder zur Richtungsweisung mit dicken Holzknüppel auf den Schädel geschlagen worden waren. Das ist was ich als erstes erfuhr – und es wurde für mich persönlich noch schlimmer: Ich kam an ohne lokales Bargeld und ohne mobiles Internet. Was in Tanger einfach war, ergab sich als eine echte Herausforderung in Mauretanien: eine Bank finden, die eine Kreditkarte schluckt und Bargeld ausspuckt. Danach wollte ich gleich eine SIM-Karte besorgen und meinen Gastgeber Khaled informieren, wo er mich finden kann.

Schön wär’s.

Die Suche nach einer Bank, die eine Mastercard akzeptiert, gestaltete sich als eine unmögliche Aufgabe! Keiner der Geldautomaten wollte meine Karten erkennen und ich geisterte von einer Bank zu der anderen. Bis ich schließlich nach mindestens anderthalb Stunden eine „richtige“ Bank, die Société General, fand, die gnädigerweise das Geld lieferte. Ich war gerettet.

Die Entdeckung der Bank beendete gleich meine mauretanische Pechsträhne! Direkt gegenüber gab es ein Shop, das mir unentgeltlich WLAN zur Verfügung stellte und ich konnte Khaled benachrichtigen.

Die nachfolgenden Geschehnisse machten alles wieder gut und retteten den wohl bis dato schlimmsten Tag meiner Reise.

Khaled kam innerhalb von Minuten, um mich abzuholen. Der erste Plan war, dass wir uns nur unterhalten sollten, er mir über sich selbst und das Land erzählen und ich ihm über meine Reise berichten sollte. Später wollte ich mir ein Hotel oder Camping aufsuchen, wo ich übernachten könnte, denn Khaled war aus Nouakchott und in Nouadhibou war er nur zu Besuch bei seiner Familie. Trotzdem lud er mich zu seiner Tante nach Hause ein, um dort seine Cousinen kennenzulernen und Tee zu trinken.

Wir sind in einem schönen großen Haus angekommen. Mein Motorrad durfte ich gleich in die Garage stellen. Ich wurde der Familie vorgestellt und wir zogen uns in ein Zimmer zurück: Khaled, seine Cousinen und ich. Das Gespräch verlief anfangs etwas steif aber schnell konnten wir das Eis durchbrechen. Ich traf junge Menschen, die sich sehr für die weite Welt, fürs Reisen und fremde Länder interessierten. Khaled und seine jüngere Cousine Nebghouha sprachen dazu sehr gutes Englisch. Die ältere Schwester von Nebghouha leider nicht, dafür machte sie einen exzellenten Tee und lächelte freundlich die ganze Zeit.

Das Gespräch musste auch seitens meiner Gastgeber zufriedenstellend verlaufen sein, denn plötzlich boten sie mir an, auch über die Nacht zu bleiben! Die Mutter des Hauses habe ihr Einverständnis erklärt. So nahmen sie mich auf, eine völlig fremde Person in ihr Haus auf, boten Essen, Obdach und schenkten mir gar eine SIM-Karte. Wir fuhren noch am gleichen Abend an den Strand und hatten ein wunderbares Barbecue.

An dieser Stelle bedarf das mauretanische Barbecue etwas Erklärung.

Als erstes muss das Fleisch besorgt werden. Das kriegt man beim lokalen Metzger, der es gleich auch auf den Grill schmeisst und nachher in Alu-Folie verpackt. Vermutlich handelt es sich dann um Lammfleisch. Dann fährt man an einen schönen ruhigen Ort, z.B. an den Strand. Danach packt man aus dem Kofferraum einen großen Teppich aus und rollt ihn auf dem sandigen Boden aus. Dabei hat man auch natürlich diverse Kissen im Auto. Wohl bemerkt, es ist ein Toyota Avensis, kein Transporter mit Anhänger. Als nächstes lässt man den Ausländer sich auf den Teppich hinsetzten und er darf mit seinem Handy spielen während man als traditioneller Muslim sein Abendgebet spricht. Nach diesem Ritual kann man das Fleisch und die Getränke (Cola) auspacken und sich am Essen erfreuen. Als guter Gastgeber schiebst Du dem Ausländer immer wieder die besten Fleischstücke zu und ermahnst ihn freundlich, dass er sich nicht jedes Mal dafür bedanken muss.

Am nächsten Morgen bekam ich ein Frühstück von Khaled serviert. Aber was für ein! Ich bin sicher, dass nicht mal der Bürgermeister von Nouadhibou so ein Frühstück bekommt: Omelette, leckeres lokales Brot mit diversen Marmeladesorten, frisch gepressten Orangensaft, trockene Früchte, Croissant und köstlich duftenden Kaffee! Gefehlt haben nur Spiegeleier und Bacon. Ich war entzückt! Wo hat er das alles her? Khaled musste wahrscheinlich die ganze Stadt durchquert haben, um an solche Sachen zu kommen! Einfach unglaublich! Nach zwei Tagen Dosensardellen zum Frühstück war das ein Traum.

Doch bald musste ich weiter. Vor mir hatte ich – wie bereits erwähnt – eine lange Fahrt und zwar eine, die mich super schwitzen lassen würde. Khaled eskortierte mich freundlicherweise noch aus der Stadt – bis zur ersten Polizeikontrolle…

Nach einer gefühlten Ewigkeit durch die Wüste bei Temperaturen, die mir eine Vorahnung gaben, wie ich mich als Sünder in der Hölle fühlen werde, sowie unzähligen Polizei-Kontrollen, kam ich am Abend in Nouakchott an, um endlich mal persönlich auch meinen ersten mauretanischen Freund Hachim zu treffen.

Hachim empfing mich als ob wir uns schon seit Jahren gekannt hätten. Sehr herzlich, offen, lustig und völlig entspannt, so entspannt wie nur ein 23-jähriger Mann entspannt sein kann. Ich war sofort sein „Bro“. Ich wollte in Nouakchott nur eine Nacht verbringen. Ich blieb aber drei und erfuhr wiedermal eine großartige Gastfreundschaft.

Ich lernte auch einen Cousin kennenlernen: Mohidin, der im Haus eine wichtige Rolle spielte: er unterrichtete die Kinder jeden Morgen Arabisch und „prügelte“ den Mädchen (es waren insgesamt vier, davon drei im lernfähigen Alter) auch Quran-Verse rein: Morgen für Morgen. Mohidin war ebenso nett und neugierig auf den Typen aus dem fernen Norden. Bedauerlicherweise sprachen wir keine gemeinsame Sprache, aber der Google-Übersetzer lieferte schon ziemlich sehenswerte Ergebnisse und trug bei, dass so etwas wie eine Konversation möglich wurde. Mohidin erzählte mir, dass er in einer Koran-Schule studierte. Sein Wunsch gegenwärtig wäre es, in Deutschland/Europa eine Arbeit zu finden. »Shit« – dachte ich, was sollte ich ihm bloß antworten? Ich wollte keinesfalls irgendwelche falsche Versprechungen machen und es war klar, dass er eine naive und „romantische“ Vorstellung davon hat, wie man in Europa eine Arbeit findet. Gleichzeitig wollte ich ihn motivieren und nicht enttäuschen, so sagte ich ihm, dass das Thema sehr schwierig sei, wenn man weder Englisch noch Deutsch spricht. Er fand meine Antwort zufriedenstellend – dachte ich.

Am nächsten Morgen setzten wir unser Gespräch fort. Diesmal war der Wunsch von Mohidin ein anderer. Es ergab sich, dass er jetzt die Pläne etwas umgeworfen hatte. Er wolle jetzt in Deutschland studieren. Ob das nun möglich wäre – war seine Frage.

Vermutlich war mein etwas zu langes Schweigen ziemlich demotivierend für Mohidin. Ich sammelte meine Gedanken: »Ein Absolvent einer privaten Koran-Schule möchte in Deutschland studieren!«

»Mensch, Mohidin« – dachte ich. »Warum hast du bloß nicht Architektur, Umweltschutz oder mindestens Germanistik studiert?«

Kurz und vereinfacht erklärt: in einer Koran-Schule studiert man ein Buch. Das hat wahrscheinlich auch was mit einem Theologie-Studium in Europa zu tun. Man studiert ein paar Jahre lang ein Buch! Eine ziemlich schreckliche Vorstellung. Es ist in beiden Fällen nicht mal ein lustiges Buch…

Die gedankliche Suche nach einer diplomatischen, dennoch ehrlichen Antwort wurde von Hachim unterbrochen, der hereinplatzte und mich auf wenig sanfte Weise aus der Misere rettete: »Du willst in Europa studieren? Du hast doch keinen Abschluss. Wie soll das denn gehen?« Mohidin senkte seinen Blick. Er bohrte dann auch nicht mehr weiter. Er tat mir echt leid, weil er so freundlich und wissbegierig über Europa war. Ich kenne seine Lebensgeschichte nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass er mit viel Fleiß die Koran-Verse im Studium auswendig lernte. Vielleicht erfüllte er dadurch den Wunsch seiner Eltern. So etwas endet meistens böse für das Kind. Auch bei uns in Europa…

Aber zurück zu Hachim, meinem CouchSurfing-Freund. Wie oben aufgezeigt: ein frecher Typ. Wir unternahmen zusammen so einiges: Picknick auf einem Teppich am Strand, Freunde treffen, Konsulate besuchen, im Sand Motorrad-Fahren. Hachim erzählte mir von seinen Plänen, in Kanada zu studieren. Dafür verkaufte er alles, was er in Geld umwandeln konnte: Auto, Iphone X. Seine Familie schien auch nicht arm zu sein. Er hat eine reale Chance, seine Träume zu verwirklichen, vor allem durch seine Motivation und Unnachgiebigkeit. Ich drücke ihm die Daumen!

Er half mir und noch vielen anderen Reisenden sehr viel in Mauretanien, dafür sammelte er mit Sicherheit ganz viele Karma-Punkte. Er begleitete mich seit der Einreise und erkundete sich noch lange nach dem ich Nouakchott verließ, wie es mir geht und ob sich seine Freunde in Kiffa gut um mich kümmerten!

Und Kiffa war die letzte Stadt in Mauretanien, bevor ich nach Mali meine Reise fortsetzte. Ich habe dort zwei spannende Tage mit Radhi und Mahfoudh verbracht. Obwohl wir etwas sprachliche Schwierigkeiten hatten, verstanden wir uns schon ganz gut! Dennoch fehlte es auch nicht an Missverständnissen.

Der zweite Tag fing schon so an. Wir waren verabredet, dass wir uns zu dritt am Morgen um 8:00 Uhr treffen sollten. Ich war um 7:00 Uhr wach, dachte aber: »Hey, es ist doch zu früh!« Außerdem eine weitere Stunde zu schlafen klang sehr verlockend. So schrieb ich eine Nachricht an Radhi:

»Radhi, lass uns doch lieber um 9:00 Uhr treffen. Es wäre schön, wenn wir unser Treffen um eine Stunde nach hinten verschieben könnten« – schrieb ich extra doppelt, damit meine Nachricht verstanden wird.

»Ok« – schrieb Radhi gleich zurück.

So legte ich mich wieder hin und machte glücklich die Augen zu. Um 7:55 Uhr riss mich das Klopfen an der Tür gnadenlos aus dem Tiefschlaf. Radhi und Mahfoudh standen an der Tür und hielten strahlend das Frühstück in der Hand. Ich – halb im Schlaf – zeigte meine große Freude über diesen unerwartet frühen Besuch…

Immerhin fing der Tag dann dafür früh an. Wir fuhren aus der Stadt zum Teich und verbrachten dort ein paar nette Stunden im Schatten auf einem Riesenteppich, der erneut aus dem Kofferraum eines kleinen Toyotas samt Kissen gezaubert wurde.

Am Nachmittag wollten die Jungs mich wieder abholen, um irgendwohin zu fahren. Wir haben 14:00 Uhr vereinbart. Bis dahin wollte ich im Hotelzimmer bleiben, um an meinen Fotos zu arbeiten.

Um 19:00 Uhr: Klopfen an der Tür. Radhi kam mit „etwas“ Verspätung an, um mich abzuholen. Er war alleine und ohne Auto, weil Mahfoudh irgendwas anderes erledigen musste und keine Zeit hatte.

Nun war die große Frage, wo werden wir denn hinfahren. Ich stellte mir vor: er will mich bestimmt einem breiteren Freundeskreis vorstellen. Oder noch schöner: vielleicht fahren wir zu Radhi nach Hause, um die Familie kennen zu lernen? Wir nahmen mein Moped, weil ja Mahfoudh mit seinem Auto nicht da war. War ja auch kein Problem. Wir stiegen ein und fuhren los in die Dunkelheit. Unterwegs stellte ich mir noch vor, wie der Besuch bei der Familie ablaufen wird: Ich komme an und werde wahrscheinlich dann ins Haus gebeten. Die Familie wird mich freundlich begrüßen, eine Schwester von Radhi – wenn es die gibt – wird Tee vorbereiten. Sein älterer Brüder – falls es den gibt – wird ein paar qualifizierte Fragen zum Motorrad stellen. Ich werde dann über meine bisherige Reise erzählen, und darüber, was mir in Mauretanien am besten gefällt. Der Familienvater wird freundlich lächeln und mir die Hand schütteln. Wir verbringen einen netten Abend zusammen. Ich werde mit ein paar hilflosen Vokabeln auf Arabisch die Leute zum Lachen bringen. Dann erzählen sie mir wie sie sich freuen, dass ein Fremder ihre Heimat besucht und wir werden ein Gruppenfoto machen.

Meine Träumereien wurden unterbrochen als ich feststellte, dass wir die Stadt verließen und in vollkommener Dunkelheit Richtung Wüste fahren. Dies bereitete mir noch keine Sorgen, denn »gegebenenfalls ist das Familienanwesen irgendwo außerhalb der Stadt« – tröstete ich mich. 20 Minuten später fuhren wir immer noch. Radhi machte keine Anstalten mir zu sagen, wie lange es noch dauern wird. Plötzlich sahen wir Lichter. Es war aber kein Haus mit schönem Garten sondern eine Polizeikontrolle. Ok, diese kannte ich schon von unserem Ausflug am Vormittag. Die Polizisten wollten erneut alles über mich wissen. Und diesmal war das sogar etwas lustig. Es gab den – wie ich dachte – Polizisten, der das Kommando hatte und Fragen stellte sowie einen, der alles protokollierte. Das Gespräch verlief in drei Sprachen, Arabisch, Französisch und etwas Englisch – alles durcheinander gemischt:

»Beruf?« – fragte der Kommandant.

»Event Manager« – antwortete ich, um keine Nachfragen zu provozieren. Ich erzähle nie, dass ich Fotograf bin, weil die mich sonst mit weiteren Fragen bohren könnten: Wieso? Wofür? Wozu? Etc.

»Journalist?« – fragte der Kommandant nach. Der Protokollant erhob auch sein Blick.

»Nein, Manager – ich organisiere Konferenzen in Deutschland« – fügte ich zu, um alles klar zu machen.

»Ok, schreib Journalist« – sagte der Kommandant zum Protokollanten, was der dann auch gleich tat. Ich protestierte nicht mehr. Die Frage nach meiner Tätigkeit schien somit geklärt zu sein: »Wenn sie mit Journalisten keine Probleme hier haben – umso besser.«

Nach der Kontrolle bestiegen das Moped und fuhren los. »Bitte umdrehen« – sagte dann Radhi gleich zu mir. »Wie bitte?« – schaute ich unglaublich zu ihm auf. »Ja, ja – fahr bitte zurück.« Ich dachte noch: »Ok, vielleicht sind wir schon da und mussten noch die Polizeikontrolle absolvieren.« Aber leider doch nicht. Wir fuhren wieder den ganzen weg zurück zu meinem Hotel. Es ergab sich dann später: der Vater von Radhi ist Polizeichef in Kiffa und bat seinen Sohn darum, mich von der Polizei kontrollieren zu lassen. Auch ok. Immerhin erkannten mich die Polizisten am nächsten Morgen als ich vorbeifuhr und wollten mich nicht mehr (zum dritten Mal) kontrollieren.

Radhi und Mahfoudh verabschiedeten mich am nächsten Morgen und zeigten wieder die unglaubliche Gastfreundschaft von Mauretanien: sie versorgten mich mit Essen, Wasser, zahlten gar meine Hotelrechnung! Einfach unglaublich…

Nach 300km Fahrt wieder in einer weit über 40°-Hitze kam ich an die Grenze. Ich war ausgerechnet da, als ein Sandsturm heranzog. Ein krasses Erlebnis! Alles was lebt, versteckt sich und macht die Türen zu. Alles was nicht viel Gewicht hat und nicht fest fixiert wurde, fliegt davon. Mein Pech und Glück gleichzeitig war, dass der „Beamte mit dem Stempel“ nicht da war und ich dann knapp zwei Stunden an der Grenze warten musste (durfte). Ich erfuhr aber wiedermal die unglaubliche mauretanische Gastfreundschaft: die Polizisten nahmen mich in ihre Räume auf, gaben mir Essen und Wasser. Es gab dort keine Stühle zum Sitzen, dafür aber Matratzen zum Liegen. Ich durfte gar mein Motorrad vor dem Sandsturm direkt unterm Dach verstecken. Zwei Stunden später kam der „Stempel-Beamte“ und ich durfte nach Mali weiterfahren…

In Summe: in Mauretanien konnte ich zwar keine baulichen Meisterwerke betrachten (vielleicht gibt es die tatsächlich), aber ich habe wunderbare, herzliche Menschen kennen gelernt, die sich stets darum bemühten, dass es mir bestens ging. Die Mauretanier sind für mich der wahre Schatz von Mauretanien.

Planänderung

Um so wenig wie möglich Grenzübergänge und somit weniger Bürokratie auf mich nehmen zu müssen, sowie den Zeitplan etwas aufzuholen, plante ich ursprünglich einen kürzeren Weg: von Mauretanien nach Mali durch Burkina Faso und schließlich nach Benin, wo ich ein paar Tage länger bleiben wollte. 

Nun ergab sie die Reise nach Burkina als „bad idea“. Es erreichten mich immer wieder Neuigkeiten, die mich nachdenklich machten. Burkina Faso scheint „not the place to be right now“ zu sein – schrieb mir Chloe von der FB-Gruppe „West Africa Travellers“. Die Mitglieder der Whatsapp-Gruppe „Africa by moto“ konnten mir auch nur einen Rat geben: Ich solle die UN-Mission in Bamako aufsuchen und dort nach einem sicheren Weg fragen. Auch das deutsche Außenministerium empfiehlt mit Vorsicht, nicht nach Burkina Faso zu reisen: 

In allen Grenzregionen ist eine hohe Zunahme von terroristischen und kriminellen Aktivitäten zu verzeichnen. Entsprechend wird generell auch davon abgeraten, auf dem Landweg nach Burkina Faso einzureisen. Des Weiteren raten wir dringend von Reisen nördlich der Linie Koupela-Ouagadougou-Toma sowie westlich der Linie Toma-Dédougou-Bobo Dioulasso-Banfora ab.

Mehrfach wurden auch westliche Ausländer Opfer von offensichtlich gezielten Entführungen, wie im Dezember 2018, im Januar 2019 und zuletzt im Mai 2019 im Pendjari-Nationalpark auf beninischer Seite im Grenzgebiet mit anschließender Verschleppung nach Burkina Faso.

Da mir die oben erwähnten Orte aus meiner Routenplanung bekannt vorkamen, entschied ich mich auf Burkina zu verzichten. Die Familie und meine Freundin, sie alle atmeten tief auf. Nun war die einzige Alternative zu dieser Route, von Mali nach Cote d‘Ivoire, Ghana, Togo und Benin zu fahren. Blöderweise hatte ich die Visa für Mali und Burkina bereits. Für die neue Strecke natürlich nicht. 

Eine kurze Recherche ergab, dass ein Honorarkonsul von Côte d‘Ivoire in Nouakchott residiert. Aber ein Honorarkonsul? Kann er was? Es ist eher ein Amt für repräsentative Zwecke – dachte ich. Es schadet aber nicht, mal anzuklopfen und zu fragen. So fuhren wir los, Hachim und ich, um dem Konsul einen Besuch abzustatten. Ich war froh, dass Hachim dabei war, zur Not könnte er dann übersetzen, wenn ich mit Englisch nicht weiter kommen sollte. Wir klopften an und eine massive Tür wurde uns geöffnet. Wir wurden ins Sekretariat gebeten, wo eine junge Sekretärin in einem schicken gelben Kleidchen saß und mit ihrem Handy spielte. Hachim erklärte kurz, was wir wollten. 

Die Sekretärin erhob kurz ihren Blick zu uns: 

»Ja, das ginge schon, nur der Konsul ist nicht da.« 

Danach widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Smartphone und teilte uns mit: »Wir sollen ihn dann anrufen, um zu erfahren, wann er kommt.« – Ich hob die Augenbrauen hoch. 

Hachim war aber schon am Handy und im Begriff den Konsul tatsächlich direkt anzurufen. Die Nummer nahm er einfach von der Website des Konsulats. Als sich der Konsul meldete, übergab Hachim der Sekretärin das Smartphone und sagte zu ihr: 

»Er ist dran, klären Sie das.« Und Wunder geschehen: der Konsul werde bald eintreffen und sich um die Angelegenheit kümmern. 

Nach einer Stunde war es so weit. Es wurde uns mitgeteilt, dass der Konsul uns erwartet. Wir gingen rein und sahen einen älteren Herren hinter einem Berg an Unterlagen, Mappen, Dokumenten und Fotos am Schreibtisch sitzen. Neben dem Schreibtisch stand ein Gewehr – vermutlich nicht als Deko gedacht. »Ob das gut gehen wird?« – fragte ich mich noch.

Der Herr lächelte uns aber sehr freundlich an und lud uns ein, Platz zu nehmen. Hachim begann dann auf Französisch zu erklären, was wir wollen, wo ich herkomme und ob der Konsul mit mir in Englisch sprechen könne, weil ich leider kein Französisch spreche. 

»Wieso Englisch? Kann er kein Deutsch?« – warf der Konsul auf Englisch. Hachim und ich schauten uns kurz erstaunt an. 

Dann sagte ich auf Deutsch: »Doch, doch – das kann ich natürlich. Sprechen Sie Deutsch?

»Ja, ein bisschen schon« – antwortete der Konsul auf Deutsch, aber das klang schon verdächtig gut! 

»Woher kommen Sie?« – fragte mich der Konsul weiter. 

»Baden-Baden« – antwortete ich vorsichtig.

»Ich bin aus Hannover« – sagte der Konsul und ich machte große Augen! 

Dann fiel mir auf, dass bei ihm im Büro ein Hannover96-Emblem an der Wand hängte! Wow, wie klein die Welt doch ist! 

In seinem Büro hingen überall alte Fotos! Mal er mit dem ersten mauretanischen Präsidenten, mal mit dem ivorischen Präsidenten und noch mit anderen hohen Politikern, die allesamt ihre Karrieren sicherlich schon in den 60-70ern beendet hatten. 

Er erzählte viel über die alten Zeiten der Gründung afrikanischer Staaten, der Euphorie über die Erlangung der Unabhängigkeit durch die westafrikanischen Länder usw. 

Er suchte dann eine Weile lang in seinen Unterlagen. Diese kam uns schon sehr lange vor, aber wir warteten geduldig und weiterhin schweigend. Ich dachte: 

»Ok, er sucht bestimmt irgendwelche Antragsformulare für meinen Visumantrag. Ist ja auch kein Problem. Er ist svhon ein älterer Herr und braucht Zeit. Wahrscheinlich kommt nicht jeden Tag ein Europäer und stellt bei ihm einen solchen Antrag.« 

Dann – nach ca. 30-40 Minuten, vorsichtig geschätzt – fand er, was er suchte! Es waren nicht die Antragsformulare, nicht die Instruktion, wie man ein Visum ausstellt und auch nicht die Preisliste mit den Visumgebühren. Es waren seine alten Fotos aus Hannover! Ich glaube, just in diesem Moment hatte ich meinen Mund breit geöffnet. Ich weiß nicht mehr, was mich mehr erstaunte: dass er jetzt doch keine Unterlagen suchte oder die Tatsache, dass ich aus den Fotos erfuhr, dass der ivorische Honorarkonsul, Monsieur Tidiane Diagana, in der Bundesliga bei Hannover 96 spielte, und zwar in 1965! Ich sah ihn als jungen Mann in Gesellschaft von seinem damaligen Trainer und anderen Spielern. Mir verschlug es die Sprache! Er erzählte von seiner Ankunft in Deutschland und über seine spätere politische Karriere in Afrika. Er zeigte uns noch mehr Fotos von ihm zusammen mit den afrikanischen Politikern von damals. 

Wir verbrachten gute drei Stunden im Konsulat. Davon entfielen wahrscheinlich zwanzig Minuten für meinen Visumantrag. Das Visum stempelte mir Monsieur Diagana dann direkt und höchstpersönlich in meinen Reisepass rein. Die Visumgebühr musste ich trotzdem bezahlen. Ich hoffte insgeheim, dass mir die Gebühren erspart blieben – schließlich war ich ja ein guter Zuhörer und sicherlich auch ein interessanter Ansprechpartner! Am Ende war ich aber natürlich nicht enttäuscht, sie doch zahlen zu müssen. Die Begegnung war so überraschend und spannend, dass ich wahrscheinlich am Ende jede Gebühr entrichtet hätte, selbst für diese unerwartete Begegnung. 

Nachtrag am 13. Oktober 2019: In Burkina Faso krachte es mal wieder. Gestern sind bei einem Anschlag in der Hauptstadt 15 Menschen ums Leben gekommen. Dieses Land kommt nicht zur Ruhe… 

„I am sorry Sir, I have no fish“

Sobald ich in Mauretanien ankam, kamen die ersten Kontrollposten der Polizei. Da ich in Marokko nur Gutes von der Polizei erfahren hatte, erwartete ich auch in Mauretanien keine Schwierigkeiten: bisschen quatschen, lächeln, das Moped erklären und weiterfahren. In der Tat sind auch hier die Polizisten nett und neugierig. Wenn sie einen in Mitten der Wüste stoppen, wollen sie sich ja auch unterhalten. 

Der einzige Unterschied zu Marokko besteht darin, dass sie von den Ausländern „fish“ verlangen. Jedes Mal wenn du gestoppt wirst, wirst auch nach dem „fish“ gefragt. Beim allerersten Mal machte ich große Augen. Die erste Frage war gleich:

»Fish?« 

»What?« – schaute ich verdutzt.

»Sorry Sir, what do you mean? What fish?« 

»Fish!« 

Wir kamen nicht weiter. Am Ende gab er mir ein Stück Papier und lies mich aufschreiben, wie ich heiße, wo ich herkomme, wo ich hinfahre, Nationalität, Marke des Motorrads, Reisepassnummer und so weiter. 

»This is „FISH“« – sagte er und deutete mit dem Finger auf den Zettel. 

Er meinte natürlich das französische „fiche“ für „Blattpapier“. Das Missverständnis war somit aufgelöst. 

Später musste ich noch unzählige Male anhalten und wurde jedes Mal nach dem „Fish“ gefragt. Hast Du keinen? Dann musst du an die Straßenseite fahren, dein Reisepass rausholen, Fragen beantworten, manchmal selbst per Hand alles auf Papier aufschreiben. Man kann ja schlecht den Verkehr dadurch beeinflussen und noch weniger einen Stau verursachen. Es dauert trotzdem ein paar Minuten bis du weiterfahren darfst. So habe ich jetzt in Nouakchott ein Papier erstellt und musste nur ein Copyshop finden, wo ich die Infos in fünfzigfacher Ausfertigung ausdrucken lassen konnte. Das müsste dann bis an die Grenze zur Mali ausreichen. 

Mauretania – hier beginnt Afrika

Die Überquerung der Grenze zwischen Marokko und Mauretanien bietet alle möglichen Attraktionen. In meinem Fall sogar noch eine zusätzliche: die Sorge, ob ich mich von meiner Drohne verabschieden musste. Bei der Anreise verlief alles zu meiner vollsten Zufriedenheit. Jetzt wartete die Ausreise auf mich… Zitternd näherte ich mich der Grenze. 

Es begrüßten mich etliche Passkontrollen, bevor ich überhaupt die Grenze erreichte. Irgendwann war es dann mal so weit. Ich stoppte kurz an dem Übergang in der Hoffnung, richtig zu stehen. Nein, leider falsch – es war der Zoll. Ich musste doch zuerst zur Grenzpolizei, den Reisepass abstempeln lassen. Ok, also wenden. Ich fuhr zwischen den LKWs auf die andere Seite des Grenzpostens. Leider auch falsch. Ich wurde darauf hingewiesen, dass zwar hier der richtige Schalter für die Passkontrolle sei, aber ich musste wieder zurück auf die andere Seite und dort parken. Ich näherte mich einer Gruppe der LKW-Fahrern, die an dem Schalter schon standen, um ihre Ausreisestempel abzuholen. Sie nahmen mir gleich meinen Pass ab und steckten ihn ganz unten in den Passstapel, der auf die Bearbeitung wartete. Nach blitzschnellen 30 Minuten kriegte ich meinen bestempelten Reisepass zurück und durfte dann… zum verdammten Zoll. 

Mit breitem Lächeln und positivem Gedankengut im Kopf kam ich an, stieg vom Moped ab und händigte dem Zollbeamten mit Stolz meinen Reisepass aus. Es erhoben sich gleich zwei von ihren Stühlen. Guter Zollbeamter und böser Zollbeamter – dachte ich. In der Tat: der eine mit einem Blick, als ob er bereit wäre, mich bis auf die Unterhose zu durchsuchen, der andere – nett, lächelnd. Nun begann die Prozedur:

»Öffnen Sie die Koffer und die Taschen« – warf der Böse mir zu.

»Alle?« – ich machte große Augen

»Ja, alle bitte« – antwortete der Nette. »Es wird nicht lange dauern« – ergänzte er noch fröhlich.

»Aber selbstverständlich« – erwiderte ich ebenso fröhlich und begann an den ganzen Schlössern, festgebundenen Flaschen, Spanngurten und allem was ich noch dabei hatte, zu fummeln. 

»Sir, ich bitte um Verzeihung, dass es so lange dauert. Das Motorradfahren ist sehr anstrengend« – warf ich noch zwischendurch, um den Beamten die Wartezeit zu füllen. 

»Ja, nehmen Sie sich Zeit« – antwortete der Nette.

»Haben Sie eine Drohne dabei?« – warf mir der Böse wie aus dem Nichts zu.

»Nein, habe ich nicht« – schaute ich ihm in die Augen und log direkt ins Gesicht. 

Scheinbar hatte er mir das tatsächlich abgekauft. Der Nette schaute noch kurz in meine Taschen rein. Fragte nach irgendwas, was das sei. Ich zog es heraus und erklärte, es sei ein Solarladegerät. Gleich nutzte ich die Gelegenheit, ihm die Funktionsweise zu erklären. Wir waren ja an der falschen Tasche und ich versuchte ihn so auch vom Weitersuchen abzulenken. Der Böse sagte dann, dass alles in Ordnung sei. Ich darf das Zeug wieder zusammenpacken. Ich entschuldigte mich noch, dass dies jetzt wieder lange dauern werde, damit er nicht doch auf die Idee käme, in die letzte Box reinzuschauen – die dann für mich ein gewisses Verlustrisiko mit sich gebracht hätte. 

So schaffte ich es, mich mal wieder als Schmuggler zu beweisen. Ich fuhr davon und lächelte innerlich sehr breit. Später kamen noch weitere Pass-Kontrollen, die ich aber mit größtem Vergnügen absolvierte. 

Nun war ich auf dem Weg nach Mauretanien. Ich hatte noch kein Visum und war gespannt, wie das jetzt alles weiter ging. 

Bevor man Mauretanien erreicht, muss noch ein Stück des „No-Mans-Land“ bewältigt werden. Am Anfang ist es noch asphaltiert und es stehen unendlich viele Trucks da, die nach Marokko einreisen wollen. Nach ca. einem Kilometer beginnt aber die Wildnis. Es gibt keinen Weg, keine Straße, einfach nur ein Stück Wüste, die du passieren musst. Mit allen möglichen Attraktionen: Sand, Felsen, Steine und einem Auto-Friedhof. Dort fanden Autos ihre letzte Ruhestätte, für die ihre Eigentümer keine Zollgebühren zahlen wollten. Die liegen einfach nur da und vergammeln in der Sonne. 

Nach langem Kampf (gekrönt mit einem kleinen Sturz im Sand) erreichte ich das Tor zu Mauretanien. Kaum angekommen wurde ich gleich in Empfang genommen. Es gibt Scharren von sog. Fixern, d.h. Grenzhelfern, die dich für eine kleine Gebühr an die Hand nehmen und dir alles zeigen, wo du hin musst und in welcher Reihenfolge. Ich las schon im Voraus darüber und dass man die Leute eigentlich nicht braucht. Man kriege schon alles selbst geregelt. So wehrte ich mich vor dieser Scharr an Gutmenschen, die einem Ausländer das Leben erleichtern wollten. Leider nicht ganz erfolgreich. Ich fiel Ahmeida Ould Bezeid zum Opfer. Er war super hartnäckig, trotzdem stets höflich und nett. Ich erklärte unzählige Male, dass ich alles selbst erledigen möchte und kein Geld für ihn habe. Er ließ nicht locker. Er packte mich an der Hand und zog mich von einem Posten zum anderen. Da er so sympathisch auftrat und den Anschein erweckte, dass er gerade in diesem Moment mein bester Freund war, folgte ich ihm. 

Wir gingen zuerst zu einen Grenzbeamten/Polizisten, der nur eine Aufgabe hatte: alle Neuankömmlinge in ein dickes Heft per Hand einzutragen. Nebenbei telefonierte er noch laut und ließ sich Zeit. Später ging es um das Visum. Ahmeida griff wieder meine hilflose Hand, zog mich zu einer weiteren Tür, ließ mich davor warten, nahm mein Reisepass und verschwand dahinter. Diese Stahl-Tür erschien mir wie ein geheimer Eingang zu einem dunklen Tunnel, an dessen Ende ganz viele mysteriöse vermummte Gestalten auf die nichts ahnenden ausländischen Touristen warteten, um sie dann auf eine gnadenlose Art und Weise zu durchsuchen, auszufragen und in den Extremfällen auszupeitschen und wegzusperren. Diese Tür hatte keine Klinke, lediglich gab es ein Loch in der Wand an der Stelle, wo das Schloss in den Türrahmen geschoben werden sollte. So steckte Ahmeida sein Zeigefinger in dieses Loch rein, schob das Schloss in die Tür und ging rein. Die Tür klaffte hinter ihm zu. Ein anderer Reisender, der gleich hinterher wollte, stand einfach verdutzt davor und glotzte die Schlossvorrichtung an, ohne den Mut aufzubringen, herein zu gehen. Er klopfte dann noch einige Male, gab schließlich auf und setzte sich zu den anderen Wartenden. 

Nach einer mir erscheinenden Ewigkeit (es waren eigentlich nur 30 Minuten), kam Ahmeida schließlich heraus und bat mich ihm zu folgen. Ich war so gespannt darauf, was für ein Labyrinth von Korridorren und Zellen sich dahinter versteckte! Und dann: es war einfach nur ein Büroraum, ca. 20m2 groß. An zwei Tischen saßen zwei in Arbeit vertiefte Beamten, an die Wänden gelehnt standen ein paar Leute, vielleicht um die acht oder zehn, die auf die Bearbeitung ihrer Visumanträge warteten. Ahmeida schien da richtig gut vernetzt zu sein, denn sein Kunde – ich – erhielt den einzigen Stuhl im „Wartebereich“. Ich setzte mich direkt gegenüber den – wie mir erschien – wichtigeren Beamten hin. Er trug ein weißes Hemd und Krawatte, was eigentlich überhaupt nicht zum Rest der Büroausstattung passte. Immerhin war das Büro mit Computern ausgestattet. Es war nicht die neueste Technologie, aber alles schien zu funktionieren. Dies wiederum war echt ein Wunder, weil alle Gerätschaften mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Kabel lagen überall im Raum herum, aus der Wand hing eine kaputte Steckdose. Die Wände wurden wahrscheinlich im ersten Jahr der Unabhängigkeit Mauretaniens gestrichen. Seitdem haben Generationen von Beamten in diesem Büro gearbeitet, jede zweite erhielt dann eine neue technische Ausstattung, der Raum blieb aber unverändert. 

Nun saß ich da und bestaunte die Vorrichtung. Nach einer halben Stunde bemerkte mich der Kerl mit der Krawatte. Auch kein Wunder – ich saß etwas ungünstig: seine Sicht auf mich war durch sein Bildschirm gesperrt. Dazu kam noch, dass mein Stuhl etwas tiefgelegt war, wahrscheinlich damit der Beamte auf seine Kundschaft von oben herab schauen und sie mit seinen Blicken einschüchtern konnte. Nun sah er mich auf ein Mal, etwas verwundert, dass da jemand wartete. Er bat mich um meine Fingerabdrücke, die ich dann auf einem professionellen Scanner abgab. Dann schaute ich tief in eine Webcam, um das Foto fürs Visum machen zu lassen. Später ergab sich dieses Foto als schwarzer Fleck auf dem Visumaufkleber. Ich zahlte 55 Euro für das Visum, denn bezahlen in Lokalwährung geht anscheinend nicht. Ich vermute, dass der Staat der eigenen Währung nicht vertraut oder nutzt die Touristen als Einnahmequelle für die härteren Währungen. Oder beides.

Mit dem Visum im Reisepass ging es dann weiter: zum Zoll, um 10 Euro für irgendein Stück Papier zu zahlen. Der Zollbeamte schaute zunächst grimmig, kannte aber meinen Ahmeida natürlich sehr gut. Und Ahmeida war auch sehr fürsorglich und stets zu Diensten. Er hielt ihm gar sein eigenes Handy als Taschenlampe hin, denn es war stockfinster in dem Raum. Die einzige natürliche Lichtquelle war die halb offene Eingangstür. 

Dann ging es weiter zur Grenzpolizei, Einreisestempel abholen. Leider kein Polizist da. Ahmeida ging auf die Suche und fand einen, der willig war, meinen Pass abzustempeln. Dennoch war die Odyssee noch nicht am Ende. Noch war die Einreiseschranke – eine tief hängende Kette – nicht offen. Wieder mal ging Ahmeida zu dem Wachposten, sie umarmten sich herzlich, sprachen eine Weile und Ahmeida machte mir dann die Schranke auf. Wohl bemerkt – nicht der Grenzpolizist. 

Anschließend wurde mir noch die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Versicherung erklärt, denn im Falle einer Polizeikontrolle könne ich große Schwierigkeiten bekommen. Weitere 10 Euro weg. 

Am Ende dauerte die ganze Prozedur über drei Stunden, vielleicht vier. Bezüglich Ahmeida hatte ich dann auch gemischte Gefühle. Er half mir in der Tat sehr. Ohne ihn hätte die Prozedur sicherlich länger gedauert. Ich hätte mich überall durchfragen müssen, wahrscheinlich hätte mich dann ein anderer „Fixer“ belästigt. Es war auch interessant zu sehen, wie mein Fixer an der Grenze gut „vernetzt“ ist. Ich wette meinen ganzen saharischen Wasservorrat darauf, dass er die Beamten dort schmiert. Im Interesse beider Parteien (den Fixern und den Beamten), gibt es dort keine Hinweisschilder, nichts was einem Reisenden die Grenzüberquerung erleichtern könnte. Ich habe Verständnis für die offiziellen Prozeduren, Visumgebühren, Zollvorschriften. Ich habe aber Bauchschmerzen bei korrupten Vorgängen, insbesondere wenn das zum Standard wurde. Ich habe Ahmeida die 10 Euro am Ende bezahlt. Er war ein sympathischer Kerl. Ich wage sogar zu behaupten, dass er mir geholfen hätte, auch wenn ich ihm nichts bezahlt hätte. Er opferte für mich drei Stunden seiner Zeit. Ich dachte, die 10€ hatte er sich verdient. 

Jetzt bin ich etwas erfahrener, was die Grenzüberquerungen anbetrifft. Man muss einfach überall hereinschauen und alle möglichen Uniformierten mit Fragen löchern. Wenn du kurz zögerst, kommt gleich ein „Helfer“. Und wenn du Pech hast, triffst Du einen, der dir vielleicht nicht nur helfen will. 

Willkommen in Afrika – dachte ich und fuhr nach Nouadhibou. Nach 1000 Metern kam die erste Polizeikontrolle.