Am 21. Oktober kam ich in Benin zu später Stunde an. Die Vorgabe, niemals bei Nacht Afrika zu befahren, wurde von mir wieder einmal missachtet. Dieses Mal ging es aber gar nicht anders. Die „Freude“, Grenzen in Afrika zu überqueren, durfte ich an diesem Tag gleich zwei Mal erleben. Und das dauerte immer seine Zeit.
In Empfang nahm mich Basia. Sie heißt eigentlich Barbara, wird aber von den Kindern und Freunden in der polnischen liebevollen Variante „Ciocia Basia“ (Tante Basia) genannt.
Basia lebt seit über sechs Jahren in Benin . Bevor sie sich dort fest niedergelassen hat, reiste sie sehr viel durch Afrika. Die Liebe zum Kontinent entdeckte sie schon in jungen Jahren. Sie mündete – wie so oft – in Liebe zu einem Mann. Sie heiratete Kangni aus Grand Popo. Eines Tages im Jahre 2013 entschied sie, dass das Leben in Warschau doof sei und außerdem lebte ihr Ehemann weit weg in Benin. Sie sah ihn nicht so oft, wie sie sich das wünschte. Sie packte also ihre Koffer und zwei Wochen nach ihrer Erleuchtung und der Lebenserkenntnis zog sie nach Grand Popo um.
In Warschau trainierte Barbara Erwachsene, um sie zu besseren Versicherungsverkäufern zu machen. In Benin fing sie dann auch mit einer didaktischen Tätigkeit an und fuhr jeden Tag 90km nach Cotonou, der größten Stadt von Benin, um dort in einer Schule zu unterrichten. Irgendwann war ihr diese Fahrerei zu viel. Dies kann ich sofort aus eigener Erfahrung bestätigen. Vor ein paar Tagen fuhr ich zum kongolesischen Konsulat nach Cotonou. Es war nicht nur sehr weit. Es war vor allem gefährlich: kaputte Straßen, verrückte Moped-Fahrer, dichter Verkehr… außerdem steht die Stadt in der Regenzeit unter Wasser. In der Küstenstadt, umgeben von Wasser, sammeln sich riesige Wasserpfützen auf den Straßen. Die Nebenstraßen sehen noch schlimmer aus: alles steht oder fährt im Wasser.
Doch Barbara erkannte sehr schnell, dass der Bedarf an Lehrern, vor allem aber die Unterstützung der bedürftigen Kinder in ihrem Dorf Grand Popo sehr groß war. Sie sah, dass viele Kinder hungrig zur Schule kamen, dass sie sich keine Schuluniformen leisten konnten. Es fehlte an grundsätzlicher Ausstattung in den Schulen. Nicht selten wurden die Lehrer nicht nur schlecht, sondern oft gar nicht bezahlt. Barbara war klar, dass sie die Kinder nicht sofort und nicht alle gleich retten konnte. Sie zögerte aber nicht und gründete die Stiftung EDU Afryka, damit sie in ihrer Heimat, in Polen, Spenden sammeln und Förderer gewinnen konnte. So hatte sie eine Möglichkeit gefunden, den Kindern in Grand Popo zu helfen.
Bis heute hat sich die Eine-Frau-Stiftung etabliert und feste Förderer gewonnen. Barbara kümmert sich dank der Spender aus Polen direkt um ca. 60 Kinder aus ärmsten Verhältnissen. Sie organisiert Kantinen in den lokalen Schulen, damit die Kinder während des Unterrichts essen können. In den Kantinen kochen oft die Mütter der ärmsten Kinder, die dadurch regelmäßig Geld verdienen können. EDU Afryka organisiert auch Schuluniformen für die Kinder sowie Sportbekleidung für die Ärmsten. Barbara opfert den Kindern viel Zeit. Sie bringt ihnen Kreativität bei: sie organisiert Kunstunterricht, in welchem sie sich malerisch austoben können. Bei ihr zählt: je schräger die Bilder, umso besser. Denn der „normale“ Unterricht scheint nach gewissen Mustern zu verlaufen, die die Kreativität und Eigeninitiative der Schüler nicht unbedingt fördert.
Als ich nach Grand Popo kam, engagierte mich Barbara sofort für ihre Kinder. Ich durfte als Thema, Objekt, Instruktor, Geschichtserzähler und Vorbild als Traveller fungieren. Sie sagt, dass solche Chancen, den Kindern etwas außergewöhnliches zu präsentieren, viel wert sei! Das macht sie mit vielen Besuchern, die den weiten Weg nach Grand Popo finden und etwas zu erzählen haben. Für mich war das eine der wertvollsten und großartigsten Erfahrungen, die ich je machen durfte. Ich machte es sehr, sehr gern.
Die Kinder von Grand Popo haben oft unglaubliche und sehr traurige Geschichten zu erzählen. Zu den Kindern, um die sich Basia kümmert, gehört Lèonce. Er kam in das Dorf als er ca. acht Jahre alt war – keiner weiß jedoch genau, wie alt er ist. Sein Vater brachte ihn zur Oma, weil er nicht in der Lage war, sich um den Jungen zu kümmern. Seitdem gibt es keinen Kontakt mehr zu ihm. Der Junge zog in die bescheidene Fischerhütte der Oma am Strand ein. Später ergab sich Lèonce als ein begabtes Kind. Als er vor ein paar Monaten kam, sprach er die lokale Sprache nicht. Jetzt spricht er sie fließend. In der Schule macht er sich auch sehr gut. So kann sich vieles zum Guten wenden: er hatte einen schwierigen Start. Als kleines Kind litt er unter Unterernährung: angeschwollenes Gesicht, Bauch und Beine. Das sieht man ihm jetzt auf den ersten Blick nicht mehr an, aber wer diese Krankheit gut kennt, erkennt ihre Spuren sofort.
Edu Afryka kümmert sich auch um die Geschwister Felix, Gbédassi und Fidéle. Als sie unter die Obhut der Stiftung kamen, waren sie 14, 9 und 6 Jahre alt. Der Vater ist gestorben, die Mutter bekam einen Job als Haushalthilfe im Norden Benins und ist gegangen. Um die Kinder kümmert sich seitdem ihre Oma.
Es gibt weitere Beispiele:
Eric und seine Mutter Adjika wurden aus dem Haus der Familie des Vaters rausgeworfen, als dieser starb. Solche Tragödien gibt es sehr viele. Auch als der Vater von Rene und Lazare starb, verlor die Familie die Existenzgrundlage, da der Vater einen festen Job hatte. Danach übernahm die Mutter die Verantwortung und zögerte nicht, die schwersten Arbeiten anzunehmen, z.B. als Trägerin von Sand. Auf einer Baustelle schleppte sie stundenlang Sandsäcke auf ihrem Kopf. Im Falle der achtjährigen Marielle übernahm zuerst der Vater die Verantwortung als sich die Eltern trennten. Seit drei Jahren kümmert sich jedoch die Schwester des Vaters um Marielle. Der Vater fühlte sich überfordert und verschwand. Oft meint es das Schicksal besonders böse mit den Menschen hier, wenn noch eine Krankheit das Leben erschwert. Guezo, die Mutter von der 6-jährigen Bellevida arbeitete in so schwierigen Konditionen, dass sie schwer erkrankte. Besonders bitter, weil sie alleinerziehende Mutter ist. Durch die Arbeit als Hilfskraft auf dem Acker, bei der sie ständig der prallen Sonne ausgesetzt war, erkrankten ihre Augen. Ein Auge kann sie nicht mehr öffnen, ihre Hände und Füße sehen schrecklich aus.
Solche Schicksale lassen Basia nicht gleichgültig. Dank ihrer Arbeit und der Unterstützung ihrer Förderer müssen diese Kinder nicht hungern, haben Schuluniformen, Sportbekleidung und Schulunterricht.
Ich durfte sie alle kennen lernen. Sie alle lachen, spielen und besuchen fleißig die Schule. Sie haben jetzt eine reale Chance auf Bildung und ein besseres Leben. Kein Wunder, dass sie Basia vergöttern und mit Begeisterung am Kunstunterricht teilnehmen. Selbst an einem Wochenende.