Der Weg durch Mali

Die Zollbeamten bevorzugen zuerst das Gebet, dann die Arbeit.

Durch die verzögerte Ankunft des „Mannes mit dem Stempel“ auf der mauretanischen Seite der Grenze kam ich schon relativ spät am letzten offiziellen Kontrollposten in Mali an. Ich dachte trotzdem, dass die Formalitäten nicht all zu lange dauern würden. Ich benötigte ein Zolldokument, dessen Ausstellung normalerweise ein paar Minuten dauert. Doch mein Aufenthalt am Zollkontrollposten sollte erst am nächsten Morgen enden.

Gut gelaunt und bestens genährt (Dank der mauretanischen Grenzpolizisten) kam ich ziemlich schnell durch Mali-Immigration und ich fuhr dann weiter, um die letzte Kontrolle zu absolvieren. Ich kam am Zollgebäude an und sah gleich, wie ein Kerl aus einem Toyota Corolla mit spanischem Kennzeichen ausstieg.

»Oh, wie schön!« – dachte ich. »Endlich kann ich ein paar Nettigkeiten mit jemandem austauschen« – ich nahm an, der Typ kam mit dem Auto aus Spanien. So sprach ich ihn fröhlich an:

»¡Hola Señor! ¿Que tal? ¿Hablas Español?«

»Hier ist Mali. Man spricht Französisch hier!« – war seine Antwort auf Französisch, die ich doch mühelos verstehen konnte.

»Alles klar Du Arschloch« – dachte ich nur, sagte es aber nicht laut, weil ich sah, dass er in das Zollamtbüro reinspazierte, und zwar mit einer Körperhaltung, als ob ihm das Büro gehören würde.

»Na super!« – »Wenn ich Pech habe, ist er dann auch derjenige, der mich gleich bedienen wird« – ich sah schon, wie ich mich klein machte und verlegen lächelte – während der Typ mich von oben herab betrachtete und sich seine Rache überlegte, weil ich seine fremdsprachlichen Kompetenzen bloß gestellt hatte.

Und in der Tat, ausgerechnet dieser Typ schien der zuständige Beamte zu sein.

»Könnten Sie mein Carnet de Passage stempeln?« – fragte ich höflich in einem sehr langsamen Englisch, wobei ich noch simultan eine eindeutige Handbewegung machte, die das Stempeln imitieren sollte.

»Heute wird nichts mehr gemacht« – antwortete er in einem gerade noch verständlichen Englisch. »Kommen Sie am Montag wieder« – warf er noch dazu.

Er sah wie ich große Augen machte und lächelte schelmisch. »Am Montag?« – schaute ich verlegen. »Es ist Freitag. Ich will doch weiter fahren!« – ich hatte das Gefühl, der Typ will mich verarschen. »Warum war er eigentlich noch da, wenn er nicht mehr arbeiten müsste?« – fragte ich mich.

Doch dann kam ein anderer herein:

»Was kann ich für Sie tun?« – ich war entzückt! Er war nett und sprach Englisch!

Ich erklärte ihm kurz, dass ich jetzt nach Mali kam und mein Zolldokument, das Carnet, gestempelt haben möchte.

»Kein Problem, machen wir« – sagte er. »Wir werden aber zuerst unser Abendgebet sprechen, dann kümmern wir uns um die Angelegenheit.«

»Aber selbstverständlich« – antwortete ich, und war glücklich, dass ich mein Lager nun doch nicht für ein paar Tage an der Grenze aufschlagen musste.

Nun musste ich erstmal warten. Die Nacht brach in der Zwischenzeit herein. Nach einer Ewigkeit und nach dem die Gebete gesprochen wurden, kam der nette Beamte auf mich zu und sagte, dass er jetzt Zeit für mich hätte. Doch es sollte nicht so einfach mit dem Carnet funktionieren, wie ich dachte. Es ergab sich, dass das Carnet in Mali nicht galt und ich ein lokales Zolldokument erwerben müsste. Es kostete 15.000 CFA. Danke ADAC!

Ich hatte natürlich keine CFA dabei. Die Beamten hatten dennoch kein Problem damit, den Betrag in Euro entgegen zu nehmen. Nach ca. 30 Minuten war dann alles erledigt. Ich stand aber vor der Option in der Nacht weiter zu fahren. Eine ziemlich riskante Angelegenheit in Afrika. Ich entschied mich dann doch lieber zu bleiben und fragte den netten Beamten, ob ich zelten dürfte. Es war auch kein Problem: ich schlug mein Camping mitten auf dem Zollgelände zwischen irgendwelchen unverzollten oder beschlagnahmten Fahrzeugen auf.

Am nächsten Morgen waren die Zöllner wie ausgetauscht! Sie luden mich zum Frühstück ein, gaben mir noch Brot fürs unterwegs und wünschten gute Fahrt!

Die gute Fahrt endete ca. eine Stunde später in der Stadt Nioro als ich – völlig konzentriert auf der Suche nach einer Bank – ein Verkehrszeichen übersah und in eine Einbahnstraße gegen den Verkehr fuhr. Sofort sprang ein Polizist zu mir und stellte sich quer in meinen Weg.

Zuerst habe ich gar nicht realisiert, was er von mir wollte. Ich dachte, dass er vielleicht mal etwas plaudern will. Es wäre ja nichts ungewöhnliches und es ist schon früher passiert. Er ließ mich das Moped direkt am Straßenrand parken und lud zu sich in den Schatten auf ein Campingstuhl ein. Das kam mir schon etwas schräg vor, aber hey – der Polizist war vielleicht so sehr an meiner Reise interessiert, dass er sich darüber in Ruhe unterhalten wollte. So saßen wir eine Weile im Schatten eines großen Baumes und versuchten zu kommunizieren. Die Kommunikation verlief jedoch zäh. So nahm er mich plötzlich an die Hand und machte Anstalten, als ob er mir was zeigen möchte. Ich folgte ihm ein paar Meter und wir standen plötzlich vor einem riesengroßen Einfahrtverbotszeichen, mit einem Durchmesser von über einem Meter! Plötzlich war mir der Grund klar, warum der Polizist mich anhielt und mich bei sich behielt. Er wollte Geld!

Wir setzten uns dann wieder hin und die Verhandlungen begannen. In seiner Großzügigkeit erklärte er mir, dass er auf die volle Strafhöhe von 10.000 CFA (ca. 15 EUR) verzichtete. Wenn ich ihm dann 5.000 gebe, darf ich wieder gehen. So saßen wir weitere 45 Minuten herum und haben verhandelt. Er hielt meine Fahrzeugpapiere in der Hand und ich versuchte ihm zu erläutern, dass ich auf einer wichtigen Mission bin, durch den ganzen Kontinent fahre und später darüber ein Buch schreiben werde. Und er wolle darin bestimmt positiv erwähnt werden. Ich weiß nicht, ob ich ihn damit beeindrucken konnte, aber irgendwann merkte er, dass ich nicht in Eile bin und wir wahrscheinlich so noch lange sitzen würden. Entnervt gab er mir schließlich meine Dokumente zurück und ich fuhr davon.

Diese Zeit in Nioro, die ich wegen des korrupten Polizisten verlor, jedoch verursacht durch meine eigene Unaufmerksamkeit, bedeutete meine viel zu späte Ankunft in Bamako. Unter normalen Straßenzuständen hätte ich die 500km innerhalb von 8 Stunden schaffen können. Aber die letzten 150km bis zur Hauptstadt waren ein Albtraum: Löcher so breit wie die ganze Straße, tief bis zu einem halben Meter, häufiger als Löcher im Schweizer Käse. Außerdem ein LKW hinter dem anderen, Busfahrer, die sich unbedingt mit dem Motorrad ein Rennen liefern wollten, Straßenhändler an jeder schwierigen Stelle, die die Fahrzeuge verlangsamten oder zum Stehen brachten, die den Verkehr noch mehr beeinträchtigten. Gar Gruppen von Menschen an den schwierigen Stellen, die nur als Publikum da standen und warteten, bis ein Fahrzeug spektakulär durch die Löcher fuhr oder liegen blieb. Alle 2-3km kaputte Laster, die in die Löcher reinfuhren und sie nie wieder verliessen. Staub- und schwarze Abgaswolken, die die Sicht massiv einschränkten. Und in dem ganzen und endlosen Chaos: ich auf dem Moped.

Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diese Strecke bis nach Bamako schaffte. Die Autos fuhren in so einem Verkehrschaos, dass sie zum Teil die Straßenseiten wechselten, was auf einmal zu Linksverkehr führte.. Jeder fuhr die Spur, die er an jener Stelle für die bessere Wahl hielt. So überholte ich nicht selten von rechts, fuhr in einer Staubwolke und wusste nicht, ob nicht gleich eine Kurve auftauchte. Irgendwann wurde es dunkel und die letzten drei Stunden waren jenseits jeder vernünftigen Vorstellung an das Reisen. Selten gab es die Option schneller als 20-30kmh zu fahren.

So kam an meinem Hotel in Bamako erst um 21:30 Uhr statt 17:00 Uhr an. Was für eine Erleichterung, dass ich überhaupt ankam. Das Tor wurde geöffnet, ich fuhr rein und war gerettet! Ich ging an die Rezeption und bestellte den Zimmerschlüssel. Plötzlich schaute ich in den Spiegel und erkannte mich nicht mehr! Da schaute irgendein Wilder mit schwarzem Gesicht zurück. Nur das Weiße in den Augen leuchtete hell. Ich sah aus, als ob ich nach einer Woche Schwerstarbeit aus einer Grube gekrochen wäre. Kein Wunder, dass mich die Leute verwundert anschauten, als ich durch das ganze Restaurant marschierte. So wie mein Gesicht aussah, sahen meine Klamotten und das Motorrad ebenfalls aus: als ob der Biker gerade aus einem Kriegsgebiet geflohen wäre.

Mit meinem etwas außergewöhnlichen Auftreten musste ich auch ein paar Leute im Restaurant beeindruckt oder zumindest die Frage aufgeworfen haben, was ich den bitte für ein Chaot sei. Ich wurde an einen Tisch geladen, an dem sehr nette junge Kanadier saßen und auf meine Geschichte gespannt waren. Das Bier schmeckte hervorragend!

Mit Greg und Matt verbrachte ich dann noch weitere drei Tage. Sie arbeiten in Bamako für eine schwedische Fluggesellschaft: als Flugzeugmechaniker bzw. als Pilot. Sie haben ein großes Haus in Bamako, mit Garten, Pool, Autos, Fahrer, Gärtner, Bierkühlschrank und vielem mehr! Wir hatten eine tolle Zeit zusammen, die alle Strapazen der Fahrt nach Bamako vergessen ließen.

Die Weiterfahrt nach Sikasso und dann nach Côte d’Ivoire verlief dann nicht mehr so spektakulär. In Sikasso traf ich noch Freunde aus den Niederlanden, die mit einem super ausgestatteten Geländewagen 1,5 Jahre in Westafrika verbrachten und gerade auf dem Weg Richtung Europa waren. Tomek und Susanne sind zu richtigen Experten während ihres Aufenthalts hier geworden. Ich schaute neidisch zu, wie sie selbstsicher und kenntnisreich auf einem lokalen Markt einkauften, um später ein köstliches Abendessen zu kochen: Kartoffeln mit einer Pilzsoße und köstlichem Salat. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn ich mich dran erinnere.

Obwohl wir unser Camp direkt am Fluß und weit weg von Menschen errichtet hatten – dachten wir zumindest – , bekamen wir auch gleich Besuch, oder man müsste zutreffender sagen: Publikum. Der erste nette Mann, der Vuba hieß, erklärte, wie toll die Frauen in Mali seien und dass er auch ein paar Schwesterchen hätte, die in heiratsfähigem Alter wären. Auf unsere Bemerkung, dass die hier anwesenden Männer bereits vergeben wären, erwiderte er, dass dies kein Problem sei. In Mali dürfe man bis zu vier Ehefrauen haben. Na vielen Dank! Man stelle sich vor, die gehen alle ein Mal pro Woche shoppen! Da bist du ja gleich pleite…

Später schloss sich uns eine junge Dame an, die einfach nur da stand und zuschaute, wie wir aßen sowie zuhörte, wie wir uns auf Englisch unterhielten, obwohl sie selbst kein Wort verstand. Sie war da – ich übertreibe nicht – fast zwei Stunden lang! Wir hatten leider keine Portion extra für sie, nicht mal einen Stuhl zum anbieten. Ich fühlte mich etwas blöd deswegen, aber Susanne meinte, dass wäre schon ok so. Man müsse sich dran gewöhnen. Nach diesen zwei Stunden, als wir aufgegessen hatten, fragte diese junge Frau nur noch, ob sie für uns abwaschen könnte. Mir ist die Kinnlade runtergefallen. Es wurde mir klar, dass sie gerne was verdienen möchte und als es doch nicht klappte, ging sie einfach wieder dahin, wo sie herkam: in die Dunkelheit, keine Ahnung wohin genau.

Am nächsten Morgen hatten wir ein exzellentes Abschiedsfrühstück mit Rührei und Bacon, tauschten unsere SIM-Karten aus und fuhren jeder in seine Richtung: meine Freunde nach Bamako, ich nach Côte d‘Ivoire.

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