Mauretania – hier beginnt Afrika

Die Überquerung der Grenze zwischen Marokko und Mauretanien bietet alle möglichen Attraktionen. In meinem Fall sogar noch eine zusätzliche: die Sorge, ob ich mich von meiner Drohne verabschieden musste. Bei der Anreise verlief alles zu meiner vollsten Zufriedenheit. Jetzt wartete die Ausreise auf mich… Zitternd näherte ich mich der Grenze. 

Es begrüßten mich etliche Passkontrollen, bevor ich überhaupt die Grenze erreichte. Irgendwann war es dann mal so weit. Ich stoppte kurz an dem Übergang in der Hoffnung, richtig zu stehen. Nein, leider falsch – es war der Zoll. Ich musste doch zuerst zur Grenzpolizei, den Reisepass abstempeln lassen. Ok, also wenden. Ich fuhr zwischen den LKWs auf die andere Seite des Grenzpostens. Leider auch falsch. Ich wurde darauf hingewiesen, dass zwar hier der richtige Schalter für die Passkontrolle sei, aber ich musste wieder zurück auf die andere Seite und dort parken. Ich näherte mich einer Gruppe der LKW-Fahrern, die an dem Schalter schon standen, um ihre Ausreisestempel abzuholen. Sie nahmen mir gleich meinen Pass ab und steckten ihn ganz unten in den Passstapel, der auf die Bearbeitung wartete. Nach blitzschnellen 30 Minuten kriegte ich meinen bestempelten Reisepass zurück und durfte dann… zum verdammten Zoll. 

Mit breitem Lächeln und positivem Gedankengut im Kopf kam ich an, stieg vom Moped ab und händigte dem Zollbeamten mit Stolz meinen Reisepass aus. Es erhoben sich gleich zwei von ihren Stühlen. Guter Zollbeamter und böser Zollbeamter – dachte ich. In der Tat: der eine mit einem Blick, als ob er bereit wäre, mich bis auf die Unterhose zu durchsuchen, der andere – nett, lächelnd. Nun begann die Prozedur:

»Öffnen Sie die Koffer und die Taschen« – warf der Böse mir zu.

»Alle?« – ich machte große Augen

»Ja, alle bitte« – antwortete der Nette. »Es wird nicht lange dauern« – ergänzte er noch fröhlich.

»Aber selbstverständlich« – erwiderte ich ebenso fröhlich und begann an den ganzen Schlössern, festgebundenen Flaschen, Spanngurten und allem was ich noch dabei hatte, zu fummeln. 

»Sir, ich bitte um Verzeihung, dass es so lange dauert. Das Motorradfahren ist sehr anstrengend« – warf ich noch zwischendurch, um den Beamten die Wartezeit zu füllen. 

»Ja, nehmen Sie sich Zeit« – antwortete der Nette.

»Haben Sie eine Drohne dabei?« – warf mir der Böse wie aus dem Nichts zu.

»Nein, habe ich nicht« – schaute ich ihm in die Augen und log direkt ins Gesicht. 

Scheinbar hatte er mir das tatsächlich abgekauft. Der Nette schaute noch kurz in meine Taschen rein. Fragte nach irgendwas, was das sei. Ich zog es heraus und erklärte, es sei ein Solarladegerät. Gleich nutzte ich die Gelegenheit, ihm die Funktionsweise zu erklären. Wir waren ja an der falschen Tasche und ich versuchte ihn so auch vom Weitersuchen abzulenken. Der Böse sagte dann, dass alles in Ordnung sei. Ich darf das Zeug wieder zusammenpacken. Ich entschuldigte mich noch, dass dies jetzt wieder lange dauern werde, damit er nicht doch auf die Idee käme, in die letzte Box reinzuschauen – die dann für mich ein gewisses Verlustrisiko mit sich gebracht hätte. 

So schaffte ich es, mich mal wieder als Schmuggler zu beweisen. Ich fuhr davon und lächelte innerlich sehr breit. Später kamen noch weitere Pass-Kontrollen, die ich aber mit größtem Vergnügen absolvierte. 

Nun war ich auf dem Weg nach Mauretanien. Ich hatte noch kein Visum und war gespannt, wie das jetzt alles weiter ging. 

Bevor man Mauretanien erreicht, muss noch ein Stück des „No-Mans-Land“ bewältigt werden. Am Anfang ist es noch asphaltiert und es stehen unendlich viele Trucks da, die nach Marokko einreisen wollen. Nach ca. einem Kilometer beginnt aber die Wildnis. Es gibt keinen Weg, keine Straße, einfach nur ein Stück Wüste, die du passieren musst. Mit allen möglichen Attraktionen: Sand, Felsen, Steine und einem Auto-Friedhof. Dort fanden Autos ihre letzte Ruhestätte, für die ihre Eigentümer keine Zollgebühren zahlen wollten. Die liegen einfach nur da und vergammeln in der Sonne. 

Nach langem Kampf (gekrönt mit einem kleinen Sturz im Sand) erreichte ich das Tor zu Mauretanien. Kaum angekommen wurde ich gleich in Empfang genommen. Es gibt Scharren von sog. Fixern, d.h. Grenzhelfern, die dich für eine kleine Gebühr an die Hand nehmen und dir alles zeigen, wo du hin musst und in welcher Reihenfolge. Ich las schon im Voraus darüber und dass man die Leute eigentlich nicht braucht. Man kriege schon alles selbst geregelt. So wehrte ich mich vor dieser Scharr an Gutmenschen, die einem Ausländer das Leben erleichtern wollten. Leider nicht ganz erfolgreich. Ich fiel Ahmeida Ould Bezeid zum Opfer. Er war super hartnäckig, trotzdem stets höflich und nett. Ich erklärte unzählige Male, dass ich alles selbst erledigen möchte und kein Geld für ihn habe. Er ließ nicht locker. Er packte mich an der Hand und zog mich von einem Posten zum anderen. Da er so sympathisch auftrat und den Anschein erweckte, dass er gerade in diesem Moment mein bester Freund war, folgte ich ihm. 

Wir gingen zuerst zu einen Grenzbeamten/Polizisten, der nur eine Aufgabe hatte: alle Neuankömmlinge in ein dickes Heft per Hand einzutragen. Nebenbei telefonierte er noch laut und ließ sich Zeit. Später ging es um das Visum. Ahmeida griff wieder meine hilflose Hand, zog mich zu einer weiteren Tür, ließ mich davor warten, nahm mein Reisepass und verschwand dahinter. Diese Stahl-Tür erschien mir wie ein geheimer Eingang zu einem dunklen Tunnel, an dessen Ende ganz viele mysteriöse vermummte Gestalten auf die nichts ahnenden ausländischen Touristen warteten, um sie dann auf eine gnadenlose Art und Weise zu durchsuchen, auszufragen und in den Extremfällen auszupeitschen und wegzusperren. Diese Tür hatte keine Klinke, lediglich gab es ein Loch in der Wand an der Stelle, wo das Schloss in den Türrahmen geschoben werden sollte. So steckte Ahmeida sein Zeigefinger in dieses Loch rein, schob das Schloss in die Tür und ging rein. Die Tür klaffte hinter ihm zu. Ein anderer Reisender, der gleich hinterher wollte, stand einfach verdutzt davor und glotzte die Schlossvorrichtung an, ohne den Mut aufzubringen, herein zu gehen. Er klopfte dann noch einige Male, gab schließlich auf und setzte sich zu den anderen Wartenden. 

Nach einer mir erscheinenden Ewigkeit (es waren eigentlich nur 30 Minuten), kam Ahmeida schließlich heraus und bat mich ihm zu folgen. Ich war so gespannt darauf, was für ein Labyrinth von Korridorren und Zellen sich dahinter versteckte! Und dann: es war einfach nur ein Büroraum, ca. 20m2 groß. An zwei Tischen saßen zwei in Arbeit vertiefte Beamten, an die Wänden gelehnt standen ein paar Leute, vielleicht um die acht oder zehn, die auf die Bearbeitung ihrer Visumanträge warteten. Ahmeida schien da richtig gut vernetzt zu sein, denn sein Kunde – ich – erhielt den einzigen Stuhl im „Wartebereich“. Ich setzte mich direkt gegenüber den – wie mir erschien – wichtigeren Beamten hin. Er trug ein weißes Hemd und Krawatte, was eigentlich überhaupt nicht zum Rest der Büroausstattung passte. Immerhin war das Büro mit Computern ausgestattet. Es war nicht die neueste Technologie, aber alles schien zu funktionieren. Dies wiederum war echt ein Wunder, weil alle Gerätschaften mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Kabel lagen überall im Raum herum, aus der Wand hing eine kaputte Steckdose. Die Wände wurden wahrscheinlich im ersten Jahr der Unabhängigkeit Mauretaniens gestrichen. Seitdem haben Generationen von Beamten in diesem Büro gearbeitet, jede zweite erhielt dann eine neue technische Ausstattung, der Raum blieb aber unverändert. 

Nun saß ich da und bestaunte die Vorrichtung. Nach einer halben Stunde bemerkte mich der Kerl mit der Krawatte. Auch kein Wunder – ich saß etwas ungünstig: seine Sicht auf mich war durch sein Bildschirm gesperrt. Dazu kam noch, dass mein Stuhl etwas tiefgelegt war, wahrscheinlich damit der Beamte auf seine Kundschaft von oben herab schauen und sie mit seinen Blicken einschüchtern konnte. Nun sah er mich auf ein Mal, etwas verwundert, dass da jemand wartete. Er bat mich um meine Fingerabdrücke, die ich dann auf einem professionellen Scanner abgab. Dann schaute ich tief in eine Webcam, um das Foto fürs Visum machen zu lassen. Später ergab sich dieses Foto als schwarzer Fleck auf dem Visumaufkleber. Ich zahlte 55 Euro für das Visum, denn bezahlen in Lokalwährung geht anscheinend nicht. Ich vermute, dass der Staat der eigenen Währung nicht vertraut oder nutzt die Touristen als Einnahmequelle für die härteren Währungen. Oder beides.

Mit dem Visum im Reisepass ging es dann weiter: zum Zoll, um 10 Euro für irgendein Stück Papier zu zahlen. Der Zollbeamte schaute zunächst grimmig, kannte aber meinen Ahmeida natürlich sehr gut. Und Ahmeida war auch sehr fürsorglich und stets zu Diensten. Er hielt ihm gar sein eigenes Handy als Taschenlampe hin, denn es war stockfinster in dem Raum. Die einzige natürliche Lichtquelle war die halb offene Eingangstür. 

Dann ging es weiter zur Grenzpolizei, Einreisestempel abholen. Leider kein Polizist da. Ahmeida ging auf die Suche und fand einen, der willig war, meinen Pass abzustempeln. Dennoch war die Odyssee noch nicht am Ende. Noch war die Einreiseschranke – eine tief hängende Kette – nicht offen. Wieder mal ging Ahmeida zu dem Wachposten, sie umarmten sich herzlich, sprachen eine Weile und Ahmeida machte mir dann die Schranke auf. Wohl bemerkt – nicht der Grenzpolizist. 

Anschließend wurde mir noch die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Versicherung erklärt, denn im Falle einer Polizeikontrolle könne ich große Schwierigkeiten bekommen. Weitere 10 Euro weg. 

Am Ende dauerte die ganze Prozedur über drei Stunden, vielleicht vier. Bezüglich Ahmeida hatte ich dann auch gemischte Gefühle. Er half mir in der Tat sehr. Ohne ihn hätte die Prozedur sicherlich länger gedauert. Ich hätte mich überall durchfragen müssen, wahrscheinlich hätte mich dann ein anderer „Fixer“ belästigt. Es war auch interessant zu sehen, wie mein Fixer an der Grenze gut „vernetzt“ ist. Ich wette meinen ganzen saharischen Wasservorrat darauf, dass er die Beamten dort schmiert. Im Interesse beider Parteien (den Fixern und den Beamten), gibt es dort keine Hinweisschilder, nichts was einem Reisenden die Grenzüberquerung erleichtern könnte. Ich habe Verständnis für die offiziellen Prozeduren, Visumgebühren, Zollvorschriften. Ich habe aber Bauchschmerzen bei korrupten Vorgängen, insbesondere wenn das zum Standard wurde. Ich habe Ahmeida die 10 Euro am Ende bezahlt. Er war ein sympathischer Kerl. Ich wage sogar zu behaupten, dass er mir geholfen hätte, auch wenn ich ihm nichts bezahlt hätte. Er opferte für mich drei Stunden seiner Zeit. Ich dachte, die 10€ hatte er sich verdient. 

Jetzt bin ich etwas erfahrener, was die Grenzüberquerungen anbetrifft. Man muss einfach überall hereinschauen und alle möglichen Uniformierten mit Fragen löchern. Wenn du kurz zögerst, kommt gleich ein „Helfer“. Und wenn du Pech hast, triffst Du einen, der dir vielleicht nicht nur helfen will. 

Willkommen in Afrika – dachte ich und fuhr nach Nouadhibou. Nach 1000 Metern kam die erste Polizeikontrolle.

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