Die Stunde des Ruhms im Collège d‘Excellence

Gestern hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Chance, in einer Schule aufzutreten. Ich wurde gebeten, den 60 Schülern des Collège d’Excellence über meine Reise zu erzählen. Es handelt sich hier um die beste Schule in Grand Popo, einem malerischen Dorf direkt an der Küste der Bucht von Benin.

Die Schule präsentierte sich in der Tat imposant im Vergleich zu den anderen Schulen im Dorf. Sie wurde vor wenigen Jahren erbaut, mit Unterstützung von chinesischen Fördermitteln. Das war ja auch nicht zu übersehen: eine große gezeichnete chinesische Fahne gleich am ersten Schulgebäude, gut sichtbar von der Straße. Insgesamt waren auf dem Schulgelände vier gleiche Häuser, platziert in Form eines Quadrats. Die Flagge von Benin flatterte auf einem Mast direkt in der Mitte des Schulhofes. Im ersten Haus gibt es Räume für die Lehrer, im zweiten befinden sich Klassenzimmer, im dritten die Kantine und im vierten… ja, das ist die spannende Geschichte: dort stehen 30 Computer, die der chinesische Staat dieser Schule öffentlichkeitswirksam schenkte. Es gab eine Feier, Politiker und Vertreter der Sponsoren kamen. Die Kinder klatschten begeistert in die Hände, die Eltern waren stolz darauf, ihre Kinder ausgerechnet dieser Schule anvertrauen zu dürfen.

Es gibt nur ein winziges Problem mit den Computern. Die Schule ist nicht an das örtliche Stromnetz angebunden. Ja, richtig verstanden: die Schule hat kein Strom und die Computer liegen seit zwei Jahren originalverpackt in den Kartons und gammeln vor sich hin. Irgendwann ist das Betriebssystem der Rechner sicherlich nicht mehr aktuell. Der Schulleiter schwört zwar, dass es seine erste Priorität ist, die Schule mit Strom zu versorgen. Aber ich hörte, dass er das schon seit zwei Jahren tue. Ergebnislos. Das Collège d‘Excellence strahlt mit Unterrichtsqualität – leider nicht im IT-Bereich.

Nun aber zurück zu meiner „Hour of Glory“. Ich sollte zur Schule auf dem Motorrad kommen: als der „Große Traveller“, der den Kindern über seine Abenteuer aus der ersten Hand erzählt. So nahm ich mein Moped, die ganze Reisebekleidung und fuhr zur Schule.

Ich parkte noch vor dem Schulgelände, weil der Unterricht noch nicht vorbei war und ich hatte vor, meinen Auftritt entsprechend beeindruckend zu gestalten. Ich stellte mir vor: die Kinder warten im Hof, ich fahre in die Mitte des Hofes rein, gebe kurz Gas, klappe den Seitenständer auf, steige langsam und zielsicher ab, ziehe den Endurohelm aus – die Kinder klatschen begeistert.

Doch es kam ganz anders. Der Schulleiter hatte einen anderen Plan. Er wollte den Ruhm selbst ernten. So kam er zu mir, ohne nach Erlaubnis zu fragen sprang er auf mein Motorrad und unternahm Anstalten, es zu starten. Ich zögerte kurz. Um ehrlich zu sein: der „Ruhm“ war mir vollkommen egal. Ich hatte Angst um mein Motorrad. Das Ding wiegt ordentlich und der Schulleiter sah nicht so aus, als ob er seine Freizeit im Fitnessstudio verbringen würde. Er schien vor allem nicht ausreichend lange Beine für mein Moped zu besitzen. Am Ende wollte ich ihm jedoch den Spaß nicht verwehren und gestattete dem Herrn Direktor zu fahren.

Die Situation entwickelte sich leider so wie befürchtet. Er fuhr los, kam noch mit Mühe in den Hof. Die Kinder fingen an zu klatschen und vor Begeisterung jubelnd in die Luft zu springen. Herr Direktor fuhr dann auf eine Bordsteinkante rauf und kippte mit voller Wucht um. Der zu erwartende Moment des Ruhms ging in die Hose. Die Kinder hörten auf zu klatschen. Ich sprang noch zur Hilfe – leider zu spät. Das Moped lag auf dem Boden und Herr Direktor schaute mit verzweifeltem Gesicht zu. Wir hoben die Maschine auf und baten die Kinder kommentarlos in das Klassenzimmer.

Jetzt war ich aber dran, den Kindern von meiner Reise zu erzählen. Der Englischlehrer übersetzte ins Französische. Normalerweise hätte der Herr Direktor gedolmetscht, er schien aber keine Lust mehr zu haben.

Ich erzählte über die langen Vorbereitungen, über die unzähligen Bücher, die ich las und unzählige Filme, die ich über Afrika sah. Ich berichtete über die Länder, die ich bereits besuchte und über die Pläne der Weiterreise. Ich wollte den Kindern vermitteln, dass Träume immer in Erfüllung gehen, wenn man an sich selbst glaubt und hart daran arbeitet, diese in Erfüllung gehen zu lassen. Ich präsentierte auch meine Schutzbekleidung und erzählte, wie wichtig die Sicherheit unterwegs ist. Ich wollte den Kindern ein gutes Beispiel sein. Ob meine Geschichte was in den Köpfen bewirkte, weiß ich natürlich nicht. Ich hoffe aber sehr, dass das eine oder andere Kind anfängt zu denken, dass sich verrückte Ideen und Träume verwirklichen lassen.

Nach meiner Erzählung war Barbara dran, die den Kunstunterricht leitet. Sie nutzte mich und meine Geschichte als Thema und Vorwand, um die Kinder über eigene Träume und Wünsche zu inspirieren und dies wiederum auf Papier zu bringen.

Meinen Schulauftritt verdanke ich natürlich der Initiative von Barbara, die jede Gelegenheit nutzt, die Kinder zu begeistern und ihnen ungewöhnliches zu präsentieren. Sie ist die gute Seele von Grand Popo. Sie unterrichtet Kunst, ein Fach, in dem die Kinder sich beim Malen austoben können. Sie sagt, dass der „normale“ Unterricht die Kreativität der Kinder einschränke, beim Malen dürfen sie alles tun. »Je schräger die Bilder, die sie malen, umso besser« – sagt sie immer. Ich durfte den Kindern beim Malen zuschauen und fotografieren.

Über Barbara möchte ich einen separaten Artikel schreiben, sie hat das mehr als verdient! Ich verrate nur noch, dass die Kinder von Grand Popo sie unendlich lieben. Und sie hat den hiesigen Kindern ihr Leben gewidmet.

Der Weg durch Mali

Die Zollbeamten bevorzugen zuerst das Gebet, dann die Arbeit.

Durch die verzögerte Ankunft des „Mannes mit dem Stempel“ auf der mauretanischen Seite der Grenze kam ich schon relativ spät am letzten offiziellen Kontrollposten in Mali an. Ich dachte trotzdem, dass die Formalitäten nicht all zu lange dauern würden. Ich benötigte ein Zolldokument, dessen Ausstellung normalerweise ein paar Minuten dauert. Doch mein Aufenthalt am Zollkontrollposten sollte erst am nächsten Morgen enden.

Gut gelaunt und bestens genährt (Dank der mauretanischen Grenzpolizisten) kam ich ziemlich schnell durch Mali-Immigration und ich fuhr dann weiter, um die letzte Kontrolle zu absolvieren. Ich kam am Zollgebäude an und sah gleich, wie ein Kerl aus einem Toyota Corolla mit spanischem Kennzeichen ausstieg.

»Oh, wie schön!« – dachte ich. »Endlich kann ich ein paar Nettigkeiten mit jemandem austauschen« – ich nahm an, der Typ kam mit dem Auto aus Spanien. So sprach ich ihn fröhlich an:

»¡Hola Señor! ¿Que tal? ¿Hablas Español?«

»Hier ist Mali. Man spricht Französisch hier!« – war seine Antwort auf Französisch, die ich doch mühelos verstehen konnte.

»Alles klar Du Arschloch« – dachte ich nur, sagte es aber nicht laut, weil ich sah, dass er in das Zollamtbüro reinspazierte, und zwar mit einer Körperhaltung, als ob ihm das Büro gehören würde.

»Na super!« – »Wenn ich Pech habe, ist er dann auch derjenige, der mich gleich bedienen wird« – ich sah schon, wie ich mich klein machte und verlegen lächelte – während der Typ mich von oben herab betrachtete und sich seine Rache überlegte, weil ich seine fremdsprachlichen Kompetenzen bloß gestellt hatte.

Und in der Tat, ausgerechnet dieser Typ schien der zuständige Beamte zu sein.

»Könnten Sie mein Carnet de Passage stempeln?« – fragte ich höflich in einem sehr langsamen Englisch, wobei ich noch simultan eine eindeutige Handbewegung machte, die das Stempeln imitieren sollte.

»Heute wird nichts mehr gemacht« – antwortete er in einem gerade noch verständlichen Englisch. »Kommen Sie am Montag wieder« – warf er noch dazu.

Er sah wie ich große Augen machte und lächelte schelmisch. »Am Montag?« – schaute ich verlegen. »Es ist Freitag. Ich will doch weiter fahren!« – ich hatte das Gefühl, der Typ will mich verarschen. »Warum war er eigentlich noch da, wenn er nicht mehr arbeiten müsste?« – fragte ich mich.

Doch dann kam ein anderer herein:

»Was kann ich für Sie tun?« – ich war entzückt! Er war nett und sprach Englisch!

Ich erklärte ihm kurz, dass ich jetzt nach Mali kam und mein Zolldokument, das Carnet, gestempelt haben möchte.

»Kein Problem, machen wir« – sagte er. »Wir werden aber zuerst unser Abendgebet sprechen, dann kümmern wir uns um die Angelegenheit.«

»Aber selbstverständlich« – antwortete ich, und war glücklich, dass ich mein Lager nun doch nicht für ein paar Tage an der Grenze aufschlagen musste.

Nun musste ich erstmal warten. Die Nacht brach in der Zwischenzeit herein. Nach einer Ewigkeit und nach dem die Gebete gesprochen wurden, kam der nette Beamte auf mich zu und sagte, dass er jetzt Zeit für mich hätte. Doch es sollte nicht so einfach mit dem Carnet funktionieren, wie ich dachte. Es ergab sich, dass das Carnet in Mali nicht galt und ich ein lokales Zolldokument erwerben müsste. Es kostete 15.000 CFA. Danke ADAC!

Ich hatte natürlich keine CFA dabei. Die Beamten hatten dennoch kein Problem damit, den Betrag in Euro entgegen zu nehmen. Nach ca. 30 Minuten war dann alles erledigt. Ich stand aber vor der Option in der Nacht weiter zu fahren. Eine ziemlich riskante Angelegenheit in Afrika. Ich entschied mich dann doch lieber zu bleiben und fragte den netten Beamten, ob ich zelten dürfte. Es war auch kein Problem: ich schlug mein Camping mitten auf dem Zollgelände zwischen irgendwelchen unverzollten oder beschlagnahmten Fahrzeugen auf.

Am nächsten Morgen waren die Zöllner wie ausgetauscht! Sie luden mich zum Frühstück ein, gaben mir noch Brot fürs unterwegs und wünschten gute Fahrt!

Die gute Fahrt endete ca. eine Stunde später in der Stadt Nioro als ich – völlig konzentriert auf der Suche nach einer Bank – ein Verkehrszeichen übersah und in eine Einbahnstraße gegen den Verkehr fuhr. Sofort sprang ein Polizist zu mir und stellte sich quer in meinen Weg.

Zuerst habe ich gar nicht realisiert, was er von mir wollte. Ich dachte, dass er vielleicht mal etwas plaudern will. Es wäre ja nichts ungewöhnliches und es ist schon früher passiert. Er ließ mich das Moped direkt am Straßenrand parken und lud zu sich in den Schatten auf ein Campingstuhl ein. Das kam mir schon etwas schräg vor, aber hey – der Polizist war vielleicht so sehr an meiner Reise interessiert, dass er sich darüber in Ruhe unterhalten wollte. So saßen wir eine Weile im Schatten eines großen Baumes und versuchten zu kommunizieren. Die Kommunikation verlief jedoch zäh. So nahm er mich plötzlich an die Hand und machte Anstalten, als ob er mir was zeigen möchte. Ich folgte ihm ein paar Meter und wir standen plötzlich vor einem riesengroßen Einfahrtverbotszeichen, mit einem Durchmesser von über einem Meter! Plötzlich war mir der Grund klar, warum der Polizist mich anhielt und mich bei sich behielt. Er wollte Geld!

Wir setzten uns dann wieder hin und die Verhandlungen begannen. In seiner Großzügigkeit erklärte er mir, dass er auf die volle Strafhöhe von 10.000 CFA (ca. 15 EUR) verzichtete. Wenn ich ihm dann 5.000 gebe, darf ich wieder gehen. So saßen wir weitere 45 Minuten herum und haben verhandelt. Er hielt meine Fahrzeugpapiere in der Hand und ich versuchte ihm zu erläutern, dass ich auf einer wichtigen Mission bin, durch den ganzen Kontinent fahre und später darüber ein Buch schreiben werde. Und er wolle darin bestimmt positiv erwähnt werden. Ich weiß nicht, ob ich ihn damit beeindrucken konnte, aber irgendwann merkte er, dass ich nicht in Eile bin und wir wahrscheinlich so noch lange sitzen würden. Entnervt gab er mir schließlich meine Dokumente zurück und ich fuhr davon.

Diese Zeit in Nioro, die ich wegen des korrupten Polizisten verlor, jedoch verursacht durch meine eigene Unaufmerksamkeit, bedeutete meine viel zu späte Ankunft in Bamako. Unter normalen Straßenzuständen hätte ich die 500km innerhalb von 8 Stunden schaffen können. Aber die letzten 150km bis zur Hauptstadt waren ein Albtraum: Löcher so breit wie die ganze Straße, tief bis zu einem halben Meter, häufiger als Löcher im Schweizer Käse. Außerdem ein LKW hinter dem anderen, Busfahrer, die sich unbedingt mit dem Motorrad ein Rennen liefern wollten, Straßenhändler an jeder schwierigen Stelle, die die Fahrzeuge verlangsamten oder zum Stehen brachten, die den Verkehr noch mehr beeinträchtigten. Gar Gruppen von Menschen an den schwierigen Stellen, die nur als Publikum da standen und warteten, bis ein Fahrzeug spektakulär durch die Löcher fuhr oder liegen blieb. Alle 2-3km kaputte Laster, die in die Löcher reinfuhren und sie nie wieder verliessen. Staub- und schwarze Abgaswolken, die die Sicht massiv einschränkten. Und in dem ganzen und endlosen Chaos: ich auf dem Moped.

Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diese Strecke bis nach Bamako schaffte. Die Autos fuhren in so einem Verkehrschaos, dass sie zum Teil die Straßenseiten wechselten, was auf einmal zu Linksverkehr führte.. Jeder fuhr die Spur, die er an jener Stelle für die bessere Wahl hielt. So überholte ich nicht selten von rechts, fuhr in einer Staubwolke und wusste nicht, ob nicht gleich eine Kurve auftauchte. Irgendwann wurde es dunkel und die letzten drei Stunden waren jenseits jeder vernünftigen Vorstellung an das Reisen. Selten gab es die Option schneller als 20-30kmh zu fahren.

So kam an meinem Hotel in Bamako erst um 21:30 Uhr statt 17:00 Uhr an. Was für eine Erleichterung, dass ich überhaupt ankam. Das Tor wurde geöffnet, ich fuhr rein und war gerettet! Ich ging an die Rezeption und bestellte den Zimmerschlüssel. Plötzlich schaute ich in den Spiegel und erkannte mich nicht mehr! Da schaute irgendein Wilder mit schwarzem Gesicht zurück. Nur das Weiße in den Augen leuchtete hell. Ich sah aus, als ob ich nach einer Woche Schwerstarbeit aus einer Grube gekrochen wäre. Kein Wunder, dass mich die Leute verwundert anschauten, als ich durch das ganze Restaurant marschierte. So wie mein Gesicht aussah, sahen meine Klamotten und das Motorrad ebenfalls aus: als ob der Biker gerade aus einem Kriegsgebiet geflohen wäre.

Mit meinem etwas außergewöhnlichen Auftreten musste ich auch ein paar Leute im Restaurant beeindruckt oder zumindest die Frage aufgeworfen haben, was ich den bitte für ein Chaot sei. Ich wurde an einen Tisch geladen, an dem sehr nette junge Kanadier saßen und auf meine Geschichte gespannt waren. Das Bier schmeckte hervorragend!

Mit Greg und Matt verbrachte ich dann noch weitere drei Tage. Sie arbeiten in Bamako für eine schwedische Fluggesellschaft: als Flugzeugmechaniker bzw. als Pilot. Sie haben ein großes Haus in Bamako, mit Garten, Pool, Autos, Fahrer, Gärtner, Bierkühlschrank und vielem mehr! Wir hatten eine tolle Zeit zusammen, die alle Strapazen der Fahrt nach Bamako vergessen ließen.

Die Weiterfahrt nach Sikasso und dann nach Côte d’Ivoire verlief dann nicht mehr so spektakulär. In Sikasso traf ich noch Freunde aus den Niederlanden, die mit einem super ausgestatteten Geländewagen 1,5 Jahre in Westafrika verbrachten und gerade auf dem Weg Richtung Europa waren. Tomek und Susanne sind zu richtigen Experten während ihres Aufenthalts hier geworden. Ich schaute neidisch zu, wie sie selbstsicher und kenntnisreich auf einem lokalen Markt einkauften, um später ein köstliches Abendessen zu kochen: Kartoffeln mit einer Pilzsoße und köstlichem Salat. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn ich mich dran erinnere.

Obwohl wir unser Camp direkt am Fluß und weit weg von Menschen errichtet hatten – dachten wir zumindest – , bekamen wir auch gleich Besuch, oder man müsste zutreffender sagen: Publikum. Der erste nette Mann, der Vuba hieß, erklärte, wie toll die Frauen in Mali seien und dass er auch ein paar Schwesterchen hätte, die in heiratsfähigem Alter wären. Auf unsere Bemerkung, dass die hier anwesenden Männer bereits vergeben wären, erwiderte er, dass dies kein Problem sei. In Mali dürfe man bis zu vier Ehefrauen haben. Na vielen Dank! Man stelle sich vor, die gehen alle ein Mal pro Woche shoppen! Da bist du ja gleich pleite…

Später schloss sich uns eine junge Dame an, die einfach nur da stand und zuschaute, wie wir aßen sowie zuhörte, wie wir uns auf Englisch unterhielten, obwohl sie selbst kein Wort verstand. Sie war da – ich übertreibe nicht – fast zwei Stunden lang! Wir hatten leider keine Portion extra für sie, nicht mal einen Stuhl zum anbieten. Ich fühlte mich etwas blöd deswegen, aber Susanne meinte, dass wäre schon ok so. Man müsse sich dran gewöhnen. Nach diesen zwei Stunden, als wir aufgegessen hatten, fragte diese junge Frau nur noch, ob sie für uns abwaschen könnte. Mir ist die Kinnlade runtergefallen. Es wurde mir klar, dass sie gerne was verdienen möchte und als es doch nicht klappte, ging sie einfach wieder dahin, wo sie herkam: in die Dunkelheit, keine Ahnung wohin genau.

Am nächsten Morgen hatten wir ein exzellentes Abschiedsfrühstück mit Rührei und Bacon, tauschten unsere SIM-Karten aus und fuhren jeder in seine Richtung: meine Freunde nach Bamako, ich nach Côte d‘Ivoire.

Der Schatz von Mauretanien

Nach dem langen Marathon an der Grenze kam ich endlich in Nouadhibou an. Dort sollte ich mich bei Khaled melden, einem Freund von meinem CouchSurfing-Freund Hachim. Hachim empfahl mir nicht direkt nach Nouakchott zu fahren, sondern in die Grenzstadt Nouadhibou. Dieser Rat ergab sich als Gold wert! Ich fuhr nämlich am nächsten Tag in die Hauptstadt und diese lange Fahrt von ca. 500km durch die Wüste und bei Temperaturen von dauerhaften 45° ergab sich als extremst anstrengend und ich hätte nicht eine wunderbare Familie in Nouadhibou kennengelernt.

Nun war ich zunächst in der drittgrößten Stadt Mauretaniens angekommen. Ich muss wahrscheinlich unfair klingen, aber ich kann Nouadhibou beim besten Willen nicht als schön bezeichnen. Der erste Eindruck war sehr ernüchternd… ich dachte »So sieht also Afrika in Wirklichkeit aus.« Kaputte, mit Sand bedeckte Straßen, slumartige Bauweise, tonnenweise Müll und überall Zweiradkutschen gezogen von Esel, die immer wieder zur Richtungsweisung mit dicken Holzknüppel auf den Schädel geschlagen worden waren. Das ist was ich als erstes erfuhr – und es wurde für mich persönlich noch schlimmer: Ich kam an ohne lokales Bargeld und ohne mobiles Internet. Was in Tanger einfach war, ergab sich als eine echte Herausforderung in Mauretanien: eine Bank finden, die eine Kreditkarte schluckt und Bargeld ausspuckt. Danach wollte ich gleich eine SIM-Karte besorgen und meinen Gastgeber Khaled informieren, wo er mich finden kann.

Schön wär’s.

Die Suche nach einer Bank, die eine Mastercard akzeptiert, gestaltete sich als eine unmögliche Aufgabe! Keiner der Geldautomaten wollte meine Karten erkennen und ich geisterte von einer Bank zu der anderen. Bis ich schließlich nach mindestens anderthalb Stunden eine „richtige“ Bank, die Société General, fand, die gnädigerweise das Geld lieferte. Ich war gerettet.

Die Entdeckung der Bank beendete gleich meine mauretanische Pechsträhne! Direkt gegenüber gab es ein Shop, das mir unentgeltlich WLAN zur Verfügung stellte und ich konnte Khaled benachrichtigen.

Die nachfolgenden Geschehnisse machten alles wieder gut und retteten den wohl bis dato schlimmsten Tag meiner Reise.

Khaled kam innerhalb von Minuten, um mich abzuholen. Der erste Plan war, dass wir uns nur unterhalten sollten, er mir über sich selbst und das Land erzählen und ich ihm über meine Reise berichten sollte. Später wollte ich mir ein Hotel oder Camping aufsuchen, wo ich übernachten könnte, denn Khaled war aus Nouakchott und in Nouadhibou war er nur zu Besuch bei seiner Familie. Trotzdem lud er mich zu seiner Tante nach Hause ein, um dort seine Cousinen kennenzulernen und Tee zu trinken.

Wir sind in einem schönen großen Haus angekommen. Mein Motorrad durfte ich gleich in die Garage stellen. Ich wurde der Familie vorgestellt und wir zogen uns in ein Zimmer zurück: Khaled, seine Cousinen und ich. Das Gespräch verlief anfangs etwas steif aber schnell konnten wir das Eis durchbrechen. Ich traf junge Menschen, die sich sehr für die weite Welt, fürs Reisen und fremde Länder interessierten. Khaled und seine jüngere Cousine Nebghouha sprachen dazu sehr gutes Englisch. Die ältere Schwester von Nebghouha leider nicht, dafür machte sie einen exzellenten Tee und lächelte freundlich die ganze Zeit.

Das Gespräch musste auch seitens meiner Gastgeber zufriedenstellend verlaufen sein, denn plötzlich boten sie mir an, auch über die Nacht zu bleiben! Die Mutter des Hauses habe ihr Einverständnis erklärt. So nahmen sie mich auf, eine völlig fremde Person in ihr Haus auf, boten Essen, Obdach und schenkten mir gar eine SIM-Karte. Wir fuhren noch am gleichen Abend an den Strand und hatten ein wunderbares Barbecue.

An dieser Stelle bedarf das mauretanische Barbecue etwas Erklärung.

Als erstes muss das Fleisch besorgt werden. Das kriegt man beim lokalen Metzger, der es gleich auch auf den Grill schmeisst und nachher in Alu-Folie verpackt. Vermutlich handelt es sich dann um Lammfleisch. Dann fährt man an einen schönen ruhigen Ort, z.B. an den Strand. Danach packt man aus dem Kofferraum einen großen Teppich aus und rollt ihn auf dem sandigen Boden aus. Dabei hat man auch natürlich diverse Kissen im Auto. Wohl bemerkt, es ist ein Toyota Avensis, kein Transporter mit Anhänger. Als nächstes lässt man den Ausländer sich auf den Teppich hinsetzten und er darf mit seinem Handy spielen während man als traditioneller Muslim sein Abendgebet spricht. Nach diesem Ritual kann man das Fleisch und die Getränke (Cola) auspacken und sich am Essen erfreuen. Als guter Gastgeber schiebst Du dem Ausländer immer wieder die besten Fleischstücke zu und ermahnst ihn freundlich, dass er sich nicht jedes Mal dafür bedanken muss.

Am nächsten Morgen bekam ich ein Frühstück von Khaled serviert. Aber was für ein! Ich bin sicher, dass nicht mal der Bürgermeister von Nouadhibou so ein Frühstück bekommt: Omelette, leckeres lokales Brot mit diversen Marmeladesorten, frisch gepressten Orangensaft, trockene Früchte, Croissant und köstlich duftenden Kaffee! Gefehlt haben nur Spiegeleier und Bacon. Ich war entzückt! Wo hat er das alles her? Khaled musste wahrscheinlich die ganze Stadt durchquert haben, um an solche Sachen zu kommen! Einfach unglaublich! Nach zwei Tagen Dosensardellen zum Frühstück war das ein Traum.

Doch bald musste ich weiter. Vor mir hatte ich – wie bereits erwähnt – eine lange Fahrt und zwar eine, die mich super schwitzen lassen würde. Khaled eskortierte mich freundlicherweise noch aus der Stadt – bis zur ersten Polizeikontrolle…

Nach einer gefühlten Ewigkeit durch die Wüste bei Temperaturen, die mir eine Vorahnung gaben, wie ich mich als Sünder in der Hölle fühlen werde, sowie unzähligen Polizei-Kontrollen, kam ich am Abend in Nouakchott an, um endlich mal persönlich auch meinen ersten mauretanischen Freund Hachim zu treffen.

Hachim empfing mich als ob wir uns schon seit Jahren gekannt hätten. Sehr herzlich, offen, lustig und völlig entspannt, so entspannt wie nur ein 23-jähriger Mann entspannt sein kann. Ich war sofort sein „Bro“. Ich wollte in Nouakchott nur eine Nacht verbringen. Ich blieb aber drei und erfuhr wiedermal eine großartige Gastfreundschaft.

Ich lernte auch einen Cousin kennenlernen: Mohidin, der im Haus eine wichtige Rolle spielte: er unterrichtete die Kinder jeden Morgen Arabisch und „prügelte“ den Mädchen (es waren insgesamt vier, davon drei im lernfähigen Alter) auch Quran-Verse rein: Morgen für Morgen. Mohidin war ebenso nett und neugierig auf den Typen aus dem fernen Norden. Bedauerlicherweise sprachen wir keine gemeinsame Sprache, aber der Google-Übersetzer lieferte schon ziemlich sehenswerte Ergebnisse und trug bei, dass so etwas wie eine Konversation möglich wurde. Mohidin erzählte mir, dass er in einer Koran-Schule studierte. Sein Wunsch gegenwärtig wäre es, in Deutschland/Europa eine Arbeit zu finden. »Shit« – dachte ich, was sollte ich ihm bloß antworten? Ich wollte keinesfalls irgendwelche falsche Versprechungen machen und es war klar, dass er eine naive und „romantische“ Vorstellung davon hat, wie man in Europa eine Arbeit findet. Gleichzeitig wollte ich ihn motivieren und nicht enttäuschen, so sagte ich ihm, dass das Thema sehr schwierig sei, wenn man weder Englisch noch Deutsch spricht. Er fand meine Antwort zufriedenstellend – dachte ich.

Am nächsten Morgen setzten wir unser Gespräch fort. Diesmal war der Wunsch von Mohidin ein anderer. Es ergab sich, dass er jetzt die Pläne etwas umgeworfen hatte. Er wolle jetzt in Deutschland studieren. Ob das nun möglich wäre – war seine Frage.

Vermutlich war mein etwas zu langes Schweigen ziemlich demotivierend für Mohidin. Ich sammelte meine Gedanken: »Ein Absolvent einer privaten Koran-Schule möchte in Deutschland studieren!«

»Mensch, Mohidin« – dachte ich. »Warum hast du bloß nicht Architektur, Umweltschutz oder mindestens Germanistik studiert?«

Kurz und vereinfacht erklärt: in einer Koran-Schule studiert man ein Buch. Das hat wahrscheinlich auch was mit einem Theologie-Studium in Europa zu tun. Man studiert ein paar Jahre lang ein Buch! Eine ziemlich schreckliche Vorstellung. Es ist in beiden Fällen nicht mal ein lustiges Buch…

Die gedankliche Suche nach einer diplomatischen, dennoch ehrlichen Antwort wurde von Hachim unterbrochen, der hereinplatzte und mich auf wenig sanfte Weise aus der Misere rettete: »Du willst in Europa studieren? Du hast doch keinen Abschluss. Wie soll das denn gehen?« Mohidin senkte seinen Blick. Er bohrte dann auch nicht mehr weiter. Er tat mir echt leid, weil er so freundlich und wissbegierig über Europa war. Ich kenne seine Lebensgeschichte nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass er mit viel Fleiß die Koran-Verse im Studium auswendig lernte. Vielleicht erfüllte er dadurch den Wunsch seiner Eltern. So etwas endet meistens böse für das Kind. Auch bei uns in Europa…

Aber zurück zu Hachim, meinem CouchSurfing-Freund. Wie oben aufgezeigt: ein frecher Typ. Wir unternahmen zusammen so einiges: Picknick auf einem Teppich am Strand, Freunde treffen, Konsulate besuchen, im Sand Motorrad-Fahren. Hachim erzählte mir von seinen Plänen, in Kanada zu studieren. Dafür verkaufte er alles, was er in Geld umwandeln konnte: Auto, Iphone X. Seine Familie schien auch nicht arm zu sein. Er hat eine reale Chance, seine Träume zu verwirklichen, vor allem durch seine Motivation und Unnachgiebigkeit. Ich drücke ihm die Daumen!

Er half mir und noch vielen anderen Reisenden sehr viel in Mauretanien, dafür sammelte er mit Sicherheit ganz viele Karma-Punkte. Er begleitete mich seit der Einreise und erkundete sich noch lange nach dem ich Nouakchott verließ, wie es mir geht und ob sich seine Freunde in Kiffa gut um mich kümmerten!

Und Kiffa war die letzte Stadt in Mauretanien, bevor ich nach Mali meine Reise fortsetzte. Ich habe dort zwei spannende Tage mit Radhi und Mahfoudh verbracht. Obwohl wir etwas sprachliche Schwierigkeiten hatten, verstanden wir uns schon ganz gut! Dennoch fehlte es auch nicht an Missverständnissen.

Der zweite Tag fing schon so an. Wir waren verabredet, dass wir uns zu dritt am Morgen um 8:00 Uhr treffen sollten. Ich war um 7:00 Uhr wach, dachte aber: »Hey, es ist doch zu früh!« Außerdem eine weitere Stunde zu schlafen klang sehr verlockend. So schrieb ich eine Nachricht an Radhi:

»Radhi, lass uns doch lieber um 9:00 Uhr treffen. Es wäre schön, wenn wir unser Treffen um eine Stunde nach hinten verschieben könnten« – schrieb ich extra doppelt, damit meine Nachricht verstanden wird.

»Ok« – schrieb Radhi gleich zurück.

So legte ich mich wieder hin und machte glücklich die Augen zu. Um 7:55 Uhr riss mich das Klopfen an der Tür gnadenlos aus dem Tiefschlaf. Radhi und Mahfoudh standen an der Tür und hielten strahlend das Frühstück in der Hand. Ich – halb im Schlaf – zeigte meine große Freude über diesen unerwartet frühen Besuch…

Immerhin fing der Tag dann dafür früh an. Wir fuhren aus der Stadt zum Teich und verbrachten dort ein paar nette Stunden im Schatten auf einem Riesenteppich, der erneut aus dem Kofferraum eines kleinen Toyotas samt Kissen gezaubert wurde.

Am Nachmittag wollten die Jungs mich wieder abholen, um irgendwohin zu fahren. Wir haben 14:00 Uhr vereinbart. Bis dahin wollte ich im Hotelzimmer bleiben, um an meinen Fotos zu arbeiten.

Um 19:00 Uhr: Klopfen an der Tür. Radhi kam mit „etwas“ Verspätung an, um mich abzuholen. Er war alleine und ohne Auto, weil Mahfoudh irgendwas anderes erledigen musste und keine Zeit hatte.

Nun war die große Frage, wo werden wir denn hinfahren. Ich stellte mir vor: er will mich bestimmt einem breiteren Freundeskreis vorstellen. Oder noch schöner: vielleicht fahren wir zu Radhi nach Hause, um die Familie kennen zu lernen? Wir nahmen mein Moped, weil ja Mahfoudh mit seinem Auto nicht da war. War ja auch kein Problem. Wir stiegen ein und fuhren los in die Dunkelheit. Unterwegs stellte ich mir noch vor, wie der Besuch bei der Familie ablaufen wird: Ich komme an und werde wahrscheinlich dann ins Haus gebeten. Die Familie wird mich freundlich begrüßen, eine Schwester von Radhi – wenn es die gibt – wird Tee vorbereiten. Sein älterer Brüder – falls es den gibt – wird ein paar qualifizierte Fragen zum Motorrad stellen. Ich werde dann über meine bisherige Reise erzählen, und darüber, was mir in Mauretanien am besten gefällt. Der Familienvater wird freundlich lächeln und mir die Hand schütteln. Wir verbringen einen netten Abend zusammen. Ich werde mit ein paar hilflosen Vokabeln auf Arabisch die Leute zum Lachen bringen. Dann erzählen sie mir wie sie sich freuen, dass ein Fremder ihre Heimat besucht und wir werden ein Gruppenfoto machen.

Meine Träumereien wurden unterbrochen als ich feststellte, dass wir die Stadt verließen und in vollkommener Dunkelheit Richtung Wüste fahren. Dies bereitete mir noch keine Sorgen, denn »gegebenenfalls ist das Familienanwesen irgendwo außerhalb der Stadt« – tröstete ich mich. 20 Minuten später fuhren wir immer noch. Radhi machte keine Anstalten mir zu sagen, wie lange es noch dauern wird. Plötzlich sahen wir Lichter. Es war aber kein Haus mit schönem Garten sondern eine Polizeikontrolle. Ok, diese kannte ich schon von unserem Ausflug am Vormittag. Die Polizisten wollten erneut alles über mich wissen. Und diesmal war das sogar etwas lustig. Es gab den – wie ich dachte – Polizisten, der das Kommando hatte und Fragen stellte sowie einen, der alles protokollierte. Das Gespräch verlief in drei Sprachen, Arabisch, Französisch und etwas Englisch – alles durcheinander gemischt:

»Beruf?« – fragte der Kommandant.

»Event Manager« – antwortete ich, um keine Nachfragen zu provozieren. Ich erzähle nie, dass ich Fotograf bin, weil die mich sonst mit weiteren Fragen bohren könnten: Wieso? Wofür? Wozu? Etc.

»Journalist?« – fragte der Kommandant nach. Der Protokollant erhob auch sein Blick.

»Nein, Manager – ich organisiere Konferenzen in Deutschland« – fügte ich zu, um alles klar zu machen.

»Ok, schreib Journalist« – sagte der Kommandant zum Protokollanten, was der dann auch gleich tat. Ich protestierte nicht mehr. Die Frage nach meiner Tätigkeit schien somit geklärt zu sein: »Wenn sie mit Journalisten keine Probleme hier haben – umso besser.«

Nach der Kontrolle bestiegen das Moped und fuhren los. »Bitte umdrehen« – sagte dann Radhi gleich zu mir. »Wie bitte?« – schaute ich unglaublich zu ihm auf. »Ja, ja – fahr bitte zurück.« Ich dachte noch: »Ok, vielleicht sind wir schon da und mussten noch die Polizeikontrolle absolvieren.« Aber leider doch nicht. Wir fuhren wieder den ganzen weg zurück zu meinem Hotel. Es ergab sich dann später: der Vater von Radhi ist Polizeichef in Kiffa und bat seinen Sohn darum, mich von der Polizei kontrollieren zu lassen. Auch ok. Immerhin erkannten mich die Polizisten am nächsten Morgen als ich vorbeifuhr und wollten mich nicht mehr (zum dritten Mal) kontrollieren.

Radhi und Mahfoudh verabschiedeten mich am nächsten Morgen und zeigten wieder die unglaubliche Gastfreundschaft von Mauretanien: sie versorgten mich mit Essen, Wasser, zahlten gar meine Hotelrechnung! Einfach unglaublich…

Nach 300km Fahrt wieder in einer weit über 40°-Hitze kam ich an die Grenze. Ich war ausgerechnet da, als ein Sandsturm heranzog. Ein krasses Erlebnis! Alles was lebt, versteckt sich und macht die Türen zu. Alles was nicht viel Gewicht hat und nicht fest fixiert wurde, fliegt davon. Mein Pech und Glück gleichzeitig war, dass der „Beamte mit dem Stempel“ nicht da war und ich dann knapp zwei Stunden an der Grenze warten musste (durfte). Ich erfuhr aber wiedermal die unglaubliche mauretanische Gastfreundschaft: die Polizisten nahmen mich in ihre Räume auf, gaben mir Essen und Wasser. Es gab dort keine Stühle zum Sitzen, dafür aber Matratzen zum Liegen. Ich durfte gar mein Motorrad vor dem Sandsturm direkt unterm Dach verstecken. Zwei Stunden später kam der „Stempel-Beamte“ und ich durfte nach Mali weiterfahren…

In Summe: in Mauretanien konnte ich zwar keine baulichen Meisterwerke betrachten (vielleicht gibt es die tatsächlich), aber ich habe wunderbare, herzliche Menschen kennen gelernt, die sich stets darum bemühten, dass es mir bestens ging. Die Mauretanier sind für mich der wahre Schatz von Mauretanien.

Planänderung

Um so wenig wie möglich Grenzübergänge und somit weniger Bürokratie auf mich nehmen zu müssen, sowie den Zeitplan etwas aufzuholen, plante ich ursprünglich einen kürzeren Weg: von Mauretanien nach Mali durch Burkina Faso und schließlich nach Benin, wo ich ein paar Tage länger bleiben wollte. 

Nun ergab sie die Reise nach Burkina als „bad idea“. Es erreichten mich immer wieder Neuigkeiten, die mich nachdenklich machten. Burkina Faso scheint „not the place to be right now“ zu sein – schrieb mir Chloe von der FB-Gruppe „West Africa Travellers“. Die Mitglieder der Whatsapp-Gruppe „Africa by moto“ konnten mir auch nur einen Rat geben: Ich solle die UN-Mission in Bamako aufsuchen und dort nach einem sicheren Weg fragen. Auch das deutsche Außenministerium empfiehlt mit Vorsicht, nicht nach Burkina Faso zu reisen: 

In allen Grenzregionen ist eine hohe Zunahme von terroristischen und kriminellen Aktivitäten zu verzeichnen. Entsprechend wird generell auch davon abgeraten, auf dem Landweg nach Burkina Faso einzureisen. Des Weiteren raten wir dringend von Reisen nördlich der Linie Koupela-Ouagadougou-Toma sowie westlich der Linie Toma-Dédougou-Bobo Dioulasso-Banfora ab.

Mehrfach wurden auch westliche Ausländer Opfer von offensichtlich gezielten Entführungen, wie im Dezember 2018, im Januar 2019 und zuletzt im Mai 2019 im Pendjari-Nationalpark auf beninischer Seite im Grenzgebiet mit anschließender Verschleppung nach Burkina Faso.

Da mir die oben erwähnten Orte aus meiner Routenplanung bekannt vorkamen, entschied ich mich auf Burkina zu verzichten. Die Familie und meine Freundin, sie alle atmeten tief auf. Nun war die einzige Alternative zu dieser Route, von Mali nach Cote d‘Ivoire, Ghana, Togo und Benin zu fahren. Blöderweise hatte ich die Visa für Mali und Burkina bereits. Für die neue Strecke natürlich nicht. 

Eine kurze Recherche ergab, dass ein Honorarkonsul von Côte d‘Ivoire in Nouakchott residiert. Aber ein Honorarkonsul? Kann er was? Es ist eher ein Amt für repräsentative Zwecke – dachte ich. Es schadet aber nicht, mal anzuklopfen und zu fragen. So fuhren wir los, Hachim und ich, um dem Konsul einen Besuch abzustatten. Ich war froh, dass Hachim dabei war, zur Not könnte er dann übersetzen, wenn ich mit Englisch nicht weiter kommen sollte. Wir klopften an und eine massive Tür wurde uns geöffnet. Wir wurden ins Sekretariat gebeten, wo eine junge Sekretärin in einem schicken gelben Kleidchen saß und mit ihrem Handy spielte. Hachim erklärte kurz, was wir wollten. 

Die Sekretärin erhob kurz ihren Blick zu uns: 

»Ja, das ginge schon, nur der Konsul ist nicht da.« 

Danach widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Smartphone und teilte uns mit: »Wir sollen ihn dann anrufen, um zu erfahren, wann er kommt.« – Ich hob die Augenbrauen hoch. 

Hachim war aber schon am Handy und im Begriff den Konsul tatsächlich direkt anzurufen. Die Nummer nahm er einfach von der Website des Konsulats. Als sich der Konsul meldete, übergab Hachim der Sekretärin das Smartphone und sagte zu ihr: 

»Er ist dran, klären Sie das.« Und Wunder geschehen: der Konsul werde bald eintreffen und sich um die Angelegenheit kümmern. 

Nach einer Stunde war es so weit. Es wurde uns mitgeteilt, dass der Konsul uns erwartet. Wir gingen rein und sahen einen älteren Herren hinter einem Berg an Unterlagen, Mappen, Dokumenten und Fotos am Schreibtisch sitzen. Neben dem Schreibtisch stand ein Gewehr – vermutlich nicht als Deko gedacht. »Ob das gut gehen wird?« – fragte ich mich noch.

Der Herr lächelte uns aber sehr freundlich an und lud uns ein, Platz zu nehmen. Hachim begann dann auf Französisch zu erklären, was wir wollen, wo ich herkomme und ob der Konsul mit mir in Englisch sprechen könne, weil ich leider kein Französisch spreche. 

»Wieso Englisch? Kann er kein Deutsch?« – warf der Konsul auf Englisch. Hachim und ich schauten uns kurz erstaunt an. 

Dann sagte ich auf Deutsch: »Doch, doch – das kann ich natürlich. Sprechen Sie Deutsch?

»Ja, ein bisschen schon« – antwortete der Konsul auf Deutsch, aber das klang schon verdächtig gut! 

»Woher kommen Sie?« – fragte mich der Konsul weiter. 

»Baden-Baden« – antwortete ich vorsichtig.

»Ich bin aus Hannover« – sagte der Konsul und ich machte große Augen! 

Dann fiel mir auf, dass bei ihm im Büro ein Hannover96-Emblem an der Wand hängte! Wow, wie klein die Welt doch ist! 

In seinem Büro hingen überall alte Fotos! Mal er mit dem ersten mauretanischen Präsidenten, mal mit dem ivorischen Präsidenten und noch mit anderen hohen Politikern, die allesamt ihre Karrieren sicherlich schon in den 60-70ern beendet hatten. 

Er erzählte viel über die alten Zeiten der Gründung afrikanischer Staaten, der Euphorie über die Erlangung der Unabhängigkeit durch die westafrikanischen Länder usw. 

Er suchte dann eine Weile lang in seinen Unterlagen. Diese kam uns schon sehr lange vor, aber wir warteten geduldig und weiterhin schweigend. Ich dachte: 

»Ok, er sucht bestimmt irgendwelche Antragsformulare für meinen Visumantrag. Ist ja auch kein Problem. Er ist svhon ein älterer Herr und braucht Zeit. Wahrscheinlich kommt nicht jeden Tag ein Europäer und stellt bei ihm einen solchen Antrag.« 

Dann – nach ca. 30-40 Minuten, vorsichtig geschätzt – fand er, was er suchte! Es waren nicht die Antragsformulare, nicht die Instruktion, wie man ein Visum ausstellt und auch nicht die Preisliste mit den Visumgebühren. Es waren seine alten Fotos aus Hannover! Ich glaube, just in diesem Moment hatte ich meinen Mund breit geöffnet. Ich weiß nicht mehr, was mich mehr erstaunte: dass er jetzt doch keine Unterlagen suchte oder die Tatsache, dass ich aus den Fotos erfuhr, dass der ivorische Honorarkonsul, Monsieur Tidiane Diagana, in der Bundesliga bei Hannover 96 spielte, und zwar in 1965! Ich sah ihn als jungen Mann in Gesellschaft von seinem damaligen Trainer und anderen Spielern. Mir verschlug es die Sprache! Er erzählte von seiner Ankunft in Deutschland und über seine spätere politische Karriere in Afrika. Er zeigte uns noch mehr Fotos von ihm zusammen mit den afrikanischen Politikern von damals. 

Wir verbrachten gute drei Stunden im Konsulat. Davon entfielen wahrscheinlich zwanzig Minuten für meinen Visumantrag. Das Visum stempelte mir Monsieur Diagana dann direkt und höchstpersönlich in meinen Reisepass rein. Die Visumgebühr musste ich trotzdem bezahlen. Ich hoffte insgeheim, dass mir die Gebühren erspart blieben – schließlich war ich ja ein guter Zuhörer und sicherlich auch ein interessanter Ansprechpartner! Am Ende war ich aber natürlich nicht enttäuscht, sie doch zahlen zu müssen. Die Begegnung war so überraschend und spannend, dass ich wahrscheinlich am Ende jede Gebühr entrichtet hätte, selbst für diese unerwartete Begegnung. 

Nachtrag am 13. Oktober 2019: In Burkina Faso krachte es mal wieder. Gestern sind bei einem Anschlag in der Hauptstadt 15 Menschen ums Leben gekommen. Dieses Land kommt nicht zur Ruhe…