Auf dem Trockenen in Kongo

Mein kamerunisches Visum war schon seit drei Tagen abgelaufen. Ich war dennoch optimistisch, dass mich das mit etwas Glück in keine all zu großen Schwierigkeiten bringen würde… Am Ende behielt ich Recht, musste aber zwischenzeitlich ordentlich schwitzen. 

Die kamerunischen Straßen haben es in sich: wenn es regnet, verwandeln sich die Offroad-Abschnitte in einen Sumpf. Mit meinem Offroad-Glück durfte ich natürlich kosten, wie es sich so im Matsch fährt. Es gibt wahrlich schönere Erfahrungen. Wenn man nicht so oft auf der Seite im Dreck liegen möchte, fährt man mit der unglaublichen Geschwindigkeit (oder besser gesagt Langsamkeit) von ca. 5m pro Minute. Man schiebt halt abwechselnd die Füsse neben dem Moped durch den Schlamm und versucht vorsichtig nach Vorne zu kommen. Meistens gibt es LKW-Rillen, in denen die Schlammschicht nicht so tief ist. Der Nachteil dabei: es gibt wenig Platz, um die Füsse neben dem Bike in den Rillen abzustellen. So muss man die Beine hochheben, sie auf den seitlichen Schlammhügeln abzustützen und versuchen, sich irgendwie gerade zu halten. Diese Prozedur würde wahrscheinlich sogar Spaß machen, wenn man sich nicht gerade mitten im Regenwald befinden würde und bis zur nächsten Siedlung 50-100km zu fahren hätte. 

Die meisten Abschnitte der kamerunischen Straßen waren doch relativ gut befahrbar. Es kamen aber immer wieder welche, die mich ordentlich schwitzen liessen. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann endlich die Ortschaft, in der ich mir vorab schon ein ein Hotel herausgesucht hatte. Es fehlten noch gerade mal 1,5km, als mich die Polizei an einem Kontrollposten stoppte. Ich – gut gelaunt und nichts ahnend – übergab dem Polizisten meinen Reisepass. Er schaute sorgfältig hinein. Viel zu sorgfältig! Ich fing an mir Sorgen zu machen. Dann kam der Schock:

»Ihr Visum ist seit vier Tagen abgelaufen. Sie müssen zurück nach Yaoundé fahren« – sagte der Polizist gefühllos. 

Mich erwischte der Schlag! »Sie müssen sich irren, Sir« – versuchte ich ihn umzustimmen: »Mein Visum gilt für 30 Tage und ich bin erst seit dem 14. November da«. Ich glaube zwar nicht, dass mir diese billige Ausrede helfen würde, aber es schadete ja bekanntlich nicht, es zu versuchen. 

Der Polizist kaufte mir diese Erklärung nicht ab und ging zu seinem Vorgesetzten. Ich musste das Moped am Straßenrand parken, um andere Fahrzeuge nicht zu behindern. Nach einigen Minuten rief mich der Chefpolizist zu sich:

»Ihr Visum ist abgelaufen. Sie müssen nach Yaoundé« – wiederholte er trocken, was ich schon von seinem Kollegen hörte. 

»Lieber verrecke ich hier auf der Stelle oder lass mich erschießen, als zurück durch den Dschungel zu fahren!« – dachte ich gleich, sagte es aber vorsichtshalber nicht laut. Ich machte stattdessen ein super trauriges Gesicht, als ob ich gleich losheulen würde. Ich setzte mich dann schweigend auf den Boden neben dem Polizeiposten und fing an, noch trauriger auszusehen. Der Polizist fragte noch, was ich denn zu tun beabsichtige. Ich antwortete, dass ich jetzt kurz vor der Grenze nach Kongo sei und nicht bereit bin, zurück nach Yaoundé zu fahren. 

So saß ich auf dem Boden und versuchte Mitleid zu erregen. Ums Verrecken schwor ich mir, keine Bestechungsgelder zu zahlen. Die Lösung war jedoch so einfach eigentlich: die Beamten sollten mich einfach weiter fahren lassen.

Nach ca. 20-30 Minuten meiner sitzenden Protestaktion kam dann endlich der Chefpolizist, reichte mir meinen Reisepass und sagte trocken: »Verschwinde«. Das musste er nicht ein weiteres Mal wiederholen. Ich sprang auf, setzte mich aufs Moped und gab Gas. Am nächsten Morgen war das Problem allerdings nicht aus der Welt geschafft. Ich hatte immer noch 150km zu fahren und ggf. etliche Polizeikontrollen zu überstehen. Nun hatte ich eine Strategie und wollte nicht mehr so leichtsinnig meinen Reisepass mit dem abgelaufenen Visum aus der Hand geben. Ich wollte die Beamten einfach nicht zu Wort kommen lassen, sie mit meiner Afrika-Reise beeindrucken und so abzulenken. Darüber hinaus hatte ich noch einen Joker im Ärmel: ich habe zuvor erfahren, dass der kamerunische Präsident Biya in Baden-Baden zur Kur war! Hammer! Diese Info sollte mir doch helfen können. 

Die Strategie ging voll auf! Es gab insgesamt drei Kontrollen. Die ersten zwei konnte ich mit meinen Stories über „meine großartige Reise und Mission“ so „benebeln“, dass sie nicht mal den Pass verlangten. Die dritte Kontrolle war etwas strenger: ich sollte bitte doch keine Passkopien (ich hatte die erste Reisepass-Seite einlaminiert präsentiert), sondern den Reisepass zeigen. In diesem Moment kam meine Baden-Badener-Präsidenten-Kur-Geschichte zur Geltung: der Beamte wusste das sogar selbst! Wir verabschiedeten uns wie besten Freunde. 

Doch vor mir lag noch die Grenze. Dort werden sich die Beamten bestimmt nicht so leicht verarschen lassen – dachte ich. Mein Plan war: sobald das Thema des Visums kommt, hatte ich vor, ein „Ausreise-Visum“ zu beantragen. Ich lies zuvor im Internet, dass dies möglich wäre, aber mit gewissen Kosten verbunden und die Höhe der Gebühr von der Laune der Grenzbeamten abhängen würde. Doch dann passierte etwas, was mich über das Ausmaß meines Glücks an diesem Tag staunen ließ. Ich kam an der Grenze an. Klopfte an der Tür des Immigration-Office an und ging rein. In dem Raum sah ich, dass der Beamte auf dem Schreibtisch einfach tief im Schlaf versunken schnarchte! Ich weckte ihn sanft und er – noch halb im Schlaf – haute einfach den Ausreisestempel in meinen Pass ohne ein Kommentar herein! Ich lachte innerlich laut auf, als ich diese Aktion sah. Trotzdem behielt ich die Fassung, bedankte mich höflich und fuhr bestens gelaunt nach Kongo. 

In Kongo wartete auf mich eine neue Welt: eine exzellente Straße – sofort ab der Grenze – und gut gelaunte Beamten. Die Formalitäten dauerten wenige Minuten und ich befand mich auf der bis dahin besten Straße in Afrika! Den Chinesen sei Dank! Ich war im Glück. Ich fuhr bis zur nächsten Ortschaft, fand dort ein nettes Hotel mit Hilfe der lokalen Polizei, die mich zuerst kontrollieren wollte, dann aber half, einen guten Zimmer-Preis auszuhandeln. Am nächsten Morgen war ich startklar für die über 1000km lange Strecke nach Brazzaville. 

Meine ursprüngliche Euphorie war groß. Diese Begeisterung hielt für ca. 100 km an. Die erste Polizeikontrolle an diesem Morgen verlief noch angenehm und ich fragte noch um einen Rat, ob ich direkt in den Süden oder doch lieber einen ca. 20 km Seitenabstecher nach Ouesso, der nächst gelegenen Stadt, machen sollte. Ich hatte nämlich nur noch ca. 100 km Reichweite und musste dringend tanken. Der Polizist meinte, ich soll doch lieber nach Ouesso fahren. In die andere Richtung könnte es knapp werden. 

So nahm ich die Seitenstraße und fuhr nach Ouesso. Nach 15 km kam die erste Tankstelle. Der Tankwart saß auf einem Plastikstuhl und aß Nüsse: »Die Tankstelle ist geschlossen, fahren Sie zur Nächsten. Vielleicht gibt es dort Benzin.« So fuhr ich weiter – von einer leeren Tankstelle bis zur nächsten: überall kein Sprit, alles leergetankt. Am Ende fand ich eine große, moderne Total-Tankstelle. Leider genauso trocken wie die anderen. Der hiesige Mitarbeiter schlug mir vor, in der Bar gleich gegenüber nach dem „Gaddafi-Benzin“ zu fragen. Ich machte große Augen, folgte jedoch dem Hinweis. Ich hatte keine Wahl. Es gab weit und breit keine Möglichkeit, „normal“ zu tanken. So fuhr ich zu der Bar, die ihren größten Umsatz wohl nicht gerade mit alkoholischen Getränken machte. Dort angekommen musste ich nicht mal erklären, was ich brauchte. »How many liters?« war das übliche „Guten Tag“. Ich bestellte 15 Liter und der „Kneipen-Tankwart“ verschwand im Hinterhof. Er kam mit drei 5-Liter-Kanistern zurück und fing gleich an, meinen Tank mit Benzin zu befüllen – in Hoffnung, dass es sich tatsächtlich um Benzin handelte. Es ist schon echt ein komisches Gefühl, wenn man sich an einem völlig fremden Ort – umgeben von fremden Menschen – und 1000km Entfernung bis zur nächsten Großstadt in der gegebenenfalls dein Moped repariert werden könnte, den Tank mit einer Flüssigkeit aus einem nicht transparenten Behälter befüllen lässt. Und es hätte alles sein können! Es war eine Bar, in der die Gäste bestimmt auch Bier trinken und auf die Toilette mussten. Wer weiß schon, wo sie dann das Wasser ablassen. 

In Gedanken vertieft machte ich einen entscheidenen Fehler: ich vergass vor der Betankung zu fragen, was ich zu zahlen hatte! Das stellte ich mit Erschrecken erst fest, als der letzte Tropfen im Tank landete. Jetzt war der Tank befüllt, sie könnten alles von mir verlangen, selbst 100 Dollar zu bezahlen oder die hässlichste Frau der Stadt zu heiraten. Ein junger Mann mit tapferer Mine kam auf mich zu und sagte auf Englisch: »Es macht dann 1500 CFA (Franks) pro Liter!« Er sah so aus, als ob er bereit wäre, dafür in den Ring zu steigen, wenn ich diesen Preis nicht zahlen würde. Anscheinend haben sie einen Burschen, der genug auf Englisch sagen kann mit ausreichend gefährlich zusammengezogenen Augenbrauen, die jeden Widerspruch im Keim ersticken sollten. Ich schaute um mich herum. Es bildete sich mittlerweile auch eine mittelgroße Gruppe an Zuschauern um uns herum. Die wollten bestimmt sehen, wie der dumme Tourist in einer meisterhaften Aktion über den Tisch gezogen wird. 15 Liter mal 1500 Franks macht dann 22.500 Franks, umgerechnet ca. 35 Euro. Ein stolzer Preis. Ich schaute verärgert auf die trockene Total-Tanke gegenüber. Auf der Preisanzeigetafel stand: 650 Franks für ein Liter Super. So ein Mist! Resigniert übergab ich dem „Tankwart“ zwei 10-Tausender. Er nickte zustimmend. 

Ich setzte mich aufs Motorrad, ignorierte erbost eine Anfrage von einem Zuschauer, der sich mit aller Kraft noch mit mir fotografieren lassen wollte, dachte »Ich mag dieses Land nicht mehr«, startete den Motor und fuhr mit Vollgas davon. Stinkefinger streckte ich nicht heraus. Ich war sauer auf mich selbst, auf meine Naivität und auf die Leute dort. Sie sahen ihre Chance und nutzten sie gnadenlos aus. Ich war aber um eine wichtige Erfahrung reicher: zuerst nach dem Preis fragen, verhandeln, dann einkaufen. Das Problem mit den trockenen Tankstellen begleitete mich fast bis nach Brazzaville, die Erste funktionierende Tankstelle fand ich erst 100 km vor der kongolesischen Hauptstadt. Ich musste noch zwei Mal auf das „Gaddafi-Gold“ zurückgreifen und Benzin flaschenweise kaufen. Verarschen ließ ich mich aber nicht mehr. Und der Flaschen-Sprit war tatsächlich von guter Qualität. 

So ließ sich die sehr gute kongolesische Straße nach Brazzaville leider auch nicht auskosten. Wenn du ständig auf die Tankanzeige schaust und nur an trockenen Tankstellen vorbeifährst, ist das kein gutes Reisegefühl. Woher kommt aber das „Gaddafi-Gold“? Überall erzählten die Leute, es sei aus Libyen geschmuggelt. Diese Erklärung ergab aber nicht wirklich Sinn. Libyen ist weit weg und Kongo ist ein an Ölvorkommen reiches Land. Das Öl ist sogar die größte Einnahmequelle im Land. Später erfuhr ich, dass Land sei in der Krise. Es gibt nur wenige, die vom Öl im Land profitieren. Die Bevölkerung hat nicht viel davon. So hamstern sie das Benzin und verkaufen dieses, um in Zeiten von Lieferschwierigkeiten Profit zu schlagen.

In Brazzaville hatte ich keine Tankschwierigkeiten mehr. Die Stadt war sehr gut versorgt und präsentierte sich im Allgemeinen als eine moderne, angenehme und nicht so überfüllte Metropole. Der Verkehr war nicht so chaotisch, wie in den bisherigen Großstädten. Die Fahrer hielten sich an die Verkehrsregeln, stoppten sogar an den roten Ampeln und hupten dich nur in seltenen Fällen an, zum Beispiel wenn du ihnen die Vorfahrt nimmst, weil du nichts anderes aus den afrikanischen Ländern kennst, als einfach immer zu fahren, wenn es eine Lücke gibt. 

Kamerunische Begegnungen

Über Kunsthändler, Ambazonier und polnische Priester

Die Grenzüberquerung nach Kamerun war geschafft! Die Erleichterung war groß. Ich musste zwar wieder stundenlang schlechte Straße „erdulden“, aber das störte mich nicht so sehr. Ich war endlich in Kamerun und die Welt sah auf einmal anders aus: nette, freundliche Polizisten, die keine Geschenke verlangten. Ihr Sinn für Entfernungen war zwar nicht sehr ausgeprägt: als ich fragte, wie lange die schlechte Straße noch anhält, war die Antwort sofort: 75 km. Am Ende ergab sich, dass es noch 130 km waren. 

Nichtsdestotrotz genoß ich den Tag, die Sonne schien, ich war zufrieden. Am späten Nachmittag kam ich in Foumban an und suchte nach einem Geldautomaten. Dort sprach mich plötzlich ein gut gekleideter Mann auf Deutsch an! Ob ich aus Deutschland bin und wo ich hinfahre. Meine Verblüffung war groß! Dann wurde sie noch größer: Desire, so hieß der Fremde, hat einen Bruder in Berlin! Ohne zu überlegen, griff Desire zum Handy und rief seinen Bruder über Whatsapp an. Wir sprachen eine Weile. Es ergab sich: der Bruder arbeitet in Berlin als Busfahrer. Er spricht sehr gutes Deutsch. Er fragte mich, wann ich nach Berlin kommen werde – ich scherzte zurück, dass ich erst nach Yaoundé fahren möchte. 

Desire nahm mich dann unter seine Fittiche, brachte mich zu einem netten lokalen Hotel, handelte den Preis für mich runter und lud mich zu sich nach Hause zum Abendessen ein. So bekam ich einen Einblick in das Leben eine kamerunischen Familie, deren Hälfte der männlichen Familienmitglieder das Geld im Ausland verdiente. 

Auf einem Areal standen mehrere Häuser eng zusammen. Als ich dort ankam, war es leider schon dunkel und ich konnte nicht alles im Detail sehen. So führte mich mein Gastgeber zwischen den Häusern herum und wies mich in die Belegung der Häuser ein. Die Häuser sahen von außen geräumig aber nicht fertiggestellt aus . 

»Da drüben lebt mein Vater. Das Haus auf der linken Seite gehört zu meinem Cousin, das andere hier zu einem Onkel. Hier ist das Grab meiner Mutter und in diesem Haus lebe ich mit meiner Frau« – erklärte Desire, als eine weitere junge Frau ihren Kopf durch einen Türspalt raussteckte. »Und das ist die Frau von meinem Bruder aus Berlin« – ergänzte er. 

Später als wir beim Essen waren, erzählte Desire, dass er öfters nach Berlin fährt und dort auf einem Flohmarkt afrikanische Kunst verkauft. Er zeigte mir ein paar alte Masken, Bronzefiguren, und andere Erzeugnisse der afrikanischen Volkskünstler. Er meinte, manches sei über 200 Jahre alt! Ich wusste echt nicht, was ich davon halten sollte. Jahrhunderte alte Kunstobjekte, die man einfach so ins Flugzeug packt und auf einem Flohmarkt in Berlin verscherbelt? Ist das überhaupt legal? Lässt sich das einfach so ins Flugzeug mitnehmen? Wenn ja, wären sie nicht interessant für Völkerkundemuseen? Ich nahm mir vor, Desire irgendwann mal in Berlin aufzusuchen und ihn mit meinen Fragen nochmals zu quälen. Vielleicht auch was kaufen?

Meine zweite spannende Begegnung ereignete sich in Yaoundé. Dort traf ich Ali. Er war mein Gastgeber, erneut dank CouchSurfing gefunden. Er wartete auf mich an einem vereinbarten Ort in der Stadt und lud mich zu sich nach Hause ein. Das tat er allerdings etwas zögerlich. Er meinte, dass er in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt und möchte mich vorwarnen. Ich antwortete, dass ich damit kein Problem habe und nicht an Luxus gewohnt sei. 

Nun war sein Appartement wirklich sehr klein und bescheiden. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das nicht schockte. Wie es aussah – dazu komme ich noch später im Detail. 

So trugen wir mein Gepäck ins Zimmer und entschieden uns in die Stadt zu gehen, um zu essen und uns zu unterhalten. Wir fanden gleich ein Restaurant direkt auf der anderen Straßenseite. Ein Familienbetrieb, wo man über den Preis für den Fisch noch verhandeln konnte. Wir bestellten unser Essen und Ali begann seine Geschichte zu erzählen. Er sprach mit sehr leiser Stimme und was ich erfuhr, schockierte mich wahrlich. 

Ali wuchs in Bamenda, der größten Stadt in der englischsprachigen Region, auf. Er studierte Betriebswirtschaft und versuchte sich auch als Businessmann. Er eröffnete ein Restaurant, dass anfänglich gut lief aber nach zwei Jahren von einem lokalen Wirtschaftsboss übernommen wurde. Er engagierte sich auch ein Jahr lang als freiwilliger Helfer im Norden Kameruns, als eine Überschwemmung die Region verwüstete. 2013 kam er in die Hauptstadt Yaoundé, um dort nach Glück im Berufsleben zu suchen. Anfangs lief alles bestens, er hatte eine gut bezahlte Arbeit, bemühte sich sogar um Einstellung im öffentlichen Dienst. Dafür hätte er eine Aufnahmeprüfung bestehen müssen, die er leider nicht schaffte. Im Allgemeinen scheint der öffentliche Dienst in Kamerun (vielleicht in anderen afrikanischen Staaten auch) so eine Art berufliche Garantie zu sein, die einem ermöglicht, bis Lebensende abgesichert zu sein und mit etwas Glück, reich werden zu können. 

Dann kam der Aufstand der Ambazonier im Jahr 2016. Seitdem herrscht ein Bürgerkrieg im Westen und die englischsprachigen Kameruner werden wie Bürger zweiter Kategorie im restlichen Kamerun behandelt – so Ali. In Ambazonien selbst herrsche die Willkür der kamerunischen Soldaten, die auch davon nicht zurückschrecken, auf Zivilisten zu schießen. Es kam  sogar zu Vorfällen, bei denen westliche Touristen zu Schaden kamen. Die kamerunischen Soldaten sollen auf sie geschossen haben und dafür die Sezessionisten schuldig erklärt haben. Vor ca. einem Jahr wurde ein 19-jähriger Priesteranwärter direkt vor seiner Kirche durch Soldaten erschossen – darüber berichtete die Deutsche Welle am 19.10.2018. Und wie sich das abgespielt haben soll, lässt erschaudern. Demnach hielt ein Militärfahrzeug vor der Kirche an. Die Menschen flüchteten und der junge Priester versteckte sich am Eingang. Er wurde jedoch gefunden. Ein Soldat befahl ihm sich hinzulegen und exekutierte ihn. Es gibt noch weitere solche Fälle. Das Militär wird beschuldigt, Menschen willkürlich festzunehmen, zu foltern und zu töten. 

Ali sieht weder für die anglophonen Kameruner, noch für sich selbst einen Ausweg aus dieser Misere. Am liebsten würde er auswandern: gerne nach Europa, aber nicht unbedingt. Nigeria oder Ghana wäre für ihn auch eine Option. Ich versuchte ihn über die Situation aufzuklären, was ihn in Europa erwarten würde: lebensgefährliche Wege bis dorthin, niedrigste Löhne (wenn überhaupt und dann wahrscheinlich nur als Schwarzarbeiter), schwerste Arbeit, schlechte Wohnbedingungen auf kleinstem Raum, kaum medizinische Versorgung, wenn man sich als Illegaler aufhalten würde und die Gefahr, Opfer von Schlepperbanden zu werden. Ali antwortete nüchtern: »Es wäre ja immer noch besser als in Kamerun zu bleiben. Mit harter Arbeit habe ich kein Problem und du hast gesehen, wie ich wohne.« 

Ja, ich habe es gesehen und erlebt. Ali wohnt auf ca. 12qm. Dort befindet sich alles: das Bett, die Garderobe, ein Schreibtisch, seine Küchenuntensillien, Bücher, Taschen und vieles mehr. Als ich mit meinem Reisegepäck hereinkam, bekam ich erstmal einen Schock. Ich stellte meine zwei Aluboxen und die große Reisetasche gestapelt ab. Das Resultat: im Raum konnte dann nur noch eine Person stehen. Sobald die Zweite herein wollte, musste sich die Person, die schon im Raum befand, auf das Bett setzen. Dass es so eng war, war noch nicht mal so dramatisch. Viel schlimmer fand ich, dass man keine eigene Toilette hat, geschweige denn ein eigenes Badezimmer. Das Appartement ist nur eines von vielen in diesem „Wohnkomplex“, das aus ca. drei -auf einer sehr engen Fläche- gebauten kleinen Häusern bestand. Zwischen ihnen gab es maximal einen Meter Abstand und man musste erstmal durch ein Labyrinth, um zum Appartement zu gelangen. Man ging auch an einem Raum mit Vorhang vorbei, dessen Geruchskullisse seine Verwendung verriet. Später erfuhr ich, dass dieser Raum, mit einem kleinem Loch in der Mitte, als Toilette und Dusche dient: und zwar für alle, die dort wohnen. Es sind vermutlich sechs bis acht Familien. Schreck lass nach…

Die Miete für dieses Appartement beträgt 25.000 CFA, umgerechnet 38 EUR pro Monat. Es ist aber nicht billig, wenn man nur 115 EUR pro Monat in einem Reisebüro verdient. Nur um einen Vergleich zu ziehen: Ali und ich waren im lokalen Restaurant essen. Wohl gemerkt: kein Restaurant für Touristen. Ich lud Ali natürlich ein und bezahlte für uns beide 5.000 CFA (7,60 EUR). Es erscheint mir unmöglich, dort gleichzeitig zu verdienen und zu leben! 

Die Nacht bei Ali war alles andere als entspannt. Wir teilten uns sein Bett, was für mich kein Problem darstellte – Ali hätte aber große Chancen gehabt, an einem Schnarchwettbewerb teilzunehmen und eine gute Platzierung zu erzielen. Viel schlimmer fand ich jedoch eine andere Geräuschkulisse. In der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, was die nächtlichen Geräusche verursachte. Es klang aber nach etwas deutlich größerem als eine Maus. Ich würde Ratten nicht ausschließen, die die Küchenuntensillien bewanderten. Das metergroße Loch in der Decke klaffte mehr als einladend für solche Spaziergänge auf. So vergrub ich mich in meinem Schlafsack und schwitze ordentlich – denn draußen waren es um die 30°. 

Am nächsten Morgen – ich konnte die ersten Sonnenstrahlen kaum erwarten – standen wir früh auf und gingen schnell zu unserem Restaurant vom Vorabend, um zu frühstücken. Dort gab es natürlich auch eine Toilette. Den afrikanischen Göttern sei dank! 

Ursprünglich wollte ich bei Ali zwei Nächte übernachten. Ich verwarf verständlicherweise jedoch diesen Plan. In der Zwischenzeit fand ich einen neuen spannenden Ort, wo ich übernachten konnte: ein Waisenhaus im Süden von Yaoundé, unter der Leitung eines polnischen Priesters. Und es sollten dort auch Zimmer für Reisende zur Verfügung stehen! 

Mit Ali verbrachte ich noch den ganzen Vormittag. Ich versuchte ihm Mut zu machen, angesichts der Tatsache, dass dieser junge Mann viel Potential hat! Er soll niemals aufgeben und definitiv versuchen, wieder was eigenes auf die Beine zu stellen. Mit der langjährigen Erfahrung aus dem Reisebüro, mit seinem BWL-Studium und vor allem mit seiner Zweisprachigkeit: Englisch und Französisch, könnte er doch selbst versuchen, Reisen in Kamerun für Ausländer zu organisieren. Kamerun hat so viel anzubieten: Regenwald, wunderschöne Landschaften, lokale Traditionen. Definitiv einen Versuch wert – motivierte ich Ali. Ich habe das Gefühl, dass er gerne zuhörte und dass ich ihn motivieren konnte. Wir versprachen uns in Kontakt zu bleiben. Ich bin sehr gespannt, wie sich sein Leben weiter entwickeln wird. Wir umarmten uns herzlich und ich fuhr weiter. Am Ende gestattete er mir noch, seine Geschichte zu beschreiben, dennoch nicht seinen richtigen Namen zu verraten. Diesem Versprechen blieb ich treu.

Das Waisenhaus war nicht leicht zu finden. Es war ein Ort hinter hohen Mauern, so wie alle anderen Häuser in der Nachbarschaft. Es weder Hinweisschilder noch sonst etwas anderes, was auf die Einrichtung deuten könnte. So fragte ich mich durch und fand das Haus schließlich. Das große Tor öffnete mir ein junger Mann und ich wurde durch Marianne begrüßt, die sich später als die Haushälterin erwies. Marianne war sehr freundlich und strahlte förmlich als sie erkannte, dass sie mit mir Polnisch sprechen konnte. Sie beherrschte die Sprache zwar nicht sehr gut, sagte aber in einem Atemzug eine Reihe polnischer Wörter auf, darunter mindestens ein paar bekannte polnische Schimpfwörter – und grinste dabei breit. »Wow« – dachte ich – »Was für ein cooler Ort!« »Hier muss ich länger bleiben« 

Das Haus des Priesters präsentierte sich imposant. Eine wunderschöne weiße, großzügig gebaute Villa. Mir wurde darin auch ein Zimmer angeboten, aber ich entschied mich lieber im bescheidenen Nebengebäude ein Zimmer zu nehmen, wo auch die Kinder wohnten. Das Zimmer war auch absolut ausreichend: es war sauber, ich hatte ein schönes Bett und einen Schreibtisch. An der Wand hing ein Kreuz – »Naja, das wird mich dann wohl nicht umbringen« – scherzte ich in meinen Gedanken – »Die paar Tage werde ich den Anblick des Foltergeräts selbst als Atheist ertragen können«. 

Ich kam an einem Sonntag und die Kinder waren allesamt da, beschäftigt mit dem Waschen der eigener Kleidung. Sie schauten neugierig zu mir auf, lächelten dezent und setzten ihre Arbeit fort. Sie waren wahrscheinlich gewohnt, diverse Reisende zu sehen, die dort übernachteten. Das Haus ist selbst auf iOverlander verzeichnet. 

Der Priester Dariusz war nicht da, sollte aber in der Nacht aus Polen zurückkommen. In der Tat: um 2:00 Uhr morgens klopfte jemand an meiner Tür und riß mich aus dem Tiefschlaf. Dariusz stand vor meiner Tür und fragte, ob ich Lust habe, mit ihm ein Bier zu trinken. Ich, noch halbtrunken im Schlaf, bedankte mich für die Einladung und lehnte sie freundlich ab: »Ich würde lieber ins Bett zurück, morgen wäre auch ein guter Tag, um sich auf ein Bier zu treffen.«  

Ich verbrachte an diesem wunderschönen Ort drei Nächte. Ich fühlte mich jederzeit wunderbar. Ich wurde von Marianne kulinarisch verwöhnt und Dariusz war sehr freundlich! Wir hatten nette Gespräche über das Land, die Politik und seine Tätigkeit in Kamerun. Er verbrachte dort 26 Jahre seines Lebens. So lange kümmert er sich auch schon um die Waisenkinder. Zum Teil betreut er schon Kinder in der zweiten Generation. Schwer zu glauben, aber ja – es kommt vor, dass ein Kind im Waisenhaus aufwächst, wird dann irgendwann selbst Mutter und kann sich um das eigene Kind nicht kümmern. So landet dann das Kind bei Dariusz. Es kommt auch vor, dass ein Kind einfach vor dem Tor ausgesetzt wird. Man kennt keinen Namen, kein Geburtsdatum. Das Kind bekommt dann einen polnischen Namen und sein Geburtsdatum wird dann auch „bestimmt“, damit das Kind eine Geburtsurkunde bekommen kann. Es gibt auch dramatische Fälle: bei Dariusz sind zwei Brüder gelandet, zwei ca. 6-jährige Jungs, die früher ein Jahr lang angekettet in einer Scheune gelebt hatten! Und zwar bei ihrem Onkel. Es sind wahre Dramen, die sich abspielen. In diesem Kontext macht Dariusz eine exzellente Arbeit. Er rettet die Kinder und bietet ihnen eine gute Zukunft. Einige junge Erwachsene schickt er sogar nach Polen zum studieren, sobald er für sie Stipendien organisiert hat. Dafür verdient Dariusz die höchste Anerkennung und Respekt! 

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der mich nachdenklich machte und etwas kritisch sein ließ. Es ist das Haus, in dem Dariusz wohnt. Ich möchte nicht urteilen oder gar jemanden schlecht darstellen. Ich weiß nicht, wie das Haus entstand, wer dafür Geld spendete. Ich spreche nur aus der Perspektive eines Beobachters, der nur drei Tage vor Ort verbrachte. Die Villa, wo Dariusz lebt, ist nicht bescheiden. Es ist ein mit modernsten Geräten und Möbel ausgestattetes Haus. Sehr komfortabel eingerichtet und würdig eines gut verdienenden Managers. Und es erscheint mir nicht in Ordnung so zu leben, wenn du dein Leben einer Wohltätigkeit und Waisenkindern widmest. Ich glaube, es gibt so viele Kinder, die bedürftig sind, da sollte das Geld nicht in die Villa eines Mannes investiert werden, der zwar wahrhaftig viel schönes und gutes tut, aber wohl auf den eigenen Komfort in solch üppigen Maßen nicht verzichten kann, im Sinne von „Build bigger table not higher walls“.

In meiner Naivität stelle ich mir vor, dass insbesondere ein Priester eine Lebensmission hat, die er nie aus den Augen verlieren sollte. Und ich glaube, dass er sich nicht selbst belohnen sollte. Ich selbst wäre sicherlich nicht in der Lage, mich so aufzuopfern. Daher möchte ich nochmals betonen, dass alles, was ich gerade schrieb, eine rein subjektive Einschätzung basierend auf einer kurzen Beobachtung ist.

Während der drei Tage fühlte mich dort mit den Kindern sehr wohl. Sie waren so gut erzogen, brav, höflich und ruhig. Ich sah jedoch Traurigkeit in ihren Augen, was mir wahrlich das Herz brach. Ich durfte sie fotografieren und insbesondere empfand ein 5-jähriger Junge dies als gute Idee. Er wollte nicht von meiner Seite weichen, so ist er auf der Hälfte aller Fotos abgebildet. Ich verliebte mich sofort in dieses Kind. 

Dariusz hatte während meiner Zeit auch andere Gäste aus Polen. Ich hätte mich gerne mit ihm darüber unterhalten, was meine oben geschilderten Zweifel anbetrifft. Vielleicht hätte er mir erklärt, dass ich komplett falsch liege, dass dieses Haus für die Kinder gebaut wurde, in dem er in der Villa Gäste übernachten lässt und so Gelder sammelt. So ein Gespräch ergab sich leider nicht. Vielleicht bekomme ich eine zweite Chance irgendwann in der Zukunft. Doch ich musste meine Reise fortsetzen und nach Kongo weiterfahren. 

Piraten oder Separatisten oder Entführer?

Der steinige Weg nach Kamerun

Nigeria wollte mich nicht so einfach gehen lassen. 

Nun gab es drei Optionen für mich, nach Kamerun zu gelangen. Die meisten Motorradfahrer entscheiden sich für den Seeweg: man mietet ein kleines Boot, lässt das Moped von mehreren starken Männern darauf tragen und verbringt dann ein paar Stunden in der Bucht von Guinea auf hoher See. Der Start ist von Calabar in Nigeria und man landet dann in Kamerun, in der Nähe von Douala, der größten Stadt des Landes. 

Diese Option gefiel mir vom Anfang an nicht. Erstens hörte ich bisher nur vom Transport leichterer Motorräder, meine Maschine bringt allerdings wesentlich mehr auf die Waage, um einfach in die Luft gehoben und auf ein kleines Boot gebracht zu werden (später in Kongo ergab sich: das geht wohl doch). Dann hörte ich von einem bekannten Biker, dass er selbst statt sechs Stunden sechzehn Stunden auf dem Boot unterwegs war! Er meinte, dass er das nie wieder machen würde. Es sei eine schreckliche Erfahrung gewesen: er fror, hungerte und zitterte bei hohem Wellengang um sein Leben. Dann kam noch in den Nachrichten eine Meldung von BBC, dass ein norwegischer Frachter gerade wenige Tage zuvor von Piraten entführt wurde: direkt vor der Küste von Benin. Die Bucht von Guinea gilt seit einigen Jahren als Hotspot der weltweiten Piraterie, laut International Maritime Bureau. Ich dachte zwar nicht, dass das kleine Motorrad-Transportboot ein Leckerbissen für die Piraten werden würde, aber jede Ausrede war gut, um sich doch für den Landweg zu entscheiden.

Wenn es also nicht die Piraten sind, die auf die Reisenden von Nigeria nach Kamerun warten, dann sind es die Separatisten. Direkt nach der Grenze in Ekok beginnt das Separatistengebiet, das sog. Ambazonien. Ich muss ehrlich gestehen: bevor ich nach Afrika kam, hatte ich nie von der Republik Ambazonia gehört. Es ist ein Gebiet im Westen Kameruns, bewohnt von der anglophonen Bevölkerung Kameruns, ca. 20% der 25 Mio. Einwohner. Die englischsprachigen Kameruner fühlten sich seit Jahrzehnten unterdrückt und marginalisiert durch die Regierung in Yaoundé . Die Protestwelle startete 2016. Im Jahr darauf wurde die Republik Ambazonia ausgerufen. Die Zentralregierung weist alle Autonomiebestrebungen zurück. Auch auf internationaler Ebene wurde Ambazonien nicht anerkannt. Seitdem herrschen in den anglophonen Regionen im Nord- und Südwesten bürgerkriegsähnliche Zustände. Laut der UN (Amt für Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) sind ca. eine halbe Millionen Menschen auf der Flucht. 

Durch dieses Gebiet führt also der „einfachste“ Weg von Nigeria nach Kamerun, mit dem Grenzübergang in Ekok. Ich plante tatsächlich auch diesen Weg zu nehmen. Und zwar nicht, weil ich lebensmüde bin, sondern weil ich hörte, dass es machbar wäre. Erstens hörte ich von anderen Reisenden, dass man von den Separatisten zwar gestoppt wird, aber nichts zu befürchten hat, außer einen intensiven Waffenanblick. Außerdem sind das keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer, die zu den Waffen griffen, weil sie sich den Unterdrückern widersetzen wollten. Dazu sprachen sie noch eine Sprache, in der ich mit ihnen kommunizieren könnte. Ich war mir fast sicher, dass wir uns gut verstehen würden. Darüber hinaus: ein Kontakt aus der nigerianischen Biker-Szene vermittelte mir einen Helfer, der an dieser Grenze wohnt und der bereit wäre, mich zu begleiten. Mit dieser positiven Einstellung fuhr ich also Richtung Ekok. 

Vor der geplanten Grenzüberquerung übernachtete ich in der Stadt Imok. Dort wohnt auch der hilfsbereite Biker Mohammed, mit dem ich dann kurz nach meiner Ankunft telefonierte und mich für den nächsten Morgen verabredete. 

Doch die Entwicklungen nahmen eine andere Wende. Am nächsten Morgen fuhr ich zur Grenze, um mich mit Mohammed zu treffen. Wie das halt so in Afrika läuft: er erschien nicht und meine Anruf blieben unbeantwortet. Kurz entschlossen fuhr ich dann alleine zur Grenze, in der Hoffnung, sie im Alleingang passieren zu können. Die nigerianischen Beamten waren echt nett, aber zögerlich. Ich müsse erst zur kamerunischen Seite laufen und fragen, ob ich reingelassen werde, bevor ich ein Ausreisestempel bekomme. So parkte ich mein Moped direkt vor dem nigerianischen Polizeiposten und lief zu Fuß über die Grenzbrücke nach Kamerun. Dann kam die Enttäuschung: wegen der angespannten Sicherheitslage werden keine Touristen reingelassen. Nur der Grenzverkehr bis zur nächsten Stadt wird bedient. 

Es blieb mir also nicht anderes übrig, als mich aufs Moped zu setzen, in den Norden zu fahren, und die letzte Option in Erwägung zu ziehen: die Umrundung von Ambazonien und der Versuch, die Grenze in den Bergen zu passieren, die wegen zwei Sachen berüchtigt war: Entführungen und extrem schlechte Wege, inklusive brückenlose Flussüberquerungen. 

Vor der Grenzüberquerung musste ich noch einen ungeplanten Notaufenthalt anlegen: einen abgebrochenen nigerianischen Hausschlüssel aus meinem deutschen Reifen rausholen und das Loch stopfen. Diese Operation gelang mir ziemlich gut und ich konnte meine Reise am nächsten Morgen fortsetzen.

Die Fahrt Richtung Gembu, einem Dorf, ca. 70 km von der Grenze entfernt, verlief ohne spezielle Vorkommnisse. Ich wurde nicht entführt und musste mich nur vor korrupten Polizisten und Soldaten behaupten. Darin war ich aber schon geübt und erzählte immer wieder die Story von meiner großartigen Weltreise durch Afrika, wie toll ich die Polizeibeamten in Nigeria finde und dass ich ein Buch über meine Erfahrungen schreiben werde. Das Geheimrezept ist einfach so viel wie möglich erzählen, die Leute nicht zu Wort kommen lassen. Irgendwann gibt jeder Polizist auf und wünscht Dir eine gute Weiterfahrt. 

Und das Problem mit den Entführungen scheint im Moment gelöst zu sein. Durch die große Polizeipräsenz (doch ein positives Beispiel für die Polizeiarbeit in Nigeria!) fanden schon seit längerem keine Entführungen mehr statt. Doch noch vor einem Jahr schrieb eine Bloggerin:

„Between Katsina Ala and Takum kidnappings are taking place!! Locals and foreigners are at aim. Ransom for locals 1 Million, for foreigners 15 Million Naira. Police is highly concerned. We were escorted by 5 armed men, payed 20.000 N for escort. Being escorted, we gave three guys a lift to Takum who had been held as hostages for 11 days and were heading home after ransom was payed by family members. Danger seems to be real!“ (orig. Schreibw.)

Laura Pfaelzner (Quelle: iOverlander)

Vorgewarnt fragte ich an jedem Polizeiposten, wie die Lage ist. Alle versicherten mir, dass der Weg sicher sei und ich sorgenlos weiterfahren könne. So fuhr ich weiter und erreichte am Abend das Dorf Wakili Buba kurz vor Gembu. 

Der Weg nach Kamerun ab Wakili Buba ist natürlich nicht ausgeschildert. Auf GoogleMap oder Maps.me findet man mehrere Wege, die nach Kamerun führen. Aber welcher ist der richtige? Welcher hat bessere und vor allem befahrbare Strecken? Wo sind die befahrbaren Flüsse? Wo gibt es weniger schmale klappernde Holzbrücken? Wo gibt es Dörfer mit Menschen, die dir weiterhelfen können? Als Tourist hast du natürlich keine Ahnung und weißt nicht mal, wo du anfangen sollst. So stand ich ahnungslos in der Mitte von Wakili Buba und überlegte, was ich machen soll. Nach ca. 3 Minuten hatten sich bereits zehn, fünfzehn „Zuschauer“ versammelt, die sich fragten, was der Fremde hier überhaupt will. Da die meisten auf ihren eigenen kleinen chinesischen Bikes saßen, kam ich auf die Idee, Profit davon zu schlagen: ich fragte in die Runde, wer den Weg nach Kamerun kennt. Ich bot Geld an und prompt meldete sich einer, der mich leiten wollte. Wir vereinbarten 5000 Naira (ca. 12€) und ich folgte meinem neuen Freund Ahmed ins Ungewisse. 

Die Entscheidung, einen Guide zu haben, war wirklich jeden Cent wert. Während der ca. fünfstündigen Fahrt bis zur Grenze war Ahmed nicht nur mein Wegweiser, sondern auch Helfer beim Motorrad-Hochheben, als ich auf Steinen fiel, was leider immer wieder passierte. Auf einem besonders schwierigen und steinigen Abschnitt, als ich einen Berg hochfahren musste, rief er sogar noch weitere Jungs aus dem Dorf, welches wir gerade passierten, zur Hilfe. Obwohl er sich gut auskannte, musste er auch selbst ab und zu fragen, welcher Abschnitt gerade befahrbar war. Ich hätte mich alleine wahrscheinlich mehrfach verfahren. Oder hätte es nie nach Kamerun geschafft…

Die Grenze an sich war zur Abwechslung nicht besonders schwierig oder kompliziert. Nette und kompetente Beamten auf beiden Seiten. Dann wurden aber die restlichen 30 km auf der kamerunischen Seite nicht leichter: es war genauso steinig und nass wie in Nigeria. Mit „nass“ meine ich drei Flussüberquerungen, davon zwei doch relativ leicht. 

Mit großer Erleichterung erreichte ich gegen 16:00 Uhr das Tagesziel: das Städtchen Banyo. Und es gab dort sogar eine asphaltierte Straße! Nach acht Stunden offroad war ich heilfroh, endlich wieder eine glatte Straße unter meinen Rädern zu fühlen!

Mein Offroad-Abenteuer in Kamerun war aber noch nicht zu Ende. Am nächsten Morgen wollte ich von Banyo nach Foumban fahren – nochmals 150 km super schlechte Straßen vor mir. Immerhin gab es keine brückenlose Flussüberquerungen, keine Sümpfe zu passieren, aber dafür Straßenabschnitte, die noch nie Asphalt gesehen hatten und nur durch Wettereinflüsse geformt wurden. Nicht sehr gelungen… Das Ergebnis: für diese 150km lange Strecke benötigte ich mal wieder 8 Stunden.

„This is Lagos“

Es gibt kein „Welcome to Lagos“-Schild vor der Stadt. Die Reisenden begrüßt ein bedrohliches „This is Lagos!“.

Nach den entspannten Reisewochen durch Westafrika bis einschließlich Benin, kam ich nach Nigeria. Ich muss ehrlich zugeben, ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten wird. Ich bin heil aus dem Land wieder rausgekommen, aber ich müsste echt lange überlegen, ob ich Nigeria nochmals auf dieselbe Art und Weise bereisen würde. Es gab natürlich auch schöne Momente und ich traf tolle Menschen, aber insgesamt machte mir dieses Land wahrhaft Angst und es ist nicht so angenehm, ständig auf der Hut bleiben zu müssen. Aber vom Anfang an…

Die Anreise an sich war schon ziemlich anstrengend. Für eine Distanz von 100km ab der Grenze nach Lagos benötigte ich acht Stunden. Die Straße war in einem elendigen Zustand. Immer wieder Polizeikontrollen, manche gar ziemlich lustig, wenn sich die Beamten mehr für mein Motorrad als für meine Dokumente interessierten. Und dann der Stau des Jahrhunderts – kurz vor den Toren von Lagos. Statt wie geplant um 17:00 Uhr bei meinem Freund auf der Victoria Island anzukommen, war ich dort erst um 21:30 Uhr. Krzysiek machte sich schon Sorgen, denn – wie ich später erfuhr – genau dort, wo ich nichts wissend im Stau stand, wurde er schon ausgeraubt. Eine Gruppe von jungen Männern kamen zu seinem Auto als er im Stau stand, schlugen die Scheiben ein und nahmen sich aus dem Fahrzeug alles, was sie fanden. Später sah ich selbst auf einem Video, wie so eine Aktion verläuft. Jemand filmte einen Überfall von einer Brücke aus. Ziemlich erschreckend so etwas zu sehen. Mir blieb solch eine krasse Erfahrung erspart, obwohl ich an einem Tag in Lagos von einer Gruppe sich komisch verhaltender Männer gestoppt wurde. Diese wedelten mir vor der Nase mit geklauten (oder präparierten) offiziellen Ausweisen und wollten mir den Schlüssel aus der Zündung herausziehen. Hätten sie das geschafft, wäre ich wahrscheinlich ausgeliefert gewesen. Was sie genau wollten, konnte ich mir nur denken: höchstwahrscheinlich Geld. Meinem Keyless-System sei Dank, dass sie keinen Schlüssel in der Zündung fanden. Dieser steckte tief in meiner Jackentasche. Auch gelang es ihnen nicht bei meinem Freund Krzysiek, denn wir fuhren zu zweit an jenem Tag. Nach einer kurzen aber heftigen Diskussion, mit der Drohung, Polizei und die Botschaft zu informieren, liessen sie dann von uns ab. Lustigerweise verstanden sie das „D“ auf meinem Nummernschild als „diplomatic“ und rannten weg. So ein Glück, dass wir auf ein paar Deppen trafen. Aus Erzählungen weiß ich, dass man nicht immer so viel Glück in Lagos hat..

Die Stadt ist mir ihren 20 Millionen eine Riesenmetropole und dementsprechend unüberschaubar. Der Verkehr ist zu jeder Tages- und Nachtzeit unmöglich. Man kommt schlecht durch, insbesondere wenn man ein Ausländer aus Europa ist und sich in dem Chaos nicht zurecht findet. Wiederum gibt es eine ruhige, luxuriöse Oase: das Projekt „Eco Atlantic City“, ein Finanzzentrum und eine Planstadt, die auf einem Stück Land gebaut wird, das dem Ozean abgerungen wurde. Dort soll Wohnraum für ca. 300.000 Menschen entstehen. Von den geplanten mehreren Wolkenkratzern sind erstmal vier entstanden. Dort sollen Appartements Millionenbeträge kosten und mittlerweile seien alle bereits ausverkauft. An diesem Projekt zeigt sich die große Kluft zwischen arm und reich in Nigeria. Es gibt eine kleine Elite, die meistens mit Ölgeschäften reich wurde – der Großteil der Bevölkerung lebt allerdings in Armut. Das Projekt „Eco Atlantic“ wird auch unter umweltrechtlichen Aspekten stark kritisiert. Es starben bereits Menschen aufgrund von Überflutungen in der unmittelbaren Umgebung des Projekts. Es wird kritisiert, dass grundlegende Umweltstandards nicht eingehalten wurden. Ein entsprechendes Klimagutachten wurde erst drei Jahre nach Baubeginn erstellt. Kritiker behaupten, dass durch das Projekt Küstenerosionen an anderen Orten beschleunigt wurden. Die britische Zeitung „The Guardian“ sprach gar von einem Klima-Apartheid: es wird für die Reichen gebaut und die Leidtragenden sind die Armen.

So soll ein afrikanisches „Hong-Kong“ entstehen. Bisher sind auf dem 25qkm großen Areal nur wenige Häuser und das Straßennetz zu sehen. Böse Zungen sagen, das Projekt nie fertig wird. Auf jeden Fall ist das zurzeit ein schöner Ort, um eine Drohne fliegen zu lassen und die Stadt von oben zu filmen, solange man sich nicht erwischen lässt. Das Areal ist abgesperrt, man wird nur reingelassen, wenn man dort wohnt, oder einen Freund dabei hat, der die Security verwirrt.

Ein separates Kapitel verdient das Nachtleben in Lagos. Was ich erlebte, verdanke ich natürlich meinem Freund Krzysiek, der ein sehr bewanderter Nightlife-Nutznießer ist. Was ich am allerersten Abend noch lustig fand, war dann an den darauf folgenden Abenden nur erschreckend. Stell Dir eine große Bar mit schöner Musik und reichlicher Diversität an alkoholischen Getränken jeder Art vor. Ok, nichts besonders oder gar nichts verwerfliches daran. Dann aber, spätestens nach einem Bier und ca. 15 Minuten, merkst Du, dass das Publikum größtenteils aus zwei Gruppen besteht: aus weißen Männern, die im Schnitt ca. Mitte 50er sind, und schwarzen Schönheiten, die keine Zeit vergeuden wollen. Ich möchte weder die eine oder andere Gruppe bewerten. Ich fand es nur erschreckend, wie leicht man an Sex kommt. Diese Mädchen erzählen, dass sie als Models oder Stewardessen arbeiten. Bei ihrem Aussehen, kann man solchen Behauptungen auch leicht glauben. Was ihre Motivation ist, lässt sich erraten: sie suchen nach einem reichen Boyfriend (weiß=reich in Afrika), und wenn das nicht klappt, dann erhoffen sie sich mindestens Geschenke oder Geld nach so einem nächtlichen „Abenteuer“. Solche Bars gibt es weit und breit, die Prostitution scheint in Lagos zu blühen.

Ich verbrachte insgesamt über eine Woche in Lagos und hatte natürlich auch „normale“ Erfahrungen und Begegnungen. Ich lernte die hiesige polnische Community kennen, durfte in einem Jugendzentrum Kindern über meine Reise erzählen, besuchte eine berühmte Ausstellung der afrikanischen modernen Kunst der letzten 50 Jahre, mein Motorrad wurde fachgerecht inspiziert und ich lernte einen neuen Freund kennen: Toyin Adebola, der auf dem Motorrad die entgegengesetzte Richtung befuhr: er schaffte es bis nach Kiruna in Nordschweden! Stellt Euch mal Eure eigene Verwunderung vor, wenn Euch in Nordeuropa ein Afrikaner auf einem Motorrad mit nigerianischen Kennzeichen begegnet!

Nach Lagos ging die Reise in den Osten: nach Kamerun. Bis ich soweit war, durfte ich quer durch das Land fahren. Und diese Fahrt wäre richtig schön gewesen, wenn es nicht ein paar störende Faktoren gegeben hätte: kaputte Straßen, ständige Angst an jeder Kreuzung ausgeraubt zu werden, halsbrecherisches Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer, Nagel im Reifen, eine heftige Erkältung, Tiere auf der Fahrbahn, (angebliche) Entführungsgefahren – und das aller lästigste: korrupte Polizisten und Soldaten, die allesamt nach Geschenken oder Geld fragten. Ich entschuldigte mich jedes Mal, kein Geschenk dabei zu haben, denn ich sei ein Jahr lang unterwegs und meine Lagerkapazitäten für Geschenke seien sehr eingeschränkt. Die Kontrollen fanden nicht selten alle 1000m statt. Ein anderer Reisender, der drei Wochen lang in Nigeria mit dem Auto unterwegs war, hatte 229 Kontrollen gezählt. Es gibt 23 verschiedene Behörden, die Dich auf der Straße stoppen und kontrollieren (sprich: Geld oder Geschenke verlangen) können.

Ich gestatte mir jetzt mal alle aufzuzählen, es ist der reine Wahnsinn. Abgesehen von der „normalen“ Polizei und der Arme, findest du auf den nigerianischen Straßen Beamte der folgenden Behörden (Original in Englisch): Drugs, Customs, Immigration, Strike Force Team, MOPOL, Operation Zenda, Police Anti-Crime Division, VIO (Vehicle Inspection Office), Highway Safety, Highway Response, Nigerian Navy, Police Mobile Force, Federal Operations Unit, Nigeria Security and Civil Defense, Operation Wuta-Wuta, IMGH Security, Special Force Police, Anti-Robbery Team, Anti-Kidnapping Team, Federal Road Safety und zum Schluss (bitte nicht lachen) das Anti-Corruption Team. Angesichts der Sicherheitslage im Land scheint die Erfolgsquote der einen oder anderen Behörde sehr bescheiden zu sein.

Nach drei Tagen Fahrt durch das Land erreichte ich endlich die Grenze nach Kamerun in Ekok. Die nigerianischen Beamten waren sehr freundlich und wollten mich gar ausreisen lassen: unter der Bedingung, dass mich die Kameruner reinlassen. So ging ich zu Fuß über die Grenzbrücke und fragte die netten kamerunischen Grenzbeamten, ob ich rein darf. Die Antwort war: nein. Wegen des Konflikts mit den Separatisten werden keine Touristen reingelassen. Ich fluchte laut in meinen Gedanken und fuhr wieder zurück. Immerhin winkten die bereits bekannten Beamten am Kontrollposten freundlich zu und wollten mich nicht erneut kontrollieren.

Der Engel von Benin

Am 21. Oktober kam ich in Benin zu später Stunde an. Die Vorgabe, niemals bei Nacht Afrika zu befahren, wurde von mir wieder einmal missachtet. Dieses Mal ging es aber gar nicht anders. Die „Freude“, Grenzen in Afrika zu überqueren, durfte ich an diesem Tag gleich zwei Mal erleben. Und das dauerte immer seine Zeit.

In Empfang nahm mich Basia. Sie heißt eigentlich Barbara, wird aber von den Kindern und Freunden in der polnischen liebevollen Variante „Ciocia Basia“ (Tante Basia) genannt.

Basia lebt seit über sechs Jahren in Benin . Bevor sie sich dort fest niedergelassen hat, reiste sie sehr viel durch Afrika. Die Liebe zum Kontinent entdeckte sie schon in jungen Jahren. Sie mündete – wie so oft – in Liebe zu einem Mann. Sie heiratete Kangni aus Grand Popo. Eines Tages im Jahre 2013 entschied sie, dass das Leben in Warschau doof sei und außerdem lebte ihr Ehemann weit weg in Benin. Sie sah ihn nicht so oft, wie sie sich das wünschte. Sie packte also ihre Koffer und zwei Wochen nach ihrer Erleuchtung und der Lebenserkenntnis zog sie nach Grand Popo um.

In Warschau trainierte Barbara Erwachsene, um sie zu besseren Versicherungsverkäufern zu machen. In Benin fing sie dann auch mit einer didaktischen Tätigkeit an und fuhr jeden Tag 90km nach Cotonou, der größten Stadt von Benin, um dort in einer Schule zu unterrichten. Irgendwann war ihr diese Fahrerei zu viel. Dies kann ich sofort aus eigener Erfahrung bestätigen. Vor ein paar Tagen fuhr ich zum kongolesischen Konsulat nach Cotonou. Es war nicht nur sehr weit. Es war vor allem gefährlich: kaputte Straßen, verrückte Moped-Fahrer, dichter Verkehr… außerdem steht die Stadt in der Regenzeit unter Wasser. In der Küstenstadt, umgeben von Wasser, sammeln sich riesige Wasserpfützen auf den Straßen. Die Nebenstraßen sehen noch schlimmer aus: alles steht oder fährt im Wasser.

Doch Barbara erkannte sehr schnell, dass der Bedarf an Lehrern, vor allem aber die Unterstützung der bedürftigen Kinder in ihrem Dorf Grand Popo sehr groß war. Sie sah, dass viele Kinder hungrig zur Schule kamen, dass sie sich keine Schuluniformen leisten konnten. Es fehlte an grundsätzlicher Ausstattung in den Schulen. Nicht selten wurden die Lehrer nicht nur schlecht, sondern oft gar nicht bezahlt. Barbara war klar, dass sie die Kinder nicht sofort und nicht alle gleich retten konnte. Sie zögerte aber nicht und gründete die Stiftung EDU Afryka, damit sie in ihrer Heimat, in Polen, Spenden sammeln und Förderer gewinnen konnte. So hatte sie eine Möglichkeit gefunden, den Kindern in Grand Popo zu helfen.

Bis heute hat sich die Eine-Frau-Stiftung etabliert und feste Förderer gewonnen. Barbara kümmert sich dank der Spender aus Polen direkt um ca. 60 Kinder aus ärmsten Verhältnissen. Sie organisiert Kantinen in den lokalen Schulen, damit die Kinder während des Unterrichts essen können. In den Kantinen kochen oft die Mütter der ärmsten Kinder, die dadurch regelmäßig Geld verdienen können. EDU Afryka organisiert auch Schuluniformen für die Kinder sowie Sportbekleidung für die Ärmsten. Barbara opfert den Kindern viel Zeit. Sie bringt ihnen Kreativität bei: sie organisiert Kunstunterricht, in welchem sie sich malerisch austoben können. Bei ihr zählt: je schräger die Bilder, umso besser. Denn der „normale“ Unterricht scheint nach gewissen Mustern zu verlaufen, die die Kreativität und Eigeninitiative der Schüler nicht unbedingt fördert.

Als ich nach Grand Popo kam, engagierte mich Barbara sofort für ihre Kinder. Ich durfte als Thema, Objekt, Instruktor, Geschichtserzähler und Vorbild als Traveller fungieren. Sie sagt, dass solche Chancen, den Kindern etwas außergewöhnliches zu präsentieren, viel wert sei! Das macht sie mit vielen Besuchern, die den weiten Weg nach Grand Popo finden und etwas zu erzählen haben. Für mich war das eine der wertvollsten und großartigsten Erfahrungen, die ich je machen durfte. Ich machte es sehr, sehr gern.

Die Kinder von Grand Popo haben oft unglaubliche und sehr traurige Geschichten zu erzählen. Zu den Kindern, um die sich Basia kümmert, gehört Lèonce. Er kam in das Dorf als er ca. acht Jahre alt war – keiner weiß jedoch genau, wie alt er ist. Sein Vater brachte ihn zur Oma, weil er nicht in der Lage war, sich um den Jungen zu kümmern. Seitdem gibt es keinen Kontakt mehr zu ihm. Der Junge zog in die bescheidene Fischerhütte der Oma am Strand ein. Später ergab sich Lèonce als ein begabtes Kind. Als er vor ein paar Monaten kam, sprach er die lokale Sprache nicht. Jetzt spricht er sie fließend. In der Schule macht er sich auch sehr gut. So kann sich vieles zum Guten wenden: er hatte einen schwierigen Start. Als kleines Kind litt er unter Unterernährung: angeschwollenes Gesicht, Bauch und Beine. Das sieht man ihm jetzt auf den ersten Blick nicht mehr an, aber wer diese Krankheit gut kennt, erkennt ihre Spuren sofort.

Edu Afryka kümmert sich auch um die Geschwister Felix, Gbédassi und Fidéle. Als sie unter die Obhut der Stiftung kamen, waren sie 14, 9 und 6 Jahre alt. Der Vater ist gestorben, die Mutter bekam einen Job als Haushalthilfe im Norden Benins und ist gegangen. Um die Kinder kümmert sich seitdem ihre Oma.

Es gibt weitere Beispiele:

Eric und seine Mutter Adjika wurden aus dem Haus der Familie des Vaters rausgeworfen, als dieser starb. Solche Tragödien gibt es sehr viele. Auch als der Vater von Rene und Lazare starb, verlor die Familie die Existenzgrundlage, da der Vater einen festen Job hatte. Danach übernahm die Mutter die Verantwortung und zögerte nicht, die schwersten Arbeiten anzunehmen, z.B. als Trägerin von Sand. Auf einer Baustelle schleppte sie stundenlang Sandsäcke auf ihrem Kopf. Im Falle der achtjährigen Marielle übernahm zuerst der Vater die Verantwortung als sich die Eltern trennten. Seit drei Jahren kümmert sich jedoch die Schwester des Vaters um Marielle. Der Vater fühlte sich überfordert und verschwand. Oft meint es das Schicksal besonders böse mit den Menschen hier, wenn noch eine Krankheit das Leben erschwert. Guezo, die Mutter von der 6-jährigen Bellevida arbeitete in so schwierigen Konditionen, dass sie schwer erkrankte. Besonders bitter, weil sie alleinerziehende Mutter ist. Durch die Arbeit als Hilfskraft auf dem Acker, bei der sie ständig der prallen Sonne ausgesetzt war, erkrankten ihre Augen. Ein Auge kann sie nicht mehr öffnen, ihre Hände und Füße sehen schrecklich aus.

Solche Schicksale lassen Basia nicht gleichgültig. Dank ihrer Arbeit und der Unterstützung ihrer Förderer müssen diese Kinder nicht hungern, haben Schuluniformen, Sportbekleidung und Schulunterricht.

Ich durfte sie alle kennen lernen. Sie alle lachen, spielen und besuchen fleißig die Schule. Sie haben jetzt eine reale Chance auf Bildung und ein besseres Leben. Kein Wunder, dass sie Basia vergöttern und mit Begeisterung am Kunstunterricht teilnehmen. Selbst an einem Wochenende.