Meilenschwindel, Diamanten und Sperrgebiete

Deutsche Spuren in Namibia

Direkt nach dem Skeleton Coast National Park fuhr ich nach Swakopmund. Ich verbrachte dort zwei Tage und fand das Städtchen nett. Das Wort „nett“ wird leider öfters als Schimpfwort benutzt, wenn man irgendwas stinklangweilig findet und dies noch mit Sarkasmus zum Ausdruck bringen möchte. Aber ich fand Swakopmund im wahrsten Sinne des Wortes NETT, also nicht überwältigend schön oder extrem attraktiv, dafür aber angenehm – einfach nett. Es gab ein nettes Camping, wo ich einen netten Platz für mein Zelt und das Bike hatte, viele nette Häuser mit netten Gärten, Cafés und Restaurants mit leckeren Speisen, einen netten Strand, wo man entlang spazieren konnte. Am Ende war ich echt zufrieden, dort zwei nette Tage verbracht zu haben. 

Und es gab einen netten Mann in Swakopmund, der mich auf der Straße ansprach und um Hilfe bat: 

»Ich habe eine große Familie und sie hat Hunger. Können Sie mir helfen?«, lächelte er breit. 

»Eeee, ich denke schon«, antwortete ich etwas überrascht von seiner Frage. 

»Ok, kommen Sie mit«, sagte er schnell und lief los, als ob er mir die Chance sofort wegnehmen wollte, meine Entscheidung doch noch zu überdenken. 

Wir gingen in einen Supermarkt. Unterwegs erzählte er mir, dass er Zucker und Mehl für die Familie bräuchte. »Ok, kein Problem«, sagte ich. „Die zwei Sachen kann ich ihm definitiv kaufen“ – dachte ich, „Immerhin hat er nicht nach Geld, sondern nach Lebensmitteln gefragt.“ Ich folgte ihm und es sah so aus, als ob er sofort Bescheid wusste, wo was im Markt zu finden wäre. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht der erste glückliche Tourist war, der seine Einkäufe sponsern durfte. Wir hielten an der Zuckerabteilung und der Mann schnappte sich gleich einen 10kg-Sack! Meine Augen weiteten sich: 

»Mein lieber Freund! Übertreibe jetzt bitte nicht!«, sagte ich mit einem kritischen Blick. Er legte den XXL-Sack wieder zurück ins Regal und lächelte dabei schelmisch. Dann nahm er sich die nächste verfügbare Größe: 5kg! 

»Nein!«, sagte ich mit Nachdruck und nahm selbst ein 2kg-Sack vom Regal und übergab ihm diesen. »Ok«, sagte er und lächelte mich zufrieden an. »So, jetzt kriegst du dein Mehl und gut ist, ja?« – fragte ich. »Ok«, antwortete er. Diesmal wählte ich ihm selbst die Größe. Der Sack war etwa so groß wie der mit Zucker. »Kann ich noch eine Cola haben?«, fragte er. »Ja, ist in Ordnung«, willigte ich ein, ahnend, dass es gleich noch einen weiteren Wunsch geben würde. »Kaufst Du mir noch ein Hühnchen?« kam im Anschluss raus. »Nein!«, ich musste ihm jetzt zeigen, dass irgendwann Schluss ist. »Ok, kein Problem«, grinste er. Er hat‘s halt versucht. Ich war sicher, dass noch ganz viel auf seiner Einkaufsliste stand. 

Wir gingen nun zur Kasse und ich zahlte die Einkäufe. Mein Freund sagte noch kurz »danke!« und verschwand. Was für eine außergewöhnliche Begegnung! „Diese Karma-Punkte werde ich vielleicht bei meinem nächsten Offroad-Ausflug brauchen“ – ging mir noch durch den Kopf. Später bereute ich noch, ihm doch nicht die XXL-Säcke gekauft zu haben. Dafür hätte ich verlangen können, ihn nach Hause zu begleiten und zu schauen, wie er lebt, ob er nicht von seiner Frau misshandelt wird und ob seine Kinder (und wie viele) süß aussehen und neugierige Fragen stellen. Vielleicht hätten wir zusammen noch Tee getrunken und die von seiner Frau selbst gebackenen Kekse gegessen. Dann wäre ich allerdings Gefahr gelaufen, dass er noch ein Dach hätte, dass repariert hätte werden müssen oder sonst irgendwelche Gartenarbeiten. Verdammt! Ich habe soeben eine Chance verpasst, etwas außergewöhnliches zu erleben! 

Dieses kleine Supermarkt-Abenteuer war dann doch das Einzige, welches annäherend das Prädikat „exciting“ verdiente. Irgendwie war ich nicht sehr motiviert, mich mit der Stadt selbst zu beschäftigen: Museen aufzusuchen, über die Stadtgeschichte zu lernen, auf Erkundungstouren zu gehen. Ich freute mich viel mehr auf die andere Küstenstadt, die ich unbedingt kennenlernen wollte: Lüderitz! Der Name klang schon so, als gäbe es dort an jeder Ecke deutsche Spuren zu entdecken. Vielleicht nicht gleich einen Biergarten oder Curry-Wurst-Imbiss an jeder Ecke. Aber es war definitiv der deutscheste Stadtname in ganz Afrika! 1200km, zwei Tage und einen Sandsturm später war ich dort angekommen.

Lüderitz enttäuschte mich nicht. Ich verbrachte dort einige Tage und erfuhr viele interessante Stories aus der Stadtgeschichte. Den Anfang habe ich im stadtgeschichtlichen Museum gemacht, welches sich wohl vor zu großem Besucherandrang mit ziemlich strengen Öffnungszeiten schützt: Mntags bis Freitags, von 15:30-17:00 Uhr, für ganze 90 Minuten geöffnet! Das heißt, wenn man spät Lunch hat und der Kellner sich Zeit nimmt, den Nachtisch zu liefern oder die Rechnung zu übergeben, dann hast Du zwei Optionen: fliehen, ohne die Rechnung zu zahlen oder das Besuchszeitfenster im Museum zu verpassen. 

An jenem Tag verzichtete ich auf das Dessert und war pünktlich zur Öffnung vor Ort. Das kleine „Heimatmuseum“ bietet mehr an, als es auf den ersten Blick vermuten oder von den Öffnungszeiten erahnen läßt. Gegründet wurde es Mitte der 60er von den in Lüderitz lebenden Namibier deutscher Abstammung. Die Sammelstücke befinden sich alle in einem ca. 40-50qm großen Raum. Dazu gehören alte Waffen namibischer Stämme, Infotafeln zu diesen Völkern, geologische Funde aus der Region, Informationen zur Fauna und Flora. Es gibt natürlich auch Geschichten über die Anfänge der Stadt und ihrem Namensgeber Adolf Lüderitz. Es gab auch einen separaten Bereichüber die Geschichte der Diamantenförderung in der Region. Es ist die Geschichte der Siedlung Kolmannskuppe, die ca. 12 km östlich von Lüderitz liegt. 

Beide Geschichten, die von der Gründung von Lüderitz als auch die von Kolmannskuppe handeln von den ersten deutschen Versuchen, Gebiete in Afrika zu kolonialisieren, und von den ersten deutschen Abenteurern, die dort im südlichen Afrika nach Glück, Abenteuer und Reichtum suchten. 

Die Stadt Lüderitz (früher Lüderitzbucht) verdankt ihren Namen dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz. Mit reichlich Geld (seines Vaters) und Abenteuerlust gesegnet, unternahm der Adolf diverse Versuche in Übersee nach Erfolg und Ruhm zu greifen. Leider mit nicht sehr viel Glück. In Mexiko durchkreuzte eine Revolution seine Pläne und im westafrikanischen Lagos reichte sein unternehmerisches Geschick nicht aus, um es mit der britischen Konkurrenz aufzunehmen. Aufgeben wollte er dennoch nicht, denn an Geld mangelte es ihm nicht. 1866 heiratete er die reiche Bremerin Emmy von Lingen. 1878 verstarb sein Vater und Lüderitz übernahm sein profitables Tabakgeschäft. Nun konnte er sich wieder seinen Afrika-Träumen zuwenden und fand einen Partner, der dieselbe Passion teilte: den jungen Bremer Heinrich Vogelsang. Im Auftrag von Lüderitz fuhr Vogelsang zunächst nach Kapstadt, recherchierte ausführlich über Südwestafrika und fand heraus, dass die Bucht Angra Pequena ein günstiger Ort wäre, um dort eine Siedlung zu gründen und eine Basis für weitere Unternehmungen zu etablieren.

Da bisher keine der Kolonialmächte auf diesem Gebiet unterwegs waren, bot sich sogar die Chance, dort eine deutsche Kolonie zu gründen. Im Wege standen lediglich noch die einheimischen Stämme, denen das Gebiet gehörte. Die Deutschen machten einen Tauschhandel mit dem Nama-Stammesführer Josef Frederiks II. Für 100 Pfund in Gold und 200 Gewehre erhielt Lüderitz die Bucht Angra Pequena sowie das Land im Umkreis von 5 Meilen. Wenige Monate später wurde der Vertrag erweitert und für weitere 500 Pfund sowie 60 Gewehre vergrößerte sich der Besitz von Lüderitz um weitere 20 Meilen. Was Josef Frederiks nicht ahnte: Lüderitz meinte im Vertrag die preußischen Meilen (7,5km) und nicht die englischen (1,6km). So wurde der Chief über den Tisch gezogen und verlor auf einmal fast sein gesamtes Stammgebiet. Kein Wunder, dass dieser Handel in die Geschichte als „Meilenschwindel“ einging und dem Adolf Lüderitz den Spottnamen „Lügenfritz“ einbrachte. 

Nun begann Adolf Lüderitz mit der Suche nach Bodenschätzen, denn sein Geldbeutel fing langsam an, leer zu werden. Er holte Bergbauexperten und sandte Expeditionen aus. 1886 organisierte er mit Hilfe der deutschen Kolonialgesellschaft eine große Expedition zur Erkundung der Ansiedlungsmöglichkeiten an der Mündung des Oranje-Flusses. Diese hunderte von Kilometern lange Wanderung durch die Wüste erschöpfte ihn aber so sehr, dass er beschloss, den Rückweg auf einem Boot zurückzulegen, statt wie alle anderen den beschwerlichen Landweg zu nehmen. Seither hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Hätte Lüderitz zu seiner Zeit von der Benguela Atlantik-Strömung und ihre Gefahren gehört, wäre er wahrscheinlich brav mit den anderen nach Hause zurückspaziert. Aber man könnte auch sagen, Karma war im Spiel: der Meilenschwindel blieb nicht ungestraft… 

Zur Ehrung seiner Verdienste für die Gründung der ersten deutschen Kolonie verlieh die Kolonialgesellschaft der Bucht von Angra Pequena den neuen Namen Lüderitzbucht und die sich daraus später entwickelnde Stadt erhielt den Namen Lüderitz. 

Nun war mein persönliches fotografisches Highlight als nächstes dran: die Geisterstadt Kolmannskuppe. Die Recherche ergab, dass man die Siedlung am Vormittag besuchen konnte und es wurden zwei Führungen angeboten: eine um 9:00 und eine um 11:00 Uhr. So stand ich am 19. Dezember streberhaft um 8:30 Uhr im Museumscafé auf der Matte und wartete auf meine deutschsprachige Führerin. Gisela war eine zierliche, sicherlich über 70-jährige Frau, dafür aber mit viel Charisma und Energie. Sie erzählte, dass sie eine gebürtige Lüderitzerin sei. Mehr noch: bereits ihre Mutter wurde in Lüderitz geboren. 

Gisela selbst war eine wahre Enzyklopädie, was das Wissen über Lüderitz und Kolmannskuppe betrifft. Sie führte uns, eine kleine Gruppe Deutscher, durch die Häuser, erzählte uns ihre Geschichte und die von der Entstehung der Siedlung. Am Ende zeigte sie uns ein kleines Kriminalmuseum, zu dem ich noch später zurückkommen werden.

Für die Entstehung von Lüderitz war die Abenteuerlust, Mut, starker Wille und die List des Geschäftsmanns Adolf Lüderitz verantwortlich. Für die Geburt der Siedlung Kolmanskuppe trug Asthma bei. August Stauch, Mitarbeiter der Reichsbahn im thüringischen Ettenhausen, litt nämlich an einem überempfindlichen Bronchialsystem. Auf Empfehlung seines Arztes ließ er sich nach Deutsch-Südwestafrika versetzten, wo er die ziemlich öde Aufgabe bekam, die Bahnstrecke zwischen den beiden Städtchen Aus und Lüderitz vom Sand frei zu halten. Es ist nicht überliefert, wie gut sich das trockene und heiße Klima der Namib-Wüste auf seine Gesundheit auswirkte. Es ist aber ziemlich genau bekannt, dass es seinem Geldbeutel zugute kam. Am 10. April 1908 kam Zacharias Lewala, einer der Mitarbeiter, zu Stauch und hielt ihm ein glitzerndes Steinchen vor die Nase. Als Hobby-Mineraloge erkannte Stauch, dass dieser Fund von Bedeutung sein könnte. Er steckte den Stein erst einmal in die Tasche und tat so, als ob er nicht von großer Bedeutung wäre. Ein paar Tage später ließ er den Stein von einem Profi-Geologen untersuchen und erlangte die Gewissheit: es handelte sich um einen reinen Diamanten. Kurzer Hand schmiß er den Beamtenjob bei der Bahn hin und sicherte sich schnell mehrere Claims, also Gebietsrechte, um nach Bodenschätzen zu graben, dort wo der erste Stein gefunden wurde. Die Nachricht über den Fund konnte Stauch nicht sehr lange für sich behalten. Es brach ein wahres Diamanten-Fieber aus. Fast über Nacht kamen andere Diamantensucher; es entstand schnell ein Camp und schon bald das Städtchen Kolmannskuppe. Den Namen verdankt die Siedlung allerdings Johnny Coleman, einem Einheimischen aus dem Stamm Nama, der an dieser Stelle mit seinem Ochsenkarren während eines Sandsturms stecken blieb. Coleman konnte sich retten, musste allerdings seinen Karren samt Zugtier hinter sich lassen. Dass er selbst überlebte, musste die Lokalbevölkerung so schwer beeindruckt haben, dass sie die Siedlung nach ihm benannten, vielleicht in der Hoffnung, dass die Stadt, wie einst Coleman, der Namib-Wüste trotzen würde. 

Und die Namib hat es in sich. Sie ist mit 80 Mio. Jahren die älteste Wüste der Welt und zugleich einer der unwirtschaftlichsten Orte der Erde: tagsüber können die Temperaturen über 50° erreichen, nachts unter 0° fallen, es gibt häufige Sandstürme (bis zu 200 im Jahr) und jahrzehntelang andauernde Trockenperioden. Es gibt hier kaum Vegetation. Eine berühmte Ausnahme ist die Welwitschia mirabilis, auch liebevoll Welwitschie genannt, eine sehr interessante Pflanze! Die Welwitschie (genannt so nach dem Entdecker, dem österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch) ist ein interessantes und zugleich extrem sonderbares Gewächs. Außer ihrer Fähigkeit extrem lange Durstperioden zu überleben, ist die Welwitschie sehr langlebig: sie schafft es, mehrere hundert Jahre zu leben. Es gibt sogar über 1500 Jahre alte Exemplare. Mehr noch: diese Pflanze ist der einzige Vertreter der eigenen Gattung, und obwohl sie nicht vom Aussterben bedroht ist, steht sie wegen ihrer Bekanntheit unter Schutz. Man darf nicht einfach so in die Wüste mit einer Schaufel fahren und sich die Pflanze für den eigenen Garten ausgraben. Dafür ist aber der Handel mit den Samen gestattet. Also, wenn es Leute gibt, die es schaffen, Kakteen verdursten zu lassen, dann könnten sie vielleicht mit der Welwitschie mehr Glück haben. Man muss sie nur alle paar Jahrzehnte gießen.

Wie sieht nun dieses Sonderling aus? Ich würde sagen: fast wie ein toter Alien, der aus dem All kam, Pech hatte und in der Wüste austrocknete, weil ihn niemand wieder abholte. Dieses Monstrum wächst nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Platz ist ja genug da. Die grün-braunen Blätter, die an den Enden ausgetrocknet zu grau-silbernen langen Strähnen werden, können bis zu mehreren Metern lang sein. In der Mitte befindet sich die Blüte: eine Ansammlung von lila-roten „Parasitenpilzen“, die die Pflanze befallen haben und sie ins Verderben brachten. Ich habe noch nie so ein sonderbares Gewächs gesehen. 

Nun aber zurück zu unserer Diamanten-Siedlung, die ebenso ein wahres Wunder war. Die Stadt wurde wörtlich auf Sand gebaut. In der Umgebung gab es kein Trinkwasser, keinen Boden, um etwas Essbares anzubauen. Nur Sand und immer wieder Sandstürme. Aber die Diamanten machten es möglich: innerhalb kürzester Zeit entstand eine Stadt, die an Reichtum und Dekadenz zu damaliger Zeit unübertroffen war. Sie wurde zur reichsten Stadt Afrikas, gemessen am pro Kopf-Einkommen. Den 400 Bewohnern von Kolmannskuppe hat es an nichts gefehlt: es gab eine Turnhalle und einen Ballsaal, eine Eis- und Limonadenfabrik, Tante-Emma-Laden, Bäckerei und Metzgerei, Kegelbahn mit einer Bar, Casino, Schule und ein Elektrizitätswerk. Man musste das Trinkwasser aus dem 1000km entfernten Kapstadt per Schiff transportieren, was die Bewohner aber nicht daran hinderte, ein Schwimmbad zu bauen. Dekadenter ging es nicht. Die Oberschicht wohnte in herrschaftlichen Villen mit Gärten. Das Baumaterial und die Möbel wurden aus Deutschland geholt. Die einfachen (weißen) Mitarbeiter lebten in Holzhäusern. Die ca. 800 schwarzen Hilfsarbeiter (vom Ovambo-Stamm) lebten in Baracken außerhalb der Stadt. Da war die Großzügigkeit und Spendierlaune der weißen Herren auch nicht mehr so ausgeprägt. Es kümmerte niemanden, dass es für zwei schwarze Arbeiter nur ein Bett gab: da es 12-stündige Schichten gab, wechselte man sich halt beim Schlafen ab. Der Arbeitstag war auch kein Zuckerschlecken. Die Arbeiter krochen bei über 40°C im Sand auf dem Bauch und sammelten kostbare glitzernden Steinchen. Ausbeutung in besten kolonialen Manieren. 

In Kolmanskuppe gab es auch ein Krankenhaus, dass außerdem das erste Röntgen-Gerät auf afrikanischen Boden besaß. Es war natürlich nicht dafür da, um gebrochene Extremitäten zu untersuchen, sondern um das Innere der Diamantendiebe zu durchleuchten um sicherzugehen, dass sie die Ware nicht verschluckt oder sie in sonstigen Körperöffnungen verstecken wollten. 

Doch nach der ersten wilden Phase des Steinesammelns kam die deutsche Kolonialverwaltung und setzte dem Diamanten-Fieber einen Dämpfer: im September 1908 (nur 4 Monate nach der Entdeckung) wurde ein Sperrgebiet errichtet. Es war ca. 100km breit und 300km lang. Von nun an wollte der Staat von dem Schatz Profit schlagen und duldete keinen wilden Abbau mehr. Natürlich behielt August Stauch und all die anderen, die sich die Claims bereits gesichert hatten, ihre Rechte. Stauch selbst verdiente Millionen mit den Diamanten und zog sich dann nach knapp 20 Jahren zurück aus dem Geschäft. Leider hatte ihn später das Glück verlassen: er verlor sein Gesamtvermögen in der Weltwirtschaftskrise 1930. Er starb 1947 im Krankenhaus in seiner thüringischer Heimat an Magenkrebs. Man fand bei ihm gerade 2,50 Mark. 

Die Blütezeit Kolmannskuppe dauerte nicht lange. Die Diamantenvorkommen waren bald erschöpft. Und als man 1931 neue Diamantenfelder an der Oranje-Mündung entdeckte, ließen die Bewohner alles liegen und zogen gen Süden. 1956 machte das Krankenhaus zu und kurz darauf verließ der „letze Mohikaner“ die Siedlung. Die Namib-Wüste holte sich dann das Gebiet nach und nach zurück. Kolmannskuppe wurde zur „Geisterstadt“. Sie verfiel mehr und mehr. Mit der Zeit wurde sie auch zur „Fundgrube“ für die Bewohner von Lüderitz, die Baumaterial benötigten. Und dort wo man die Türen und Fenster nicht schloß, füllten sich die Räume mit Sand, sogar bis unter die Decke.

In den 1980-er Jahren sagte man dem Vandalismus „stop“ und begann mit der Restaurierung von einigen Gebäuden. Heute ist Kolmannskuppe ein Freilichtmuseum der besonderen Art. Die Turnhalle wurde saniert, ein Shop und ein Café eingerichtet. Man kann auch die mit Sand gefüllten Häuser besuchen – wenn sie nicht akut einsturzgefährdet sind. Manche – wie das Krankenhaus – wirken etwas gruselig. 

Sehr sehenswert ist das kleine Kriminalmuseum, das die spektakulärsten Diamanten-Diebstahlversuche dokumentiert hat. Einige davon lassen staunen, wie einfallsreich so mancher Versuch war: zu große Schuhe, Tauben als Lieferanten, Armbrust, um die Diamanten in die Wüste zu schießen. Vom eigenen Körper als Versteck war schon die Rede. Diese Vorfälle beziehen sich nicht nur auf Kolmannskuppe, sondern auf die gesamte Diamanten-Region. Denn nachdem die Vorkommen erschöpft waren – immerhin wurden dort 6,5 Mio. Karat abgebaut (1,3 Tonne Diamanten!) – fand man andere Diamantenfelder. Der Abbau von Diamanten dauert bis heute an.  Namibia ist heute immerhin Nummer 3 weltweit. 

Das damalige Sperrgebiet ist heute noch immer vorhanden. Man braucht eine spezielle Erlaubnis, um dort ein Fuß hinein zu setzen – natürlich nur unter Aufsicht. Die namibische Regierung erklärte das Gebiet immerhin zum Nationalpark. In einigen Jahren sollte auch die Sperrung aufgehoben werden und man wird das Gebiet wieder frei bereisen können. Vielleicht liegt da noch so mancher Diamant und wartet darauf, gefunden zu werden. 

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„Africa for dummies“

Die Fahrt durch Angola dauerte fast drei Tage. Dylan und Yasmin waren etwas in Eile, denn sie mussten vor dem 15. Dezember in Kapstadt sein: Dylan‘s Schwester wollte heiraten. Ich stand vor der Wahl: entweder bleibe ich länger in Angola und schaue mir das Land genauer an oder ich fahre mit meinen neuen Freunden direkt nach Namibia weiter. Ich genoss die Fahrt mit den beiden so sehr, dass Angola den Kürzeren ziehen musste. Irgendwie fühlte ich mich auch etwas verantwortlich für die beiden und wollte sie nicht alleine weiterziehen lassen.

Die Rollenverteilung in unserem Team funktionierte auch ganz gut: Dylan war unser Mechaniker, Yasmin verhandelte die Preise überall und organisierte Essen aus dem Nichts. Ich führte unsere kleine Gruppe unterwegs als Navigator an. Eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe, die ein hohes Maß an Sachkenntnis erfordert: Ich gab die GPS-Koordinaten ins Navi ein und folgte den Anweisungen. Direkt hinter mir folgte Yasmin und am Ende fuhr Dylan, auf den dann niemand mehr aufpasste. So fuhren wir eines Tages bis in die Nacht hinein. Eine kleine Tankstellenpause ergab, dass sich das Zelt an Dylan‘s Bike gelöst hatte und ins Hinterrad reingeraten war. Er musste so kilometerweit gefahren sein, denn von seinem Zelt blieben am Ende nur noch Fetzen übrig. Dylan merkte nichts davon. Er meinte nur eine eigenartige Geruchskulisse wahrgenommen zu haben. Er habe sich dabei nichts gedacht. Für die gemeinsame Weiterreise erledigte sich somit die Camping-Option. Dylan strahle und grinste breit, als hätte er gerade einen Preis in der Kategorie: „Die lustigste Art und Weise, das eigene Zelt während einer Afrika-Reise zu zerstören“ gewonnen.

Zwei Tage später grinste Dylan erneut: 80km vor Windhoek riss ihm die Kette bei voller Fahrt. Ich merkte das nicht sofort. Da ich nicht konstant in den Rückspiegel schaute, merkte ich erst ein Weilchen später, dass mir niemand mehr folgte. Yasmin hörte den Krach hinter ihr und stoppte gleich, während ich nichts davon mitbekam. So drehte ich um und fand die beiden vor, als sie die Kettenteile von der Straße sammelten. Beide bestens gelaunt, da musste ich selbst mitlachen.

Die Kette riss, nicht weil sie schlecht montiert war, sondern weil sie nicht so richtig für das Motorradmodel passte und weil ihre Qualität viel zu wünschen übrig ließ. Zum Glück behielt Dylan die alte Kette, die er dann zurückmontierte. Später erfuhr ich, dass auch Yasmin‘s neue Kette kurz vor Kapstadt riss. Ich war nicht dabei, ich stellte mir aber bildlich vor, wie sie erneut die Kettenteile von der Straße sammelten und dabei Witze rissen. So viel Humor, Lebensfreude und Gelassenheit muss man echt haben!

Irgendwann erreichten wir auch die namibische Hauptstadt, Windhoek. Auf uns sollte Ray warten, ein Namibier deutscher Abstammung, der eigentlich Raymond hieß. Dylan kontaktierte ihn, weil seine Schwester eine Freundin von ihm kannte. So ein Arrangement klingt kompliziert, funktioniert aber bestens: Dylan und Yasmin sollten sein Gästezimmer, ich seine Couch im Wohnzimmer bekommen. Als wir eintrafen, war Ray gerade mit Freunden unterwegs und bat uns ein paar Stunden zu warten. Es war kein Problem. Wir suchten uns auf Google ein lokales Restaurant, wo wir was essen konnten und fuhren hin. Wir bestellten unsere Hamburger und Getränke und unterhielten uns über das bereits Erlebte als wir merkten, dass uns Leute von einem Nachbartisch anstarrten. Ich dachte, ok wieder mal jemand, der neugierig auf uns ist und wissen will, wo wir herkommen. In unseren schmutzigen Biker-Klammotten sahen wir aus, als würde es sich lohnen, uns ein paar Fragen zu stellen. Plötzlich stand ein Kerl auf und fragte uns: »Ist einer von Euch vielleicht Dylan?« Wir schauten erstaunt zurück. »Das bin ich«, sagte Dylan. »Cool, das dachte ich schon die ganze Zeit. Ich bin nämlich Ray«. Wir lachten auf und schoben dann für den Rest des Abends unsere Tische zusammen.

Wir verbrachten ein paar schöne Tage bei Ray. Windhoek erwies sich als moderne und saubere Stadt. Dylan bekam auch ein neues, passendes Ketten-Set für seine BMW und Yasmin kaufte sich einen neuen Helm. Ich wollte den lokalen BMW-Dealer ebenfalls besuchen, um mein Motorrad endlich mal fachmännisch checken zu lassen. Dieses Mal funktionierte alles einwandfrei. Ich wurde sehr nett empfangen und in eine exzellent ausgestattete Werkstatt eingeladen. Meine Maschine wurde an den Rechner angeschlossen und alles war top! Der Mechaniker sprach Deutsch und es sah danach aus, als hätte er sein Fach richtig im Griff. Am Ende musste ich nichts bezahlen und der Manager wünschte mir eine gute Weiterfahrt! So stelle ich mir einen guten Service vor! Lediglich eine Sache störte das perfekte Gesamtbild und irritierte mich sehr: der Mechaniker hatte ein großes Hakenkreuz auf der Rückseite seines Handys! Und es war eindeutig als solches zu erkennen. Ein hinduistisches Symbol des Glücks war das definitiv nicht. Wochen später, als ich mich mit einem Biker in Südafrika darüber unterhielt, meinte er auch, davon gehört zu haben. Dieser Mechaniker scheint in der Biker-Szene bekannt zu sein, angeblich ist er noch mit Nazi-Symbolen tätowiert. Das erstaunte mich sehr! Ein lizensierter BMW-Dealer lässt bei den Mitarbeitern Nazi-Symbole zu? Weiß er das überhaupt?

Ray und sein Mitbewohner LeRoux erzählten uns viel über Namibia. Ich bekam große Lust, etwas länger im Land zu bleiben. Dylan und Yasmin wollten die Hochzeit in Kapstadt nicht verpassen und mussten bald weiterfahren. Ich hatte noch Zeit und entschied mich, mehr von Namibia sehen zu wollen. Ray meinte, Namibia ist „Africa for dummies“: man bekommt hier alles, was man braucht, es ist leicht zu reisen, die Infrastruktur ist gut und das Benzin billig. Die Lebensmittel sind nicht teuer und überall gibt es Geschäfte, wo man alles kaufen kann. Außerdem gibt es schöne Nationalparks und tolle Landschaften. Im Allgemeinen, ist es wie in Europa. Mir war klar, dass ich mich selbst davon überzeugen musste!

Der Abschied von meinen Biker-Freunden fiel mir schwer. Wir haben aber entschieden, uns erneut in Kapstadt zu treffen. Selbst die Technik am Abreisetag streikte. Zuerst wollte das Moped von Dylan nicht starten. Nach der Reparatur am Vortag hatte er vergessen, den Schlüssel aus der Zündung zu ziehen – sie war die ganze Zeit an. Wir überbrückten sein Bike und starteten es erneut. Es funktionierte! Abfahrtbereit stellten wir jedoch fest: jetzt streikte das Bike von Yasmin. Also, gleiche Geschichte von vorne: das ganze Gepäck wieder abnehmen und die Batteriebekleidung erneut abbauen. Irgendwann konnte ich nicht mehr warten: ich hatte einen Termin beim BMW-Service. Ich dachte nur, dass wenn sie heute nicht abfahren, komme ich auch zurück. Es ging aber doch. Ich bekam die Nachricht: »Beide Bikes laufen, wir sind unterwegs«.

Mein Plan für Namibia war nicht kompliziert: ich wollte den Skeleton Coast National Park besuchen, und später noch zwei Städte besichtigen: Swakopmund und Lüderitz. Ich hatte nicht endlos viel Zeit. Blöderweise gab ich bei Enreise an, dass ich zwei Wochen in Namibia bleiben werde. Und die habe ich auch bekommen: keinen Tag länger. So hatte ich nur noch rund eine Woche Zeit, nachdem ich bereits mehrere Tage in Windhoek verbrachte.

Ich freute mich auf den Nationalpark. Da ich den Etosha-Park nicht bereisen konnte – zum einen, weil ich mich beeilen musste und zum anderen, weil der Park für Motorräder angeblich gesperrt war -, fuhr ich in den Nordwesten des Landes. Die von mir etwas gefürchteten Schotterwege erwiesen sich als befahrbar. Unterwegs zum Eingangsgate fuhr ich an einem Himba-Dorf vorbei. Ich hielt kurz und wurde gleich eingeladen, mir das Dorf anzuschauen. Ich durfte fotografieren und Tumbee erzählte mir die Geschichte vom Himba-Volk, führte mich an den Hütten vorbei und ermöglichte mir die Teilnahme an einer interessanten Zeremonie. Tambee fragte mich, ob ich sehen möchte, wie sich die Himba-Frauen duschen. Ich blieb stehen: »Wie bitte?«, fragte ich verunsichert. Ich dachte noch nach, was wäre, wenn man so eine Frage in Europa stellen würde: »Du Martin, möchtest Du sehen, wie sich die Frauen in unserem Dorf duschen?«. Selbst in der fortschrittlichsten Berliner Subkultur-Gegend hätte eine solche Frage Erstaunen hervorgerufen, außer man hätte sich bereits von einem Swingerclub-Besuch gekannt. Da ich jedoch von Natur aus auf fremde Kulturen neugierig bin, willigte ich ein. »Die nackten Brüste habe ich bereits gesehen, die Frauen laufen ja so rum«, dachte ich noch.

Am Ende erwartete mich keine Erotik-Show sondern eine traditionelle Himba-Zeremonie. Wir gingen in die „Duschkabine“ – dort wartete bereits die Dorfprinzessin Ngajona Tjiurua aus uns. Sie zündete ein paar Räucherstäbchen an und führte sich das rauchende „Parfüm“ unter den Achseln durch. Nach einer Minute war die Prinzessin „geduscht“. Da Wasser ein sehr kostbares Gut für die Himba ist, verschwenden sie es nicht zum Waschen«, erklärte Tumbee. Er erzählte mir noch, dass es gerade eine sehr schwere Zeit für die Himba sei, weil alle Tiere durch die Dürre versterben und die einzige Einnahmequelle die Touristen seien. Sie verkaufen ihnen den selbsthergestellten Schmuck und tanzen ab und zu traditionelle Tänze vor. Tumbee sprach gutes Englisch, da er als Einziger in Windhoek studierte. Er erzählte mir noch eine Trivialität: die Himba schlagen sich die unteren vier Zähne aus, damit sie ihre Sprache besser sprechen können! Dies geschieht während einer speziellen Zeremonie, sobald die Kinder das entsprechende Alter erreicht haben. »Es ist sehr schmerzhaft«, berichtete Tumbee und zeigte mir seine Zahnlücken mit Stolz.

Nach einigen Stunden im Dorf fuhr ich dann weiter. Tumbee bot mir noch eine Übernachtung an. Heute bedauere ich sehr, nicht geblieben zu sein. Eine Himba-Dusche hätte mir sicherlich nicht geschadet und ich hätte bestimmt noch vieles mehr über das Leben im Dorf erfahren.

Der Besuch im Skeleton Park war spektakulär. Unendliche Weiten, gerade Strecken bis zum Horizont und großartige Landschaften, die man wahrscheinlich nur dort sehen kann. Es gibt zwei Versionen, woher der Park seinen Namen hat: entweder von den vielen Schiffswracks an der gleichnamigen Skeleton-Küste, oder von den Walknochen, die dort oft strandeten und die letzte Ruhestätte fanden. Etwa 40km breit und 500km lang wird er als „The world‘s largest ship cemetery“ bezeichnet. Dort herrscht ein raues Wetter: Dauernebel, stürmische Winde, unruhige Küstengewässer, hohe Wellen und die Wüste. Wer es ans Land schaffte, hatte nur eine kleine Überlebenschance: die meisten verdursteten im Anschluss.

Vor dem Eingangstor las ich das Gefahrenschild, Gefahren die meist von Wildtieren ausgehen. Das eigene Fahrzeug sollte nicht verlassen werden und Motorräder sind dort illegal. Niemand wollte mich jedoch stoppen. Es gab keine Fragen. Ich füllte das Formular aus, dass ich dann am Ausgang wieder abgeben sollte. Die Durchfahrt ist kostenlos, wenn man den Park am selben Tag verlässt. Nach ca. drei-vier Stunden Fahrt war ich wieder raus. Kein Löwe wollte mich fressen. Ich habe nicht mal eine tote Maus gesehen! Nichts! Die Fahrt war aber in einer ziemlich lebensunfreundlichen Umgebung. Schon ein Wunder, dass dort tatsächlich Elefanten, Löwen, Hyänen, Schakale, Kudus, Zebras und viele weitere Tierarten vorhanden sein sollten. Ich fuhr im starken Wind und teils im Nebel auf der Schotterpiste seelenruhig durch. Von Zeit zu Zeit kam mir ein Geländeauto entgegen.

Zu Gast bei den Bikern

Nach nur zwei Tagen in der Demokratischen Republik Kongo war ich schon an der Grenze zu Angola. Eigentlich schade. Ich hätte gern ein paar Tage mehr im „zweiten Kongo“ verbracht, mir Kinshasa angeschaut, vielleicht ein paar neue Leute kennengelernt. Es ergab sich aber nicht. Mein Couch-Surfing-Kontakt meldete sich zurück als ich schon in Angola war. Die Erklärung war auch sehr nachvollziehbar: »Sie habe ihr Handy verloren, so sei sie für mehrere Tage nicht erreichbar gewesen. Das Handy sei jetzt wieder aufgetaucht, schade nur, dass ich jetzt abgereist sei.«

Nach wieder mal extrem undurchsichtigen Verhältnissen an der Grenze in der DR Kongo, war ich nun zurück in der Zivilisation! In DR Kongo musste ich durch endlose Menschenmengen, Schlamm und tiefe Wasserlachen fahren, es ging zu wie auf einem riesigen chaotischen Markt, wo jeder mit Gewalt die eigene Ware loswerden und die anderen sie dann nach dem Kauf abtransportieren wollten – mit allem was Räder hat: Eselskutschen, Dreirad-Mopeds, hoch beladene Fahrräder, Karren aller Art. Es herrschte Hochbetrieb. Die Leute wollten ja ebenfalls die Grenze zu Angola überqueren. So fuhr ich durch dieses Chaos und suchte nach dem Gebäude, wo „Immigration“ drauf stehen sollte und ich meinen Reisepass abstempeln lassen konnte.

Dann kurz vor dem gelobten Gebäude geschah es: ich blieb in einem tiefen Wassergraben stecken. Mein erster Reflex, um doch noch mit Schwung rauszukommen, war wohl ein großer Fehler: ich gab Gas. Hinter mir spritzte das Schlammwasser meterhoch! Die Leute fingen an zu schreien und heftig zu gestikulieren. Warum sie mich im Anschluss nicht gelyncht, verprügelt oder mindestens mit Steinen beworfen haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Was machten sie stattdessen? Sie halfen mir aus dem Schlamm rauszukommen. Ich liebe Afrika!

Nachdem ich den Ausreisestempel bekommen hatte, stellte ich fest, dass ich das Zollamt um drei Kilometer verpasst hatte. So musste ich schon wieder durch die Menschenmassen und den Dreck zurückfahren, das Carnet abstempeln lassen und dann wieder zum dritten Mal durch. Das war ein Abenteuer, worauf man normalerweise gerne verzichtet.

Als ich dann endlich in Angola ankam, war ich sehr erleichtert. Ich war nun „zu Gast“ in einem klimatisierten, exzellent ausgestattetem Büro, mit uniformierten Zollbeamten, die allesamt gutes Englisch sprachen. Was für ein Unterschied! Es machte mir gar nichts aus, dass mein Carnet in Angola nicht zählte: ich zahlte gerne die 6 Euro für das angolanische TIP (temporary import permit). Ein junger Beamter entschuldigte sich für den Umstand, händigte mir das TIP aus und sagte: »Welcome to Angola, Sir! Enjoy your stay.« Das ist mir während der ganzen bisherigen Reise an keiner Grenze zuvor passiert. Ich mochte das Land auf Anhieb.

Nach einem zweitägigen Ritt kam ich endlich in Luanda an. Ich habe schon viel früher von den angolanischen Biker-Clubs gehört und wollte sie auch mal persönlich kennenlernen. Von vielen Reisenden hörte ich zunächst viel von den „Amigos da Picada“. Die Amigos scheinen der bekannteste und größte Biker-Club in Angola zu sein. So „warnten“ mich die anderen Biker: »Fahr nach Angola und die Amigos werden dich finden«. Was nach einer „Drohung“ klang, war nett gemeint: die Amigos seien sehr freundlich, hilfsbereit und lassen Dich nie im Stich.

Dies machte mich sehr neugierig. Ich schrieb sie an und kontaktierte über Facebook deren Präsidenten. Ich erhielt lange keine Antwort. Irgendwann bekam ich dann die Whatsappnummer des Präsidenten. Ich schrieb ihn erneut an und erhielt als Antwort ein kurzes Image-Video über Angola, worauf ein paar Landschaften zu sehen waren. Ich fand das schon ziemlich enttäuschend.

In der Zwischenzeit fand ich eine Information auf iOverlander, dass es in Luanda einen Biker-Club-Präsidenten gibt, der eine „Open-Invitation“ für alle Overland-Reisenden, insbesondere für Biker ausgesprochen hatte. In der App standen die GPS-Koordinaten, sowie eine Beschreibung, wo man sein Haus findet. Das fand ich großartig! Ich freute mich riesig darauf, die angolanischen Biker doch noch kennenlernen zu können! Ohne Vorankündigung oder gar Anfrage fuhr ich einfach hin.

Wenn man die US-Serie „Sons of Anarchy“ kennt, hat man eine etwas spezielle Vorstellung davon, was die Biker alles so treiben, womit sie ihre Brötchen verdienen und dass man ihnen besser nicht in die Quere kommen sollte. Ich dachte daran und lachte innerlich darüber als ich an dem Haus von Carlos, dem Präsidenten der „Anjos Bantu“, eintraf.

Mir wurde das Tor geöffnet, ich fuhr rein und staunte: ich war an einem schönen Haus mit großen Glaswänden, mit einem Pool und Barbecue-Bereich, mich begrüßten gleich drei ausgewachsene und sehr freundliche Doggen. Aus dem Haus kam dann gleich eine schöne junge Frau und fragte mich mit einer Selbstverständlichkeit: »Herzlich Willkommen! Hast Du Hunger? Wir essen gerade zu Lunch.« Es war Andrea, die Tochter von Carlos. Am Esstischstuhl hing ihre Biker-Kutte mit der Aufschrift „Vice-President“. Ich lernte noch André, den Verlobten von Andrea kennen. Ich setzte mich zu ihnen, wir aßen zusammen und ich fühlte mich gleich wie bei guten Freunden. Danach wurde mir ein eigenes Zimmer zugewiesen, ich hatte sogar ein eigenes Bad mit Dusche bekommen. Was für ein Luxus! So lässt sich gut reisen!

Ich freundete mich auch mit André an. Ein sehr freundlicher und sympathischer Kerl, wir haben uns auf Anhieb bestens verstanden. Ich wollte ihn ein bisschen über den Club ausfragen und erfuhr, dass er selbst kein Motorradfahrer ist, da er selbst einmal in der Vergangenheit ein kleines Moped fuhr und dies schief ging. Er arbeitet als Sales Director in der Firma von Carlos. Die Firma stellt diverse Werbe- und Infotaffeln her, allerlei Aufkleber und sonstiges Marketingmaterial. Der Club betreibt noch eine „Pirates Bar“ an einem Aqua-Park, wo sie Säfte und Erfrischungsgetränke an die Kinder verkaufen. Da das Geschäft aber nicht so toll läuft, waren sie gerade dabei, es aufzulösen. Andrea erzählte mir dann später, womit sich der Club beschäftigt: neben den Sonntagsausflügen für die Mitglieder organisierten sie noch Spenden für Bedürftige, halfen armen Kindern und Obdachlosen. »Wow«, dachte ich grinsend. »Was für eine „gefährliche“ Biker-Gang. Man muss sie einfach lieben!« Wäre ich in Angola für längere Zeit, würde ich mich sofort als neues Mitglied anmelden. Carlos konnte ich leider nicht persönlich kennenlernen. Er war außerhalb des Landes, als ich in seinem Haus war.

Nun war ich da, etwas mitgenommen nach der langen Reise und sehr glücklich darüber, dass ich jetzt ein eigenes Zimmer mit Bad hatte. Ich lag im Bett, frisch geduscht und checkte meine Nachrichten. Plötzlich hörte ich ein Klopfen an der Tür. Da standen zwei Leute vor mir und sagten, dass sie auf Motorrädern unterwegs und gerade angekommen seien. Sie sahen aus, als ob sie mehr als nur eine erfrischende Dusche brauchen würden. Sie machten eher den Eindruck, als ob sie auf der Flucht vor einer Horde wilder Hunde und zwar seit mindestens einer Woche gewesen wären: Hosen in Fetzen, die anderen Kleidungsstücke waren ebenfalls in desolatem Zustand. Aber sie strahlten und grinsten breit! Ich hatte gemischte Gefühle. Im ersten Moment dachte ich erschrocken: „Shit! Muss ich jetzt mein Zimmer mit diesen Leuten teilen?“ Der Gedanke war aber sofort weg. Sie sahen so krass mitgenommen, dennoch super glücklich aus. Ich fand die beiden auf Anhieb sehr sympathisch. Sie stellten sich vor: Yasmin aus London und Dylan aus Kapstadt. Sie fuhren in London los, waren bereits neun Monate in Afrika unterwegs. Sie hatten ein Auto, haben es aber unterwegs gegen zwei Motorräder umgetauscht! Eine exzellente Entscheidung!

Dann sagte Dylan: »Wir möchten gerne in die Stadt gehen, und ein Restaurant finden. Morgen hat Yasmin Geburtstag und wir würden gerne vorfeiern. Kommst Du mit?«

Ich traute meinen Ohren nicht: »Was? Du hast morgen Geburtstag? Ich nämlich auch!«

Wir feierten zwei Tage lang zu dritt! Ganz unerwartet wurde es zu einem richtigen Geburtstag! Vorher dachte ich, dass ich den Tag einfach in Ruhe in meinem Zimmer verbringen, den Tag durchschlafen und vielleicht maximal in der Nase bohren würde. Es sollte aber nicht so sein. André und Andrea haben uns sogar eine Torte gebracht! Die eine Kerze durften Yasmin und ich gemeinsam auspusten.

Für Luanda hatte ich keine großen Pläne. Ich wollte nur mein Motorrad beim BMW-Service checken lassen, mir die Stadt anschauen und dann weiterziehen. Da meine neuen Freunde länger auf ihre Ersatzteile warten mussten, entschied ich mich auch so lange zu bleiben. Der Ort war einfach auch sehr verlockend: ein Supermarkt mit Bier in der Nähe und ein Grill, gleich am Pool. Wir entschieden uns, den Weg nach Namibia zusammen zu machen. Zum ersten Mal in Afrika hatte ich Begleitung unterwegs. Eine völlig neue Erfahrung. Ich bin ein freiheitsliebender und unabhängiger Motorradreisender, d.h. ich entscheide gerne selbst, wann ich aufstehe, wie schnell ich fahre, wo ich eine Pipi-Pause und wo ich keine Zigarettenpause mache, wann ich zum Fotografieren stoppe und wo ich übernachte. Aber ich freute mich auf die gemeinsame Fahrt, insbesondere mit zwei so sympathischen und positiv verrückten Leute.

Während Dylan und Yasmin auf ihre Ersatzketten warteten, fuhr ich ins Stadtzentrum, um den BMW-Dealer und die Werkstatt zu besuchen. Es waren keine großartigen Reparaturen notwendig. Lediglich plagte mich seit wenigen Tagen eine Sorge: der Motor arbeitete eigenartig, immer wieder ging er an Kreuzungen aus. Meine Vermutung war, dass der Luftfilter stark verschmutzt war, denn seit der letzten Inspektion in Nigeria fuhr ich sehr viel durch Dreck und Staub. Im Grunde hätte ich den Filter auch selbst auswaschen, bzw. reinigen können, wollte aber auch, dass die Werkstatt mein Motorrad an den Computer anschließt, um die Fehler auszulesen. So der Plan, in Lagos lief alles perfekt ab. Ich habe einen genauso guten Service in Luanda erwartet. Was ich jedoch dann erlebte, hat meine BMW-Welt bis auf die Grundmauern erschüttert.

Ich fuhr fröhlich hin und dachte, dass ich einen sachkundigen Mechaniker treffe, der mit Anerkennung nickt und mit dem ich mich über die Motorrad-Reisen in Angola unterhalten konnte. Ein Mechaniker, der sich das Moped anschaut, ein paar Fragen über meine bisherige Route stellt, mich in die Werkstatt einlädt, das Motorrad an den Rechner anschließt und dabei feststellt, dass es keine Fehler gibt. Im besten Fall würde er mir noch erzählen, dass er gerne auch so eine lange Motorradreise machen würde und ich würde ihn dann ermutigen, dies zu tun. So zumindest war meine Vorstellung eines angenehmen Aufenthalts in einer autorisierten BMW-Werkstatt.

Es lief jedoch entscheidend anders ab. Die erste Hürde war die Kommunikation. Von zwei Empfangsdamen konnte nur eine Englisch, leider nicht ausreichend. Ich hatte Mühe gehabt zu erklären, was ich will. Nach einer Stunde (inkl. langer Wartezeit) ergab sich, dass sie alles falsch verstanden hatten. Nein, ich wollte nicht Öl wechseln lassen. Ich habe es nicht mal erwähnt! Dann wurde ich vertröstet: der Mechaniker habe einen Auswärtstermin und kommt erst in anderthalb Stunden zurück. Ok, kein Problem – dachte ich. Ich könnte doch so lange spazieren gehen, und mir die Stadt anschauen. Nach über zwei Stunden kam ich zurück, um zu erfahren, dass der Mechaniker noch nicht da sei. Auch kein Problem. Ich ging in ein Restaurant, direkt nebenan. Ich bestellte mein Essen und nahm mir Zeit. Da ich noch ein Buch dabei hatte, fing ich an zu lesen. Während ich aß, fiel mir ein Typ am Nachbartisch auf: ca. 50 Jahre alt, gut gebaut aber mit einer etwas strengen, soldatenhaften Frisur. Er aß seinen Lunch seelenruhig. Unsere Blicke kreuzten sich vielleicht ein Mal. Noch dachte ich mir nichts dabei.

Nach etwa einer guten Stunde, vielleicht auch länger, zahlte ich meine Rechnung und ging zurück zum Dealer. Der Mechaniker sei noch nicht da, werde aber bald eintreffen – bekam ich zu hören. So setzte ich mich geduldig in den Wartebereich. Eine halbe Stunde später kam endlich der Mechaniker. Wir beide staunten verdutzt. Es war der Typ vom Restaurant, der mit der strengen Frisur, der sich so viel Zeit beim Lunch nahm. Ist ja nicht schlimm, ich fand es eher lustig, dass er so entspannt war. Und endlich war er da! Es war schon Nachmittag und ich hoffte, dass alles ab sofort schnell ablaufen würde. Nach dem Handshake wollte ich dem Mechaniker mein Anliegen direkt erklären. Fehlanzeige: er war Portugiese und sprach nur Portugiesisch. Na gut, immerhin wurde ich mit der einen Empfangsdame einig und sie notierte sich, dass ich den Luftfilter geprüft und den Computerausdruck möchte, um zu sehen, ob vielleicht doch ein weiterer Handlungsbedarf besteht. Zwei Stunden und viele Seiten in meinem Buch später, kam der Mechaniker und meinte, mein Luftfilter sei fällig und ich brauche einen neuen. Ich sagte ok, er müsste ja schließlich Bescheid wissen. Eine weitere Stunde später war alles fertig, mein Motorrad stand frisch gewaschen vor der Tür.

Als ich die Rechnung im Anschluss sah, fiel ich fast in Ohnmacht: darauf stand ein Betrag von umgerechnet etwa 500 Euro. Ich schaute der Empfangsdame (die gleichzeitig die Rechnungüberbringerin war) tief in die Augen: »Wollen Sie mich hier verarschen?«, ich glaube, meine Stimme hast sich auch leicht erhoben: »Sie können diese Rechnung vergessen, ich werde sie sicherlich nicht begleichen!« Ich war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Für den Filter und die Arbeitsstunden sollte ich ca. 150 Euro bezahlen. Der Computerausdruck, den man normalerweise überall kostenlos in einer BMW-Werkstatt bekommt, sollte jetzt aber 350 Euro kosten? Die Managerin wurde gerufen. Sie kam und fing an, Geschichten zu erzählen, die sie schon wahrscheinlich früher mehrfach erzählt hat. Dass Luanda eine der teuersten Städte der Welt sei, dass es sehr schwierig sei, einen Mechaniker zu finden und dass sie allesamt sehr teuer seien. Ich antwortete ihr, dass mich das alles nicht interessiert und dass ich noch nie davon gehört habe, dass man für einen Computerausdruck überhaupt Geld zahlen muss. Wenn sie möchte, könnte ich das ganze gleich eskalieren lassen – drohte ich ihr. Obwohl ich mir noch nicht sicher war, wie ich es „eskalieren lassen“ würde. Sie sagte dann, sie müsse sich mit dem Mechaniker beraten. Nach einigen Minuten kam sie und fing an, nett zu lächeln: »Der Mechaniker ist ausnahmsweise damit einverstanden, den Preis nicht zu berechnen«, log sie, als ob der Mechaniker der Chef im Laden wäre. »Wir wollen Sie als zufriedenen Kunden behalten, daher berechnen wir nur die Arbeitszeit und die Ersatzteile«, ergänzte sie zu meiner Erleichterung. »Das ist gut«, antwortete ich ohne Enthusiasmus. „Mit der Kundenzufriedenheit habt ihr es aber richtig vermasselt“, dachte ich gleichzeitig: „Ein Glas Wasser für den Kunden, während er auf den Mechaniker stundenlang wartet, hätte vielleicht ein paar Sympathiepunkte gebracht.“ So zahlte ich die Rechnung mit ernsthaftem Gesicht. Die Managerin besass noch die Frechheit mir zum Abschied zu sagen, dass sie auch in Portugal tätig sei, und sollte ich mich dort aufhalten, wäre sie über meinen Besuch sehr erfreut. »Das mache ich bestimmt«, antwortete ich und dachte gleichzeitig: „Leck mich am Arsch“.

Als ich aus der Werkstatt zurückkam, erzählte ich meinen Gastgebern die Geschichte. »Willkommen in Luanda«, antwortete Andrea. »Wir haben es mit dieser Abzocke überall zu tun«, ergänzte sie traurig. »Und man kann nichts dagegen tun, wenn man hier lebt.«

In der Zwischenzeit konnte Dylan auch seine neue Ersatzketten für die zwei BMW 650-er bekommen. Er wechselte sie selbst. Ich hütete mich davor, ihm den Besuch in einer BMW-Werkstatt in Luanda zu empfehlen.

Nun waren wir startklar, um gemeinsam in Richtung Namibia aufzubrechen.

5 Millionen neue Grauhaare

Die Bekanntschaft mit Wilfrid trug bei einer weiteren wichtigen Angelegenheit ihre Früchte. Die beiden Hauptstädte Brazzaville und Kinshasa liegen gleich gegenüber. Um die zwischenstaatlichen Kontakte und den grenzüberschreitenden Verkehr zu fördern, würde sich eine Brücke anbieten oder zumindest eine Fährverbindung für Fahrzeuge. Es gibt weder das eine noch das andere. Zwischen beiden Städte fahren lediglich touristische Kleinboote.

Um die Lage zu checken, ging ich zum Hafen, um zu sehen, ob es da nicht eine Chance geben könnte, mein Motorrad auf das andere Kongo-Ufer zu bringen. Ein Gespräch mit einem Zollbeamten, der gerade seine Sonntagabendschicht absolvierte, ergab, dass man das tatsächlich organisiert bekommen könnte, es sei aber ziemlich kompliziert und natürlich kostenintensiv. Eine schnelle Überprüfung auf der iOverlander-App ergab, dass es schon früher Leute gab, die dieses Abenteuer wagten. Der Preis variierte um die 200 USD. Ziemlich heftig für eine Flussüberquerung. Aber ich war in Afrika und wollte (musste) nach Kinshasa-Kongo einreisen.

Es gab nicht allzu viele Alternativen. Eine davon wäre die Überquerung der Grenze im Landesinneren (Lwozi-Lufu Grenze). Sie wäre aber mit extremen Straßenkonditionen verbunden gewesen, insbesondere während der Regenzeit. Da ich aufgrund meiner Erfahrungen aus Kamerun nun schlauer war, strich ich diese Option schnell aus meiner Liste. Eine andere Möglichkeit wäre eine Fahrt nach Pointe Noire an der Küste und die Überquerung nach Cabinda (angolische Exklave zwischen der Rep. Kongo und DR Kongo). Von Cabinda kann man dann das Motorrad nach Soyo in Angola verschiffen lassen und selbst in einem kleinen Flugzeug rüberfliegen. Diese Lösung kam mir aber etwas umständlich vor, und so entschied ich mich für die Flußüberquerung.

An jenem Tag kam auch mein Freund Wilfrid dazu, um mich im Hafenchaos zu unterstützen und einen guten Preis für mich auszuhandeln. Gleich wurden wir von diversen „Dienstleistern“ angesprochen, oder zutreffender gesagt „umzingelt“. Einer davon bot einen guten Preis an: 75.000 CFA (umgerechnet 115 EUR). Mehrfaches Nachfragen, ob es sich dabei um den endgültigen Preis für die ganze Prozedur handelt, wurde jedes Mal mit Nachdruck bejaht. Später ergab sich das als eine unverschämte Lüge. Dazu aber später.

Nach Klärung und Auszahlung des Preises begannen wir mit der Bürokratie: Ausreisestempel, Ausfüllen diverser Formulare, Abstempeln des Zolldokuments (Carnet de Passage). Ich gab meinen Reisepass ungern aus der Hand, aber Wilfrid meinte, dass dies in Ordnung sei. Ich hatte keinen Grund, Wilfrid nicht zu vertrauen. Und in der Tat: während ich mich um das Carnet kümmerte, erledigten die „Helfer“ die Ausreiseangelegenheiten. Nach ca. 1,5 oder vielleicht gar 2 Stunden waren wir soweit und konnten mit dem Beladen beginnen.

Ich fuhr mit dem Moped an das Boot heran und staunte. Das Boot konnte mein Bike unmöglich beherbergen! Wo denn auch? Es war ein einfaches Passagierboot mit Sitzplätzen für etwa 10 bis 12 Leute, die ihr Gepäck auf dem Schoss halten mussten. Vorne auf dem Bug gab es noch etwas freie Fläche. Sie schien aber viel zu klein, um ein 300kg-Bike unterzubringen. Außerdem fehlte eine Rampe um das Motorrad auf das Boot zu verladen. Es gab auch keinen Kran, der die Maschine hochheben und sicher auf das Boot hätte legen können. Und da war noch die hohe Reling, die eindeutig im Weg stand.

Auf einmal stand eine Gruppe von Männern in Fußballmannschaftsstärke um mich herum, allersamt in türkisfarbenen Kitteln. Als ich erkannte, was sie vorhatten, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken: die wollten tatsächlich das schwere Bike über die Reling auf das Boot hieven. Für mich gab es keinen Rückzieher mehr. Ich musste mich dem Schicksal ergeben. So baute ich die Koffer ab und überließ mein Bike, meinen besten Freund, Gefährten und Lebensretter, in die „brutalen“ Hände der Hafenmitarbeiter. Sie packten es von allen Seiten an, so dass es keinen freien Raum mehr um das Motorrad herum gab. Die Ladeprozedur begann. Ich schaute von der Seite zu und begann das ganze mit meinem Handy zu filmen. Ich dachte in diesem Moment nur daran: „Wenn sie es in den Kongofluss schmeißen, dann habe ich zumindest alles auf dem Video. Könnte der Videoverkauf an Fernsehsender ausreichen, um sich ein neues Moped zu leisten? Scheiße! Da war noch meine Kamera mit den Zeiss-Objektiven im Tankrucksack. Und der Tankrucksack war immer noch auf dem Tank befestigt! In dem Wirrwarr habe ich nicht dran gedacht, den Rucksack abzunehmen!“ Meine Hände begannen zu zittern. „Jetzt bloß nicht das iPhone fallen lassen! Das wäre der ultimative Super-GAU: das Bike gefilmt, wie es in den Kongofluss reinfällt, und dann flutscht mir das Handy auch noch ins Wasser! Vielleicht hätte ich Wilfrid bitten müssen, auch mich zu filmen wie ich filme?“, dachte ich noch und drückte das Handy noch stärker in die Hand. Das ganze dauerte höchstens drei, vier Minuten – fühlte sich aber wie Stunden an. Ich schaute hilflos zu und stöhnte immer wieder. Ich gab Geräusche von mir, die ich so nicht kannte. Es war eine Mischung aus Hilflosigkeit und einer kleinen Portion Hoffnung, dass das ganze vielleicht doch noch klappt. Dann blieb das Moped mit dem Kupplungshebel an der Reling hängen. Mein Herz raste auf 180. „Völlig unnötig“, versuchte ich mich selbst zu trösten: „Ich habe doch die Ersatzteile dabei“. Irgendwann war das Motorrad drauf. Ich atmete erleichtert aus. Dieser Moment hielt allerdingsn nur kurz ab. Die Männer wollten gleich ihre Bezahlung. »Wie jetzt? Ich habe doch schon bezahlt«, ich schaute den Typen an, der das Geld von mir bereits für die Überfahrt kassiert hatte. »Du musst sie jetzt bezahlen«, sagte er mit ernstem Gesicht. Ich hatte keine Wahl. Um mich herum standen so viele Männer, dass sie sicherlich in der Lagen gewesen wären, ein Nachbardorf zu überfallen oder einen kleinen Krieg zu gewinnen. Diese Männer schauten mich erwartungsvoll an. Sie hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch genug Kraft und Energie übrig, um das Motorrad wieder vom Boot zu heben und es gleich dann in den Fluss zu werfen. »Was wollt Ihr haben?«, fragte ich. »20.000 CFA« antwortete der Gruppenvorsteher. Nun haben wir eine Weile verhandelt. Wilfrid half dabei, so dass ich am Ende 10.000 CFA zahlen musste, umgerechnet 15 Euro. Ich verabschiedete mich von Wilfrid, der mir noch zuwarf, dass ich dem Typen nicht trauen sollte, der das ganze hier organisiert und der von mir die ganze Gebühr bereits kassiert hatte. Das wusste ich jetzt nur zu gut.

Die Überfahrt nach Kinshasa dauerte magere 15 Minuten. Angekommen, begann das ganze Chaos wieder von Vorne. Im Gegensatz zu Brazzaville gab es in Kinshasa noch chaotischere Verhältnisse: die Träger stritten sogar, wer von Ihnen dabei helfen durfte! Die Hafenpolizei musste einschreiten, ein Polizist schnappte sich immer wieder einen Mann und zog ihn vom Bike weg. Die Leute beschimpften und schubsten sich gegenseitig. Am Ende stand das Bike wieder auf dem Festland, ich war komplett durchgeschwitzt aber glücklich, dass ich es überstanden hatte.

Das ganze Geschehen beobachtete ein wichtig aussehender Polizist, der immer wieder anderen Polizisten Befehle zuwarf. „Den muss ich auf meiner Seite haben“, dachte ich noch. In dem Chaos brauche ich jemanden, der genug Autorität besitzt, um die anderen von mir fern zu halten. Wie ich hörte, wird man im Hafen von Kishasa von Händlern und Möchte-gern-Helfern massiv belästigt. Das zahlte sich sehr aus! Der „Hauptmann“ war auch willig, mir zu helfen. Er brachte mich durch diverse dunkle Ecken und Winkel zu den richtigen Immigrations-Büros, die ich selbst wahrscheinlich nur mit Mühe gefunden hätte. Dann half er mir die restlichen CFA in die kongolesischen Franks umzutauschen und besorgte mir sogar eine Sim-Karte für mein Telefon. Als ich die lokale Währung umtauschte, staunte ich verdutzt: für den Wert von ca. 100 Euro erhielt ich einen dicken Bündel von Franks. Die größte Banknote ist in Höhe von 1000 Franks, also umgerechnet gerade mal ca. 0,55 Euro – da braucht der Geldbeutel ja Räder, wenn man Lebensmittel für eine Woche einkaufen geht!

Ich war sehr froh, den Hauptmann als Helfer und Beschützer an meiner Seite zu haben! Denn der Organisator der Überquerung lief mir die ganze Zeit nach. Die Träger bei der Ankunft musste ich natürlich wieder selbst bezahlen und der Typ hatte die Unverschämtheit nach mehr Geld zu fragen! Sein Plan war es, mir bei der ganzen „Bürokratie“ in Kinshasa zu „helfen“. Blöd für ihn, dass ich dann den Hauptmann dabei hatte. Und als ich meinem neuen Polizistenfreund sagte, dass ich den Kerl bereits bezahlt habe, schrie er ihn an und verjagte ihn auf der Stelle. „Gut so“, dachte ich mir schadenfroh.

Nun war ich bereit zur Weiterfahrt. Ich begutachtete mein Motorrad und stellte fest, dass alles in Ordnung war, bis auf die verstellten Seitenspiegel. Ein Wunder ist geschehen! Ich gab meinem Hauptmann 5 Euro Aufwandsentschädigung und fuhr davon. Ein paar Händler wollten mir noch ihre schreienden Hühner, Bananen und sonstiges Gemüse verkaufen. Ich lächelte freundlich, winkte zu und war weg.

Ich hatte nicht vor, lange in Kinshasa zu bleiben. Meine Couch-Surfing-Anfrage wurde nicht beantwortet und ich sah dies nicht als Schicksalsschlag. Ich hielt noch kurz in der Stadt, ging zum chinesischen Restaurant, bestellte ein Stück Grillente sowie ein Tonic Water. Die Rechnung in Höhe von 30 US-Dollar bestärkte mich in der Annahme, dass ich doch schnellstmöglich nach Angola fahren sollte. Was für ein Kontrast! Auf der Straße betteln Kinder für ein Stück Brot und man zahlt beim Chinesen 30 Dollar für Lunch.

Es lebe die afrikanische Bürokratie!

Angekommen in Brazzaville hatte ich zwei wichtige Aufgaben zu erledigen: das Visum für Angola zu organisieren und zu überlegen, wie ich nach Kinshasa bzw. in die Demokratische Republik Kongo einreisen würde. Ersteres sollte leicht zu machen sein – dachte ich zumindest.

Eigentlich lässt sich das Visum für Angola im Internet beantragen. Man muss lediglich den Ankunftsflughafen oder Grenzübergang auswählen, ein elektronisches Formular ausfüllen, ein paar Dokumente hochladen und schwups – nach etwa 48 Stunden bekommt man das Visum per E-Mail zugeschickt. Oder so ähnlich. Ich scheiterte jedoch schon an der ersten Frage: „wo möchten Sie einreisen?“. Da bei mir die Wahl des Flughafens eher nicht zur Debatte stand, suchte ich verzweifelt nach möglichen Optionen über den Landweg. Leider ließ keiner der Grenzübergänge im Norden das eVisum zu, so blieb mir keine andere Wahl als den üblichen Weg einzuschlagen: das Visum in einer angolanischen Botschaft persönlich zu beantragen.

Nun wie sieht eine „normale“ Visum-Prozedur in Afrika aus? Man geht in die Botschaft, füllt das Antragsformular aus, gibt ein Passfoto ab, zahlt eine bestimmte Gebühr und holt das Visum am nächsten Tag ab (DR Kongo) oder bekommt es gleich vor Ort ausgestellt (Côte d‘Ivoire, Republik Kongo). Ich hatte schon eine leichte Vermutung, dass dies mit dem angolanischen Visum etwas komplizierter werden könnte. Das mich das fast den ganzen Tag kosten sollte, hätte ich nicht gedacht.

Am 25. November stand ich früh auf. Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, bevor ich das Visum in der Botschaft beantragen würde. Was ich hierfür alles an Unterlagen benötigte, las ich in der (mal wieder sehr nützlichen) App iOverlander. Hierzu gehört ein Antragsformular, welches man vor Ort bekommt, aber außerdem noch eine Hotelreservierung, ein Flugticket, eine farbige Kopie des Reisepasses, eine Kopie des Impfbuches mit Gelbfieberimpfung, zwei Passfotos und ein sogenanntes „Document of Request“, in dem man erklärt, warum man nach Angola einreisen will. Im Prinzip alles machbar. Ich schrieb eine halbe Seite Lobeshymne auf die Schönheit des Landes Angola, die ich auf dem Landweg erkunden möchte. Man weiß ja nie, wie die Laune des Beamten ist, der mir später das Visum ausstellen wird. Außerdem schrieb ein User auf iOverlander, dass man ein Fake-Flugticket auf dem Flughafen bekommen kann. Ein Fake-Flugticket? Ich war nicht bereit, im „Document of Request“ über meine geplante Motorradreise durch Angola zu schreiben und dann ein Fake-Flugticket zu präsentieren! Dem dümmsten Beamten wäre dies sicherlich auch aufgefallen, dass ich kein Flugticket benötige, um das Land auf dem Motorrad zu bereisen. Ich schrieb also explizit rein, dass ich das geforderte Flugticket leider nicht präsentieren kann, weil ich es nicht brauche. Das ist das schöne am Reisen mit dem Motorrad: du kannst alles auf dem Landweg erkunden.

Die erste Aufgabe des Tages, nämlich das Kopieren der Dokumente und das Drucken meines Erklärungsbriefes, verursachte bereits gewisse Schwierigkeiten. Im ersten Copy-Shop war die technische Ausstattung des Ladens leider nicht ausreichend, um eine Farbkopie des Reisepasses zu machen. Der Laden bestand aus einer Holzhütte mit einem Blechdach. Für die Stromversorgung sorgte eine einzige Steckdose, in der ein großer Verteiler mit unzähligen Kabeln steckte. Dort war auch ein Drucker angeschlossen, der am Ende nichts nutzte: wir haben es leider nicht geschafft, die Datei vom Ipad auf den PC zu übertragen. So bedankte ich mich bei der jungen Dame, die nichts unversucht ließ, und ging auf die Suche nach einem anderen Copy-Shop. Das, was man in Europa in jedem Zuhause selbst leicht erledigen kann, ergab sich hier als wahre Herausforderung. Beim zweiten Copy-Shop hatte ich schließlich mehr Glück und konnte die fehlenden Unterlagen ausdrucken bzw. kopieren.

Nun war ich – wie ich dachte – bestens vorbereitet und konnte in die Botschaft fahren, um meinen Visumantrag zu stellen. Dort angekommen, bekam ich gleich das Antragsformular ausgehändigt, natürlich auf Portugiesisch und Französisch. Keine Chance eine englische Übersetzung zu bekommen. Aber ok – ich mache es ja schließlich nicht zum ersten Mal, es wird schon klappen – stellte ich mir in meiner Naivität vor. Leider klappte es nicht: meine gebundenen Portugiesisch-Französischen Kenntnisse waren nicht ausreichend. Es stellte sich heraus, dass ich meine deutsche Adresse mit der in Kongo (wo ich zu Gast war) verwechselt hatte. Der Beamte akzeptiert keine Korrekturen im Antrag. Also durfte ich erneut dasselbe Formular ausfüllen und wurde dabei mehrfach ermannt, dass der Konsul es nicht leiden kann, wenn man unleserlich kritzelt. So bemühte ich mich, die schönsten Buchstaben meines Lebens zur Papier zu bringen. Ich wollte ja den Konsul nicht enttäuschen.

Der Beamte beäugte das Formular kritisch und nickte. »Jawohl, ich habe es geschafft« – freute ich mich. Dann kam die schlechte Nachricht: »Sie müssen nun die Gebühr bezahlen und das geht leider bei einer bestimmten Bank im Stadtzentrum« – sagte der Beamte und steckte mir einen Spickzettel mit der Kontoverbindung zu. Als ich den Zettel mit großen Augen betrachtete, erhob sich im Wartezimmer ein Herr im Anzug und sprach mich auf Englisch an: »Ich bin Ihr Mann. Ich muss auch eine Gebühr für die Botschaft zahlen. Ich zeige Ihnen, wo das möglich ist.«

»Sehr gerne« – freute ich mich über das unerwartete Geschenk der Götter. Ich dachte schon, ich würde viel Zeit mit der Suche nach der „Credit du Congo“ Bank verlieren. Die Hilfe meines neuen Freundes ergab sich als sehr wertvoll. Damals wusste ich noch nicht, dass das Auffinden der Bank die Probleme nicht lösen würde. Dass man die Gebühr nur in US-Dollar bezahlen konnte, teilte mir der Angestellte der Botschaft noch freundicherweise mit.

Wilfrid wusste wirklich Bescheid, wo wir alles finden konnten. Wir fuhren zuerst zur Wechselstube, um uns die Dollars zu besorgen. Dies war bei Western Union möglich . Nachdem ich ein Formular mit all meinen persönlichen Angaben ausgefüllt hatte, konnte ich die CFA in US-Dollar umtauschen. Auch meinen Reisepasse musste ich zum Kopieren abgeben und mitteilen, wozu ich die Dollars verwenden möchte. Nach 30 Minuten war es erledigt. Danach fuhren wir zur Bank Credit du Congo, um die Visumsgebühr einzuzahlen. Dies war eine wahre Herausforderung, trotz der Anwesenheit eines Einheimischen, der eigentlich Bescheid wissen sollte, wie die Einzahlungsprozedur verlief. Als Erstes zogen wir je eine Wartemarke. Wir schauten auf die Nummern und waren verdutzt: zwischen uns und der Nummer, die auf der Tafel angezeigt wurde, sah es so aus, als ob wir hier Stunden verbringen würden, bis wir dran wären.

so standen wir eine Weile herum, bis wir entschieden, an den Infoschalter zu gehen. Wir erhielten erneut Formulare, die wir ausfüllen sollten. Es scheint, als wäre es im Kongo nicht so einfach möglich, einen Betrag auf fremde Konten einzuzahlen. Man muss ganz schön viele Informationen preisgeben. Als wir die Formulare fertig ausgefüllt hatten, ergab sich, dass wir am falschen Ort sind. Um US-Dollar einzuzahlen, hätten wir einen anderen Eingang im Gebäude nehmen müssen. Wir entschuldigten uns höflich und gingen zum besagten Eingang. Am neuen Ort trafen wir auf eine Empfangsdame, die uns informierte, dass wir erstmal Platz nehmen und warten sollten. Vor uns waren nur etwa 5-6 Personen. Das müsste jetzt aber schneller vorangehen – dachten wir. Eine halbe Stunde später waren wir dann auch endlich an der Reihe. Wir betraten ein Zimmer hinter einer abgedunkelten Glaswand. Dort fanden wir unseren Mann – ca. Ende 60 Jahre alt, im Anzug, mit strengem Gesichtsausdruck. Wir erklärten kurz, was wir wollten. »Haben Sie das Formular ausgefüllt und die Scheine kopiert, die sie einzahlen wollen?« fragte er. »Scheine kopieren?« schauten wir ihn ungläubig an. Natürlich hatten wir das nicht getan. Also begaben wir uns wieder zur Empfangsdame: »Wären Sie so nett uns die Formulare zum Ausfüllen zu geben und unsere Scheine zu kopieren« baten wir höflich. Selbstverständlich fragten wir nicht, warum sie uns das nicht früher sagte, während wir nutzlos über eine halbe Stunde im Warteraum verbrachten. Wir schauten uns nur an und schüttelten den Kopf.

Während wir die Formulare ausfüllten, kopierte sie unsere Dokumente und natürlich die Scheine. Da Wilfrid fünf Zwanziger Scheine hatte, kopierte sie jeden einzeln. Bei mir war es schon sinnvoller: ich hatte einen Hunderter und einen Fünfer, die dann mit viel Sachkenntnis kopiert wurden. Wir fragten uns noch, ob das überhaupt legal war, die Scheine zu kopieren.

Dieses Mal durften wir ohne Wartezeit zu unserem Mann und die Einzahlungsprozedur begann: zuerst alle Angaben vom Formular in den PC eintippen, selbstverständlich mit zwei Finger-System. Dann legte er jedem von uns eine Aktenmappe an, wo er die Formulare und die kopierten Scheine reinlegte. Mit ein klein wenig Sarkasmus dachte ich mir »Jetzt haben wir es geschafft. Es kann sich gerade nur um Stunden handeln, bis alles erledigt ist.«

Ich händigte ihm den Spickzettel mit der Kontonummer von der Botschaft aus. Der Herr tippte die Nummer im System ab: »Die Nummer ist nicht korrekt. Es fehlt eine Ziffer!« Wilfrid und ich schauten uns an. »Das kann nicht sein. Das ist ein offizieller Ausdruck, den wir direkt in der Botschaft erhalten haben«, versuchte ich den Beamten noch umzustimmen. Nach weiteren 15 Minuten und mehreren Telefonaten, die der Beamte freundlicherweise tätigte, konnte die Kontonummer der Botschaft geklärt werden. So zahlten wir die Gebühren endlich ein, nahmen unsere Quittungen mit und verließen erleichtert die Bank. Es fühlte sich wie eine wichtige Universitätsaufnahmeprüfung an, die wir gerade bestanden haben.

Zurück in der Botschaft wurde ich einem wichtigeren Angestellten vorgestellt, der mich interviewen sollte. Nach einem kurzen Gespräch kam er zum Entschluss, dass ich geeignet sei, Angola zu bereisen. Am nächsten Tag erhielt ich mein Visum.

Auf dem Trockenen in Kongo

Mein kamerunisches Visum war schon seit drei Tagen abgelaufen. Ich war dennoch optimistisch, dass mich das mit etwas Glück in keine all zu großen Schwierigkeiten bringen würde… Am Ende behielt ich Recht, musste aber zwischenzeitlich ordentlich schwitzen. 

Die kamerunischen Straßen haben es in sich: wenn es regnet, verwandeln sich die Offroad-Abschnitte in einen Sumpf. Mit meinem Offroad-Glück durfte ich natürlich kosten, wie es sich so im Matsch fährt. Es gibt wahrlich schönere Erfahrungen. Wenn man nicht so oft auf der Seite im Dreck liegen möchte, fährt man mit der unglaublichen Geschwindigkeit (oder besser gesagt Langsamkeit) von ca. 5m pro Minute. Man schiebt halt abwechselnd die Füsse neben dem Moped durch den Schlamm und versucht vorsichtig nach Vorne zu kommen. Meistens gibt es LKW-Rillen, in denen die Schlammschicht nicht so tief ist. Der Nachteil dabei: es gibt wenig Platz, um die Füsse neben dem Bike in den Rillen abzustellen. So muss man die Beine hochheben, sie auf den seitlichen Schlammhügeln abzustützen und versuchen, sich irgendwie gerade zu halten. Diese Prozedur würde wahrscheinlich sogar Spaß machen, wenn man sich nicht gerade mitten im Regenwald befinden würde und bis zur nächsten Siedlung 50-100km zu fahren hätte. 

Die meisten Abschnitte der kamerunischen Straßen waren doch relativ gut befahrbar. Es kamen aber immer wieder welche, die mich ordentlich schwitzen liessen. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, kam dann endlich die Ortschaft, in der ich mir vorab schon ein ein Hotel herausgesucht hatte. Es fehlten noch gerade mal 1,5km, als mich die Polizei an einem Kontrollposten stoppte. Ich – gut gelaunt und nichts ahnend – übergab dem Polizisten meinen Reisepass. Er schaute sorgfältig hinein. Viel zu sorgfältig! Ich fing an mir Sorgen zu machen. Dann kam der Schock:

»Ihr Visum ist seit vier Tagen abgelaufen. Sie müssen zurück nach Yaoundé fahren« – sagte der Polizist gefühllos. 

Mich erwischte der Schlag! »Sie müssen sich irren, Sir« – versuchte ich ihn umzustimmen: »Mein Visum gilt für 30 Tage und ich bin erst seit dem 14. November da«. Ich glaube zwar nicht, dass mir diese billige Ausrede helfen würde, aber es schadete ja bekanntlich nicht, es zu versuchen. 

Der Polizist kaufte mir diese Erklärung nicht ab und ging zu seinem Vorgesetzten. Ich musste das Moped am Straßenrand parken, um andere Fahrzeuge nicht zu behindern. Nach einigen Minuten rief mich der Chefpolizist zu sich:

»Ihr Visum ist abgelaufen. Sie müssen nach Yaoundé« – wiederholte er trocken, was ich schon von seinem Kollegen hörte. 

»Lieber verrecke ich hier auf der Stelle oder lass mich erschießen, als zurück durch den Dschungel zu fahren!« – dachte ich gleich, sagte es aber vorsichtshalber nicht laut. Ich machte stattdessen ein super trauriges Gesicht, als ob ich gleich losheulen würde. Ich setzte mich dann schweigend auf den Boden neben dem Polizeiposten und fing an, noch trauriger auszusehen. Der Polizist fragte noch, was ich denn zu tun beabsichtige. Ich antwortete, dass ich jetzt kurz vor der Grenze nach Kongo sei und nicht bereit bin, zurück nach Yaoundé zu fahren. 

So saß ich auf dem Boden und versuchte Mitleid zu erregen. Ums Verrecken schwor ich mir, keine Bestechungsgelder zu zahlen. Die Lösung war jedoch so einfach eigentlich: die Beamten sollten mich einfach weiter fahren lassen.

Nach ca. 20-30 Minuten meiner sitzenden Protestaktion kam dann endlich der Chefpolizist, reichte mir meinen Reisepass und sagte trocken: »Verschwinde«. Das musste er nicht ein weiteres Mal wiederholen. Ich sprang auf, setzte mich aufs Moped und gab Gas. Am nächsten Morgen war das Problem allerdings nicht aus der Welt geschafft. Ich hatte immer noch 150km zu fahren und ggf. etliche Polizeikontrollen zu überstehen. Nun hatte ich eine Strategie und wollte nicht mehr so leichtsinnig meinen Reisepass mit dem abgelaufenen Visum aus der Hand geben. Ich wollte die Beamten einfach nicht zu Wort kommen lassen, sie mit meiner Afrika-Reise beeindrucken und so abzulenken. Darüber hinaus hatte ich noch einen Joker im Ärmel: ich habe zuvor erfahren, dass der kamerunische Präsident Biya in Baden-Baden zur Kur war! Hammer! Diese Info sollte mir doch helfen können. 

Die Strategie ging voll auf! Es gab insgesamt drei Kontrollen. Die ersten zwei konnte ich mit meinen Stories über „meine großartige Reise und Mission“ so „benebeln“, dass sie nicht mal den Pass verlangten. Die dritte Kontrolle war etwas strenger: ich sollte bitte doch keine Passkopien (ich hatte die erste Reisepass-Seite einlaminiert präsentiert), sondern den Reisepass zeigen. In diesem Moment kam meine Baden-Badener-Präsidenten-Kur-Geschichte zur Geltung: der Beamte wusste das sogar selbst! Wir verabschiedeten uns wie besten Freunde. 

Doch vor mir lag noch die Grenze. Dort werden sich die Beamten bestimmt nicht so leicht verarschen lassen – dachte ich. Mein Plan war: sobald das Thema des Visums kommt, hatte ich vor, ein „Ausreise-Visum“ zu beantragen. Ich lies zuvor im Internet, dass dies möglich wäre, aber mit gewissen Kosten verbunden und die Höhe der Gebühr von der Laune der Grenzbeamten abhängen würde. Doch dann passierte etwas, was mich über das Ausmaß meines Glücks an diesem Tag staunen ließ. Ich kam an der Grenze an. Klopfte an der Tür des Immigration-Office an und ging rein. In dem Raum sah ich, dass der Beamte auf dem Schreibtisch einfach tief im Schlaf versunken schnarchte! Ich weckte ihn sanft und er – noch halb im Schlaf – haute einfach den Ausreisestempel in meinen Pass ohne ein Kommentar herein! Ich lachte innerlich laut auf, als ich diese Aktion sah. Trotzdem behielt ich die Fassung, bedankte mich höflich und fuhr bestens gelaunt nach Kongo. 

In Kongo wartete auf mich eine neue Welt: eine exzellente Straße – sofort ab der Grenze – und gut gelaunte Beamten. Die Formalitäten dauerten wenige Minuten und ich befand mich auf der bis dahin besten Straße in Afrika! Den Chinesen sei Dank! Ich war im Glück. Ich fuhr bis zur nächsten Ortschaft, fand dort ein nettes Hotel mit Hilfe der lokalen Polizei, die mich zuerst kontrollieren wollte, dann aber half, einen guten Zimmer-Preis auszuhandeln. Am nächsten Morgen war ich startklar für die über 1000km lange Strecke nach Brazzaville. 

Meine ursprüngliche Euphorie war groß. Diese Begeisterung hielt für ca. 100 km an. Die erste Polizeikontrolle an diesem Morgen verlief noch angenehm und ich fragte noch um einen Rat, ob ich direkt in den Süden oder doch lieber einen ca. 20 km Seitenabstecher nach Ouesso, der nächst gelegenen Stadt, machen sollte. Ich hatte nämlich nur noch ca. 100 km Reichweite und musste dringend tanken. Der Polizist meinte, ich soll doch lieber nach Ouesso fahren. In die andere Richtung könnte es knapp werden. 

So nahm ich die Seitenstraße und fuhr nach Ouesso. Nach 15 km kam die erste Tankstelle. Der Tankwart saß auf einem Plastikstuhl und aß Nüsse: »Die Tankstelle ist geschlossen, fahren Sie zur Nächsten. Vielleicht gibt es dort Benzin.« So fuhr ich weiter – von einer leeren Tankstelle bis zur nächsten: überall kein Sprit, alles leergetankt. Am Ende fand ich eine große, moderne Total-Tankstelle. Leider genauso trocken wie die anderen. Der hiesige Mitarbeiter schlug mir vor, in der Bar gleich gegenüber nach dem „Gaddafi-Benzin“ zu fragen. Ich machte große Augen, folgte jedoch dem Hinweis. Ich hatte keine Wahl. Es gab weit und breit keine Möglichkeit, „normal“ zu tanken. So fuhr ich zu der Bar, die ihren größten Umsatz wohl nicht gerade mit alkoholischen Getränken machte. Dort angekommen musste ich nicht mal erklären, was ich brauchte. »How many liters?« war das übliche „Guten Tag“. Ich bestellte 15 Liter und der „Kneipen-Tankwart“ verschwand im Hinterhof. Er kam mit drei 5-Liter-Kanistern zurück und fing gleich an, meinen Tank mit Benzin zu befüllen – in Hoffnung, dass es sich tatsächtlich um Benzin handelte. Es ist schon echt ein komisches Gefühl, wenn man sich an einem völlig fremden Ort – umgeben von fremden Menschen – und 1000km Entfernung bis zur nächsten Großstadt in der gegebenenfalls dein Moped repariert werden könnte, den Tank mit einer Flüssigkeit aus einem nicht transparenten Behälter befüllen lässt. Und es hätte alles sein können! Es war eine Bar, in der die Gäste bestimmt auch Bier trinken und auf die Toilette mussten. Wer weiß schon, wo sie dann das Wasser ablassen. 

In Gedanken vertieft machte ich einen entscheidenen Fehler: ich vergass vor der Betankung zu fragen, was ich zu zahlen hatte! Das stellte ich mit Erschrecken erst fest, als der letzte Tropfen im Tank landete. Jetzt war der Tank befüllt, sie könnten alles von mir verlangen, selbst 100 Dollar zu bezahlen oder die hässlichste Frau der Stadt zu heiraten. Ein junger Mann mit tapferer Mine kam auf mich zu und sagte auf Englisch: »Es macht dann 1500 CFA (Franks) pro Liter!« Er sah so aus, als ob er bereit wäre, dafür in den Ring zu steigen, wenn ich diesen Preis nicht zahlen würde. Anscheinend haben sie einen Burschen, der genug auf Englisch sagen kann mit ausreichend gefährlich zusammengezogenen Augenbrauen, die jeden Widerspruch im Keim ersticken sollten. Ich schaute um mich herum. Es bildete sich mittlerweile auch eine mittelgroße Gruppe an Zuschauern um uns herum. Die wollten bestimmt sehen, wie der dumme Tourist in einer meisterhaften Aktion über den Tisch gezogen wird. 15 Liter mal 1500 Franks macht dann 22.500 Franks, umgerechnet ca. 35 Euro. Ein stolzer Preis. Ich schaute verärgert auf die trockene Total-Tanke gegenüber. Auf der Preisanzeigetafel stand: 650 Franks für ein Liter Super. So ein Mist! Resigniert übergab ich dem „Tankwart“ zwei 10-Tausender. Er nickte zustimmend. 

Ich setzte mich aufs Motorrad, ignorierte erbost eine Anfrage von einem Zuschauer, der sich mit aller Kraft noch mit mir fotografieren lassen wollte, dachte »Ich mag dieses Land nicht mehr«, startete den Motor und fuhr mit Vollgas davon. Stinkefinger streckte ich nicht heraus. Ich war sauer auf mich selbst, auf meine Naivität und auf die Leute dort. Sie sahen ihre Chance und nutzten sie gnadenlos aus. Ich war aber um eine wichtige Erfahrung reicher: zuerst nach dem Preis fragen, verhandeln, dann einkaufen. Das Problem mit den trockenen Tankstellen begleitete mich fast bis nach Brazzaville, die Erste funktionierende Tankstelle fand ich erst 100 km vor der kongolesischen Hauptstadt. Ich musste noch zwei Mal auf das „Gaddafi-Gold“ zurückgreifen und Benzin flaschenweise kaufen. Verarschen ließ ich mich aber nicht mehr. Und der Flaschen-Sprit war tatsächlich von guter Qualität. 

So ließ sich die sehr gute kongolesische Straße nach Brazzaville leider auch nicht auskosten. Wenn du ständig auf die Tankanzeige schaust und nur an trockenen Tankstellen vorbeifährst, ist das kein gutes Reisegefühl. Woher kommt aber das „Gaddafi-Gold“? Überall erzählten die Leute, es sei aus Libyen geschmuggelt. Diese Erklärung ergab aber nicht wirklich Sinn. Libyen ist weit weg und Kongo ist ein an Ölvorkommen reiches Land. Das Öl ist sogar die größte Einnahmequelle im Land. Später erfuhr ich, dass Land sei in der Krise. Es gibt nur wenige, die vom Öl im Land profitieren. Die Bevölkerung hat nicht viel davon. So hamstern sie das Benzin und verkaufen dieses, um in Zeiten von Lieferschwierigkeiten Profit zu schlagen.

In Brazzaville hatte ich keine Tankschwierigkeiten mehr. Die Stadt war sehr gut versorgt und präsentierte sich im Allgemeinen als eine moderne, angenehme und nicht so überfüllte Metropole. Der Verkehr war nicht so chaotisch, wie in den bisherigen Großstädten. Die Fahrer hielten sich an die Verkehrsregeln, stoppten sogar an den roten Ampeln und hupten dich nur in seltenen Fällen an, zum Beispiel wenn du ihnen die Vorfahrt nimmst, weil du nichts anderes aus den afrikanischen Ländern kennst, als einfach immer zu fahren, wenn es eine Lücke gibt. 

Kamerunische Begegnungen

Über Kunsthändler, Ambazonier und polnische Priester

Die Grenzüberquerung nach Kamerun war geschafft! Die Erleichterung war groß. Ich musste zwar wieder stundenlang schlechte Straße „erdulden“, aber das störte mich nicht so sehr. Ich war endlich in Kamerun und die Welt sah auf einmal anders aus: nette, freundliche Polizisten, die keine Geschenke verlangten. Ihr Sinn für Entfernungen war zwar nicht sehr ausgeprägt: als ich fragte, wie lange die schlechte Straße noch anhält, war die Antwort sofort: 75 km. Am Ende ergab sich, dass es noch 130 km waren. 

Nichtsdestotrotz genoß ich den Tag, die Sonne schien, ich war zufrieden. Am späten Nachmittag kam ich in Foumban an und suchte nach einem Geldautomaten. Dort sprach mich plötzlich ein gut gekleideter Mann auf Deutsch an! Ob ich aus Deutschland bin und wo ich hinfahre. Meine Verblüffung war groß! Dann wurde sie noch größer: Desire, so hieß der Fremde, hat einen Bruder in Berlin! Ohne zu überlegen, griff Desire zum Handy und rief seinen Bruder über Whatsapp an. Wir sprachen eine Weile. Es ergab sich: der Bruder arbeitet in Berlin als Busfahrer. Er spricht sehr gutes Deutsch. Er fragte mich, wann ich nach Berlin kommen werde – ich scherzte zurück, dass ich erst nach Yaoundé fahren möchte. 

Desire nahm mich dann unter seine Fittiche, brachte mich zu einem netten lokalen Hotel, handelte den Preis für mich runter und lud mich zu sich nach Hause zum Abendessen ein. So bekam ich einen Einblick in das Leben eine kamerunischen Familie, deren Hälfte der männlichen Familienmitglieder das Geld im Ausland verdiente. 

Auf einem Areal standen mehrere Häuser eng zusammen. Als ich dort ankam, war es leider schon dunkel und ich konnte nicht alles im Detail sehen. So führte mich mein Gastgeber zwischen den Häusern herum und wies mich in die Belegung der Häuser ein. Die Häuser sahen von außen geräumig aber nicht fertiggestellt aus . 

»Da drüben lebt mein Vater. Das Haus auf der linken Seite gehört zu meinem Cousin, das andere hier zu einem Onkel. Hier ist das Grab meiner Mutter und in diesem Haus lebe ich mit meiner Frau« – erklärte Desire, als eine weitere junge Frau ihren Kopf durch einen Türspalt raussteckte. »Und das ist die Frau von meinem Bruder aus Berlin« – ergänzte er. 

Später als wir beim Essen waren, erzählte Desire, dass er öfters nach Berlin fährt und dort auf einem Flohmarkt afrikanische Kunst verkauft. Er zeigte mir ein paar alte Masken, Bronzefiguren, und andere Erzeugnisse der afrikanischen Volkskünstler. Er meinte, manches sei über 200 Jahre alt! Ich wusste echt nicht, was ich davon halten sollte. Jahrhunderte alte Kunstobjekte, die man einfach so ins Flugzeug packt und auf einem Flohmarkt in Berlin verscherbelt? Ist das überhaupt legal? Lässt sich das einfach so ins Flugzeug mitnehmen? Wenn ja, wären sie nicht interessant für Völkerkundemuseen? Ich nahm mir vor, Desire irgendwann mal in Berlin aufzusuchen und ihn mit meinen Fragen nochmals zu quälen. Vielleicht auch was kaufen?

Meine zweite spannende Begegnung ereignete sich in Yaoundé. Dort traf ich Ali. Er war mein Gastgeber, erneut dank CouchSurfing gefunden. Er wartete auf mich an einem vereinbarten Ort in der Stadt und lud mich zu sich nach Hause ein. Das tat er allerdings etwas zögerlich. Er meinte, dass er in sehr bescheidenen Verhältnissen lebt und möchte mich vorwarnen. Ich antwortete, dass ich damit kein Problem habe und nicht an Luxus gewohnt sei. 

Nun war sein Appartement wirklich sehr klein und bescheiden. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das nicht schockte. Wie es aussah – dazu komme ich noch später im Detail. 

So trugen wir mein Gepäck ins Zimmer und entschieden uns in die Stadt zu gehen, um zu essen und uns zu unterhalten. Wir fanden gleich ein Restaurant direkt auf der anderen Straßenseite. Ein Familienbetrieb, wo man über den Preis für den Fisch noch verhandeln konnte. Wir bestellten unser Essen und Ali begann seine Geschichte zu erzählen. Er sprach mit sehr leiser Stimme und was ich erfuhr, schockierte mich wahrlich. 

Ali wuchs in Bamenda, der größten Stadt in der englischsprachigen Region, auf. Er studierte Betriebswirtschaft und versuchte sich auch als Businessmann. Er eröffnete ein Restaurant, dass anfänglich gut lief aber nach zwei Jahren von einem lokalen Wirtschaftsboss übernommen wurde. Er engagierte sich auch ein Jahr lang als freiwilliger Helfer im Norden Kameruns, als eine Überschwemmung die Region verwüstete. 2013 kam er in die Hauptstadt Yaoundé, um dort nach Glück im Berufsleben zu suchen. Anfangs lief alles bestens, er hatte eine gut bezahlte Arbeit, bemühte sich sogar um Einstellung im öffentlichen Dienst. Dafür hätte er eine Aufnahmeprüfung bestehen müssen, die er leider nicht schaffte. Im Allgemeinen scheint der öffentliche Dienst in Kamerun (vielleicht in anderen afrikanischen Staaten auch) so eine Art berufliche Garantie zu sein, die einem ermöglicht, bis Lebensende abgesichert zu sein und mit etwas Glück, reich werden zu können. 

Dann kam der Aufstand der Ambazonier im Jahr 2016. Seitdem herrscht ein Bürgerkrieg im Westen und die englischsprachigen Kameruner werden wie Bürger zweiter Kategorie im restlichen Kamerun behandelt – so Ali. In Ambazonien selbst herrsche die Willkür der kamerunischen Soldaten, die auch davon nicht zurückschrecken, auf Zivilisten zu schießen. Es kam  sogar zu Vorfällen, bei denen westliche Touristen zu Schaden kamen. Die kamerunischen Soldaten sollen auf sie geschossen haben und dafür die Sezessionisten schuldig erklärt haben. Vor ca. einem Jahr wurde ein 19-jähriger Priesteranwärter direkt vor seiner Kirche durch Soldaten erschossen – darüber berichtete die Deutsche Welle am 19.10.2018. Und wie sich das abgespielt haben soll, lässt erschaudern. Demnach hielt ein Militärfahrzeug vor der Kirche an. Die Menschen flüchteten und der junge Priester versteckte sich am Eingang. Er wurde jedoch gefunden. Ein Soldat befahl ihm sich hinzulegen und exekutierte ihn. Es gibt noch weitere solche Fälle. Das Militär wird beschuldigt, Menschen willkürlich festzunehmen, zu foltern und zu töten. 

Ali sieht weder für die anglophonen Kameruner, noch für sich selbst einen Ausweg aus dieser Misere. Am liebsten würde er auswandern: gerne nach Europa, aber nicht unbedingt. Nigeria oder Ghana wäre für ihn auch eine Option. Ich versuchte ihn über die Situation aufzuklären, was ihn in Europa erwarten würde: lebensgefährliche Wege bis dorthin, niedrigste Löhne (wenn überhaupt und dann wahrscheinlich nur als Schwarzarbeiter), schwerste Arbeit, schlechte Wohnbedingungen auf kleinstem Raum, kaum medizinische Versorgung, wenn man sich als Illegaler aufhalten würde und die Gefahr, Opfer von Schlepperbanden zu werden. Ali antwortete nüchtern: »Es wäre ja immer noch besser als in Kamerun zu bleiben. Mit harter Arbeit habe ich kein Problem und du hast gesehen, wie ich wohne.« 

Ja, ich habe es gesehen und erlebt. Ali wohnt auf ca. 12qm. Dort befindet sich alles: das Bett, die Garderobe, ein Schreibtisch, seine Küchenuntensillien, Bücher, Taschen und vieles mehr. Als ich mit meinem Reisegepäck hereinkam, bekam ich erstmal einen Schock. Ich stellte meine zwei Aluboxen und die große Reisetasche gestapelt ab. Das Resultat: im Raum konnte dann nur noch eine Person stehen. Sobald die Zweite herein wollte, musste sich die Person, die schon im Raum befand, auf das Bett setzen. Dass es so eng war, war noch nicht mal so dramatisch. Viel schlimmer fand ich, dass man keine eigene Toilette hat, geschweige denn ein eigenes Badezimmer. Das Appartement ist nur eines von vielen in diesem „Wohnkomplex“, das aus ca. drei -auf einer sehr engen Fläche- gebauten kleinen Häusern bestand. Zwischen ihnen gab es maximal einen Meter Abstand und man musste erstmal durch ein Labyrinth, um zum Appartement zu gelangen. Man ging auch an einem Raum mit Vorhang vorbei, dessen Geruchskullisse seine Verwendung verriet. Später erfuhr ich, dass dieser Raum, mit einem kleinem Loch in der Mitte, als Toilette und Dusche dient: und zwar für alle, die dort wohnen. Es sind vermutlich sechs bis acht Familien. Schreck lass nach…

Die Miete für dieses Appartement beträgt 25.000 CFA, umgerechnet 38 EUR pro Monat. Es ist aber nicht billig, wenn man nur 115 EUR pro Monat in einem Reisebüro verdient. Nur um einen Vergleich zu ziehen: Ali und ich waren im lokalen Restaurant essen. Wohl gemerkt: kein Restaurant für Touristen. Ich lud Ali natürlich ein und bezahlte für uns beide 5.000 CFA (7,60 EUR). Es erscheint mir unmöglich, dort gleichzeitig zu verdienen und zu leben! 

Die Nacht bei Ali war alles andere als entspannt. Wir teilten uns sein Bett, was für mich kein Problem darstellte – Ali hätte aber große Chancen gehabt, an einem Schnarchwettbewerb teilzunehmen und eine gute Platzierung zu erzielen. Viel schlimmer fand ich jedoch eine andere Geräuschkulisse. In der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, was die nächtlichen Geräusche verursachte. Es klang aber nach etwas deutlich größerem als eine Maus. Ich würde Ratten nicht ausschließen, die die Küchenuntensillien bewanderten. Das metergroße Loch in der Decke klaffte mehr als einladend für solche Spaziergänge auf. So vergrub ich mich in meinem Schlafsack und schwitze ordentlich – denn draußen waren es um die 30°. 

Am nächsten Morgen – ich konnte die ersten Sonnenstrahlen kaum erwarten – standen wir früh auf und gingen schnell zu unserem Restaurant vom Vorabend, um zu frühstücken. Dort gab es natürlich auch eine Toilette. Den afrikanischen Göttern sei dank! 

Ursprünglich wollte ich bei Ali zwei Nächte übernachten. Ich verwarf verständlicherweise jedoch diesen Plan. In der Zwischenzeit fand ich einen neuen spannenden Ort, wo ich übernachten konnte: ein Waisenhaus im Süden von Yaoundé, unter der Leitung eines polnischen Priesters. Und es sollten dort auch Zimmer für Reisende zur Verfügung stehen! 

Mit Ali verbrachte ich noch den ganzen Vormittag. Ich versuchte ihm Mut zu machen, angesichts der Tatsache, dass dieser junge Mann viel Potential hat! Er soll niemals aufgeben und definitiv versuchen, wieder was eigenes auf die Beine zu stellen. Mit der langjährigen Erfahrung aus dem Reisebüro, mit seinem BWL-Studium und vor allem mit seiner Zweisprachigkeit: Englisch und Französisch, könnte er doch selbst versuchen, Reisen in Kamerun für Ausländer zu organisieren. Kamerun hat so viel anzubieten: Regenwald, wunderschöne Landschaften, lokale Traditionen. Definitiv einen Versuch wert – motivierte ich Ali. Ich habe das Gefühl, dass er gerne zuhörte und dass ich ihn motivieren konnte. Wir versprachen uns in Kontakt zu bleiben. Ich bin sehr gespannt, wie sich sein Leben weiter entwickeln wird. Wir umarmten uns herzlich und ich fuhr weiter. Am Ende gestattete er mir noch, seine Geschichte zu beschreiben, dennoch nicht seinen richtigen Namen zu verraten. Diesem Versprechen blieb ich treu.

Das Waisenhaus war nicht leicht zu finden. Es war ein Ort hinter hohen Mauern, so wie alle anderen Häuser in der Nachbarschaft. Es weder Hinweisschilder noch sonst etwas anderes, was auf die Einrichtung deuten könnte. So fragte ich mich durch und fand das Haus schließlich. Das große Tor öffnete mir ein junger Mann und ich wurde durch Marianne begrüßt, die sich später als die Haushälterin erwies. Marianne war sehr freundlich und strahlte förmlich als sie erkannte, dass sie mit mir Polnisch sprechen konnte. Sie beherrschte die Sprache zwar nicht sehr gut, sagte aber in einem Atemzug eine Reihe polnischer Wörter auf, darunter mindestens ein paar bekannte polnische Schimpfwörter – und grinste dabei breit. »Wow« – dachte ich – »Was für ein cooler Ort!« »Hier muss ich länger bleiben« 

Das Haus des Priesters präsentierte sich imposant. Eine wunderschöne weiße, großzügig gebaute Villa. Mir wurde darin auch ein Zimmer angeboten, aber ich entschied mich lieber im bescheidenen Nebengebäude ein Zimmer zu nehmen, wo auch die Kinder wohnten. Das Zimmer war auch absolut ausreichend: es war sauber, ich hatte ein schönes Bett und einen Schreibtisch. An der Wand hing ein Kreuz – »Naja, das wird mich dann wohl nicht umbringen« – scherzte ich in meinen Gedanken – »Die paar Tage werde ich den Anblick des Foltergeräts selbst als Atheist ertragen können«. 

Ich kam an einem Sonntag und die Kinder waren allesamt da, beschäftigt mit dem Waschen der eigener Kleidung. Sie schauten neugierig zu mir auf, lächelten dezent und setzten ihre Arbeit fort. Sie waren wahrscheinlich gewohnt, diverse Reisende zu sehen, die dort übernachteten. Das Haus ist selbst auf iOverlander verzeichnet. 

Der Priester Dariusz war nicht da, sollte aber in der Nacht aus Polen zurückkommen. In der Tat: um 2:00 Uhr morgens klopfte jemand an meiner Tür und riß mich aus dem Tiefschlaf. Dariusz stand vor meiner Tür und fragte, ob ich Lust habe, mit ihm ein Bier zu trinken. Ich, noch halbtrunken im Schlaf, bedankte mich für die Einladung und lehnte sie freundlich ab: »Ich würde lieber ins Bett zurück, morgen wäre auch ein guter Tag, um sich auf ein Bier zu treffen.«  

Ich verbrachte an diesem wunderschönen Ort drei Nächte. Ich fühlte mich jederzeit wunderbar. Ich wurde von Marianne kulinarisch verwöhnt und Dariusz war sehr freundlich! Wir hatten nette Gespräche über das Land, die Politik und seine Tätigkeit in Kamerun. Er verbrachte dort 26 Jahre seines Lebens. So lange kümmert er sich auch schon um die Waisenkinder. Zum Teil betreut er schon Kinder in der zweiten Generation. Schwer zu glauben, aber ja – es kommt vor, dass ein Kind im Waisenhaus aufwächst, wird dann irgendwann selbst Mutter und kann sich um das eigene Kind nicht kümmern. So landet dann das Kind bei Dariusz. Es kommt auch vor, dass ein Kind einfach vor dem Tor ausgesetzt wird. Man kennt keinen Namen, kein Geburtsdatum. Das Kind bekommt dann einen polnischen Namen und sein Geburtsdatum wird dann auch „bestimmt“, damit das Kind eine Geburtsurkunde bekommen kann. Es gibt auch dramatische Fälle: bei Dariusz sind zwei Brüder gelandet, zwei ca. 6-jährige Jungs, die früher ein Jahr lang angekettet in einer Scheune gelebt hatten! Und zwar bei ihrem Onkel. Es sind wahre Dramen, die sich abspielen. In diesem Kontext macht Dariusz eine exzellente Arbeit. Er rettet die Kinder und bietet ihnen eine gute Zukunft. Einige junge Erwachsene schickt er sogar nach Polen zum studieren, sobald er für sie Stipendien organisiert hat. Dafür verdient Dariusz die höchste Anerkennung und Respekt! 

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der mich nachdenklich machte und etwas kritisch sein ließ. Es ist das Haus, in dem Dariusz wohnt. Ich möchte nicht urteilen oder gar jemanden schlecht darstellen. Ich weiß nicht, wie das Haus entstand, wer dafür Geld spendete. Ich spreche nur aus der Perspektive eines Beobachters, der nur drei Tage vor Ort verbrachte. Die Villa, wo Dariusz lebt, ist nicht bescheiden. Es ist ein mit modernsten Geräten und Möbel ausgestattetes Haus. Sehr komfortabel eingerichtet und würdig eines gut verdienenden Managers. Und es erscheint mir nicht in Ordnung so zu leben, wenn du dein Leben einer Wohltätigkeit und Waisenkindern widmest. Ich glaube, es gibt so viele Kinder, die bedürftig sind, da sollte das Geld nicht in die Villa eines Mannes investiert werden, der zwar wahrhaftig viel schönes und gutes tut, aber wohl auf den eigenen Komfort in solch üppigen Maßen nicht verzichten kann, im Sinne von „Build bigger table not higher walls“.

In meiner Naivität stelle ich mir vor, dass insbesondere ein Priester eine Lebensmission hat, die er nie aus den Augen verlieren sollte. Und ich glaube, dass er sich nicht selbst belohnen sollte. Ich selbst wäre sicherlich nicht in der Lage, mich so aufzuopfern. Daher möchte ich nochmals betonen, dass alles, was ich gerade schrieb, eine rein subjektive Einschätzung basierend auf einer kurzen Beobachtung ist.

Während der drei Tage fühlte mich dort mit den Kindern sehr wohl. Sie waren so gut erzogen, brav, höflich und ruhig. Ich sah jedoch Traurigkeit in ihren Augen, was mir wahrlich das Herz brach. Ich durfte sie fotografieren und insbesondere empfand ein 5-jähriger Junge dies als gute Idee. Er wollte nicht von meiner Seite weichen, so ist er auf der Hälfte aller Fotos abgebildet. Ich verliebte mich sofort in dieses Kind. 

Dariusz hatte während meiner Zeit auch andere Gäste aus Polen. Ich hätte mich gerne mit ihm darüber unterhalten, was meine oben geschilderten Zweifel anbetrifft. Vielleicht hätte er mir erklärt, dass ich komplett falsch liege, dass dieses Haus für die Kinder gebaut wurde, in dem er in der Villa Gäste übernachten lässt und so Gelder sammelt. So ein Gespräch ergab sich leider nicht. Vielleicht bekomme ich eine zweite Chance irgendwann in der Zukunft. Doch ich musste meine Reise fortsetzen und nach Kongo weiterfahren. 

Piraten oder Separatisten oder Entführer?

Der steinige Weg nach Kamerun

Nigeria wollte mich nicht so einfach gehen lassen. 

Nun gab es drei Optionen für mich, nach Kamerun zu gelangen. Die meisten Motorradfahrer entscheiden sich für den Seeweg: man mietet ein kleines Boot, lässt das Moped von mehreren starken Männern darauf tragen und verbringt dann ein paar Stunden in der Bucht von Guinea auf hoher See. Der Start ist von Calabar in Nigeria und man landet dann in Kamerun, in der Nähe von Douala, der größten Stadt des Landes. 

Diese Option gefiel mir vom Anfang an nicht. Erstens hörte ich bisher nur vom Transport leichterer Motorräder, meine Maschine bringt allerdings wesentlich mehr auf die Waage, um einfach in die Luft gehoben und auf ein kleines Boot gebracht zu werden (später in Kongo ergab sich: das geht wohl doch). Dann hörte ich von einem bekannten Biker, dass er selbst statt sechs Stunden sechzehn Stunden auf dem Boot unterwegs war! Er meinte, dass er das nie wieder machen würde. Es sei eine schreckliche Erfahrung gewesen: er fror, hungerte und zitterte bei hohem Wellengang um sein Leben. Dann kam noch in den Nachrichten eine Meldung von BBC, dass ein norwegischer Frachter gerade wenige Tage zuvor von Piraten entführt wurde: direkt vor der Küste von Benin. Die Bucht von Guinea gilt seit einigen Jahren als Hotspot der weltweiten Piraterie, laut International Maritime Bureau. Ich dachte zwar nicht, dass das kleine Motorrad-Transportboot ein Leckerbissen für die Piraten werden würde, aber jede Ausrede war gut, um sich doch für den Landweg zu entscheiden.

Wenn es also nicht die Piraten sind, die auf die Reisenden von Nigeria nach Kamerun warten, dann sind es die Separatisten. Direkt nach der Grenze in Ekok beginnt das Separatistengebiet, das sog. Ambazonien. Ich muss ehrlich gestehen: bevor ich nach Afrika kam, hatte ich nie von der Republik Ambazonia gehört. Es ist ein Gebiet im Westen Kameruns, bewohnt von der anglophonen Bevölkerung Kameruns, ca. 20% der 25 Mio. Einwohner. Die englischsprachigen Kameruner fühlten sich seit Jahrzehnten unterdrückt und marginalisiert durch die Regierung in Yaoundé . Die Protestwelle startete 2016. Im Jahr darauf wurde die Republik Ambazonia ausgerufen. Die Zentralregierung weist alle Autonomiebestrebungen zurück. Auch auf internationaler Ebene wurde Ambazonien nicht anerkannt. Seitdem herrschen in den anglophonen Regionen im Nord- und Südwesten bürgerkriegsähnliche Zustände. Laut der UN (Amt für Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) sind ca. eine halbe Millionen Menschen auf der Flucht. 

Durch dieses Gebiet führt also der „einfachste“ Weg von Nigeria nach Kamerun, mit dem Grenzübergang in Ekok. Ich plante tatsächlich auch diesen Weg zu nehmen. Und zwar nicht, weil ich lebensmüde bin, sondern weil ich hörte, dass es machbar wäre. Erstens hörte ich von anderen Reisenden, dass man von den Separatisten zwar gestoppt wird, aber nichts zu befürchten hat, außer einen intensiven Waffenanblick. Außerdem sind das keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer, die zu den Waffen griffen, weil sie sich den Unterdrückern widersetzen wollten. Dazu sprachen sie noch eine Sprache, in der ich mit ihnen kommunizieren könnte. Ich war mir fast sicher, dass wir uns gut verstehen würden. Darüber hinaus: ein Kontakt aus der nigerianischen Biker-Szene vermittelte mir einen Helfer, der an dieser Grenze wohnt und der bereit wäre, mich zu begleiten. Mit dieser positiven Einstellung fuhr ich also Richtung Ekok. 

Vor der geplanten Grenzüberquerung übernachtete ich in der Stadt Imok. Dort wohnt auch der hilfsbereite Biker Mohammed, mit dem ich dann kurz nach meiner Ankunft telefonierte und mich für den nächsten Morgen verabredete. 

Doch die Entwicklungen nahmen eine andere Wende. Am nächsten Morgen fuhr ich zur Grenze, um mich mit Mohammed zu treffen. Wie das halt so in Afrika läuft: er erschien nicht und meine Anruf blieben unbeantwortet. Kurz entschlossen fuhr ich dann alleine zur Grenze, in der Hoffnung, sie im Alleingang passieren zu können. Die nigerianischen Beamten waren echt nett, aber zögerlich. Ich müsse erst zur kamerunischen Seite laufen und fragen, ob ich reingelassen werde, bevor ich ein Ausreisestempel bekomme. So parkte ich mein Moped direkt vor dem nigerianischen Polizeiposten und lief zu Fuß über die Grenzbrücke nach Kamerun. Dann kam die Enttäuschung: wegen der angespannten Sicherheitslage werden keine Touristen reingelassen. Nur der Grenzverkehr bis zur nächsten Stadt wird bedient. 

Es blieb mir also nicht anderes übrig, als mich aufs Moped zu setzen, in den Norden zu fahren, und die letzte Option in Erwägung zu ziehen: die Umrundung von Ambazonien und der Versuch, die Grenze in den Bergen zu passieren, die wegen zwei Sachen berüchtigt war: Entführungen und extrem schlechte Wege, inklusive brückenlose Flussüberquerungen. 

Vor der Grenzüberquerung musste ich noch einen ungeplanten Notaufenthalt anlegen: einen abgebrochenen nigerianischen Hausschlüssel aus meinem deutschen Reifen rausholen und das Loch stopfen. Diese Operation gelang mir ziemlich gut und ich konnte meine Reise am nächsten Morgen fortsetzen.

Die Fahrt Richtung Gembu, einem Dorf, ca. 70 km von der Grenze entfernt, verlief ohne spezielle Vorkommnisse. Ich wurde nicht entführt und musste mich nur vor korrupten Polizisten und Soldaten behaupten. Darin war ich aber schon geübt und erzählte immer wieder die Story von meiner großartigen Weltreise durch Afrika, wie toll ich die Polizeibeamten in Nigeria finde und dass ich ein Buch über meine Erfahrungen schreiben werde. Das Geheimrezept ist einfach so viel wie möglich erzählen, die Leute nicht zu Wort kommen lassen. Irgendwann gibt jeder Polizist auf und wünscht Dir eine gute Weiterfahrt. 

Und das Problem mit den Entführungen scheint im Moment gelöst zu sein. Durch die große Polizeipräsenz (doch ein positives Beispiel für die Polizeiarbeit in Nigeria!) fanden schon seit längerem keine Entführungen mehr statt. Doch noch vor einem Jahr schrieb eine Bloggerin:

„Between Katsina Ala and Takum kidnappings are taking place!! Locals and foreigners are at aim. Ransom for locals 1 Million, for foreigners 15 Million Naira. Police is highly concerned. We were escorted by 5 armed men, payed 20.000 N for escort. Being escorted, we gave three guys a lift to Takum who had been held as hostages for 11 days and were heading home after ransom was payed by family members. Danger seems to be real!“ (orig. Schreibw.)

Laura Pfaelzner (Quelle: iOverlander)

Vorgewarnt fragte ich an jedem Polizeiposten, wie die Lage ist. Alle versicherten mir, dass der Weg sicher sei und ich sorgenlos weiterfahren könne. So fuhr ich weiter und erreichte am Abend das Dorf Wakili Buba kurz vor Gembu. 

Der Weg nach Kamerun ab Wakili Buba ist natürlich nicht ausgeschildert. Auf GoogleMap oder Maps.me findet man mehrere Wege, die nach Kamerun führen. Aber welcher ist der richtige? Welcher hat bessere und vor allem befahrbare Strecken? Wo sind die befahrbaren Flüsse? Wo gibt es weniger schmale klappernde Holzbrücken? Wo gibt es Dörfer mit Menschen, die dir weiterhelfen können? Als Tourist hast du natürlich keine Ahnung und weißt nicht mal, wo du anfangen sollst. So stand ich ahnungslos in der Mitte von Wakili Buba und überlegte, was ich machen soll. Nach ca. 3 Minuten hatten sich bereits zehn, fünfzehn „Zuschauer“ versammelt, die sich fragten, was der Fremde hier überhaupt will. Da die meisten auf ihren eigenen kleinen chinesischen Bikes saßen, kam ich auf die Idee, Profit davon zu schlagen: ich fragte in die Runde, wer den Weg nach Kamerun kennt. Ich bot Geld an und prompt meldete sich einer, der mich leiten wollte. Wir vereinbarten 5000 Naira (ca. 12€) und ich folgte meinem neuen Freund Ahmed ins Ungewisse. 

Die Entscheidung, einen Guide zu haben, war wirklich jeden Cent wert. Während der ca. fünfstündigen Fahrt bis zur Grenze war Ahmed nicht nur mein Wegweiser, sondern auch Helfer beim Motorrad-Hochheben, als ich auf Steinen fiel, was leider immer wieder passierte. Auf einem besonders schwierigen und steinigen Abschnitt, als ich einen Berg hochfahren musste, rief er sogar noch weitere Jungs aus dem Dorf, welches wir gerade passierten, zur Hilfe. Obwohl er sich gut auskannte, musste er auch selbst ab und zu fragen, welcher Abschnitt gerade befahrbar war. Ich hätte mich alleine wahrscheinlich mehrfach verfahren. Oder hätte es nie nach Kamerun geschafft…

Die Grenze an sich war zur Abwechslung nicht besonders schwierig oder kompliziert. Nette und kompetente Beamten auf beiden Seiten. Dann wurden aber die restlichen 30 km auf der kamerunischen Seite nicht leichter: es war genauso steinig und nass wie in Nigeria. Mit „nass“ meine ich drei Flussüberquerungen, davon zwei doch relativ leicht. 

Mit großer Erleichterung erreichte ich gegen 16:00 Uhr das Tagesziel: das Städtchen Banyo. Und es gab dort sogar eine asphaltierte Straße! Nach acht Stunden offroad war ich heilfroh, endlich wieder eine glatte Straße unter meinen Rädern zu fühlen!

Mein Offroad-Abenteuer in Kamerun war aber noch nicht zu Ende. Am nächsten Morgen wollte ich von Banyo nach Foumban fahren – nochmals 150 km super schlechte Straßen vor mir. Immerhin gab es keine brückenlose Flussüberquerungen, keine Sümpfe zu passieren, aber dafür Straßenabschnitte, die noch nie Asphalt gesehen hatten und nur durch Wettereinflüsse geformt wurden. Nicht sehr gelungen… Das Ergebnis: für diese 150km lange Strecke benötigte ich mal wieder 8 Stunden.

„This is Lagos“

Es gibt kein „Welcome to Lagos“-Schild vor der Stadt. Die Reisenden begrüßt ein bedrohliches „This is Lagos!“.

Nach den entspannten Reisewochen durch Westafrika bis einschließlich Benin, kam ich nach Nigeria. Ich muss ehrlich zugeben, ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten wird. Ich bin heil aus dem Land wieder rausgekommen, aber ich müsste echt lange überlegen, ob ich Nigeria nochmals auf dieselbe Art und Weise bereisen würde. Es gab natürlich auch schöne Momente und ich traf tolle Menschen, aber insgesamt machte mir dieses Land wahrhaft Angst und es ist nicht so angenehm, ständig auf der Hut bleiben zu müssen. Aber vom Anfang an…

Die Anreise an sich war schon ziemlich anstrengend. Für eine Distanz von 100km ab der Grenze nach Lagos benötigte ich acht Stunden. Die Straße war in einem elendigen Zustand. Immer wieder Polizeikontrollen, manche gar ziemlich lustig, wenn sich die Beamten mehr für mein Motorrad als für meine Dokumente interessierten. Und dann der Stau des Jahrhunderts – kurz vor den Toren von Lagos. Statt wie geplant um 17:00 Uhr bei meinem Freund auf der Victoria Island anzukommen, war ich dort erst um 21:30 Uhr. Krzysiek machte sich schon Sorgen, denn – wie ich später erfuhr – genau dort, wo ich nichts wissend im Stau stand, wurde er schon ausgeraubt. Eine Gruppe von jungen Männern kamen zu seinem Auto als er im Stau stand, schlugen die Scheiben ein und nahmen sich aus dem Fahrzeug alles, was sie fanden. Später sah ich selbst auf einem Video, wie so eine Aktion verläuft. Jemand filmte einen Überfall von einer Brücke aus. Ziemlich erschreckend so etwas zu sehen. Mir blieb solch eine krasse Erfahrung erspart, obwohl ich an einem Tag in Lagos von einer Gruppe sich komisch verhaltender Männer gestoppt wurde. Diese wedelten mir vor der Nase mit geklauten (oder präparierten) offiziellen Ausweisen und wollten mir den Schlüssel aus der Zündung herausziehen. Hätten sie das geschafft, wäre ich wahrscheinlich ausgeliefert gewesen. Was sie genau wollten, konnte ich mir nur denken: höchstwahrscheinlich Geld. Meinem Keyless-System sei Dank, dass sie keinen Schlüssel in der Zündung fanden. Dieser steckte tief in meiner Jackentasche. Auch gelang es ihnen nicht bei meinem Freund Krzysiek, denn wir fuhren zu zweit an jenem Tag. Nach einer kurzen aber heftigen Diskussion, mit der Drohung, Polizei und die Botschaft zu informieren, liessen sie dann von uns ab. Lustigerweise verstanden sie das „D“ auf meinem Nummernschild als „diplomatic“ und rannten weg. So ein Glück, dass wir auf ein paar Deppen trafen. Aus Erzählungen weiß ich, dass man nicht immer so viel Glück in Lagos hat..

Die Stadt ist mir ihren 20 Millionen eine Riesenmetropole und dementsprechend unüberschaubar. Der Verkehr ist zu jeder Tages- und Nachtzeit unmöglich. Man kommt schlecht durch, insbesondere wenn man ein Ausländer aus Europa ist und sich in dem Chaos nicht zurecht findet. Wiederum gibt es eine ruhige, luxuriöse Oase: das Projekt „Eco Atlantic City“, ein Finanzzentrum und eine Planstadt, die auf einem Stück Land gebaut wird, das dem Ozean abgerungen wurde. Dort soll Wohnraum für ca. 300.000 Menschen entstehen. Von den geplanten mehreren Wolkenkratzern sind erstmal vier entstanden. Dort sollen Appartements Millionenbeträge kosten und mittlerweile seien alle bereits ausverkauft. An diesem Projekt zeigt sich die große Kluft zwischen arm und reich in Nigeria. Es gibt eine kleine Elite, die meistens mit Ölgeschäften reich wurde – der Großteil der Bevölkerung lebt allerdings in Armut. Das Projekt „Eco Atlantic“ wird auch unter umweltrechtlichen Aspekten stark kritisiert. Es starben bereits Menschen aufgrund von Überflutungen in der unmittelbaren Umgebung des Projekts. Es wird kritisiert, dass grundlegende Umweltstandards nicht eingehalten wurden. Ein entsprechendes Klimagutachten wurde erst drei Jahre nach Baubeginn erstellt. Kritiker behaupten, dass durch das Projekt Küstenerosionen an anderen Orten beschleunigt wurden. Die britische Zeitung „The Guardian“ sprach gar von einem Klima-Apartheid: es wird für die Reichen gebaut und die Leidtragenden sind die Armen.

So soll ein afrikanisches „Hong-Kong“ entstehen. Bisher sind auf dem 25qkm großen Areal nur wenige Häuser und das Straßennetz zu sehen. Böse Zungen sagen, das Projekt nie fertig wird. Auf jeden Fall ist das zurzeit ein schöner Ort, um eine Drohne fliegen zu lassen und die Stadt von oben zu filmen, solange man sich nicht erwischen lässt. Das Areal ist abgesperrt, man wird nur reingelassen, wenn man dort wohnt, oder einen Freund dabei hat, der die Security verwirrt.

Ein separates Kapitel verdient das Nachtleben in Lagos. Was ich erlebte, verdanke ich natürlich meinem Freund Krzysiek, der ein sehr bewanderter Nightlife-Nutznießer ist. Was ich am allerersten Abend noch lustig fand, war dann an den darauf folgenden Abenden nur erschreckend. Stell Dir eine große Bar mit schöner Musik und reichlicher Diversität an alkoholischen Getränken jeder Art vor. Ok, nichts besonders oder gar nichts verwerfliches daran. Dann aber, spätestens nach einem Bier und ca. 15 Minuten, merkst Du, dass das Publikum größtenteils aus zwei Gruppen besteht: aus weißen Männern, die im Schnitt ca. Mitte 50er sind, und schwarzen Schönheiten, die keine Zeit vergeuden wollen. Ich möchte weder die eine oder andere Gruppe bewerten. Ich fand es nur erschreckend, wie leicht man an Sex kommt. Diese Mädchen erzählen, dass sie als Models oder Stewardessen arbeiten. Bei ihrem Aussehen, kann man solchen Behauptungen auch leicht glauben. Was ihre Motivation ist, lässt sich erraten: sie suchen nach einem reichen Boyfriend (weiß=reich in Afrika), und wenn das nicht klappt, dann erhoffen sie sich mindestens Geschenke oder Geld nach so einem nächtlichen „Abenteuer“. Solche Bars gibt es weit und breit, die Prostitution scheint in Lagos zu blühen.

Ich verbrachte insgesamt über eine Woche in Lagos und hatte natürlich auch „normale“ Erfahrungen und Begegnungen. Ich lernte die hiesige polnische Community kennen, durfte in einem Jugendzentrum Kindern über meine Reise erzählen, besuchte eine berühmte Ausstellung der afrikanischen modernen Kunst der letzten 50 Jahre, mein Motorrad wurde fachgerecht inspiziert und ich lernte einen neuen Freund kennen: Toyin Adebola, der auf dem Motorrad die entgegengesetzte Richtung befuhr: er schaffte es bis nach Kiruna in Nordschweden! Stellt Euch mal Eure eigene Verwunderung vor, wenn Euch in Nordeuropa ein Afrikaner auf einem Motorrad mit nigerianischen Kennzeichen begegnet!

Nach Lagos ging die Reise in den Osten: nach Kamerun. Bis ich soweit war, durfte ich quer durch das Land fahren. Und diese Fahrt wäre richtig schön gewesen, wenn es nicht ein paar störende Faktoren gegeben hätte: kaputte Straßen, ständige Angst an jeder Kreuzung ausgeraubt zu werden, halsbrecherisches Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer, Nagel im Reifen, eine heftige Erkältung, Tiere auf der Fahrbahn, (angebliche) Entführungsgefahren – und das aller lästigste: korrupte Polizisten und Soldaten, die allesamt nach Geschenken oder Geld fragten. Ich entschuldigte mich jedes Mal, kein Geschenk dabei zu haben, denn ich sei ein Jahr lang unterwegs und meine Lagerkapazitäten für Geschenke seien sehr eingeschränkt. Die Kontrollen fanden nicht selten alle 1000m statt. Ein anderer Reisender, der drei Wochen lang in Nigeria mit dem Auto unterwegs war, hatte 229 Kontrollen gezählt. Es gibt 23 verschiedene Behörden, die Dich auf der Straße stoppen und kontrollieren (sprich: Geld oder Geschenke verlangen) können.

Ich gestatte mir jetzt mal alle aufzuzählen, es ist der reine Wahnsinn. Abgesehen von der „normalen“ Polizei und der Arme, findest du auf den nigerianischen Straßen Beamte der folgenden Behörden (Original in Englisch): Drugs, Customs, Immigration, Strike Force Team, MOPOL, Operation Zenda, Police Anti-Crime Division, VIO (Vehicle Inspection Office), Highway Safety, Highway Response, Nigerian Navy, Police Mobile Force, Federal Operations Unit, Nigeria Security and Civil Defense, Operation Wuta-Wuta, IMGH Security, Special Force Police, Anti-Robbery Team, Anti-Kidnapping Team, Federal Road Safety und zum Schluss (bitte nicht lachen) das Anti-Corruption Team. Angesichts der Sicherheitslage im Land scheint die Erfolgsquote der einen oder anderen Behörde sehr bescheiden zu sein.

Nach drei Tagen Fahrt durch das Land erreichte ich endlich die Grenze nach Kamerun in Ekok. Die nigerianischen Beamten waren sehr freundlich und wollten mich gar ausreisen lassen: unter der Bedingung, dass mich die Kameruner reinlassen. So ging ich zu Fuß über die Grenzbrücke und fragte die netten kamerunischen Grenzbeamten, ob ich rein darf. Die Antwort war: nein. Wegen des Konflikts mit den Separatisten werden keine Touristen reingelassen. Ich fluchte laut in meinen Gedanken und fuhr wieder zurück. Immerhin winkten die bereits bekannten Beamten am Kontrollposten freundlich zu und wollten mich nicht erneut kontrollieren.

Der Engel von Benin

Am 21. Oktober kam ich in Benin zu später Stunde an. Die Vorgabe, niemals bei Nacht Afrika zu befahren, wurde von mir wieder einmal missachtet. Dieses Mal ging es aber gar nicht anders. Die „Freude“, Grenzen in Afrika zu überqueren, durfte ich an diesem Tag gleich zwei Mal erleben. Und das dauerte immer seine Zeit.

In Empfang nahm mich Basia. Sie heißt eigentlich Barbara, wird aber von den Kindern und Freunden in der polnischen liebevollen Variante „Ciocia Basia“ (Tante Basia) genannt.

Basia lebt seit über sechs Jahren in Benin . Bevor sie sich dort fest niedergelassen hat, reiste sie sehr viel durch Afrika. Die Liebe zum Kontinent entdeckte sie schon in jungen Jahren. Sie mündete – wie so oft – in Liebe zu einem Mann. Sie heiratete Kangni aus Grand Popo. Eines Tages im Jahre 2013 entschied sie, dass das Leben in Warschau doof sei und außerdem lebte ihr Ehemann weit weg in Benin. Sie sah ihn nicht so oft, wie sie sich das wünschte. Sie packte also ihre Koffer und zwei Wochen nach ihrer Erleuchtung und der Lebenserkenntnis zog sie nach Grand Popo um.

In Warschau trainierte Barbara Erwachsene, um sie zu besseren Versicherungsverkäufern zu machen. In Benin fing sie dann auch mit einer didaktischen Tätigkeit an und fuhr jeden Tag 90km nach Cotonou, der größten Stadt von Benin, um dort in einer Schule zu unterrichten. Irgendwann war ihr diese Fahrerei zu viel. Dies kann ich sofort aus eigener Erfahrung bestätigen. Vor ein paar Tagen fuhr ich zum kongolesischen Konsulat nach Cotonou. Es war nicht nur sehr weit. Es war vor allem gefährlich: kaputte Straßen, verrückte Moped-Fahrer, dichter Verkehr… außerdem steht die Stadt in der Regenzeit unter Wasser. In der Küstenstadt, umgeben von Wasser, sammeln sich riesige Wasserpfützen auf den Straßen. Die Nebenstraßen sehen noch schlimmer aus: alles steht oder fährt im Wasser.

Doch Barbara erkannte sehr schnell, dass der Bedarf an Lehrern, vor allem aber die Unterstützung der bedürftigen Kinder in ihrem Dorf Grand Popo sehr groß war. Sie sah, dass viele Kinder hungrig zur Schule kamen, dass sie sich keine Schuluniformen leisten konnten. Es fehlte an grundsätzlicher Ausstattung in den Schulen. Nicht selten wurden die Lehrer nicht nur schlecht, sondern oft gar nicht bezahlt. Barbara war klar, dass sie die Kinder nicht sofort und nicht alle gleich retten konnte. Sie zögerte aber nicht und gründete die Stiftung EDU Afryka, damit sie in ihrer Heimat, in Polen, Spenden sammeln und Förderer gewinnen konnte. So hatte sie eine Möglichkeit gefunden, den Kindern in Grand Popo zu helfen.

Bis heute hat sich die Eine-Frau-Stiftung etabliert und feste Förderer gewonnen. Barbara kümmert sich dank der Spender aus Polen direkt um ca. 60 Kinder aus ärmsten Verhältnissen. Sie organisiert Kantinen in den lokalen Schulen, damit die Kinder während des Unterrichts essen können. In den Kantinen kochen oft die Mütter der ärmsten Kinder, die dadurch regelmäßig Geld verdienen können. EDU Afryka organisiert auch Schuluniformen für die Kinder sowie Sportbekleidung für die Ärmsten. Barbara opfert den Kindern viel Zeit. Sie bringt ihnen Kreativität bei: sie organisiert Kunstunterricht, in welchem sie sich malerisch austoben können. Bei ihr zählt: je schräger die Bilder, umso besser. Denn der „normale“ Unterricht scheint nach gewissen Mustern zu verlaufen, die die Kreativität und Eigeninitiative der Schüler nicht unbedingt fördert.

Als ich nach Grand Popo kam, engagierte mich Barbara sofort für ihre Kinder. Ich durfte als Thema, Objekt, Instruktor, Geschichtserzähler und Vorbild als Traveller fungieren. Sie sagt, dass solche Chancen, den Kindern etwas außergewöhnliches zu präsentieren, viel wert sei! Das macht sie mit vielen Besuchern, die den weiten Weg nach Grand Popo finden und etwas zu erzählen haben. Für mich war das eine der wertvollsten und großartigsten Erfahrungen, die ich je machen durfte. Ich machte es sehr, sehr gern.

Die Kinder von Grand Popo haben oft unglaubliche und sehr traurige Geschichten zu erzählen. Zu den Kindern, um die sich Basia kümmert, gehört Lèonce. Er kam in das Dorf als er ca. acht Jahre alt war – keiner weiß jedoch genau, wie alt er ist. Sein Vater brachte ihn zur Oma, weil er nicht in der Lage war, sich um den Jungen zu kümmern. Seitdem gibt es keinen Kontakt mehr zu ihm. Der Junge zog in die bescheidene Fischerhütte der Oma am Strand ein. Später ergab sich Lèonce als ein begabtes Kind. Als er vor ein paar Monaten kam, sprach er die lokale Sprache nicht. Jetzt spricht er sie fließend. In der Schule macht er sich auch sehr gut. So kann sich vieles zum Guten wenden: er hatte einen schwierigen Start. Als kleines Kind litt er unter Unterernährung: angeschwollenes Gesicht, Bauch und Beine. Das sieht man ihm jetzt auf den ersten Blick nicht mehr an, aber wer diese Krankheit gut kennt, erkennt ihre Spuren sofort.

Edu Afryka kümmert sich auch um die Geschwister Felix, Gbédassi und Fidéle. Als sie unter die Obhut der Stiftung kamen, waren sie 14, 9 und 6 Jahre alt. Der Vater ist gestorben, die Mutter bekam einen Job als Haushalthilfe im Norden Benins und ist gegangen. Um die Kinder kümmert sich seitdem ihre Oma.

Es gibt weitere Beispiele:

Eric und seine Mutter Adjika wurden aus dem Haus der Familie des Vaters rausgeworfen, als dieser starb. Solche Tragödien gibt es sehr viele. Auch als der Vater von Rene und Lazare starb, verlor die Familie die Existenzgrundlage, da der Vater einen festen Job hatte. Danach übernahm die Mutter die Verantwortung und zögerte nicht, die schwersten Arbeiten anzunehmen, z.B. als Trägerin von Sand. Auf einer Baustelle schleppte sie stundenlang Sandsäcke auf ihrem Kopf. Im Falle der achtjährigen Marielle übernahm zuerst der Vater die Verantwortung als sich die Eltern trennten. Seit drei Jahren kümmert sich jedoch die Schwester des Vaters um Marielle. Der Vater fühlte sich überfordert und verschwand. Oft meint es das Schicksal besonders böse mit den Menschen hier, wenn noch eine Krankheit das Leben erschwert. Guezo, die Mutter von der 6-jährigen Bellevida arbeitete in so schwierigen Konditionen, dass sie schwer erkrankte. Besonders bitter, weil sie alleinerziehende Mutter ist. Durch die Arbeit als Hilfskraft auf dem Acker, bei der sie ständig der prallen Sonne ausgesetzt war, erkrankten ihre Augen. Ein Auge kann sie nicht mehr öffnen, ihre Hände und Füße sehen schrecklich aus.

Solche Schicksale lassen Basia nicht gleichgültig. Dank ihrer Arbeit und der Unterstützung ihrer Förderer müssen diese Kinder nicht hungern, haben Schuluniformen, Sportbekleidung und Schulunterricht.

Ich durfte sie alle kennen lernen. Sie alle lachen, spielen und besuchen fleißig die Schule. Sie haben jetzt eine reale Chance auf Bildung und ein besseres Leben. Kein Wunder, dass sie Basia vergöttern und mit Begeisterung am Kunstunterricht teilnehmen. Selbst an einem Wochenende.

Die Stunde des Ruhms im Collège d‘Excellence

Gestern hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Chance, in einer Schule aufzutreten. Ich wurde gebeten, den 60 Schülern des Collège d’Excellence über meine Reise zu erzählen. Es handelt sich hier um die beste Schule in Grand Popo, einem malerischen Dorf direkt an der Küste der Bucht von Benin.

Die Schule präsentierte sich in der Tat imposant im Vergleich zu den anderen Schulen im Dorf. Sie wurde vor wenigen Jahren erbaut, mit Unterstützung von chinesischen Fördermitteln. Das war ja auch nicht zu übersehen: eine große gezeichnete chinesische Fahne gleich am ersten Schulgebäude, gut sichtbar von der Straße. Insgesamt waren auf dem Schulgelände vier gleiche Häuser, platziert in Form eines Quadrats. Die Flagge von Benin flatterte auf einem Mast direkt in der Mitte des Schulhofes. Im ersten Haus gibt es Räume für die Lehrer, im zweiten befinden sich Klassenzimmer, im dritten die Kantine und im vierten… ja, das ist die spannende Geschichte: dort stehen 30 Computer, die der chinesische Staat dieser Schule öffentlichkeitswirksam schenkte. Es gab eine Feier, Politiker und Vertreter der Sponsoren kamen. Die Kinder klatschten begeistert in die Hände, die Eltern waren stolz darauf, ihre Kinder ausgerechnet dieser Schule anvertrauen zu dürfen.

Es gibt nur ein winziges Problem mit den Computern. Die Schule ist nicht an das örtliche Stromnetz angebunden. Ja, richtig verstanden: die Schule hat kein Strom und die Computer liegen seit zwei Jahren originalverpackt in den Kartons und gammeln vor sich hin. Irgendwann ist das Betriebssystem der Rechner sicherlich nicht mehr aktuell. Der Schulleiter schwört zwar, dass es seine erste Priorität ist, die Schule mit Strom zu versorgen. Aber ich hörte, dass er das schon seit zwei Jahren tue. Ergebnislos. Das Collège d‘Excellence strahlt mit Unterrichtsqualität – leider nicht im IT-Bereich.

Nun aber zurück zu meiner „Hour of Glory“. Ich sollte zur Schule auf dem Motorrad kommen: als der „Große Traveller“, der den Kindern über seine Abenteuer aus der ersten Hand erzählt. So nahm ich mein Moped, die ganze Reisebekleidung und fuhr zur Schule.

Ich parkte noch vor dem Schulgelände, weil der Unterricht noch nicht vorbei war und ich hatte vor, meinen Auftritt entsprechend beeindruckend zu gestalten. Ich stellte mir vor: die Kinder warten im Hof, ich fahre in die Mitte des Hofes rein, gebe kurz Gas, klappe den Seitenständer auf, steige langsam und zielsicher ab, ziehe den Endurohelm aus – die Kinder klatschen begeistert.

Doch es kam ganz anders. Der Schulleiter hatte einen anderen Plan. Er wollte den Ruhm selbst ernten. So kam er zu mir, ohne nach Erlaubnis zu fragen sprang er auf mein Motorrad und unternahm Anstalten, es zu starten. Ich zögerte kurz. Um ehrlich zu sein: der „Ruhm“ war mir vollkommen egal. Ich hatte Angst um mein Motorrad. Das Ding wiegt ordentlich und der Schulleiter sah nicht so aus, als ob er seine Freizeit im Fitnessstudio verbringen würde. Er schien vor allem nicht ausreichend lange Beine für mein Moped zu besitzen. Am Ende wollte ich ihm jedoch den Spaß nicht verwehren und gestattete dem Herrn Direktor zu fahren.

Die Situation entwickelte sich leider so wie befürchtet. Er fuhr los, kam noch mit Mühe in den Hof. Die Kinder fingen an zu klatschen und vor Begeisterung jubelnd in die Luft zu springen. Herr Direktor fuhr dann auf eine Bordsteinkante rauf und kippte mit voller Wucht um. Der zu erwartende Moment des Ruhms ging in die Hose. Die Kinder hörten auf zu klatschen. Ich sprang noch zur Hilfe – leider zu spät. Das Moped lag auf dem Boden und Herr Direktor schaute mit verzweifeltem Gesicht zu. Wir hoben die Maschine auf und baten die Kinder kommentarlos in das Klassenzimmer.

Jetzt war ich aber dran, den Kindern von meiner Reise zu erzählen. Der Englischlehrer übersetzte ins Französische. Normalerweise hätte der Herr Direktor gedolmetscht, er schien aber keine Lust mehr zu haben.

Ich erzählte über die langen Vorbereitungen, über die unzähligen Bücher, die ich las und unzählige Filme, die ich über Afrika sah. Ich berichtete über die Länder, die ich bereits besuchte und über die Pläne der Weiterreise. Ich wollte den Kindern vermitteln, dass Träume immer in Erfüllung gehen, wenn man an sich selbst glaubt und hart daran arbeitet, diese in Erfüllung gehen zu lassen. Ich präsentierte auch meine Schutzbekleidung und erzählte, wie wichtig die Sicherheit unterwegs ist. Ich wollte den Kindern ein gutes Beispiel sein. Ob meine Geschichte was in den Köpfen bewirkte, weiß ich natürlich nicht. Ich hoffe aber sehr, dass das eine oder andere Kind anfängt zu denken, dass sich verrückte Ideen und Träume verwirklichen lassen.

Nach meiner Erzählung war Barbara dran, die den Kunstunterricht leitet. Sie nutzte mich und meine Geschichte als Thema und Vorwand, um die Kinder über eigene Träume und Wünsche zu inspirieren und dies wiederum auf Papier zu bringen.

Meinen Schulauftritt verdanke ich natürlich der Initiative von Barbara, die jede Gelegenheit nutzt, die Kinder zu begeistern und ihnen ungewöhnliches zu präsentieren. Sie ist die gute Seele von Grand Popo. Sie unterrichtet Kunst, ein Fach, in dem die Kinder sich beim Malen austoben können. Sie sagt, dass der „normale“ Unterricht die Kreativität der Kinder einschränke, beim Malen dürfen sie alles tun. »Je schräger die Bilder, die sie malen, umso besser« – sagt sie immer. Ich durfte den Kindern beim Malen zuschauen und fotografieren.

Über Barbara möchte ich einen separaten Artikel schreiben, sie hat das mehr als verdient! Ich verrate nur noch, dass die Kinder von Grand Popo sie unendlich lieben. Und sie hat den hiesigen Kindern ihr Leben gewidmet.

Der Weg durch Mali

Die Zollbeamten bevorzugen zuerst das Gebet, dann die Arbeit.

Durch die verzögerte Ankunft des „Mannes mit dem Stempel“ auf der mauretanischen Seite der Grenze kam ich schon relativ spät am letzten offiziellen Kontrollposten in Mali an. Ich dachte trotzdem, dass die Formalitäten nicht all zu lange dauern würden. Ich benötigte ein Zolldokument, dessen Ausstellung normalerweise ein paar Minuten dauert. Doch mein Aufenthalt am Zollkontrollposten sollte erst am nächsten Morgen enden.

Gut gelaunt und bestens genährt (Dank der mauretanischen Grenzpolizisten) kam ich ziemlich schnell durch Mali-Immigration und ich fuhr dann weiter, um die letzte Kontrolle zu absolvieren. Ich kam am Zollgebäude an und sah gleich, wie ein Kerl aus einem Toyota Corolla mit spanischem Kennzeichen ausstieg.

»Oh, wie schön!« – dachte ich. »Endlich kann ich ein paar Nettigkeiten mit jemandem austauschen« – ich nahm an, der Typ kam mit dem Auto aus Spanien. So sprach ich ihn fröhlich an:

»¡Hola Señor! ¿Que tal? ¿Hablas Español?«

»Hier ist Mali. Man spricht Französisch hier!« – war seine Antwort auf Französisch, die ich doch mühelos verstehen konnte.

»Alles klar Du Arschloch« – dachte ich nur, sagte es aber nicht laut, weil ich sah, dass er in das Zollamtbüro reinspazierte, und zwar mit einer Körperhaltung, als ob ihm das Büro gehören würde.

»Na super!« – »Wenn ich Pech habe, ist er dann auch derjenige, der mich gleich bedienen wird« – ich sah schon, wie ich mich klein machte und verlegen lächelte – während der Typ mich von oben herab betrachtete und sich seine Rache überlegte, weil ich seine fremdsprachlichen Kompetenzen bloß gestellt hatte.

Und in der Tat, ausgerechnet dieser Typ schien der zuständige Beamte zu sein.

»Könnten Sie mein Carnet de Passage stempeln?« – fragte ich höflich in einem sehr langsamen Englisch, wobei ich noch simultan eine eindeutige Handbewegung machte, die das Stempeln imitieren sollte.

»Heute wird nichts mehr gemacht« – antwortete er in einem gerade noch verständlichen Englisch. »Kommen Sie am Montag wieder« – warf er noch dazu.

Er sah wie ich große Augen machte und lächelte schelmisch. »Am Montag?« – schaute ich verlegen. »Es ist Freitag. Ich will doch weiter fahren!« – ich hatte das Gefühl, der Typ will mich verarschen. »Warum war er eigentlich noch da, wenn er nicht mehr arbeiten müsste?« – fragte ich mich.

Doch dann kam ein anderer herein:

»Was kann ich für Sie tun?« – ich war entzückt! Er war nett und sprach Englisch!

Ich erklärte ihm kurz, dass ich jetzt nach Mali kam und mein Zolldokument, das Carnet, gestempelt haben möchte.

»Kein Problem, machen wir« – sagte er. »Wir werden aber zuerst unser Abendgebet sprechen, dann kümmern wir uns um die Angelegenheit.«

»Aber selbstverständlich« – antwortete ich, und war glücklich, dass ich mein Lager nun doch nicht für ein paar Tage an der Grenze aufschlagen musste.

Nun musste ich erstmal warten. Die Nacht brach in der Zwischenzeit herein. Nach einer Ewigkeit und nach dem die Gebete gesprochen wurden, kam der nette Beamte auf mich zu und sagte, dass er jetzt Zeit für mich hätte. Doch es sollte nicht so einfach mit dem Carnet funktionieren, wie ich dachte. Es ergab sich, dass das Carnet in Mali nicht galt und ich ein lokales Zolldokument erwerben müsste. Es kostete 15.000 CFA. Danke ADAC!

Ich hatte natürlich keine CFA dabei. Die Beamten hatten dennoch kein Problem damit, den Betrag in Euro entgegen zu nehmen. Nach ca. 30 Minuten war dann alles erledigt. Ich stand aber vor der Option in der Nacht weiter zu fahren. Eine ziemlich riskante Angelegenheit in Afrika. Ich entschied mich dann doch lieber zu bleiben und fragte den netten Beamten, ob ich zelten dürfte. Es war auch kein Problem: ich schlug mein Camping mitten auf dem Zollgelände zwischen irgendwelchen unverzollten oder beschlagnahmten Fahrzeugen auf.

Am nächsten Morgen waren die Zöllner wie ausgetauscht! Sie luden mich zum Frühstück ein, gaben mir noch Brot fürs unterwegs und wünschten gute Fahrt!

Die gute Fahrt endete ca. eine Stunde später in der Stadt Nioro als ich – völlig konzentriert auf der Suche nach einer Bank – ein Verkehrszeichen übersah und in eine Einbahnstraße gegen den Verkehr fuhr. Sofort sprang ein Polizist zu mir und stellte sich quer in meinen Weg.

Zuerst habe ich gar nicht realisiert, was er von mir wollte. Ich dachte, dass er vielleicht mal etwas plaudern will. Es wäre ja nichts ungewöhnliches und es ist schon früher passiert. Er ließ mich das Moped direkt am Straßenrand parken und lud zu sich in den Schatten auf ein Campingstuhl ein. Das kam mir schon etwas schräg vor, aber hey – der Polizist war vielleicht so sehr an meiner Reise interessiert, dass er sich darüber in Ruhe unterhalten wollte. So saßen wir eine Weile im Schatten eines großen Baumes und versuchten zu kommunizieren. Die Kommunikation verlief jedoch zäh. So nahm er mich plötzlich an die Hand und machte Anstalten, als ob er mir was zeigen möchte. Ich folgte ihm ein paar Meter und wir standen plötzlich vor einem riesengroßen Einfahrtverbotszeichen, mit einem Durchmesser von über einem Meter! Plötzlich war mir der Grund klar, warum der Polizist mich anhielt und mich bei sich behielt. Er wollte Geld!

Wir setzten uns dann wieder hin und die Verhandlungen begannen. In seiner Großzügigkeit erklärte er mir, dass er auf die volle Strafhöhe von 10.000 CFA (ca. 15 EUR) verzichtete. Wenn ich ihm dann 5.000 gebe, darf ich wieder gehen. So saßen wir weitere 45 Minuten herum und haben verhandelt. Er hielt meine Fahrzeugpapiere in der Hand und ich versuchte ihm zu erläutern, dass ich auf einer wichtigen Mission bin, durch den ganzen Kontinent fahre und später darüber ein Buch schreiben werde. Und er wolle darin bestimmt positiv erwähnt werden. Ich weiß nicht, ob ich ihn damit beeindrucken konnte, aber irgendwann merkte er, dass ich nicht in Eile bin und wir wahrscheinlich so noch lange sitzen würden. Entnervt gab er mir schließlich meine Dokumente zurück und ich fuhr davon.

Diese Zeit in Nioro, die ich wegen des korrupten Polizisten verlor, jedoch verursacht durch meine eigene Unaufmerksamkeit, bedeutete meine viel zu späte Ankunft in Bamako. Unter normalen Straßenzuständen hätte ich die 500km innerhalb von 8 Stunden schaffen können. Aber die letzten 150km bis zur Hauptstadt waren ein Albtraum: Löcher so breit wie die ganze Straße, tief bis zu einem halben Meter, häufiger als Löcher im Schweizer Käse. Außerdem ein LKW hinter dem anderen, Busfahrer, die sich unbedingt mit dem Motorrad ein Rennen liefern wollten, Straßenhändler an jeder schwierigen Stelle, die die Fahrzeuge verlangsamten oder zum Stehen brachten, die den Verkehr noch mehr beeinträchtigten. Gar Gruppen von Menschen an den schwierigen Stellen, die nur als Publikum da standen und warteten, bis ein Fahrzeug spektakulär durch die Löcher fuhr oder liegen blieb. Alle 2-3km kaputte Laster, die in die Löcher reinfuhren und sie nie wieder verliessen. Staub- und schwarze Abgaswolken, die die Sicht massiv einschränkten. Und in dem ganzen und endlosen Chaos: ich auf dem Moped.

Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diese Strecke bis nach Bamako schaffte. Die Autos fuhren in so einem Verkehrschaos, dass sie zum Teil die Straßenseiten wechselten, was auf einmal zu Linksverkehr führte.. Jeder fuhr die Spur, die er an jener Stelle für die bessere Wahl hielt. So überholte ich nicht selten von rechts, fuhr in einer Staubwolke und wusste nicht, ob nicht gleich eine Kurve auftauchte. Irgendwann wurde es dunkel und die letzten drei Stunden waren jenseits jeder vernünftigen Vorstellung an das Reisen. Selten gab es die Option schneller als 20-30kmh zu fahren.

So kam an meinem Hotel in Bamako erst um 21:30 Uhr statt 17:00 Uhr an. Was für eine Erleichterung, dass ich überhaupt ankam. Das Tor wurde geöffnet, ich fuhr rein und war gerettet! Ich ging an die Rezeption und bestellte den Zimmerschlüssel. Plötzlich schaute ich in den Spiegel und erkannte mich nicht mehr! Da schaute irgendein Wilder mit schwarzem Gesicht zurück. Nur das Weiße in den Augen leuchtete hell. Ich sah aus, als ob ich nach einer Woche Schwerstarbeit aus einer Grube gekrochen wäre. Kein Wunder, dass mich die Leute verwundert anschauten, als ich durch das ganze Restaurant marschierte. So wie mein Gesicht aussah, sahen meine Klamotten und das Motorrad ebenfalls aus: als ob der Biker gerade aus einem Kriegsgebiet geflohen wäre.

Mit meinem etwas außergewöhnlichen Auftreten musste ich auch ein paar Leute im Restaurant beeindruckt oder zumindest die Frage aufgeworfen haben, was ich den bitte für ein Chaot sei. Ich wurde an einen Tisch geladen, an dem sehr nette junge Kanadier saßen und auf meine Geschichte gespannt waren. Das Bier schmeckte hervorragend!

Mit Greg und Matt verbrachte ich dann noch weitere drei Tage. Sie arbeiten in Bamako für eine schwedische Fluggesellschaft: als Flugzeugmechaniker bzw. als Pilot. Sie haben ein großes Haus in Bamako, mit Garten, Pool, Autos, Fahrer, Gärtner, Bierkühlschrank und vielem mehr! Wir hatten eine tolle Zeit zusammen, die alle Strapazen der Fahrt nach Bamako vergessen ließen.

Die Weiterfahrt nach Sikasso und dann nach Côte d’Ivoire verlief dann nicht mehr so spektakulär. In Sikasso traf ich noch Freunde aus den Niederlanden, die mit einem super ausgestatteten Geländewagen 1,5 Jahre in Westafrika verbrachten und gerade auf dem Weg Richtung Europa waren. Tomek und Susanne sind zu richtigen Experten während ihres Aufenthalts hier geworden. Ich schaute neidisch zu, wie sie selbstsicher und kenntnisreich auf einem lokalen Markt einkauften, um später ein köstliches Abendessen zu kochen: Kartoffeln mit einer Pilzsoße und köstlichem Salat. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn ich mich dran erinnere.

Obwohl wir unser Camp direkt am Fluß und weit weg von Menschen errichtet hatten – dachten wir zumindest – , bekamen wir auch gleich Besuch, oder man müsste zutreffender sagen: Publikum. Der erste nette Mann, der Vuba hieß, erklärte, wie toll die Frauen in Mali seien und dass er auch ein paar Schwesterchen hätte, die in heiratsfähigem Alter wären. Auf unsere Bemerkung, dass die hier anwesenden Männer bereits vergeben wären, erwiderte er, dass dies kein Problem sei. In Mali dürfe man bis zu vier Ehefrauen haben. Na vielen Dank! Man stelle sich vor, die gehen alle ein Mal pro Woche shoppen! Da bist du ja gleich pleite…

Später schloss sich uns eine junge Dame an, die einfach nur da stand und zuschaute, wie wir aßen sowie zuhörte, wie wir uns auf Englisch unterhielten, obwohl sie selbst kein Wort verstand. Sie war da – ich übertreibe nicht – fast zwei Stunden lang! Wir hatten leider keine Portion extra für sie, nicht mal einen Stuhl zum anbieten. Ich fühlte mich etwas blöd deswegen, aber Susanne meinte, dass wäre schon ok so. Man müsse sich dran gewöhnen. Nach diesen zwei Stunden, als wir aufgegessen hatten, fragte diese junge Frau nur noch, ob sie für uns abwaschen könnte. Mir ist die Kinnlade runtergefallen. Es wurde mir klar, dass sie gerne was verdienen möchte und als es doch nicht klappte, ging sie einfach wieder dahin, wo sie herkam: in die Dunkelheit, keine Ahnung wohin genau.

Am nächsten Morgen hatten wir ein exzellentes Abschiedsfrühstück mit Rührei und Bacon, tauschten unsere SIM-Karten aus und fuhren jeder in seine Richtung: meine Freunde nach Bamako, ich nach Côte d‘Ivoire.

Der Schatz von Mauretanien

Nach dem langen Marathon an der Grenze kam ich endlich in Nouadhibou an. Dort sollte ich mich bei Khaled melden, einem Freund von meinem CouchSurfing-Freund Hachim. Hachim empfahl mir nicht direkt nach Nouakchott zu fahren, sondern in die Grenzstadt Nouadhibou. Dieser Rat ergab sich als Gold wert! Ich fuhr nämlich am nächsten Tag in die Hauptstadt und diese lange Fahrt von ca. 500km durch die Wüste und bei Temperaturen von dauerhaften 45° ergab sich als extremst anstrengend und ich hätte nicht eine wunderbare Familie in Nouadhibou kennengelernt.

Nun war ich zunächst in der drittgrößten Stadt Mauretaniens angekommen. Ich muss wahrscheinlich unfair klingen, aber ich kann Nouadhibou beim besten Willen nicht als schön bezeichnen. Der erste Eindruck war sehr ernüchternd… ich dachte »So sieht also Afrika in Wirklichkeit aus.« Kaputte, mit Sand bedeckte Straßen, slumartige Bauweise, tonnenweise Müll und überall Zweiradkutschen gezogen von Esel, die immer wieder zur Richtungsweisung mit dicken Holzknüppel auf den Schädel geschlagen worden waren. Das ist was ich als erstes erfuhr – und es wurde für mich persönlich noch schlimmer: Ich kam an ohne lokales Bargeld und ohne mobiles Internet. Was in Tanger einfach war, ergab sich als eine echte Herausforderung in Mauretanien: eine Bank finden, die eine Kreditkarte schluckt und Bargeld ausspuckt. Danach wollte ich gleich eine SIM-Karte besorgen und meinen Gastgeber Khaled informieren, wo er mich finden kann.

Schön wär’s.

Die Suche nach einer Bank, die eine Mastercard akzeptiert, gestaltete sich als eine unmögliche Aufgabe! Keiner der Geldautomaten wollte meine Karten erkennen und ich geisterte von einer Bank zu der anderen. Bis ich schließlich nach mindestens anderthalb Stunden eine „richtige“ Bank, die Société General, fand, die gnädigerweise das Geld lieferte. Ich war gerettet.

Die Entdeckung der Bank beendete gleich meine mauretanische Pechsträhne! Direkt gegenüber gab es ein Shop, das mir unentgeltlich WLAN zur Verfügung stellte und ich konnte Khaled benachrichtigen.

Die nachfolgenden Geschehnisse machten alles wieder gut und retteten den wohl bis dato schlimmsten Tag meiner Reise.

Khaled kam innerhalb von Minuten, um mich abzuholen. Der erste Plan war, dass wir uns nur unterhalten sollten, er mir über sich selbst und das Land erzählen und ich ihm über meine Reise berichten sollte. Später wollte ich mir ein Hotel oder Camping aufsuchen, wo ich übernachten könnte, denn Khaled war aus Nouakchott und in Nouadhibou war er nur zu Besuch bei seiner Familie. Trotzdem lud er mich zu seiner Tante nach Hause ein, um dort seine Cousinen kennenzulernen und Tee zu trinken.

Wir sind in einem schönen großen Haus angekommen. Mein Motorrad durfte ich gleich in die Garage stellen. Ich wurde der Familie vorgestellt und wir zogen uns in ein Zimmer zurück: Khaled, seine Cousinen und ich. Das Gespräch verlief anfangs etwas steif aber schnell konnten wir das Eis durchbrechen. Ich traf junge Menschen, die sich sehr für die weite Welt, fürs Reisen und fremde Länder interessierten. Khaled und seine jüngere Cousine Nebghouha sprachen dazu sehr gutes Englisch. Die ältere Schwester von Nebghouha leider nicht, dafür machte sie einen exzellenten Tee und lächelte freundlich die ganze Zeit.

Das Gespräch musste auch seitens meiner Gastgeber zufriedenstellend verlaufen sein, denn plötzlich boten sie mir an, auch über die Nacht zu bleiben! Die Mutter des Hauses habe ihr Einverständnis erklärt. So nahmen sie mich auf, eine völlig fremde Person in ihr Haus auf, boten Essen, Obdach und schenkten mir gar eine SIM-Karte. Wir fuhren noch am gleichen Abend an den Strand und hatten ein wunderbares Barbecue.

An dieser Stelle bedarf das mauretanische Barbecue etwas Erklärung.

Als erstes muss das Fleisch besorgt werden. Das kriegt man beim lokalen Metzger, der es gleich auch auf den Grill schmeisst und nachher in Alu-Folie verpackt. Vermutlich handelt es sich dann um Lammfleisch. Dann fährt man an einen schönen ruhigen Ort, z.B. an den Strand. Danach packt man aus dem Kofferraum einen großen Teppich aus und rollt ihn auf dem sandigen Boden aus. Dabei hat man auch natürlich diverse Kissen im Auto. Wohl bemerkt, es ist ein Toyota Avensis, kein Transporter mit Anhänger. Als nächstes lässt man den Ausländer sich auf den Teppich hinsetzten und er darf mit seinem Handy spielen während man als traditioneller Muslim sein Abendgebet spricht. Nach diesem Ritual kann man das Fleisch und die Getränke (Cola) auspacken und sich am Essen erfreuen. Als guter Gastgeber schiebst Du dem Ausländer immer wieder die besten Fleischstücke zu und ermahnst ihn freundlich, dass er sich nicht jedes Mal dafür bedanken muss.

Am nächsten Morgen bekam ich ein Frühstück von Khaled serviert. Aber was für ein! Ich bin sicher, dass nicht mal der Bürgermeister von Nouadhibou so ein Frühstück bekommt: Omelette, leckeres lokales Brot mit diversen Marmeladesorten, frisch gepressten Orangensaft, trockene Früchte, Croissant und köstlich duftenden Kaffee! Gefehlt haben nur Spiegeleier und Bacon. Ich war entzückt! Wo hat er das alles her? Khaled musste wahrscheinlich die ganze Stadt durchquert haben, um an solche Sachen zu kommen! Einfach unglaublich! Nach zwei Tagen Dosensardellen zum Frühstück war das ein Traum.

Doch bald musste ich weiter. Vor mir hatte ich – wie bereits erwähnt – eine lange Fahrt und zwar eine, die mich super schwitzen lassen würde. Khaled eskortierte mich freundlicherweise noch aus der Stadt – bis zur ersten Polizeikontrolle…

Nach einer gefühlten Ewigkeit durch die Wüste bei Temperaturen, die mir eine Vorahnung gaben, wie ich mich als Sünder in der Hölle fühlen werde, sowie unzähligen Polizei-Kontrollen, kam ich am Abend in Nouakchott an, um endlich mal persönlich auch meinen ersten mauretanischen Freund Hachim zu treffen.

Hachim empfing mich als ob wir uns schon seit Jahren gekannt hätten. Sehr herzlich, offen, lustig und völlig entspannt, so entspannt wie nur ein 23-jähriger Mann entspannt sein kann. Ich war sofort sein „Bro“. Ich wollte in Nouakchott nur eine Nacht verbringen. Ich blieb aber drei und erfuhr wiedermal eine großartige Gastfreundschaft.

Ich lernte auch einen Cousin kennenlernen: Mohidin, der im Haus eine wichtige Rolle spielte: er unterrichtete die Kinder jeden Morgen Arabisch und „prügelte“ den Mädchen (es waren insgesamt vier, davon drei im lernfähigen Alter) auch Quran-Verse rein: Morgen für Morgen. Mohidin war ebenso nett und neugierig auf den Typen aus dem fernen Norden. Bedauerlicherweise sprachen wir keine gemeinsame Sprache, aber der Google-Übersetzer lieferte schon ziemlich sehenswerte Ergebnisse und trug bei, dass so etwas wie eine Konversation möglich wurde. Mohidin erzählte mir, dass er in einer Koran-Schule studierte. Sein Wunsch gegenwärtig wäre es, in Deutschland/Europa eine Arbeit zu finden. »Shit« – dachte ich, was sollte ich ihm bloß antworten? Ich wollte keinesfalls irgendwelche falsche Versprechungen machen und es war klar, dass er eine naive und „romantische“ Vorstellung davon hat, wie man in Europa eine Arbeit findet. Gleichzeitig wollte ich ihn motivieren und nicht enttäuschen, so sagte ich ihm, dass das Thema sehr schwierig sei, wenn man weder Englisch noch Deutsch spricht. Er fand meine Antwort zufriedenstellend – dachte ich.

Am nächsten Morgen setzten wir unser Gespräch fort. Diesmal war der Wunsch von Mohidin ein anderer. Es ergab sich, dass er jetzt die Pläne etwas umgeworfen hatte. Er wolle jetzt in Deutschland studieren. Ob das nun möglich wäre – war seine Frage.

Vermutlich war mein etwas zu langes Schweigen ziemlich demotivierend für Mohidin. Ich sammelte meine Gedanken: »Ein Absolvent einer privaten Koran-Schule möchte in Deutschland studieren!«

»Mensch, Mohidin« – dachte ich. »Warum hast du bloß nicht Architektur, Umweltschutz oder mindestens Germanistik studiert?«

Kurz und vereinfacht erklärt: in einer Koran-Schule studiert man ein Buch. Das hat wahrscheinlich auch was mit einem Theologie-Studium in Europa zu tun. Man studiert ein paar Jahre lang ein Buch! Eine ziemlich schreckliche Vorstellung. Es ist in beiden Fällen nicht mal ein lustiges Buch…

Die gedankliche Suche nach einer diplomatischen, dennoch ehrlichen Antwort wurde von Hachim unterbrochen, der hereinplatzte und mich auf wenig sanfte Weise aus der Misere rettete: »Du willst in Europa studieren? Du hast doch keinen Abschluss. Wie soll das denn gehen?« Mohidin senkte seinen Blick. Er bohrte dann auch nicht mehr weiter. Er tat mir echt leid, weil er so freundlich und wissbegierig über Europa war. Ich kenne seine Lebensgeschichte nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass er mit viel Fleiß die Koran-Verse im Studium auswendig lernte. Vielleicht erfüllte er dadurch den Wunsch seiner Eltern. So etwas endet meistens böse für das Kind. Auch bei uns in Europa…

Aber zurück zu Hachim, meinem CouchSurfing-Freund. Wie oben aufgezeigt: ein frecher Typ. Wir unternahmen zusammen so einiges: Picknick auf einem Teppich am Strand, Freunde treffen, Konsulate besuchen, im Sand Motorrad-Fahren. Hachim erzählte mir von seinen Plänen, in Kanada zu studieren. Dafür verkaufte er alles, was er in Geld umwandeln konnte: Auto, Iphone X. Seine Familie schien auch nicht arm zu sein. Er hat eine reale Chance, seine Träume zu verwirklichen, vor allem durch seine Motivation und Unnachgiebigkeit. Ich drücke ihm die Daumen!

Er half mir und noch vielen anderen Reisenden sehr viel in Mauretanien, dafür sammelte er mit Sicherheit ganz viele Karma-Punkte. Er begleitete mich seit der Einreise und erkundete sich noch lange nach dem ich Nouakchott verließ, wie es mir geht und ob sich seine Freunde in Kiffa gut um mich kümmerten!

Und Kiffa war die letzte Stadt in Mauretanien, bevor ich nach Mali meine Reise fortsetzte. Ich habe dort zwei spannende Tage mit Radhi und Mahfoudh verbracht. Obwohl wir etwas sprachliche Schwierigkeiten hatten, verstanden wir uns schon ganz gut! Dennoch fehlte es auch nicht an Missverständnissen.

Der zweite Tag fing schon so an. Wir waren verabredet, dass wir uns zu dritt am Morgen um 8:00 Uhr treffen sollten. Ich war um 7:00 Uhr wach, dachte aber: »Hey, es ist doch zu früh!« Außerdem eine weitere Stunde zu schlafen klang sehr verlockend. So schrieb ich eine Nachricht an Radhi:

»Radhi, lass uns doch lieber um 9:00 Uhr treffen. Es wäre schön, wenn wir unser Treffen um eine Stunde nach hinten verschieben könnten« – schrieb ich extra doppelt, damit meine Nachricht verstanden wird.

»Ok« – schrieb Radhi gleich zurück.

So legte ich mich wieder hin und machte glücklich die Augen zu. Um 7:55 Uhr riss mich das Klopfen an der Tür gnadenlos aus dem Tiefschlaf. Radhi und Mahfoudh standen an der Tür und hielten strahlend das Frühstück in der Hand. Ich – halb im Schlaf – zeigte meine große Freude über diesen unerwartet frühen Besuch…

Immerhin fing der Tag dann dafür früh an. Wir fuhren aus der Stadt zum Teich und verbrachten dort ein paar nette Stunden im Schatten auf einem Riesenteppich, der erneut aus dem Kofferraum eines kleinen Toyotas samt Kissen gezaubert wurde.

Am Nachmittag wollten die Jungs mich wieder abholen, um irgendwohin zu fahren. Wir haben 14:00 Uhr vereinbart. Bis dahin wollte ich im Hotelzimmer bleiben, um an meinen Fotos zu arbeiten.

Um 19:00 Uhr: Klopfen an der Tür. Radhi kam mit „etwas“ Verspätung an, um mich abzuholen. Er war alleine und ohne Auto, weil Mahfoudh irgendwas anderes erledigen musste und keine Zeit hatte.

Nun war die große Frage, wo werden wir denn hinfahren. Ich stellte mir vor: er will mich bestimmt einem breiteren Freundeskreis vorstellen. Oder noch schöner: vielleicht fahren wir zu Radhi nach Hause, um die Familie kennen zu lernen? Wir nahmen mein Moped, weil ja Mahfoudh mit seinem Auto nicht da war. War ja auch kein Problem. Wir stiegen ein und fuhren los in die Dunkelheit. Unterwegs stellte ich mir noch vor, wie der Besuch bei der Familie ablaufen wird: Ich komme an und werde wahrscheinlich dann ins Haus gebeten. Die Familie wird mich freundlich begrüßen, eine Schwester von Radhi – wenn es die gibt – wird Tee vorbereiten. Sein älterer Brüder – falls es den gibt – wird ein paar qualifizierte Fragen zum Motorrad stellen. Ich werde dann über meine bisherige Reise erzählen, und darüber, was mir in Mauretanien am besten gefällt. Der Familienvater wird freundlich lächeln und mir die Hand schütteln. Wir verbringen einen netten Abend zusammen. Ich werde mit ein paar hilflosen Vokabeln auf Arabisch die Leute zum Lachen bringen. Dann erzählen sie mir wie sie sich freuen, dass ein Fremder ihre Heimat besucht und wir werden ein Gruppenfoto machen.

Meine Träumereien wurden unterbrochen als ich feststellte, dass wir die Stadt verließen und in vollkommener Dunkelheit Richtung Wüste fahren. Dies bereitete mir noch keine Sorgen, denn »gegebenenfalls ist das Familienanwesen irgendwo außerhalb der Stadt« – tröstete ich mich. 20 Minuten später fuhren wir immer noch. Radhi machte keine Anstalten mir zu sagen, wie lange es noch dauern wird. Plötzlich sahen wir Lichter. Es war aber kein Haus mit schönem Garten sondern eine Polizeikontrolle. Ok, diese kannte ich schon von unserem Ausflug am Vormittag. Die Polizisten wollten erneut alles über mich wissen. Und diesmal war das sogar etwas lustig. Es gab den – wie ich dachte – Polizisten, der das Kommando hatte und Fragen stellte sowie einen, der alles protokollierte. Das Gespräch verlief in drei Sprachen, Arabisch, Französisch und etwas Englisch – alles durcheinander gemischt:

»Beruf?« – fragte der Kommandant.

»Event Manager« – antwortete ich, um keine Nachfragen zu provozieren. Ich erzähle nie, dass ich Fotograf bin, weil die mich sonst mit weiteren Fragen bohren könnten: Wieso? Wofür? Wozu? Etc.

»Journalist?« – fragte der Kommandant nach. Der Protokollant erhob auch sein Blick.

»Nein, Manager – ich organisiere Konferenzen in Deutschland« – fügte ich zu, um alles klar zu machen.

»Ok, schreib Journalist« – sagte der Kommandant zum Protokollanten, was der dann auch gleich tat. Ich protestierte nicht mehr. Die Frage nach meiner Tätigkeit schien somit geklärt zu sein: »Wenn sie mit Journalisten keine Probleme hier haben – umso besser.«

Nach der Kontrolle bestiegen das Moped und fuhren los. »Bitte umdrehen« – sagte dann Radhi gleich zu mir. »Wie bitte?« – schaute ich unglaublich zu ihm auf. »Ja, ja – fahr bitte zurück.« Ich dachte noch: »Ok, vielleicht sind wir schon da und mussten noch die Polizeikontrolle absolvieren.« Aber leider doch nicht. Wir fuhren wieder den ganzen weg zurück zu meinem Hotel. Es ergab sich dann später: der Vater von Radhi ist Polizeichef in Kiffa und bat seinen Sohn darum, mich von der Polizei kontrollieren zu lassen. Auch ok. Immerhin erkannten mich die Polizisten am nächsten Morgen als ich vorbeifuhr und wollten mich nicht mehr (zum dritten Mal) kontrollieren.

Radhi und Mahfoudh verabschiedeten mich am nächsten Morgen und zeigten wieder die unglaubliche Gastfreundschaft von Mauretanien: sie versorgten mich mit Essen, Wasser, zahlten gar meine Hotelrechnung! Einfach unglaublich…

Nach 300km Fahrt wieder in einer weit über 40°-Hitze kam ich an die Grenze. Ich war ausgerechnet da, als ein Sandsturm heranzog. Ein krasses Erlebnis! Alles was lebt, versteckt sich und macht die Türen zu. Alles was nicht viel Gewicht hat und nicht fest fixiert wurde, fliegt davon. Mein Pech und Glück gleichzeitig war, dass der „Beamte mit dem Stempel“ nicht da war und ich dann knapp zwei Stunden an der Grenze warten musste (durfte). Ich erfuhr aber wiedermal die unglaubliche mauretanische Gastfreundschaft: die Polizisten nahmen mich in ihre Räume auf, gaben mir Essen und Wasser. Es gab dort keine Stühle zum Sitzen, dafür aber Matratzen zum Liegen. Ich durfte gar mein Motorrad vor dem Sandsturm direkt unterm Dach verstecken. Zwei Stunden später kam der „Stempel-Beamte“ und ich durfte nach Mali weiterfahren…

In Summe: in Mauretanien konnte ich zwar keine baulichen Meisterwerke betrachten (vielleicht gibt es die tatsächlich), aber ich habe wunderbare, herzliche Menschen kennen gelernt, die sich stets darum bemühten, dass es mir bestens ging. Die Mauretanier sind für mich der wahre Schatz von Mauretanien.

Planänderung

Um so wenig wie möglich Grenzübergänge und somit weniger Bürokratie auf mich nehmen zu müssen, sowie den Zeitplan etwas aufzuholen, plante ich ursprünglich einen kürzeren Weg: von Mauretanien nach Mali durch Burkina Faso und schließlich nach Benin, wo ich ein paar Tage länger bleiben wollte. 

Nun ergab sie die Reise nach Burkina als „bad idea“. Es erreichten mich immer wieder Neuigkeiten, die mich nachdenklich machten. Burkina Faso scheint „not the place to be right now“ zu sein – schrieb mir Chloe von der FB-Gruppe „West Africa Travellers“. Die Mitglieder der Whatsapp-Gruppe „Africa by moto“ konnten mir auch nur einen Rat geben: Ich solle die UN-Mission in Bamako aufsuchen und dort nach einem sicheren Weg fragen. Auch das deutsche Außenministerium empfiehlt mit Vorsicht, nicht nach Burkina Faso zu reisen: 

In allen Grenzregionen ist eine hohe Zunahme von terroristischen und kriminellen Aktivitäten zu verzeichnen. Entsprechend wird generell auch davon abgeraten, auf dem Landweg nach Burkina Faso einzureisen. Des Weiteren raten wir dringend von Reisen nördlich der Linie Koupela-Ouagadougou-Toma sowie westlich der Linie Toma-Dédougou-Bobo Dioulasso-Banfora ab.

Mehrfach wurden auch westliche Ausländer Opfer von offensichtlich gezielten Entführungen, wie im Dezember 2018, im Januar 2019 und zuletzt im Mai 2019 im Pendjari-Nationalpark auf beninischer Seite im Grenzgebiet mit anschließender Verschleppung nach Burkina Faso.

Da mir die oben erwähnten Orte aus meiner Routenplanung bekannt vorkamen, entschied ich mich auf Burkina zu verzichten. Die Familie und meine Freundin, sie alle atmeten tief auf. Nun war die einzige Alternative zu dieser Route, von Mali nach Cote d‘Ivoire, Ghana, Togo und Benin zu fahren. Blöderweise hatte ich die Visa für Mali und Burkina bereits. Für die neue Strecke natürlich nicht. 

Eine kurze Recherche ergab, dass ein Honorarkonsul von Côte d‘Ivoire in Nouakchott residiert. Aber ein Honorarkonsul? Kann er was? Es ist eher ein Amt für repräsentative Zwecke – dachte ich. Es schadet aber nicht, mal anzuklopfen und zu fragen. So fuhren wir los, Hachim und ich, um dem Konsul einen Besuch abzustatten. Ich war froh, dass Hachim dabei war, zur Not könnte er dann übersetzen, wenn ich mit Englisch nicht weiter kommen sollte. Wir klopften an und eine massive Tür wurde uns geöffnet. Wir wurden ins Sekretariat gebeten, wo eine junge Sekretärin in einem schicken gelben Kleidchen saß und mit ihrem Handy spielte. Hachim erklärte kurz, was wir wollten. 

Die Sekretärin erhob kurz ihren Blick zu uns: 

»Ja, das ginge schon, nur der Konsul ist nicht da.« 

Danach widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Smartphone und teilte uns mit: »Wir sollen ihn dann anrufen, um zu erfahren, wann er kommt.« – Ich hob die Augenbrauen hoch. 

Hachim war aber schon am Handy und im Begriff den Konsul tatsächlich direkt anzurufen. Die Nummer nahm er einfach von der Website des Konsulats. Als sich der Konsul meldete, übergab Hachim der Sekretärin das Smartphone und sagte zu ihr: 

»Er ist dran, klären Sie das.« Und Wunder geschehen: der Konsul werde bald eintreffen und sich um die Angelegenheit kümmern. 

Nach einer Stunde war es so weit. Es wurde uns mitgeteilt, dass der Konsul uns erwartet. Wir gingen rein und sahen einen älteren Herren hinter einem Berg an Unterlagen, Mappen, Dokumenten und Fotos am Schreibtisch sitzen. Neben dem Schreibtisch stand ein Gewehr – vermutlich nicht als Deko gedacht. »Ob das gut gehen wird?« – fragte ich mich noch.

Der Herr lächelte uns aber sehr freundlich an und lud uns ein, Platz zu nehmen. Hachim begann dann auf Französisch zu erklären, was wir wollen, wo ich herkomme und ob der Konsul mit mir in Englisch sprechen könne, weil ich leider kein Französisch spreche. 

»Wieso Englisch? Kann er kein Deutsch?« – warf der Konsul auf Englisch. Hachim und ich schauten uns kurz erstaunt an. 

Dann sagte ich auf Deutsch: »Doch, doch – das kann ich natürlich. Sprechen Sie Deutsch?

»Ja, ein bisschen schon« – antwortete der Konsul auf Deutsch, aber das klang schon verdächtig gut! 

»Woher kommen Sie?« – fragte mich der Konsul weiter. 

»Baden-Baden« – antwortete ich vorsichtig.

»Ich bin aus Hannover« – sagte der Konsul und ich machte große Augen! 

Dann fiel mir auf, dass bei ihm im Büro ein Hannover96-Emblem an der Wand hängte! Wow, wie klein die Welt doch ist! 

In seinem Büro hingen überall alte Fotos! Mal er mit dem ersten mauretanischen Präsidenten, mal mit dem ivorischen Präsidenten und noch mit anderen hohen Politikern, die allesamt ihre Karrieren sicherlich schon in den 60-70ern beendet hatten. 

Er erzählte viel über die alten Zeiten der Gründung afrikanischer Staaten, der Euphorie über die Erlangung der Unabhängigkeit durch die westafrikanischen Länder usw. 

Er suchte dann eine Weile lang in seinen Unterlagen. Diese kam uns schon sehr lange vor, aber wir warteten geduldig und weiterhin schweigend. Ich dachte: 

»Ok, er sucht bestimmt irgendwelche Antragsformulare für meinen Visumantrag. Ist ja auch kein Problem. Er ist svhon ein älterer Herr und braucht Zeit. Wahrscheinlich kommt nicht jeden Tag ein Europäer und stellt bei ihm einen solchen Antrag.« 

Dann – nach ca. 30-40 Minuten, vorsichtig geschätzt – fand er, was er suchte! Es waren nicht die Antragsformulare, nicht die Instruktion, wie man ein Visum ausstellt und auch nicht die Preisliste mit den Visumgebühren. Es waren seine alten Fotos aus Hannover! Ich glaube, just in diesem Moment hatte ich meinen Mund breit geöffnet. Ich weiß nicht mehr, was mich mehr erstaunte: dass er jetzt doch keine Unterlagen suchte oder die Tatsache, dass ich aus den Fotos erfuhr, dass der ivorische Honorarkonsul, Monsieur Tidiane Diagana, in der Bundesliga bei Hannover 96 spielte, und zwar in 1965! Ich sah ihn als jungen Mann in Gesellschaft von seinem damaligen Trainer und anderen Spielern. Mir verschlug es die Sprache! Er erzählte von seiner Ankunft in Deutschland und über seine spätere politische Karriere in Afrika. Er zeigte uns noch mehr Fotos von ihm zusammen mit den afrikanischen Politikern von damals. 

Wir verbrachten gute drei Stunden im Konsulat. Davon entfielen wahrscheinlich zwanzig Minuten für meinen Visumantrag. Das Visum stempelte mir Monsieur Diagana dann direkt und höchstpersönlich in meinen Reisepass rein. Die Visumgebühr musste ich trotzdem bezahlen. Ich hoffte insgeheim, dass mir die Gebühren erspart blieben – schließlich war ich ja ein guter Zuhörer und sicherlich auch ein interessanter Ansprechpartner! Am Ende war ich aber natürlich nicht enttäuscht, sie doch zahlen zu müssen. Die Begegnung war so überraschend und spannend, dass ich wahrscheinlich am Ende jede Gebühr entrichtet hätte, selbst für diese unerwartete Begegnung. 

Nachtrag am 13. Oktober 2019: In Burkina Faso krachte es mal wieder. Gestern sind bei einem Anschlag in der Hauptstadt 15 Menschen ums Leben gekommen. Dieses Land kommt nicht zur Ruhe… 

„I am sorry Sir, I have no fish“

Sobald ich in Mauretanien ankam, kamen die ersten Kontrollposten der Polizei. Da ich in Marokko nur Gutes von der Polizei erfahren hatte, erwartete ich auch in Mauretanien keine Schwierigkeiten: bisschen quatschen, lächeln, das Moped erklären und weiterfahren. In der Tat sind auch hier die Polizisten nett und neugierig. Wenn sie einen in Mitten der Wüste stoppen, wollen sie sich ja auch unterhalten. 

Der einzige Unterschied zu Marokko besteht darin, dass sie von den Ausländern „fish“ verlangen. Jedes Mal wenn du gestoppt wirst, wirst auch nach dem „fish“ gefragt. Beim allerersten Mal machte ich große Augen. Die erste Frage war gleich:

»Fish?« 

»What?« – schaute ich verdutzt.

»Sorry Sir, what do you mean? What fish?« 

»Fish!« 

Wir kamen nicht weiter. Am Ende gab er mir ein Stück Papier und lies mich aufschreiben, wie ich heiße, wo ich herkomme, wo ich hinfahre, Nationalität, Marke des Motorrads, Reisepassnummer und so weiter. 

»This is „FISH“« – sagte er und deutete mit dem Finger auf den Zettel. 

Er meinte natürlich das französische „fiche“ für „Blattpapier“. Das Missverständnis war somit aufgelöst. 

Später musste ich noch unzählige Male anhalten und wurde jedes Mal nach dem „Fish“ gefragt. Hast Du keinen? Dann musst du an die Straßenseite fahren, dein Reisepass rausholen, Fragen beantworten, manchmal selbst per Hand alles auf Papier aufschreiben. Man kann ja schlecht den Verkehr dadurch beeinflussen und noch weniger einen Stau verursachen. Es dauert trotzdem ein paar Minuten bis du weiterfahren darfst. So habe ich jetzt in Nouakchott ein Papier erstellt und musste nur ein Copyshop finden, wo ich die Infos in fünfzigfacher Ausfertigung ausdrucken lassen konnte. Das müsste dann bis an die Grenze zur Mali ausreichen. 

Mauretania – hier beginnt Afrika

Die Überquerung der Grenze zwischen Marokko und Mauretanien bietet alle möglichen Attraktionen. In meinem Fall sogar noch eine zusätzliche: die Sorge, ob ich mich von meiner Drohne verabschieden musste. Bei der Anreise verlief alles zu meiner vollsten Zufriedenheit. Jetzt wartete die Ausreise auf mich… Zitternd näherte ich mich der Grenze. 

Es begrüßten mich etliche Passkontrollen, bevor ich überhaupt die Grenze erreichte. Irgendwann war es dann mal so weit. Ich stoppte kurz an dem Übergang in der Hoffnung, richtig zu stehen. Nein, leider falsch – es war der Zoll. Ich musste doch zuerst zur Grenzpolizei, den Reisepass abstempeln lassen. Ok, also wenden. Ich fuhr zwischen den LKWs auf die andere Seite des Grenzpostens. Leider auch falsch. Ich wurde darauf hingewiesen, dass zwar hier der richtige Schalter für die Passkontrolle sei, aber ich musste wieder zurück auf die andere Seite und dort parken. Ich näherte mich einer Gruppe der LKW-Fahrern, die an dem Schalter schon standen, um ihre Ausreisestempel abzuholen. Sie nahmen mir gleich meinen Pass ab und steckten ihn ganz unten in den Passstapel, der auf die Bearbeitung wartete. Nach blitzschnellen 30 Minuten kriegte ich meinen bestempelten Reisepass zurück und durfte dann… zum verdammten Zoll. 

Mit breitem Lächeln und positivem Gedankengut im Kopf kam ich an, stieg vom Moped ab und händigte dem Zollbeamten mit Stolz meinen Reisepass aus. Es erhoben sich gleich zwei von ihren Stühlen. Guter Zollbeamter und böser Zollbeamter – dachte ich. In der Tat: der eine mit einem Blick, als ob er bereit wäre, mich bis auf die Unterhose zu durchsuchen, der andere – nett, lächelnd. Nun begann die Prozedur:

»Öffnen Sie die Koffer und die Taschen« – warf der Böse mir zu.

»Alle?« – ich machte große Augen

»Ja, alle bitte« – antwortete der Nette. »Es wird nicht lange dauern« – ergänzte er noch fröhlich.

»Aber selbstverständlich« – erwiderte ich ebenso fröhlich und begann an den ganzen Schlössern, festgebundenen Flaschen, Spanngurten und allem was ich noch dabei hatte, zu fummeln. 

»Sir, ich bitte um Verzeihung, dass es so lange dauert. Das Motorradfahren ist sehr anstrengend« – warf ich noch zwischendurch, um den Beamten die Wartezeit zu füllen. 

»Ja, nehmen Sie sich Zeit« – antwortete der Nette.

»Haben Sie eine Drohne dabei?« – warf mir der Böse wie aus dem Nichts zu.

»Nein, habe ich nicht« – schaute ich ihm in die Augen und log direkt ins Gesicht. 

Scheinbar hatte er mir das tatsächlich abgekauft. Der Nette schaute noch kurz in meine Taschen rein. Fragte nach irgendwas, was das sei. Ich zog es heraus und erklärte, es sei ein Solarladegerät. Gleich nutzte ich die Gelegenheit, ihm die Funktionsweise zu erklären. Wir waren ja an der falschen Tasche und ich versuchte ihn so auch vom Weitersuchen abzulenken. Der Böse sagte dann, dass alles in Ordnung sei. Ich darf das Zeug wieder zusammenpacken. Ich entschuldigte mich noch, dass dies jetzt wieder lange dauern werde, damit er nicht doch auf die Idee käme, in die letzte Box reinzuschauen – die dann für mich ein gewisses Verlustrisiko mit sich gebracht hätte. 

So schaffte ich es, mich mal wieder als Schmuggler zu beweisen. Ich fuhr davon und lächelte innerlich sehr breit. Später kamen noch weitere Pass-Kontrollen, die ich aber mit größtem Vergnügen absolvierte. 

Nun war ich auf dem Weg nach Mauretanien. Ich hatte noch kein Visum und war gespannt, wie das jetzt alles weiter ging. 

Bevor man Mauretanien erreicht, muss noch ein Stück des „No-Mans-Land“ bewältigt werden. Am Anfang ist es noch asphaltiert und es stehen unendlich viele Trucks da, die nach Marokko einreisen wollen. Nach ca. einem Kilometer beginnt aber die Wildnis. Es gibt keinen Weg, keine Straße, einfach nur ein Stück Wüste, die du passieren musst. Mit allen möglichen Attraktionen: Sand, Felsen, Steine und einem Auto-Friedhof. Dort fanden Autos ihre letzte Ruhestätte, für die ihre Eigentümer keine Zollgebühren zahlen wollten. Die liegen einfach nur da und vergammeln in der Sonne. 

Nach langem Kampf (gekrönt mit einem kleinen Sturz im Sand) erreichte ich das Tor zu Mauretanien. Kaum angekommen wurde ich gleich in Empfang genommen. Es gibt Scharren von sog. Fixern, d.h. Grenzhelfern, die dich für eine kleine Gebühr an die Hand nehmen und dir alles zeigen, wo du hin musst und in welcher Reihenfolge. Ich las schon im Voraus darüber und dass man die Leute eigentlich nicht braucht. Man kriege schon alles selbst geregelt. So wehrte ich mich vor dieser Scharr an Gutmenschen, die einem Ausländer das Leben erleichtern wollten. Leider nicht ganz erfolgreich. Ich fiel Ahmeida Ould Bezeid zum Opfer. Er war super hartnäckig, trotzdem stets höflich und nett. Ich erklärte unzählige Male, dass ich alles selbst erledigen möchte und kein Geld für ihn habe. Er ließ nicht locker. Er packte mich an der Hand und zog mich von einem Posten zum anderen. Da er so sympathisch auftrat und den Anschein erweckte, dass er gerade in diesem Moment mein bester Freund war, folgte ich ihm. 

Wir gingen zuerst zu einen Grenzbeamten/Polizisten, der nur eine Aufgabe hatte: alle Neuankömmlinge in ein dickes Heft per Hand einzutragen. Nebenbei telefonierte er noch laut und ließ sich Zeit. Später ging es um das Visum. Ahmeida griff wieder meine hilflose Hand, zog mich zu einer weiteren Tür, ließ mich davor warten, nahm mein Reisepass und verschwand dahinter. Diese Stahl-Tür erschien mir wie ein geheimer Eingang zu einem dunklen Tunnel, an dessen Ende ganz viele mysteriöse vermummte Gestalten auf die nichts ahnenden ausländischen Touristen warteten, um sie dann auf eine gnadenlose Art und Weise zu durchsuchen, auszufragen und in den Extremfällen auszupeitschen und wegzusperren. Diese Tür hatte keine Klinke, lediglich gab es ein Loch in der Wand an der Stelle, wo das Schloss in den Türrahmen geschoben werden sollte. So steckte Ahmeida sein Zeigefinger in dieses Loch rein, schob das Schloss in die Tür und ging rein. Die Tür klaffte hinter ihm zu. Ein anderer Reisender, der gleich hinterher wollte, stand einfach verdutzt davor und glotzte die Schlossvorrichtung an, ohne den Mut aufzubringen, herein zu gehen. Er klopfte dann noch einige Male, gab schließlich auf und setzte sich zu den anderen Wartenden. 

Nach einer mir erscheinenden Ewigkeit (es waren eigentlich nur 30 Minuten), kam Ahmeida schließlich heraus und bat mich ihm zu folgen. Ich war so gespannt darauf, was für ein Labyrinth von Korridorren und Zellen sich dahinter versteckte! Und dann: es war einfach nur ein Büroraum, ca. 20m2 groß. An zwei Tischen saßen zwei in Arbeit vertiefte Beamten, an die Wänden gelehnt standen ein paar Leute, vielleicht um die acht oder zehn, die auf die Bearbeitung ihrer Visumanträge warteten. Ahmeida schien da richtig gut vernetzt zu sein, denn sein Kunde – ich – erhielt den einzigen Stuhl im „Wartebereich“. Ich setzte mich direkt gegenüber den – wie mir erschien – wichtigeren Beamten hin. Er trug ein weißes Hemd und Krawatte, was eigentlich überhaupt nicht zum Rest der Büroausstattung passte. Immerhin war das Büro mit Computern ausgestattet. Es war nicht die neueste Technologie, aber alles schien zu funktionieren. Dies wiederum war echt ein Wunder, weil alle Gerätschaften mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Kabel lagen überall im Raum herum, aus der Wand hing eine kaputte Steckdose. Die Wände wurden wahrscheinlich im ersten Jahr der Unabhängigkeit Mauretaniens gestrichen. Seitdem haben Generationen von Beamten in diesem Büro gearbeitet, jede zweite erhielt dann eine neue technische Ausstattung, der Raum blieb aber unverändert. 

Nun saß ich da und bestaunte die Vorrichtung. Nach einer halben Stunde bemerkte mich der Kerl mit der Krawatte. Auch kein Wunder – ich saß etwas ungünstig: seine Sicht auf mich war durch sein Bildschirm gesperrt. Dazu kam noch, dass mein Stuhl etwas tiefgelegt war, wahrscheinlich damit der Beamte auf seine Kundschaft von oben herab schauen und sie mit seinen Blicken einschüchtern konnte. Nun sah er mich auf ein Mal, etwas verwundert, dass da jemand wartete. Er bat mich um meine Fingerabdrücke, die ich dann auf einem professionellen Scanner abgab. Dann schaute ich tief in eine Webcam, um das Foto fürs Visum machen zu lassen. Später ergab sich dieses Foto als schwarzer Fleck auf dem Visumaufkleber. Ich zahlte 55 Euro für das Visum, denn bezahlen in Lokalwährung geht anscheinend nicht. Ich vermute, dass der Staat der eigenen Währung nicht vertraut oder nutzt die Touristen als Einnahmequelle für die härteren Währungen. Oder beides.

Mit dem Visum im Reisepass ging es dann weiter: zum Zoll, um 10 Euro für irgendein Stück Papier zu zahlen. Der Zollbeamte schaute zunächst grimmig, kannte aber meinen Ahmeida natürlich sehr gut. Und Ahmeida war auch sehr fürsorglich und stets zu Diensten. Er hielt ihm gar sein eigenes Handy als Taschenlampe hin, denn es war stockfinster in dem Raum. Die einzige natürliche Lichtquelle war die halb offene Eingangstür. 

Dann ging es weiter zur Grenzpolizei, Einreisestempel abholen. Leider kein Polizist da. Ahmeida ging auf die Suche und fand einen, der willig war, meinen Pass abzustempeln. Dennoch war die Odyssee noch nicht am Ende. Noch war die Einreiseschranke – eine tief hängende Kette – nicht offen. Wieder mal ging Ahmeida zu dem Wachposten, sie umarmten sich herzlich, sprachen eine Weile und Ahmeida machte mir dann die Schranke auf. Wohl bemerkt – nicht der Grenzpolizist. 

Anschließend wurde mir noch die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Versicherung erklärt, denn im Falle einer Polizeikontrolle könne ich große Schwierigkeiten bekommen. Weitere 10 Euro weg. 

Am Ende dauerte die ganze Prozedur über drei Stunden, vielleicht vier. Bezüglich Ahmeida hatte ich dann auch gemischte Gefühle. Er half mir in der Tat sehr. Ohne ihn hätte die Prozedur sicherlich länger gedauert. Ich hätte mich überall durchfragen müssen, wahrscheinlich hätte mich dann ein anderer „Fixer“ belästigt. Es war auch interessant zu sehen, wie mein Fixer an der Grenze gut „vernetzt“ ist. Ich wette meinen ganzen saharischen Wasservorrat darauf, dass er die Beamten dort schmiert. Im Interesse beider Parteien (den Fixern und den Beamten), gibt es dort keine Hinweisschilder, nichts was einem Reisenden die Grenzüberquerung erleichtern könnte. Ich habe Verständnis für die offiziellen Prozeduren, Visumgebühren, Zollvorschriften. Ich habe aber Bauchschmerzen bei korrupten Vorgängen, insbesondere wenn das zum Standard wurde. Ich habe Ahmeida die 10 Euro am Ende bezahlt. Er war ein sympathischer Kerl. Ich wage sogar zu behaupten, dass er mir geholfen hätte, auch wenn ich ihm nichts bezahlt hätte. Er opferte für mich drei Stunden seiner Zeit. Ich dachte, die 10€ hatte er sich verdient. 

Jetzt bin ich etwas erfahrener, was die Grenzüberquerungen anbetrifft. Man muss einfach überall hereinschauen und alle möglichen Uniformierten mit Fragen löchern. Wenn du kurz zögerst, kommt gleich ein „Helfer“. Und wenn du Pech hast, triffst Du einen, der dir vielleicht nicht nur helfen will. 

Willkommen in Afrika – dachte ich und fuhr nach Nouadhibou. Nach 1000 Metern kam die erste Polizeikontrolle.

Die letzte Etappe in Marokko/Westsahara

Nach meinem Offroad-Abenteuer bei Toudra und Dades schwor ich mir, nie wieder Offroad! Ich will doch nicht ganz am Anfang meiner Reise das Moped kaputt machen. Dieses Vorhaben ergab sich aber gleich am nächsten Tag als nicht realisierbar. Ich entschied mich den Weg von Ouarzazate nach Taznakht über die Straße P1507 zu nehmen. Eine Alternative wäre eine 200 km lange Umfahrung. Ermutigt durch meinen russischen Motorrad-Freund Alex, nahm ich dann diese Strecke. Denn unterwegs sollte die berühmte Oase Fint liegen, die schon für diverse Hollywoodproduktionen als Kulisse diente. Die Straße war tatsächlich in Ordnung. So fuhr ich seelenruhig 80 kmh und bestaunte die Gegend. Ich fühlte die Offroad-Wiedergutmachung. Das Glück wurde dann kurz unterbrochen, als ich den Abstecher nach Fint machen wollte. Die Zufahrtsstraße war mehr als renovierungsbedürftig und ich steckte nach ein paar Metern im Sand fest. Dank des Oasen-Wächters (keine Ahnung, was sein Aufgabenspektrum umfasst) konnte ich mich dennoch befreien, machte noch ein Erinnerungsfoto und verschwand zurück auf die gute Straße.

Über die Straßen in Marokko lässt sich viel sagen. Es gibt alles, was man begehrt und hasst: von einer neu asphaltierten Straße in Top-Zustand über alte löchrige Wege bis hin zu  „theoretisch befahrbaren“ Wegen in ausgetrockneten Flussbetten, die nicht mal den Namen Weg verdienen. So dachte zumindest, als ich noch in Marokko unterwegs war. Ich schreibe diese Zeilen aus Mauretanien und meine Meinung hat sich gerade kategorisch geändert: Marokko‘s Straßen sind exzellent! Alles Frage der Perspektive… Doch aber vom Anfang an.

Eine große Besonderheit in Marokko, wenn man mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs ist, sind die sehr häufigen Polizeikontrollposten. Im Landesinnere von Marokko wurde ich immer durchgewinkt. Die Lage änderte sich, als ich Richtung Süden fuhr. Kurz vor der (in der Wirklichkeit nicht existierenden) Grenze zwischen Marokko und Westsahara fangen die intensiven Kontrollen an. Die ersten zwei waren eigentlich nicht ganz ernsthaft gemeint. Ich wurde angehalten, weil sich ein Polizist langweilte und zeigen wollte, dass er Spanisch spricht. Sein Polizeikollege war dann auch richtig angetan, dies zu erfahren. Der Zweite hielt mich an, nur weil er das Motorrad sah und selbst ein BMW-Fan sei. Wir unterhielten uns ein paar Minuten über die neuesten BMW-Modelle. Er kannte sich aus! Dennoch keiner von beiden Beamten wollte meine Dokumente sehen. 

Am nächsten Tag liefen die Prozeduren schon etwas anders. Ich konnte kaum erwarten, was die Polizisten mich alles fragen möchten. Ich kam auch endlich in Westsahara an und von nun an waren die Kontrollen auch zum Kontrollieren da. In den meisten Fällen musste ich meinen Reisepass zeigen, meinen Beruf erklären, die Nationalität mitteilen und über sonstiges informieren: wo ich in Marokko einreiste, Marke und Typ des Motorrads, wo ich übernachtete und wo meine Reise weiterführen würde. Nach dem zehnten Mal konnte ich das dann auch fließend auf Französisch sagen. Wäre ich noch weitere zwei Wochen in Marokko unterwegs gewesen, wäre ich sicherlich in der Lage, dies auch auf Arabisch wiederzugeben. Trotzdem verlief jede Kontrolle etwas anders. Es gab streng aussehende Beamte und super coole Typen. Manche waren entzückt, jemanden aus Deutschland zu treffen, einige erbost, weil sie sich mit mir nicht in Französisch unterhalten konnten. Ich habe von Polizisten Weintrauben und Kekse bekommen. Es gab sogar einen, der sich entschuldigte, mich gestoppt zu haben. Obwohl ich dadurch Zeit verlor, empfand ich diese Pausen als eine willkommene Abwechslung zur flachen und etwas öden Wüstenlandschaft. Ich muss echt sagen: alle Polizisten waren super korrekt und einige noch sehr nett dazu. Ob sie mich dann auf französisch was böses oder freches fragten, z.B. „Kannst du mir deine Uhr geben?“, das kann ich aufgrund meiner Französisch-Kenntnisse nicht beurteilen.

Neben Polizei waren auch sehr viele Armee-Stützpunkte unterwegs in Westsahara zu sehen. Verständlich, aufgrund des noch nicht beigelegten Konflikts. Nach dem die Kolonialmacht Spanien aus Westsahara 1975 abzog, marschierten die marokkanischen Soldaten auf Befehl des Königs ein und annektierten einen Großteil des Territoriums. 1991 wurde ein Waffenstillstand vereinbart und die Befreiungsfront des sahrauischen Volkes, die sog. Frente Polisario, kontrolliert seitdem einen schmalen Streifen im Osten des Landes. Die Vereinten Nationen verlangen die Durchführung eines Referendums, um das Volk über den endgültigen völkerrechtlichen Status des Gebiets entscheiden zu lassen. Bisher konnte keine Einigkeit erzielt werden. Die Gespräche scheitern an der Wahl der Referendum-Frage nach dem künftigen Status. Neben der Frage nach Integration mit Marokko oder Autonomie wollen die Sahrauis ebenfalls die Ergänzung um die Frage nach einer vollständigen Unabhängigkeit. Damit ist aber Marokko nicht einverstanden. Auf dem besetzten Gebiet werden dafür Tatsachen geschaffen. Marokko investiert massiv in die Infrastruktur, baut Windparks und betreibt eine aktive Siedlungspolitik. Vergebens suchst du irgendwelche Zeichen, dass du in einem Gebiet mit Sonderstatus bist. Unterwegs sah ich immer wieder riesige marokkanische Flaggen und in öffentlichen Einrichtungen, Hotels nicht weniger große Portraits des Königs. 

Meine Erzählung über die letzten Tage in Südmarokko, bzw. Westsahara wäre nicht vollständig, wenn ich nicht noch paar Worte über die Städtchen erzählen würde, die mich empfangen haben und ziemlich sonderbare Hotels anboten. Das Erste war Boujdour. Ich las eine kurze Rezension über das Hotel Jawhara auf iOverlander und freute mich über den niedrigen Preis: 100 Dirham, ca. 10 Euro. Ein Biker erwähnte auch, dass man das Moped sicher unterbringen kann.

Und tatsächlich: mein Motorrad erhielt ein Parkplatz im stillgelegten Hotel-Restaurant auf einem Teppich! Was für ein Luxus! Wie großartig müsste dann mein Zimmer aussehen! – dachte ich noch. 

Das Zimmer sah auf den ersten Blick zwar nicht außerordentlich schön aus, eher bescheiden: mit zwei Einzelbetten, das Zimmer zwar ohne Fenster aber mit einem Schrank, einer Kommode und sehr wichtig: eigenem Badezimmer mit Dusche! Der Hotelbesitzer zeigte mir alles und reparierte noch schnell in meiner Anwesenheit die Dusche: er schraubte den Duschkopf an den Schlauch wieder dran und lächelte verlegen. Dann wünschte er mir einen schönen Aufenthalt und verschwand. 

Normalerweise müsste man sich dann nach einem langen Tag ins Bett legen und mindestens ein Stündchen von der Fahrt erholen. Die Dusche ließ mich aber nicht in Ruhe. Warum lag der Duschkopf neben dem Schlauch? Ein Gast vor mir musste wahrscheinlich die Wahl getroffen haben: lieber ohne Duschkopf als mit einem kaputten. Ich checkte selbst die Vorrichtung. Mir kam ein richtiger Spritzer entgegen! Der Duschkopf sprang aus der Halterung und ich wurde naß. Ok – dachte ich – lieber Hotelbesitzer, das hast Du alles bestimmt mit Absicht gemacht und dachtest, ich werde mich mit damit abfinden, wie der Gast zuvor, und mit dem Schlauch in der Hand duschen. Zugegeben, ich erwog auch diese Option, verwarf sie jedoch. Ich werde Dich mal in Bewegung setzen, Du fauler Sack – dachte ich und ging zur Rezeption. Ich musste es nicht lange erklären, worin mein Problem bestand. Der Typ nahm gleich vier andere Zimmerschlüssel in die Hand und wir gingen auf die Suche nach Ersatzteilen für meine Dusche. In einem Zimmer fanden wir einen neuen Duschkopf, im anderen eine Dichtung. Alles zusammen ergab bei mir im Bad eine tatsächlich einwandfrei funktionierende Dusche. 

Berauscht durch den Erfolg und mein Durchsetzungsvermögen entschloss ich mich, mir das Zimmer genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Abwesenheit eines Fernsehers störte mich noch nie – also nicht der Rede wert. Die Kommode, die nur noch ein Viertel der Glastür besaß, war auch in Ordnung. Dass der Wasserhahn super langsam tropfte, war schon problematischer. Um die Zahnbürste nass zu machen, musste man sie ca. 2 Minuten drunter halten. Aber hey – ich habe jetzt eine tolle Dusche, die richtig gut funktionierte! 

Zurück im Schlafzimmer wollte ich noch den Kleiderschrank inspizieren. Die Bauweise ist schon besonders. Der Schrank entstand anscheinend zeitgleich mit dem Raum. Später montiert man halt nur die Schranktüren daran – und fertig. 

Ohne böses zu ahnen öffnete ich diese Schranktür. Ich blieb wie eingemauert stehen. Ich sah eine Riesenkakerlake auf dem oberen Regal! Die war so groß! Bestimmt so lang wie mein Mittelfinger. Sie bewegte ihre Antennen, die genauso lang waren, wie die selbst. Unsere Blicke trafen sich. Scheiße! – dachte ich. Das zählt schon als mittelgroßes Haustier, das ich gerade in seinem Domizil störte. Das Domizil war ja auch richtig eingerichtet. Überall lagen schwarze Kügelchen, deren Verwendung und Funktion ich nicht sofort erkennen konnte. Höchstwahrscheinlich war das der zu erwartende Nachwuchs, da ich auch in der Ecke eine weitere Monsterkakerlake sah. Ein Pärchen! Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich musste denen Namen vergeben! Kevin und Chantal erschienen mir passend. Chantal rührte sich nicht, Kevin schien neugieriger zu sein. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und kam in meine Richtung. Ich zuckte! Ist er jetzt sauer auf mich? Ich lass sie lieber in Ruhe. Ich nahm noch ein paar Fotos auf, um sie dann in der App hochzuladen und den anderen potentiellen Gästen nicht vorzuenthalten. Dann schloss ich die Tür. Das Knacken in der Spalte zwischen Schrank und Tür deutete daraufhin, dass sich Chantal doch bewegte und ihre neue Position sehr unglücklich auswählte. Kevin wurde zum Witwer. Und ich verbrachte die Nacht in meinem eigenen Schlafsack. 

Nach dieser Erfahrung wollte ich dann die nächste Nacht unbedingt in meinem eigenen Zelt auf einem Campingplatz verbringen. Das klappte leider doch nicht. Ich fuhr nach Dakhla ins Stadtzentrum und fand ein neues Hotel. Wieder entschied ich mich bei der Hotelwahl für das Kriterium der sicheren Unterbringung für mein Motorrad. Zumindest hatte ich so eine Sorge weniger. Im Hotelzimmer wird es schon irgendwie funktionieren. Einfach die Pobacken beim Duschen zusammenhalten – es wird schon nichts passieren. Das Hotel war aber teuer – ob sich das im Standard der Unterkunft wiederspiegelt? 200 Dirham, ca. 20 Euro wollte der Hotelbesitzer haben. Die nette Empfangsdame wäre wahrscheinlich geneigt mir entgegen zu kommen, durfte das aber nicht. Der Boss kam. Ich fragte, ob ich für 150 Dirham bleiben kann. Er meinte, dass er mir schon einen Sonderpreis anbot. Normalerweise koste das Zimmer 300 Dirham. Wir haben noch hin und her verhandelt und dank meiner Verhandlungstaktik durfte ich am Ende die ursprünglichen 200 Dirham bezahlen. Das Zimmer war aber im Vergleich zum Hotel in Boujdour das Geld wert. Doppelt so viel bezahlt – dafür zweimal kleinere Kakerlaken bekommen. Außerdem hatte ich ein Fenster und hinter dem Fenster eine Moschee mit Minarett! Cool – dachte ich – ich muss den Wecker nicht mehr einstellen!

Ich lief noch am selben Tag durch die Stadt. Dakhla ist unter den Kitesurfern ganz bekannt! Die wunderschöne Lagune liegt aber meilenweit vor der Stadt und hat eigene Hotel- und Camping-Infrastrukturen. Das Stadtzentrum ist – um es undiplomatisch auszudrucken – super hässlich. Bestimmt auch funktional, mit allen möglichen Geschäften, Restaurants und (jetzt ganz im Ernst) einem echt tollem Gemüse- und Fischmarkt. Ansonsten bietet sie leider weder architektonische Höhepunkte noch kann mit raffinierter Stadtparkgestaltung begeistern. Nett einmal da gewesen zu sein. 

Am nächsten Morgen wollte ich noch schnell eine Postkarte und Briefmarke holen. Der Erste spontane Gedanke: das Postamt müsste welche haben. Wie falsch. Ich fuhr hin, stellte mein Moped vorm Gebäude ab. Lächelte einen Soldaten an und fragte ihn in meinen Gedanken, ob er kurz auf meine Maschine aufpassen könnte. Er lächelte zurück! Alles klar – das Moped ist sicher. 

Auf der Post wurde mir schon geholfen. Nach einer ca. 10-minutigen Diskussion gelang es mir zu erklären, was ich wollte. Ein Angestellter kam mit mir raus und zeigte mit dem Finger auf ein Papierladen, ca. 100 Meter weiter, wo ich angeblich alles bekommen könnte, was ich brauche. Ich lief hin (dachte noch an den guten Soldaten, der über mein Moped wacht) und ging in das Geschäft rein. Dort konnte ich tatsächlich die Briefmarken bekommen! Leider wusste niemand, wie viel sie wert sein sollen. So nahm ich einfach zwei für insgesamt 8 Dirham. Postkarten kriegte ich keine. 

Also zurück zur Post. Es stellte sich heraus, dass ich für Europa eine Briefmarke im Wert von 9 Dirham brauche. Jetzt war die Post gezwungen, ihre Briefmarken-Tresore zu öffnen, um mir die richtige zu verkaufen! Eine Aufgabe geschafft. Aber wo kriege ich die Postkarte? Und bei allem Respekt, was soll die Postkarte in dieser Stadt bitte darstellen? Bis auf die Moschee und den Fischmarkt erschien mir nichts würdig, auf einer Postkarte – die dann noch ins Ausland gehen sollte – abgebildet zu sein. Ein weiterer Postangestellte hatte Mitleid mit mir und zeigte auf Googlemaps, wo sich ein weiteres Postamt befand.

Ich fuhr also hin – so schnell gebe ich doch nicht auf. Dort angekommen, ging die ganze Geschichte wieder von vorne los. Keine Postkarten. 

Ich war schier verzweifelt, als eine Gruppe von Soldaten direkt bei mir eintraf. Mit so viel Autorität werden sie mir bestimmt helfen können. Und da ist einer mit einem goldenen Stern auf der Schulter! So ging ich zu dieser Gruppe und sprach gleich direkt den General an. Ich erklärte mein ausgesprochen wichtiges Anliegen. Er nahm mich unter den Arm und wir gingen wieder zum Postamt. Trotz seiner ganzen Ausstrahlung eines Generals konnte er leider doch nicht bewirken, dass da auf einmal aus dem Nichts Postkarten auftauchen. Dann telefonierte er noch ein paar Leute ab. Leider erfolglos… Er entschuldigte sich, gab mir die Hand, trommelte seine Truppe zusammen und fuhr davon. Ich gab schließlich auf. Die Briefmarken habe ich immer noch.

Bevor ich die Grenze zu Mauretanien überquerte, stoppte ich für die letzte Nacht in einem weiteren Hotel, ca. 80km vor der Grenze. Es war ok, es gab eine funktionierende Dusche, halbgroße Kakerlaken und Strom, um die Gerätschaften zu laden. 

Ich legte mich schlafen, jedoch wieder mit demselben mulmigen Bauchgefühl wie zwei Wochen zuvor in Spanien: schon wieder eine marokkanische Grenze, an der ich meine Drohne verlieren könnte. Ich packte alles um und versteckte das Fluggerät wieder im eingerollten Zelt. Vielleicht klappt es wie bei der Anreise? Die Hoffnung stirbt zuletzt. 

Off-road „Abenteuer“

Abkürzung, die über 4 Stunden dauerte…

Nachdem ich Fez verlassen hatte, verbrachte ich die Nächte auf Campingplätzen und die Tage unterwegs auf dem Mopedsitz. So verweilte ich zwei Nächte in der Nähe von Errachidia und fuhr dann weiter durch das mittlere Altasgebirge Richtung Westen. Ich kam am 19. September am wunderschönen, fast paradiesischen Camping Atlas an, ca. 3-4 km vor der Toudra-Schlucht, direkt hinter der Oasen-Stadt Tinghir. Ich entschied mich sofort mindestens zwei Nächte dort zu verbringen. 

Am nächsten Tag bekam ich einen hohen Besuch: Marcin und Dominika, ein Pärchen aus Polen, die ich dank der Vermittlung einer guten Fee – Barbara aus Benin (über die ich später noch eine Geschichte erzählen werde) kennenlernen durfte. Die beiden änderten etwas ihre Route, um mich zu treffen. Das Pärchen, das man auf Facebook unter „Grupa Wschodu“ (die Gruppe des Ostens) finden kann, war gerade am Endziel ihrer Afrika-Reise. Sie brachen im November 2018 nach Afrika auf und wählten ungefähr dieselbe Route auf dem afrikanischen Kontinent wie ich, bis auf die Richtung: sie starteten in Ägypten und umkreisten Afrika im Uhrzeigersinn. Sie bestritten die Reise in einem Geländewagen, den Marcin selbst umgebaut und für das afrikanische Abenteuer vorbereitet hatte. Es war ein Nissan Patrol, etwas älteres Semester, dennoch sehr imposant, vor Kraft protzend, als ob es für solche Abenteuer erschaffen wurde. So auch kein Wunder, dass für Marcin und Dominika kein Weg, egal wie steinig und schwierig er sein mochte, für unmöglich erschien.

Sie erzählten mir von ihren Abenteuern während der zehnmonatigen Reise. Es war nicht immer leicht und angenehm. Ihre Geschichte aus Kamerun schüchterte mich etwas ein: sie waren unterwegs Richtung Grenzübergang zu Nigeria, als sie von einem bewaffneten Rebellen angehalten wurden. Er befahl ihnen, zu seinem Lager zu fahren. Dort warteten auf sie weitere 20 Aufständische, die ebenso bis an die Zähne bewaffnet waren. Marcin erzählte, dass er während der Fahrt dem Rebellen noch seine volle mentale Unterstützung bot – um ihn noch, falls sich das als nötig ergeben würde, für sich umzustimmen. Die Polen haben ja schließlich auch immer für ihre Freiheit gekämpft und haben daher immer offenes Ohr und viele Sympathien für Freiheitskämpfer – versuchte er noch den Mann zu beeindrucken. Dieser saß die ganze Zeit mit der geladenen Pistole, die mit dem Lauf auf Dominika zielte. Sie erzählte: »Er saß mir fast auf dem Schoss! Ich habe die ganze Zeit nur gezittert.« Am Lager angekommen, war die Konsternation auf beiden Seiten groß. Das polnische Pärchen wollte nur schnell wieder abhauen. Die Rebellen wollten sie nicht so schnell gehen lassen. Man kann sich jedoch leicht vorstellen, was Dominika fühlte, als sie aus dem Auto stieg und ein Pfeifkonzert hörte. Sie habe sich schon halb in der Rolle eines Vergewaltigungsopfers gesehen. Zum Glück passierte am Ende nichts schlimmes. Der erste Rebelle, für den die beiden das Taxi gespielt hatten, ließ sie dann gehen. Sie stiegen ins Auto und fuhren davon, ohne nur ein Mal in den Rückspiegel geschaut zu haben.

Auf so ein afrikanisches Abenteuer verzichtet man schon gern…

Es gab noch weitere Abenteuer, über die ich hörte. Allesamt war die Reise von Marcin und Dominika jedoch großartig. Was sie alles erlebten, lässt sich von ihrem Blog erlesen. Eine spannende Lektüre für mich zurzeit… 

Nun wollten wir aber eine kleine Etappe gemeinsam fahren. Auf dem Plan stand natürlich die erste Schlucht: Toudra. Die andere, die Dades-Schlucht, sollte dann das zweite Ziel werden. Zur Auswahl stand: entweder der asphaltierten Straße folgen und ca. 200km fahren. Oder eine kleine Abkürzung nehmen und „nur“ 60 km off-road fahren. Für Marcin war die Wahl offensichtlich: wir fahren durch das Gelände. 

Der Anfang der Strecke ging ziemlich gut. Schnell änderte sich jedoch der einfache Schotterweg mit gelegentlichen Löchern in einen steiningen Höllenweg. Der Nissan fuhr seelenruhig durch den ausgetrockneten Bett eines Bergflusses. Gelegentlich hinterließ er eine Staub- oder pechschwarze Abgaswolke, die ich dann einatmen durfte. Der Weg war im Prinzip kein Weg. Es lagen überall riesengroße Steine, manche mit dem Ausmaß einer Wassermelone, die mich spöttisch anschauten und schweigend riefen: »na, fahr drüber, du Loser«.

Ich schwitzte literweise. Die gelegentlichen Hügel und Löchern machten es noch schwieriger für mein voll beladenes Moped. Und dann passierte es. Nicht aufgepasst, oder gar gezögert, ob ich mit Speed hochfahren oder doch die andere Spur nehmen sollte: ich blieb doch stehen, konnte das Gleichgewicht nicht halten und kippte zur Seite um. Zwei Mal. Beim zweiten Mal kostete mich das eine dicke Beule am Seitenkoffer. Naja, es lässt sich bestimmt irgendwann reparieren – tröstete ich mich an der Stelle, um nicht den Mut zur Weiterfahrt zu verlieren. 

Als ob es nicht schon genug schwierig gewesen wäre. Kaum kurz durchgeatmet vor der nächsten Hürde, kamen wie aus dem nichts ein paar Beduinen-Kinder, die uns irgendwelche Steine verkaufen wollten. Man kann sich leicht vorstellen, dass da ein einfaches „Nein, danke“ – egal in welcher Sprache – so viel nutzt, wie ein Schweizer Taschenmesser beim Angriff eines tollwütigen Löwen. Die Kinder brachten irgendwelche Urgesteine mit weiß der Henker welchen tollen Mustern darauf. Ich dachte nur: das kann doch nicht wahr sein! Die stehen genau dort, wo der einzige machbare Weg für mich durchführt. Als Dominika tatsächlich was abgekauft hatte, dachte ich: ok, jetzt sollen sie zufrieden sein und abhauen. Wie falsch! Ich war das nächste Opfer. Als Marcin losfuhr, dachte ich: ok, einfach Gas geben, Kopf senken und hinterher schnell durchfahren. Der Plan scheiterte, bevor ich überhaupt losfuhr. Die Kinder waren schon da und steckten mir ihre Steinchen fast ins Visier. Ich sah nur ein Muster einer versteinerten Muschel und dachte dabei: »oh, wie schön hat euer Vater diese in seiner Werkstatt hingekriegt.« 

Im Nachhinein finde ich, dass diese Situation schon etwas Komik besitzt und irgendwann mal auch verfilmt werden könnte. Ich – kämpfend mit dem steinigen Weg und der 400kg schweren und voll beladenen Maschine, versuchte eine gefährliche off-road-Situation zu meistern. Neben mir rannte ein Junge, der mir mit aller Gewalt seinen Stein verkaufen will. Und weil das noch zu wenig komisch war: aus dem nichts tauchte plötzlich ein Schäferhund auf und wollte mir die Reifen durchbeißen! Der blöde Köter lief noch dazu direkt vor mein Vorderrad! Will der Idiot überfahren werden? Ich fluchte laut auf Englisch, der Junge schreite ununterbrochen wegen seinem tollen Steinangebot und der Hund attackierte mein Moped, als ob er dadurch das Leben des Jungen retten würde. Irgendwann gab der Junge doch auf, 100 Meter weiter auch der Hund. Ich bin nicht gestürzt und überlebte dieses Abenteuer schweißgebadet. Sobald ich außer Gefahr war, hielt ich an, atmete tief durch und schwor mir feierlich, von nun an nur noch die marokkanischen Autobahnen zu nutzen. 

Diese „Abkürzung“ kostete uns über vier Stunden. Sie hat sich dennoch gelohnt. Ich kam mit blauem Auge davon (eine Beule am Koffer und kaputtem Visier am Helm). Die Erfahrung war aber viel Wert: ich werde sie bestimmt nicht so schnell wiederholen wollen. Marcin meinte, das sei doch nicht so schwierig gewesen und ich werde bestimmt noch schlimmeres in Afrika erleben. Auch ohne eine Chance, solche Wege weiträumig zu umfahren. Man darf gespannt bleiben…

Kein Krimi

Die ersten Tage in Marokko

Am Abend des 12. September kam ich in Tetouan an und wollte in einer Privatpension übernachten, die ich über die App iOverlander entdeckt hatte. Das klappte leider nicht. Ich landete in irgendeiner Sackgasse und wurde umringt von 10-12 jährigen Jungs, die ich vom Fußballspiel abgelenkt hatte. Es war echt süß. Die Jungs haben gleich alles, was sie an Fremdsprachen je gelernt hatten, testen wollen: Hola, bonjour, hello, how are you – alles kam auf ein Mal. Leider konnten sie mir nicht sagen, wo die Pension ist, die ich gerade suchte. 

So fuhr ich noch durch eine weitere Straße, fand nichts und entschied mich für Plan B: Camping in Martil an der Mittelmeer-Küste ein paar Kilometer weiter. 

Das klappte dann einwandfrei. Ich kam an, ein älterer Herr hob die Schranke per Hand hoch und ich bekam meinen Platz zum Zelten für umgerechnet sechs Euro. Am nächsten Morgen ging ich noch in die Stadt, um mich kurz umzuschauen. Ich sah vor mir eine wirklich neue Welt. Die Stadt, Straßen, Geschäfte, Menschen in den Cafés – alles war für mich super neu und fremd. Etwas schüchtern lief ich noch paar hundert Meter und kehrte dann um. Das Minimalziel konnte ich jedoch erreichen: Wasser im Supermarkt zu kaufen. 

Das erste eigentliche Ziel war die Stadt Fez. Dort war ich mit Samir verabredet. Ich dachte mir, bevor ich in Fez herumgeistere und wie in Martil hilflos durch die Gegend fahre, lieber jemanden finden, der eine Couch bei sich zu Hause anbietet und noch dazu bereit ist, die eigene Stadt einem Fremden zu zeigen. Es war tatsächlich ein Volltreffer! Aber dazu kommen wir noch später. 

Zuerst durfte ich meine ersten Kilometer auf den marokkanischen Straßen sammeln. Die Strecke von Martil nach Fez betrug ca. 270 km, laut Googlemaps: fünf Stunden Fahrzeit. D.h. auf dem Motorrad müssten es ca. sechs werden. 

Am Ende sind es acht geworden. Die Strecke führte durch Berge und von allen Göttern verlassene Dörfer. Die Löcher in den Straßen waren teils so gewaltig, dass du da nur einmal reinfahren darfst. Danach bräuchtest du ein neues Moped. Unterwegs begegnest du immer wieder Kamikaze-Fahrern, die in Kurven überholen, dir den Weg abschneiden und dich mit der Hupe beschimpfen (oder begrüßen – schwer zu unterscheiden). Davon gibt es noch eine Steigerung: die Busfahrer, die sich an keine Geschwindigkeitslimits halten und sich auf der Straße benehmen, als ob sie mit jedem überholten Fahrzeug ein Bonus vom Arbeitgeber erhalten würden. Doch der Gipfel der fahrerischen Fertigkeiten stellen die LKW-Fahrer, die mit Heu mit bis zu der dreifachen Höhe des eigenen Fahrzeugs beladen fahren. Beim ersten LKW dieser Art fuhr ich mit eingeschalteter Kamera über 15 Minuten im Schneckentempo hinterher. Ich dachte – bei dem Wind und Zustand der Straßen wird er niemals weit kommen. Falsch gedacht. Er fuhr seelenruhig vor sich hin, bis ich aufgegeben habe und ihn überholte. Später überholte ich noch mehrere meterhoch beladene LKWs. Keiner kippte für mich und mein Video um. Es scheint doch zu funktionieren. Diese wahren Heutransport-Künstler kommen immer an. 

Eine weitere Besonderheit auf den marokkanischen Straßen: ungelogen, ca. alle 20 km kommt ein Polizeikontrollpunkt, meistens am Kreisverkehr! Du wirst natürlich von den anderen Fahrern vorgewarnt und kannst dann entspannt durchfahren. Ich musste zum Glück noch keine Bekanntschaften mit den Beamten machen. Wer weiß, was sie alles von einem Ausländer wollen. 

Man kann mit denen aber anscheinend auch verhandeln, wenn man die entsprechenden Argumente in der Hand hat. Am letzten Samstag fuhren wir, Samir, seine amerikanischen Arbeitskolleginnen (allesamt Englischlehrer an der amerikanischen Schule in Fez) und ich, aus der Stadt, um uns an den schönen Landschaften zu erfreuen und Samir‘s Eltern auf dem Lande zu besuchen. Am Steuer saß Alexandra. Im Auto waren noch Samir und Surya. Chiara und ich, auf dem Moped hinterher. Wie das so der Zufall will: die Polizei stoppte den Nissan von Alexandra. Ich fuhr dann weiter, um den Polizisten keinen Anlass zu geben, auch mich zu kontrollieren. Ich hielt dann an der Tankstelle 200m weiter. Es ergab sich, dass Alexandra etwas zu schnell fuhr und viel schlimmer: ihren Reisepass nicht dabei hatte. Chiara und ich beobachteten die Geschehnisse aus der sicheren Entfernung. Nach einer gefühlten Ewigkeit als sich nichts tat und der Polizist immer wieder zwischen seinem Auto und dem Nissan spazierte, entschied sich Chiara einzuschreiten. Sie ging hin und klärte die Sache innerhalb von Minuten. Die amerikanische Sprachschule in Fez gehört nämlich ihrer Mutter und sie versprach dem Polizisten kostenlosen Englischunterricht. Sie schmierte den Beamten mit Bildung! Er versicherte sich noch, dass auch seine Frau zum Studieren kommen darf und die Sache mit dem vergessenen Reisepass war vom Tisch. Ist irgendwie doch sympathisch. 

Es fehlt aber noch der Anfang meiner Geschichte. Am Freitag, den 13. September, kam ich – wie bereits erwähnt – zwei Stunden später als gewollt in Fez an. Auf mich wartete an der amerikanischen Schule Samir, mein Gastgeber und Guide für die nächsten Tage. Samir lernte ich über die Platform CouchSurfing kennen. Das Prinzip dort ist ziemlich einfach: Es gibt Menschen auf der ganzen Welt, die bei sich zu Hause eine Couch (oder gar ein Zimmer) für Reisende kostenlos anbieten. Was ist dann ihre Motivation? Zum einen möchten Sie Gäste empfangen, um mehr über die fremden Länder und deren Kulturen zu erfahren. Oder, sie waren selbst schon gereist, haben die Vorteile des CouchSurfings genutzt und möchten es auf diese Weise „zurückgeben“. Samir gehört zu der ersten Gruppe. Er hat schon vielen Reisenden seine Couch zur Verfügung gestellt. So lernte er auf diese Weise Menschen aus der ganzen Welt: Canada, USA, Australien, Deutschland und viele mehr. 

Bevor ich aber die Geschichte von Samir erzähle, möchte ich mich kurz mit einem potentiellen Szenario befassen, das natürlich nicht eintraf, aber sich in meinem Kopf durchaus andeutungsweise abspielte. Denn ich bin ein Anfänger beim CouchSurfing und Samir war erst mein zweiter Gastgeber überhaupt. Wer kann einem garantieren, dass die noble Idee des CouchSurfings nicht missbraucht werden könnte? Wer kann garantieren, dass ein allein stehender, immer noch attraktiver 50-jähriger Typ mit einer tief im Wald stehenden Villa – der zudem noch keine positiven Rezensionen auf der Plattform (wichtig!) vorweisen kann – keine bösen Absichten hat, wenn er 20-jährige Mädchen zu sich nach Hause einlädt? Ok, wer auf so etwas reinfällt, ist selbst schuld. Es muss aber nicht zwingend immer so offensichtlich kritisch ausschauen. Die Gefahren lauern oft dort, wo man sie nicht vermutet. 

Doch zurück zu meinem Szenario. Wie schaute es bei mir aus? 

Wie bereits kurz erwähnt: ich kam am Freitag, den 13. September, in Fez an. Wir trafen uns, Samir und ich, an der amerikanischen Schule. Ich hatte schon schlechtes Gewissen, weil ich mit zwei Stunden Verspätung ankam und Samir so lange auf mich warten musste. Es schien ihn aber nicht zu stören. Er war sofort sehr freundlich und richtig gut drauf. 

Wir wussten schon einiges voneinander. Samir hatte mich zuvor richtig intensiv ausgefragt: wo ich herkomme, was ich beruflich mache, wo meine Familie lebt, was ich alles in Marokko vorhabe, wie meine Reise bisher verlief, wo es dann später hingeht, usw. Ich fand das schon relativ viel nachgefragt, dachte aber: natürlich möchte er alles über mich wissen, schließlich nimmt er mich – eine völlig fremde Person – bei sich auf. So fuhren wir zu ihm nach Hause. Er auf seinem kleinen Roller und ich mit der großen Maschine mit ganz viel Gepäck drauf hinterher. Ich bat Samir nur etwas Rücksicht zu nehmen, dass ich an den etwas wilden Straßenverkehr in Fez nicht gewöhnt sei, und bestimmt seiner Fahrweise nicht folgen könne. Nach ca. einer halben Stunde trafen wir in einem etwas besonderen Stadtteil ein: Mehrfamilienhäuser, die schon ziemlich viele Jahre auf dem Buckel zu haben schienen, kaputte Straßen, viel Müll überall – alles ziemlich runtergekommen und arm. Natürlich hat mich das nicht gestört – ich versuche es hier nur objektiv darzustellen. Wir haben mein Motorrad bei einem Bekannten von Samir ein paar Blocks weiter abbestellt. Direkt vor seinem Haus wäre es nicht sicher. Zu viel Verantwortung – meinte Samir. 

Dann marschierten wir mit meinem ganzen Gepäck ca. 500 Meter zu seinem Appartement. Dort angekommen, wurde ich sehr nett empfangen. Samir zeigte mir seine ganze Wohnung, erklärte mir, wo mein Zimmer sei und wie das Bad funktionierte. Dann zeigte er mir seine Familienbilder und erzählte mir, wie nah er seinem Großvater stand und dass er sich auch um ein autistisches Kind kümmerte. Er sagte auch, sein Haus sei jetzt mein Haus und ich solle mich sehr wohl fühlen. 

Ich dachte nur: wow, was für ein großartiger Mensch! 

Relativ schnell sagte er aber zu mir, dass er eine neue Idee hätte und ob ich Interesse hätte, zu seinem Dorf, wo er aufwuchs, zu fahren, um dort in einer ruhigen und schönen Umgebung die Nacht zu verbringen. Klar – sagte ich, richtig froh, dass ich die Chance bekommen würde, eine authentische rurale Gegend kennenzulernen. So ließ ich mein ganzes Hab und Gut bei Samir zu Hause liegen und wir fuhren zu zweit auf meinem Motorrad aus der Stadt in die Berge. Es war schon dunkel als wir losfuhren. Nach etwa 30 Minuten Fahrt in der Dunkelheit, in einer ziemlich düsteren und verlassenen Gegend, fing ich dann an, mir Fragen zu stellen. Es wäre doch ein interessantes Szenario für einen Film, der für einen Touristen aus Europa ungünstig endet. Ich unterwegs mit einem Marokkaner, den ich gerade kennenlernte, mein ganzes Gepäck bei ihm zuhause, dessen Adresse ich nicht kannte (wir trafen uns ja an der amerikanischen Schule, wo er angeblich arbeitet), zu zweit in der Nacht in irgendeiner Pampa unterwegs zu seinem angeblichen Elternhaus. Dann erklärte mir Samir, dass seine Eltern nicht in dem Haus wohnen, wo wir hinfahren. Dort lebt lediglich sein älterer Bruder.

Wenn es dort noch weitere freundliche junge Männer gibt, die mich kennenlernen und mich mit Wein oder sonstigen traditionellen Getränken begrüßen wollen, dann bin ich dran – dachte ich noch. Keiner weiß wo ich bin, ich weiß nicht, wo ich hinfahre, mein Moped lässt sich bestimmt leicht verscherbeln. Für die Fotoausrüstung kriegt man bestimmt auch ein paar Dirhams. Meine Leiche würde man in den Bergen nie finden. Es wäre eine spannende Story für die europäische Presse. Und in Marokko würde man bestimmt ein Solidaritäts- und Trauerkonzert veranstalten, Mahnwachen würden vor der Botschaft abgehalten werden, wie für die skandinavischen Backpackerinnen, die im Atlasgebirge in der Nähe von Marrakesch geköpft wurden. So schnell werde ich mich aber nicht ergeben. Nur meine einzige Waffe hatte ich nicht dabei: mein Schweizer Taschenmesser lag jetzt in einer der Taschen in Samir‘s Wohnung.

Doch wie ging die Gruselgeschichte zu ende? 

Das kann man sich leicht vorstellen. Wir sind bei Samir im Dorf gut gelandet. Es war traumhaft! Ein traditionelles Haus mit viel Raum. Wir haben trotzdem unter dem freien Himmel im „Milliarden-Sterne Hotel“ geschlafen. Den guten Schlaf störte nur eine Sache: unzählige Hähne im Dorf fingen noch dick vor Sonnenaufgang mit ihrem Gesang an. Ein Drama! Kaum hörte einer mit seinem Konzert auf, startete schon der Nächste. Und da mussten mindestens so viele im Dorf sein wie Sterne am Firmament. Das ganze dauerte stundenlang! Irgendwann war es mit den Versuchen, doch noch einzuschlafen, vorbei. Die Aussicht am Morgen machte aber alles wieder gut. Und wie! Schöne bergige Landschaften mit einem See in der Ferne. Freundliche Hunde von Samir, neugierige aber schüchterne Esel, selbst sein Pitbull hat mich sehr herzlich empfangen und war super lustig drauf: er wollte nur spielen! Es ergab sich, dass die Eltern nur in einem anderen Haus etwa 200 Meter entfernt lebten. Zuerst kam der Vater, um mich zu begrüßen. Dann gingen wir zu der Mutter, die schon mit dem Frühstück wartete! Einfach herrlich! Ich habe beispiellose Freundlichkeit und Gastfreundschaft erlebt! Und ganz ehrlich – ich habe nichts anderes erwartet. Die hypothetische Grusel-Geschichte, die ich zuerst aufzeichnete, zeigt uns, wie wir ticken – gefüttert durch Sensationsgeschichten aus den Medien. Natürlich finden ab und zu Grausamkeiten statt, und zwar überall auf der Welt. Aber lasst uns doch nicht verrückt machen. Wir sollen Vorurteile ablegen und Menschen aus anderen Kulturkreisen eine wahre Chance geben. 

Bei Samir wollte ich eigentlich nur eine Nacht verbringen. Ich blieb vier. Ich habe einen neuen Freund gewonnen, einen lebensfrohen Menschen mit großem Herz, hilfsbereit, offen für Neues, unbekanntes und vor allem motiviert, viel Gutes in seinem Leben zu tun. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte, mit vielen Ups and Downs, Enttäuschungen, dramatischen Unfällen, guten Taten, der Suche nach den Opportunitäten, Bildung, Liebe und Freundschaft. Er bat mich, dies alles nicht öffentlich zu wiedergeben. Vieles erzählte er mir im Vertrauen. Das respektiere ich voll und ganz. 

Schreck der Einreise

Endlich in Afrika

Die Einreise nach Marokko war eine Zitterpartie. Die letzte Nacht in Spanien vor Aufbruch nach Afrika verbrachte ich auf dem Campingplatz in der Nähe von Tarifa. Vor mir trafen andere Biker ein: Barry aus Kilkenny (Irland) und Alex aus Moskau (Russland). Beide sehr erfahrene Motorrad-Abenteurer. Barry ist schon mal auf einer KTM aus Australien nach Irland gefahren, Alex durchquerte ganz Europa und war gerade auf dem Weg zurück aus Marokko. Seine erste Frage war: 

»Hast Du eine Drohne dabei?« 

»Klar, habe ich« – antwortete ich ohne zu zögern.

»Weißt Du, dass Drohnen in Marokko verboten sind?« 

»Eeee, ja – aber…«  

»Kein „aber“ – die Zöllner haben mir meine abgenommen.«  

»Waaas?« – mein Herz ist mir in die Hose gerutscht. So eine Drohne kostet schon einen vierstelligen Betrag in Euro.

So, der Leser mag sich vorstellen, womit ich dann meinen Abend verbrachte. Mein Kopf dampfte  vor Anstrengung: wie kriege ich die Drohne durch die Kontrolle! Eins war klar: ich muss riskieren. Ich kann mir doch die wunderbaren afrikanischen Landschaften nicht entgehen lassen! Was würde ich den Menschen später erzählen, die mich beneidet haben, dass ich mit der Drohne in Afrika super Landschaften abfotografieren und in die Orte fliegen kann, die man sonst mit viel Schweiß und Mühe hochklettern müsste! Mit meiner Höhenangst noch dazu! Nein, ich konnte die Drohne nicht wieder nach Hause schicken. 

So habe ich einen verbrecherischen Plan ausgekaspert: ich wickelte die Drohne sorgfältig in mein Zelt ein, die Batterien wurden separat versteckt: eine in den Camping-Stuhl, die andere in die Matratze. Ich dachte nur: „Ok Arschlöcher, wenn ihr sie finden wollt, dann musst ihr euch schon anstrengen. Ich dachte mir auch schon einen genauen Ablauf aus: welche Tasche würde ich zuerst zeigen, wie lässig würde ich das Zelt auf den Boden werfen, wie würde ich mein ganzes Zeug auslegen – ohne zu vergessen, wie ich den ganzen Verkehr hinter mir durch meine Aktion blocken würde. Ich könnte gar mein Motorrad fallen lassen und ein tollpatschiges Opfer spielen. Das 400kg schwere Moped sollen sie mir dann natürlich noch helfen, hoch zu heben. Alleine hätte ich das Ding selbstverständlich niemals hochgekriegt (normalerweise schon). So bestens als Schmuggler vorbereitet, fuhr ich dann nach Algeciras zum Hafen. Ich dachte noch unterwegs: naja, vielleicht erwischt es einen anderen Biker, der dann auch etwas Verbotenes schmuggelt (Drogen, Alkohol, Zigaretten, die Bibel). 

In „freudiger“ Erwartung auf die Fähre

Ziemlich positiv eingestellt, dennoch mit ziemlich hohem Puls, kam ich am Terminal an. 

Nach zwei Stunden Wartezeit, in denen ich mich noch darüber wunderte, warum man mindestens 90 Minuten vor Abfahrt erscheinen soll, wenn die Fähre erst 30 Minuten vor Anfahrt beladen wird, ging es los. Wir fuhren in das Innere der Fähre mit dem literarischen Namen „Poeta López Anglada“. Das Schiff begrüßte uns noch mit einer riesigen schwarzen Abgaswolke, die mir dem Atem raubte. Benebelt dachte ich nur, wenn der Luís López Anglada wüsste, wie sein Schiff die Umwelt verpestet, würde er sich im Grab umdrehen. 

Nun aber die erste Enttäuschung: ich war der einzige Biker auf dem Weg nach Tanger. Wenn die Beamten heute unbedingt ein Motorrad durchfilzen wollen, haben sie nur mich. Mist! 

Ob das der Umwelt gut tut?

Doch erstmal kam eine Reihe von Passkontrollen: die Erste on Board: zwei wichtig aussehende Grenzbeamten in Zivil saßen in einem kleinen Raum und haben die Dokumente geprüft. Dahinter entstand innerhalb von wenigen Minuten eine lange Schlage. Bis ich dran war, war die Fahrt schon fast vorüber. Die Prozedur war aber unspektakulär: der erste Beamte befragte mich was ich beruflich mache, wo ich hin will usw. Dann haute er zwei Stempel rein. Der zweite Typ, der kurz davor einem Belgier sein Reisepass nicht zurückgab (keine Ahnung warum), erschien etwas strenger. Er kontrollierte nämlich die Nummern der Pässe in seinem Laptop. Dazu nutzte er sparsamerweise nur seinen rechten Zeigefinger. So dauerte die Prozedur etwas länger. Meinen Pass erhielt ich dann doch gleich zurück. Die nächste Kontrolle kam beim Verlassen des Schiffes. Es wurde kontrolliert, ob die erste Kontrolle stattfand. Danach ging es weiter. An einem Kreisverkehr im Hafen winkte mich jedoch ein anderer Beamter weiter. Die wichtigste und die eigentliche Kontrolle, die in der Nacht zuvor meinen Schlaf beeinflusste, kam dann nach einer ewig langen Fahrt durch den Hafen. Kaum habe ich mich gefreut, dass ich eigentlich schon längst raus aus der Gefahr sein sollte, habe ich den Posten mit der Aufschrift „Duane“ gesehen. Alles klar. Jetzt habt ihr mich auf dem Teller – dachte ich nur, weil ich da nur sehr wenige Fahrzeuge gesehen habe, die gerade gründlich kontrolliert wurden. Die Zöllner lassen sich Zeit – nicht gut. Ich sah vor mir einen Transporter, dessen Fahrer seine ganzen Innereien (des Transporters, nicht des Fahrers) neben dem Fahrzeug auslegte. Und es war eine ganze Menge! Der Fahrer des Transporters musste wahrscheinlich nach 20 Jahre Exil in Spanien mit seinem ganzen Hab und Gut in die Heimat zurückgekehrt sein. Unzählige Kisten, Koffer, Möbel und Säcke standen jetzt neben dem Auto. 

Jetzt war ich dran…

Ein junger Mann in Uniform kam mit ernster Mine und fragte nach den Fahrzeugpapieren und dem Reisepass. Er nahm die Dokumente entgegen und verschwand für 30 Minuten in seinem Büro. Ok, jetzt muss ich geduldig warten. Bloß keine nervösen Aktionen veranstalten. Also mal lässig am Motorrad gestützt ins Handy schauen – geht leider nicht so lange: noch kein Internet in Marokko. Ok, dann eben den Marokkaner anquatschen, der auch hier wartet. Schnell war mein Spanisch dann am Ende, da wir uns schon zuvor über irgendwelche Banalitäten ausgetauscht hatten. Der Beamte war noch nicht da… beobachtete mich aber bestimmt aufmerksam hinter den abgedunkelten und spiegelnden Fenstern seines Büros. Dabei unterhielt er sich bestimmt mit seinen Kollegen über mich und schaute grinsend auf die Uhr. 

Bloß keine Unruhe in den letzten Minuten zeigen. Meine Gedanken schwingen zu meiner Freundin und den netten Beschäftigungen, die wir normalerweise Sonntagmorgens nachgingen: uns unterhalten über die weltberühmten Briefmarkensammler und ihre Kollektionen… oder so ähnlich. 

Dabei musste ich bestimmt gegrinst haben. Glücklicherweise waren andere Reaktionen meines Körpers nicht zum Anschein gekommen. 

Endlich kam der Zöllner mit meinen Dokumenten. Übergab mir diese mit einem neuen Zettel, den ich dann bitte nicht verlieren sollte, bedankte sich für meine Geduld und wünschte mir bon voyage. Keine Frage nach der Drohne! 

Ich dankte ihm ebenfalls, stieg lässig aufs Motorrad, zog den Helm, die Handschuhe und die Sonnenbrille langsam an und fuhr davon. 500 Meter weiter, in dem Moment als ich ein lautes „Yeah!“ gedacht habe, sah ich den nächsten Kontrollpunkt vom Zoll. Mist! Der Typ hier hat bestimmt nur eine Aufgabe: die Motorradfahrer nach ihren Drohnen zu befragen. Ich hielt mit 180 Puls an. Es begrüßte mich jedoch ein lächelnder älterer Herr, der nur den Zollzettel sehen wollte, den ich vor gerade einer Minute erhalten hatte. Almanya? Ja – bestätigte ich. Das beste Land in Europa! – sagte er euphorisch, gab mir das Zolldokument zurück uns wünschte mir auf Deutsch „gute Fahrt.“ Ich liebe dieses Land – grinste ich noch und fuhr dann endlich nach Tetouan. 

Balkan Tour zu zweit

6173km, 17 Länder in 20 Tagen

Unsere Route
Unsere Route

Unsere Balkan-Tour war nicht nur kilometer-intensiv. Sie war vor allem reich an wunderbaren Erfahrungen, unerwarteten Begegnungen mit Menschen und Natur. Wir haben eindrucksvolle Momente erlebt, haben geschwitzt (nicht nur temperaturbedingt), sind immer wieder naß geworden, haben in naßen Klamotten bei 10° im Gebirge stundenlang gefroren, um später einer erstaunlichen Gastfreundschaft zu begegnen und Orte zu sehen, die allen Vorurteilen mit voller Kraft widersprechen.

Wir, Saskia und ich, zwei Motorrad-Neulinge, sind auf unsere erste große Motorrad-Reise in den frühen Nachmittagsstunden des 1. Juli in Baden-Baden aufgebrochen. Geschuldet dem mehrfachen Be- und wieder Entladen des Gepäcks haben wir unseren Plan, so früh wie möglich aufzubrechen, um einige Stunden verfehlt. Dennoch wollten wir noch am selben Tag Österreich erreichen. Geschafft haben wir bis zum Chiemsee und durften schon gleich am ersten Abend üben: das Zelt im Regen aufbauen. Wie sich später zeigen sollte: nicht zum letzten Mal. Wie so oft im Urlaub: während in der Heimat die Sonne strahlt und die Temperaturen belohnen die Heimattreuen, schifft´s aus allen Rohren in den Urlaubsorten. Es ist besonders frustrierend, wenn du in den Süden fährst, wo per definitionem heiß und trocken sein müsste. Nun sollten wir aber zuerst durch die Alpen-Republik. Da wir von vorne geplant haben, so wenig wie möglich die Autobahnen zu nehmen, war die Wahl klar: wir sind auf einem Motorrad unterwegs und sollen zwingend die Großglockner-Hochalpenstraße erleben. Ob das aber mit einem über 400kg schwerem Moped zu zweit gut geht? – haben wir uns noch gefragt. Später, als wir in Montenegro die Kotor-Serpentine am Lovćen-Berg schweißgebadet bewältigt hatten, lachten wir über die „tödlichen“ Kehren der Glocknerstraße.

An der Großglockner Hochalpenstraße

Später in Italien, nach einem kurzen Stop in Triest, führen wir weiter nach Slowenien. Uns war es vom Anfang an deutlich, dass wir bei dem Tempo und Routenplan keine Möglichkeit haben werden, uns mit den besuchten Länder intensiv zu befassen und alle wichtigen Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Wir wollten die Reise vor allem auf dem Mopedsitz erleben: Kilometer und Eindrücke beim Fahren sammeln, viele lokale und abgelegene Wege befahren, sowie in jedem Land ein bis zwei interessante, nicht unbedingt touristische, Orte besuchen. So sind wir in Slowenien an der Höhlenburg Predjama gelandet und haben die berühmte Pferdezucht der Lipizzaner besucht. In Kroatien waren wir in Zadar und Dubrovnik. Das Land hätte sich aber mehr als gelohnt, wenn man nur entlang der Adriatischen Küstenstraße D8 fahren würde: atemberaubende Landschaften und traumhafte Kurven. Es stört auch nicht (so sehr), wenn man bei über 40° fährt und die heiße Luft über dem Asphalt vor starker Hitze flimmert.

Ein kleiner Abstecher nach Herzegovina brachte uns interessante Eindrücke aus Mostar und den Kravice-Wasserfällen. Beide Orte sind ziemlich touristisch, dennoch absolut sehenswert. In Montenegro sind wir zum bereits erwähnten Berg Lovćen (1749m) hochgefahren. Die Serpentinen-Auffahrt durch die sehr engen Strassen und Kehren verlangt so manche Schweißperle, insbesondere wenn einem plötzlich ein großer Reisebus entgegen kommt. Man wird aber mit einem großartigen Blick auf die türkisblaue Kotor-Bucht und das malerische Orjen-Gebirge belohnt!

In Montenegro, in der Küstenstadt Bar, haben wir auch eine etwas außergewöhnliche Begegnung erlebt: kaum am Straßenrand geparkt, wurden wir gleich von einer älteren Dame auf Deutsch angesprochen, die im Café nebenan saß und ihre Cola schlürfte. Ob wir Hilfe brauchen. In der Tat mussten wir etwas hilflos, oder mindestens seltsam ausgesehen haben: so stand ein verängstigtes, zierliches Mädchen in voller Motorradmontur, mit Helm in der Hand, neben einem voll bepackten Riesenmotorrad mit deutschen Kennzeichen und wartete auf den Kerl. Und der Kerl lief von einem Kiosk zum anderen Touristenladen und suchte nach Postkarten.

Letztendlich ergatterte ich eine bescheidene Ansichtskarte aus Bar. Bei den Briefmarken scheiterte ich auf der ganzen Linie. Nun fragte die montenegrische Dame in einwandfreiem Deutsch, ob sie uns behilflich sein könnte. Als sie unser Anliegen erfuhr, schickte sie sofort einen Kellner mit mir auf die Postamt-Suche. Das Café gehörte nämlich ihr selbst und der junge Kellner, der ebenfalls Deutsch sprach, sprang mir ohne zu grübeln auf den Soziussitz. So fuhren wir durch den Stadtteil, um die Briefmarke zu finden. Dank der Ortskenntnis des Kellners und seiner Übersetzungskünsten, fanden wir bald die Poststelle und ich konnte meine Briefmarke kriegen. Ich nahm gleich zwei, damit sich die Fahrt besser lohnen sollte. Ein paar Minuten später waren wir wieder zurück und ich, glücklich mit den zwei Briefmarken in der Tasche, konnte mich den Damen beim Cola-Schlürfen anschließen. Saskia erzählte mittlerweile Dragona (so hieß die Dame vermutlich) von unserer Reise und den weiteren Plänen, auch davon, dass wir nach Albanien fahren wollen. Davon riet uns Dragona mit Nachdruck ab! Sie stellte uns ein Bild des europäischen „Mordor“ vor: kaputte und gefährliche Straßen, kriminelle Banden, die auf europäische Motorrad-Touristen an jeder Ecke lauern und ausgehungerte Bevölkerung, die von einem alles klaut, was nicht mit Ketten befestigt sei. Trolle und Wehrwölfe hat sie nicht erwähnt… Auf die Frage, ob sie schon selbst das Nachbarland Albanien besuchte, verneinte sie: sie sei doch nicht „lebensmüde“. Für uns war klar: wir müssen hin und uns selbst überzeugen!

Und wir haben es nicht bereut! Wir wollten durch die Nordalbanischen Alpen nach Kosovo und haben uns schon auf etwas unbequeme Durchquerung von steinigen Schotterstraßen eingestellt. Aber nichts davon! Wir fanden eine exzellente, frisch asphaltierte Straße (SH20) und atemberaubende Landschaften vor! Anscheinend wissen selbst die Albaner nichts davon: unterwegs sind uns nur hand-voll andere Fahrzeuge entgegen gekommen. Lediglich die Fahrt durch die nordalbanische Stadt Shkodra schien eine – verkehrstechnisch gesehen – größere Herausforderung zu sein: man kommt nicht voran, wenn man „europäisch“ fährt: ständig wirst du von allen Seiten von den anderen Verkehrsteilnehmern überholt, Passanten laufen quer durch die Straßen, es scheint nur eine Regel zu gelten: wer bremst, der verliert.

Nach Albanien sind wir nach Pristina, Kosovo, gefahren: mit einem kleinen und ungeplanten Abstecher nach Serbien. Einmal im Regen nicht rechtzeitig abgebogen und zack – schon bist du im anderen Land. Zum Glück haben wir bald einen offenen Grenzübergang zwischen Serbien und Kosovo gefunden: zurzeit leider keine Selbstverständlichkeit. Und Pristina war eine der größten Überraschungen der Reise: eine moderne, europäische Stadt, nicht touristisch aber ausgesprochen gastfreundlich und angenehm! Insbesondere für den Geldbeutel: die Lokalwährung heißt Euro und man zahlt ein Viertel davon, was man zu Hause für die gleiche Speise im Restaurant ausgeben müsste.

Über die Preise haben wir uns auch in Nordmazedonien nicht beschweren müssen. Gestrandet sind wir am lokalen Touristen-Lieblingsort Struga am Ohridsee. Wo wird denn sonst in Europa für eine Camping-Übernachtung zu zweit (samt Motorrad und Zelt), Abendessen und Frühstück 18 Euro verlangt?

Später ging es nach Griechenland, Richtung Kavala. Die Region Makedonien im Norden Griechenlands empfing uns mit wüstenartigen und bergigen Landschaften. So soll Südeuropa aussehen! – haben wir gedacht und eine Foto-Pause angelegt. Die Gegend fühlte sich großartig an und ließ uns die Zeit vergessen. Die Konsequenz davon war: wir konnten unseren Campingplatz an der Küste nicht mehr erreichen und mussten uns eine neue Bleibe für die Nacht suchen sowie zum ersten Mal den Notfallplan rausholen: die bookingcom-App. Wir wollten einfach nur etwas preisgünstiges finden, warm duschen und am nächsten Morgen schnell wieder abfahren. Nix da! Es war ein wahres Abenteuer! Doch müssten wir den Ort zuerst finden! Und wie langweilig wäre das Leben eines BMW GS-Fahrers ohne sein BMW-Navigationsgerät! Mittlerweile glauben wir, dass dies alles mit Absicht programmiert wurde. Das Navi schickt Dich immer wieder auf Straßen, die es entweder nicht gibt, noch nicht gibt oder schon lange nicht mehr gibt, bzw. so steinig und löchrig sind, dass sie selbst für Bergsteiger mit dem Prädikat „schwierig“ verzeichnet werden sollten! Ich bin mir sicher, dass sich die Programmierer abends beim Bier treffen, gegenseitig Anekdoten erzählen und sich dabei kaputt lachen, wie sie den armen und nichts ahnenden Moped-Fahrern „offroad-feeling“ verpasst haben. Auch wir sind im Acker gelandet und haben auf einen griechischen Bauer gestoßen, der zuerst mit offenen Mund und großen Augen dann mit freundlich-skeptischem Lächeln uns gefragt hat, ob wir Hilfe brauchen. Stunden später haben wir die restlichen 30 km tatsächlich noch geschafft und das Hotel erreicht. Der junge Hotelbesitzer Stomatis war sehr freundlich und hat uns gefragt, ob wir denn seine E-Mail mit der Wegbeschreibung bekommen hätten. Wir lachten laut.

Archontiko Agonari
Archontiko Agonari

Dafür war das Hotel herrlich! Fast mittendrin im Wald auf einer Höhe von über 800m an einem Hang gelegen, bot auch die Terrasse eine traumhafte Aussicht. Darüber hinaus lernten wir auch, was griechische Gastfreundschaft bedeutet. Stomatis wollte uns die Strapazen der Anfahrt vergessen machen und fragte, ob wir nun die makedonische Spezialität Tsipouro kennen und probieren möchten. Spätestens als Stomatis sich zu uns an den Tisch setzte uns eine Runde aufs Haus anbot, hätten unsere Alarmglocken laut klingen müssen. Später haben wir recherchiert, dass Tsipouro eine hochprozentige (bis 45%) Spirituose ist! Zwei Karaffen davon haben gereicht, um unsere Bewegungssensoren stark zu beeinflussen. Vermutlich hätten wir bei der dritten Flasche angefangen, fließend Griechisch zu sprechen.

Die zweite Nacht in Griechenland haben wir am Thrakischen Meer verbracht. Dank „Connection“ aus Baden-Baden dürften wir eine Nacht im Apartment direkt am Strand verbringen! Dimitra, die Mutter von unserem Freund Saki, besitzt einige Apartmenthäuser am Strand und bot uns eine Wohnung für die Nacht an. Die Ortschaft heißt Nea Kabali und ist ein wahrer Geheimtipp. Direkt am Meer gegenüber der Insel Thasos gelegen, 15 Fahrminuten vom Kavala-Airport entfernt: das Dorf hat richtig Potential zum wahren Urlaubsparadies zu werden. Dies wurde vor wenigen Jahren im Ort erkannt, und es wird seitdem in den Ausbau und in die Infrastruktur fleißig investiert.

Bei Dimitra fühlten wir uns wie zu Hause! Eine tüchtige Geschäftsfrau aber mit einem Riesenherz! Sie empfing uns mit leckeren griechischen Spezialitäten und erzählte uns über die Region, über Griechenland, und dass sie 2015 während der großen Flüchtlingswelle mehrere Flüchtlingsfamilien in ihre Häuser aufgenommen (insgesamt 25 Personen) und über mehrere Monate verpflegt hat! Was für eine Frau! In unseren Augen – eine wahre Heldin! Denn man stelle sich vor, nicht jedem in dem Dorf hat dies gefallen.

Nun aber nach ca. zwei Wochen war die Zeit reif Richtung Heimat zu fahren: durch Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Tschechien. In Bulgarien hat uns der Regen fast durch das ganze Land begleitet, so haben wir nur unser Minimumziel erreicht: die Durchquerung des Balkan-Gebirge im Norden des Landes. In Rumänien hatten wir etwas mehr Wetterglück: wir nahmen uns Zeit, fuhren immer wieder „durch die Dörfer“ auf lokalen Straßen. So haben wir enorme Kontraste zwischen Land und Stadt gesehen: einerseits Touristen-Magneten wie Brasov, Bran oder Sibiu, andererseits von allen Göttern verlassene Dörfer, marode Straßen, Pferdekutschen und verwunderte Blicke der Einheimischen. Es war wie eine Zeitreise. Wir sprangen innerhalb von wenigen Kilometern vom 19. ins 21. Jahrhundert.

Das größte Highlight für die Motorradfahrer in Rumänien bleiben jedoch die Karpaten und die Nationalstraße DN67C, die Transalpina, eine sehr beliebte und touristisch bedeutsame Straße, die die sog. „Transsilvanischen Alpen“ durchquert und eine Höhe von 2132 m erreicht.

Anschließend sind wird in Ungarn angekommen und haben uns zwei Ziele vorgenommen: die (angeblich) älteste Stadt in Ungarn Eger und den Nationalpark Bükki. Die Stadt Eger war hübsch aber nicht wirklich spektakulär. Dafür aber die Strecke nach Miskolc ist einfach ein Traum: über 50 Kilometer kurvenreiche Strecke durch einen mysteriösen Wald… und mit erstaunlich wenig Verkehr! Die Weiterfahrt führte uns schließlich zur letzten Etappe der Reise: in die Slowakei, zur Hohen und Niederen Tatra, sowie durch Tschechien.

Wir kamen nach 20 Tagen erschöpft aber glücklich zurück nach Baden-Baden. Es war ein großartiges Abenteuer, voller überraschender Momente und unerwarteter Begegnungen. Wir haben im herzen Europas außergewöhnliche und unbekannte Orte entdeckt, uns ein eigenes Bild von den uns bis dato fremden Ländern gemacht.

Das Reisen auf dem Motorrad macht solche Erlebnisse noch direkter und intensiver. Es gibt keine schützende Blech-Box wie ein Auto, in die man sich zurückziehen und von der Außenwelt absperren kann. Du nimmst die Gegend, die Temperaturen, das Wetter direkt auf. Du schwitzt in der Hitze oder frierst im Regen, aber umso mehr genießt du die Momente, die das Motorradfahren so schön machen: den Fahrtwind, die Schräglage in den kurvenreichen Straßen, die Beschleunigung, Kraft der Maschine und die wahre Freude am Fahren. Du spürst die Reise auf der eigenen Haut, die diese spektakulär und unvergeßlich macht.

Mehr Fotos auf meiner Website: https://sliwa.photography